ich höre dich
Liebevoll sah die 9-Jährige Liv das alte schwarze Pferd an. Man konnte immer noch erkennen, dass es mal ein sehr schnelles, starkes Pferd war. Jetzt lebt es auf einem Gnadenhof und die Besitzer kümmern sich liebevoll um ihre Pferde. Den Pferden geht es gut und das kann man ihnen ansehen.
Liv streckte ihre Hand aus und hielt sie dem Pferd hin. "Ich würde dich so gern streicheln."
"Was hält dich davon ab?", hörte Liv eine Stimme sagen.
Erstaunt sah sie sich um. Niemand war weit und breit zu sehen. Liv stand allein am Zaun der Wiese, auf der sich dieses schöne Pferd und noch einige andere Pferde aufhielten.
"Pferd, hast du das gerade gesagt?", fragte Liv erstaunt.
"Ja, manchmal rede ich, aber nur mit besonderen Kindern. So wie du es bist. Wie heißt du?"
"Ich heiße Liv, aber Pferde können doch nicht reden", sagte Liv und sah etwas ratlos aus.
"Nein, eigentlich können Pferde nur mit Pferden reden, aber du kannst mich hören, oder?"
"Ja, aber ich verstehe das nicht. Wieso kannst du mit mir reden?"
"Ich habe mich schon mit sehr vielen Kindern unterhalten. Kinder mit ganz viel Fantasie können mich hören und sich mit mir unterhalten. Ich bin schon sehr alt und vor dir habe ich mit anderen Kindern Gespräche geführt. Wenn Kinder dann andere Interessen haben, hören die Gespräche auf und sie erinnern sich nicht mehr. Aber - sie werden immer noch sehr
gern an dieser Wiese vorbeikommen. Ich weiß auch, dass sie sich wohlfühlen, wenn sie hier stehen. Ich sehe es ihnen an."
"Ich werde dich nie vergessen. Warum sollte ich das tun?"
"Weil der Lauf der Zeit so ist. Ich freue mich aber sehr, wenn du mich besuchst Liv."
"Wenn ich das Mama erzähle, das glaubt sie mir nie. Wie heißt du eigentlich?"
"Ira ist mein Name. Ich habe früher mal sehr viele Rennen gewonnen und fühle
mich nun hier sehr wohl. Ganz besonders freue ich mich, wenn Kinder, wie du es bist, hier vorbeigehen und auch mal stehenbleiben."
"Ich muss jetzt aber nach Hause. Mach´s gut Ira. Morgen schau ich wieder vorbei. Ich freue mich auf dich."
"Ich freue mich auch auf dich Liv."
Liv erzählte ihrer Mutter vom sprechenden Pferd. "Ich begleite dich Morgen Liv. Das Pferd würde ich mir auch gern ansehen."
Am nächsten Tag gingen Liv und ihre
Mutter zu Ira, die glücklich auf der Wiese graste und sogleich zu den Beiden lief, als sie sie entdeckte.
"Ira, ich habe meine Mutter mitgebracht. Sie glaubt mir nicht, dass du reden kannst."
Ira ließ ein kraftvolles Wiehern hören und stubste Liv vorsichtig am Arm an. "Gestern hat sie wirklich mit mir gesprochen Mama. Ira, sag doch etwas."
Ira legte den Kopf etwas schief und spazierte langsam am Gatter entlang. Liv lief Ira hinterher. "Mama glaubt es mir doch sonst nicht Ira."
Ira blickte zu Livs Mutter, die stehengeblieben war. "Liv, Erwachsene werden mich nicht hören. Das kannst nur du. Nur Kinder können das, weil die Phantasie noch so ausgeprägt ist.
"Ich komme Morgen wieder Ira. Mach es gut."
Etwas enttäuscht sah Liv ihre Mutter an. "Ira sagt, dass du sie nicht hören kannst, nur Kinder können das."
"So wird es sein mein Schatz. Lass uns nach Hause gehen. Wir müssen noch das Mittagessen fertigmachen. Du kannst ja
Morgen fragen, ob du Ira pflegen darfst. Bestimmt freuen sich die Besitzer über Hilfe. Ich werde dich begleiten."
Die Besitzer freuten sich sogar sehr über Livs Hilfe. Sie zeigten ihr, wie die Hufe ausgekratzt werden, wie sie den Sattel befestigt und halfen Liv, mit Ira eine Runde im Gatter zu laufen. Ira war ganz außer sich vor Freude. Sie stubste Liv immer wieder an.
"Ira mag dich. Sie mag es, wenn du mit ihr ausreitest. Also, wann immer du Zeit hast, schau vorbei. Wir freuen uns über deine Hilfe."
Liv ritt von nun an regelmäßig mit Ira, kratze die Hufe aus, gab ihr Futter und striegelte ihr Fell. "Ich danke dir Liv", sagte Ira jedes Mal.
"Ich habe heute so schwierige Matheaufgaben auf Ira, ich hab deshalb nicht viel Zeit."
"Du schaffst die Aufgaben. Du wirst sehen, es ist gar nicht so schwer."
"Ich weiß, aber ich muss noch üben. Ich brauche das gute Gefühl. Du kennst mich ja inzwischen."
Lachend sattelte Liv Ira ab. "Es macht so
viel Freude mit dir zu reiten." Liebevoll legte Liv den Kopf an den Hals ihrer neuen Freundin.
"Mir geht es ebenso Liv. Ich freue mich auf unseren nächsten Ausritt."