FORUMBATTLE 63
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Thema: Erinnerungssplittertorte
Vorgabeworte:
Engelszungen, Meerjungfrau, Rätselhaft, Troll, Sonnenaufgang,
Regenbogen, Lichtgestalten, Bezaubernd, Seepferdchen, Herzrasen
Waldlichtung, Sternschnuppe,
Text: Martina Wiemers
Buchcover: schöne ältere Frau kostenloses Bild, gefunden bei google
Bequem lümmelnd lagen Margit und ich in den Polstermöbeln ihrer Suite im Berliner Hotel „Adlon“, tranken Sekt, erinnerten uns an die gemeinsame Schulzeit und die Jahre danach.
In unserem kleinen Dorf, wo jeder jeden kannte, blieb nichts verborgen. Unsere Mütter tauschten Rezepte für Kuchen, Sonntagsbraten und Marmelade. Die Väter standen samstags nebeneinander auf dem Fußballplatz, tranken hinterher Bier in der Kneipe und schimpften tüchtig auf die Machenschaften von "Denen da oben".
Wir waren Freundinnen, malten bei schlechtem Wetter den Regenbogen mit Buntstiften auf Zeitungspapier, weinten um
die „Kleine Meerjungfrau", nähten die "Seepferdchenabzeichen in Gold" mit der Hand auf die Badeanzüge, rauchten die 1. Zigarette in der Scheune auf der Waldlichtung und verliebten uns mit 12 in Klaus Literski aus der 7a.
Kurz vor der Berufswahl redeten unsere Mütter mit Engelszungen auf uns ein, Schneiderin oder Köchin zu werden. Für Mädchen angeblich die beste Voraussetzung, um später Mann und Kinder zu versorgen. Doch wir wünschten uns bei jeder Sternschnuppe weit fort in
die Zentren der großen weiten Welt.
Nach dem Abitur trennten sich unsere
Wege abrupt. Wir hörten lange nichts voneinander.
Doch vorgestern, beim Klassentreffen, stockte allen Anwesenden der Atem, als Margit den Raum in unserer ehemaligen Dorfschule betrat. Bezaubernd schön, gertenschlank, einfach umwerfend sah sie aus. Klaus Literski bekam bei ihrem Anblick so starkes Herzrasen, dass der Notarzt kommen musste.
Wir nutzten den Abend, um uns wieder näher kennen zu lernen. „Ruf mich an, bin noch 5 Tage in Berlin im „Adlon“. Würde mich freuen, wenn du vorbeikommst, könnten reden miteinander, in Erinnerungen schwelgen", sagte Margit
beim Abschied, winkte nach ihrem Chauffeur, stieg grazil auf den Rücksitz des Mercedes und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Um damals ihr Kunststudium in Amsterdam zu finanzieren, modelte Margit nebenbei als Aktmodell für Peter Lindberg. So manche Lichtgestalt aus der heutigen Promiszene traf sich Jahre später in ihrer angesagten Galerie auf dem Kurfürstendamm. Als sie für Bruno Klawitter, dem mehrfachen Millionär und Kunstmäzen, die Sammlungen in New York betreute, begann ihr kometenhafter Aufstieg.
Ihre heimliche Liaison mit dem
Hollywoodschauspieler Paul Walker flog erst auf, als er auf rätselhafte Weise mit seinem Rennfahrerfreund tödlich verunglückte. Ihre Namen zierten tagelang die Titelseiten der Boulevardpresse. Seit der Jahrtausendwende widmete sich Margit vorwiegend der Förderung junger aufstrebender Künstler in Europa und Amerika. Als Fachfrau und gefeierte Lichtgrafik- und Designerin buchte man sie weltweit.
Ich studierte in Mecklenburg Vorpommern Agrarwissenschaften, arbeitete einige Jahre in Afrika, lernte meinen Mann Björn kennen, zog mit ihm in sein Elternhaus nach Norwegen. Mein Anteil an der
weltweiten "Erforschung und Erhaltung wichtiger Nutzpflanzen für die Ewigkeit" ist nicht unwesentlich. Beruflich eingebunden im Saatgut-Tresor in Spitzbergen, lebe ich zeitweise dort mit drei anderen Wissenschaftlern in beheizbaren Wohnwagen und Zelten.
Mit meinen 3 Kindern aus kurzzeitigen Beziehungen nach der Scheidung, verstehe ich mich gut. Sie lernen an einer Internationalen Schule englisch, deutsch, französisch, leben dort im Internat, besuchen mich jedes Jahr in den Sommerferien und verbringen Weihnachten bei den Großeltern in Deutschland.
Beim Blättern in Margits vergilbtem
Poesiealbum, las sie mir den Spruch, welchen ich ihr als 10-Jährige vor 50 Jahren hineinschrieb, laut vor:
„Sei wie das Veilchen im Moose,
bescheiden sittsam und rein,
nicht wie die stolze Rose,
die immer bewundert will sein“
Wir lachten beide und fragten uns,
wie wohl unser Leben verlaufen wäre, wenn wir uns daran gehalten hätten?
Bei Sonnenaufgang bestellten wir beim Zimmerservices Drinks und Kanapees, schliefen bis zum Mittag, bummelten durch Berlin und tranken abends Rotwein
an der Hotelbar.
„Na dann, bis irgendwann, hoffentlich bald“, sagte Margit, drückte mir, als der Portier die Fahrstuhltür öffnete, ein in Seidenpapier eingewickeltes Etwas in die Hand,stieg in den Mercedes und fuhr, diesmal selbst, ohne zu winken, ziemlich forsch davon.
Ich zahlte meine Rechnung, nahm ein Taxi, lehnte mich nach dem Einchecken im Flugzeug bequem zurück, öffnete den Koffer und las als erstes, die auf Büttenpapier geschriebene und handsignierten Nachricht von Margit:
"Bin nicht wie das Veilchen im Moose,
bescheiden, sittsam und rein,
doch stolz und schön wie die Rose,
bin Ich und will Ich auch sein"
übertrug dann schnell die Zahlen aller eingegangener Apps vom Smartphon in die Statistik des Laptops, grüßte mit einem kleinen, winkendem Troll mein Team in Spitzbergen und sah mir, bis zum Ende des Fluges, die Welt von oben an.
(C) Martina Wiemers