A lake in Utah is made of optimism.
Die Menschenschlange hinter Peter zog sich bis zum Horizont. Seine Füße schmerzten und das Glitzern des Sees vor ihm war übelkeiterregend. Der Gestank von Hoffnung lag in der Luft.
Aber Peter hatte es geschafft. Er war der nächste.
Mit schlurfenden Schritten ging er in das kleine Verwaltungshäuschen, dessen Einrichtung aus einem Schreibtisch und zwei Stühlen bestand. Hinter dem Schreibtisch erwartete ihn eine übergewichtige Beamtin mit dem Gesicht eines Frosches.
„Ausweis“, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
Wortlos legte Peter seinen Führerschein vor. Sie warf nicht einmal einen Blick darauf, bevor sie ihn zurückgab.
„Formular 3G-12.“
„Habe ich nicht“, sagte Peter irritiert.
„Das hat man Ihnen am Anfang der Schlange ausgeteilt“, erwiderte die Beamtin kühl.
„Hat man nicht.“
„Doch.“
„Welchen Grund sollte ich haben, Ihnen das Formular nicht zu übergeben, wenn ich eines bekommen hätte?“
„Die Beantwortung dieser Frage liegt außerhalb meiner Entgeltgruppe.“
„Was liegt denn dann in Ihrer Entgeltgruppe?“, fragte Peter irritiert.
„Ich kann das Formular hier ausfüllen. Natürlich erhöht das die Verwaltungskostenpauschale.“
„Sagen Sie das doch gleich!“, fuhr Peter sie an. Er holte sein Portemonnaie hervor und warf einen Blick hinein. Eine kleine Spinne hatte ein beeindruckendes Netz darin gewebt. Erbost über die plötzliche Störung, schüttelte sie ein Beinchen und fauchte. Rasch klappte Peter das Portemonnaie wieder zu.
„Selbstverständlich nehmen wir auch Kreditkarten“, informierte die Beamtin ihn ungerührt. Nachdem diese Formalität geklärt war, zog sie ein zerknittertes Blatt Papier hervor, strich es notdürftig glatt und griff nach dem einzigen Stift
auf ihrem Schreibtisch.
„Name?“
„Peter Mallow“, antwortete Peter Mallow.
„Geburtsdatum?“
„Erster Juni Neunzehnsechsundachtzig.“
„Derzeitige Beschäftigung?“
„Arbeitssuchend.“
Der Stift der Beamtin schwebte über dem Formular. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, was tun sie gerade?“
„Ich … sitze auf einem Stuhl und beantworte Fragen.“
Die Beamtin notierte die Antwort. „Lieblingsfarbe der Mutter?“
„Das weiß ich nicht.“
„Weiß ist keine Spektralfarbe.“
„Bitte?“
„Weiß ist keine zulässige Antwort“, sagte die Beamtin ungeduldig. „Bitte nennen Sie mir die Lieblingsspektralfarbe Ihrer Mutter.“
„Himmel noch mal!“, entfuhr es Peter.
„Blau.“
„Wa…? Ja. Ja, die Lieblingsspektralfarbe meiner Mutter war blau.“
„War?“, wiederholte die Beamtin. „Ist Ihre Mutter verstorben?“
„Vor fünf Jahren.“
„Das hätten Sie auch gleich sagen können. Warum sollten wir uns für die Lieblingsfarben Verstorbener interessieren?“
Peter erwiderte nichts mehr. Das war
auch nicht nötig, denn die Beamtin schob ihm den Stift zu. „Unterschreiben Sie hier, hier, hier, dort unten und im linken Eck, zwei Zentimeter vom Rand entfernt. Danach gehen Sie in den nächsten Raum.“
Die Luft im zweiten Raum war stickig, Peters Kreditkarte fühlte sich unangenehm heiß in seiner Hand an. Hinter einem Schreibtisch erwartete ihn eine übergewichtige Beamtin mit dem Gesicht eines Frosches. Sie sah ihn nicht an. „Bitte legen Sie Ihre Kleidung ab und ziehen Sie die offizielle Schwimmuniform an.“
Auf einem Glastisch im Zentrum lag eine winzige, rote Badehose. Während Peter
sich hineinzuzwängen versuchte, ergriff die Beamtin erneut das Wort.
„Sie haben 86 Sekunden Zeit für Ihr Bad im See. Die besten Ergebnisse werden durch Untertauchen erreicht. Vergessen Sie nicht, zuvor Luft zu holen.“
Das Wasser des Sees war klar, beinahe durchscheinend. Am anderen Ufer hatte ein Mann die Absperrung durchbrochen und wurde von einer Beamtin mit dem Gesicht eines Frosches überwältigt und abtransportiert.
Vorsichtig streckte Peter einen Zeh in das Seewasser. 86, 85 … Es war eiskalt. Nur mit viel Willenskraft konnte er sich dazu zwingen, tiefer zu waten. 69, 68 … Inzwischen reichte ihm das Wasser bis
zur Hüfte. Ein angenehmes Prickeln machte sich in seiner Magengegend breit. 53, 52 … Peter wusste, dass er die Macht des Sees für sich nutzen konnte. Er würde sein Leben rumreißen. Das Wasser berührte seinen Hals. 38, 37 … Er holte tief Luft und tauchte unter. Blind. Taub. Seine Lungen brannten. Peter hatte sich nie lebendiger gefühlt. Alles was er wollte, war aus dem Wasser raus und sein Leben ändern. Er konnte alles schaffen. Er konnte alles schaffen!
Sein Kopf durchbrach die Oberfläche; taumelnd stürzte er an Land. Den Timer, der die letzten zehn Sekunden anzählte, nahm er nicht wahr.
Die Beamtin mit dem Froschgesicht warf
ihm einen missbilligenden Blick zu als er in ihr Büro platzte, sich aus der Schwimmhose schälte und stolpernd und hüpfend in seine Klamotten schlüpfte, aber er beachtete sie nicht.
Nur halb bekleidet hastete er aus dem Büro und die lange Schlange an Menschen entlang, die auf ein wenig Optimismus hofften. Dieses Mal würde alles gut. Dieses Mal würde er es schaffen.
Er hatte das Ende der Schlange erreicht und nahm seinen Platz dort ein. Dieses Mal würde der See ihm helfen sein Leben umzukrempeln.