04. September 2017 – Newhaven - England „Wir sind ihnen so dankbar, dass sie gekommen sind. Manfred hat immer gesagt, das Ganze sei nichts als Unfug, aber ich wusste genau, dass hier etwas nicht stimmt. Und jetzt, wo sie hier sind, weiß ich, dass ich Recht habe. Immerhin ist das ihr Job. Wenn sie glauben, dass hier etwas nicht stimmt, zeigt das, dass ich mich nicht geirrt habe.“ Das sollte sich noch herausstellen. Christina saß im Wohnzimmer des kleinen Inns. Sie war durch Zufall auf
diese Geschichte gestoßen: Ein Motel in Newhaven, in dem es angeblich spuken sollte. Die Inhaber, Manfred und Petra Watson hatten auf der Internetseite geschildert, dass sich offenbar Geister in ihrem Inn aufhalten. Natürlich zog das viele Leute an, die wissen wollte, was dahintersteckte. Tatsächlich gab es Einträge die besagten, dass nachts seltsame Geräusche zu hören waren. Das Ganze erstreckte sich von einfachen Geistergeschichten, bis hin zu morbiden Annahmen über einen Fluch, der das Motel heimsuchte. Ziemlich lächerlich, wie sie dachte. Warum sollte jemand ein billiges Motel wie dieses verfluchen? Zugegeben: Manfred und Petra waren so
langweilig, dass man wahrscheinlich aus Mitleid einen Fluch aussprechen würde, damit das Leben der beiden ein wenig aufregender wurde. Sie entsprachen dem typischen Bild von Hinterwäldlern: Beide waren korpulent und Ende der Fünfziger. Ein altes abgehalftertes Ehepaar ohne Kinder. Diese Sache war vermutlich das aufregendste, was jemals in ihrem Leben passiert war. Traurig. Christina selbst hatte immer versucht, das interessante in ihrem Leben zu finden. Schon früh hatte sie sich mit dem paranormalen Beschäftigt. Etwas, was ihre Eltern stets für Humbug hielten. Das hatte letztendlich zum Bruch der Familie
geführt. Deshalb hatte die junge Frau die Staaten verlassen und war nach Europa gegangen. Die alten Geschichten über Geister und Spukschlösser hatten ihr den Anlass gegeben, diese Welt zu erkunden. Dabei war Nordirland ihr erster Anlaufpunkt gewesen. Ein eine Geschichte über eine Nonne in Rathfriland war der Anstoß zu ihrem ersten Fall gewesen. Tatsächlich hatte es sich um ein paranormales Wesen gehandelt, dass die Ruinen von Rathfriland Castle heimsuchte. Mithilfe zweier Brüder, Fargos und Angus McLean hatte sie den Fall letztendlich gelöst. Sie hatte ihre erste Begegnung mit dem Übernatürlichen überstanden
und war jetzt bereit, sich dem ganzen entgegenzustellen. Letztendlich war die junge Frau auf diese Geschichte in Newhaven gestoßen. Ein Motel in dem es angeblich spukte. Deshalb saß sie jetzt hier, im Alter von 26 und musste sich dieser langweiligen Unterhaltung hingeben. „Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt Mrs. Stanton?“ Auf ihrem Schoß lag ein Notizblock, um Informationen aufzuschreiben. Bis jetzt hatte sie jedoch nur ein paar Kritzeleien aus Langeweile zu Stande gebracht. Sie war eher damit beschäftigt nicht einzuschlafen. Sie war sich nicht sicher,
ob an der Sache überhaupt etwas dran war. Es gab keine Geschichten. Sie hatte im Vorfeld bereits Recherchen angestellt. Alle Ergebnislos. „Das war etwa vor drei Jahren. Ich habe wie üblich morgens die Betten bezogen. Wir können uns kein Personal leisten wissen Sie. Die Zeiten sind hart für die Stadt. Viele sind bereits weggezogen, weil sie ihre Arbeit verloren haben. Nur Manfred und ich sind geblieben. Newhaven ist unsere Heimat. Wir wollten nicht weg.“ „Das verstehe ich. Man lässt nicht gerne seine Wurzeln zurück“, erklärte sie und tippte mit dem Zeigefinger auf die Lehne ihres Sessels.
„Aber bleiben wir bei den Tatsachen: Sie haben die Betten bezogen. Und dann?“ „Und dann sah ich diesen Geist!“ Christina hob skeptisch die Braue. „Den Geist? Wie hat er ausgesehen? War es ein Mann, oder eine Frau?“ Es schien wohl so, als wäre doch etwas an dieser Sache dran. „Es war eine Katze! Eine schwarze Katze. Im ersten Moment war sie da und dann verschwunden. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen!“ Vermutlich doch nicht. Eine Katze. Großartig. Leute von New Haven nehmt euch in Acht. Die Geisterkatze ist auf der Jagd nach Seelen, die sie
verschlingen kann. Was für ein Schwachsinn. Jetzt war sie wirklich davon überzeugt, dass Sie hier nur ihre Zeit verschwendete. Hätte sie sich auch denken können. „Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen Geist gehandelt hat Mrs. Stanton.“ „Doch, doch! Hören sie Christina…“ „Tina reicht…“ „Tina. Ich dachte auch erst, dass es sich nur um eine normale Katze handelt. Ich habe auch Manfred nichts davon erzählt. Ich dachte, sonst hält er mich noch für verrückt, wissen sie?“ Sie kicherte. Ihr Mann gab ein seltsames Grunzen von sich und kratzte sich über die Halbglatze. Verrückt? Da wäre sie im
Leben nicht draufgekommen! „Jedenfalls Hab ich die Sache nicht weiterverfolgt. Zumindest zuerst. Dann haben Gäste angefangen sich über Geräusche zu beschweren.“ „Geräusche?“ „Ja. Es klang für mich auch seltsam. Deshalb wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Und dann nachts hörte ich es: Dieses Kreischen im oberen Zimmer. Immer wieder. Ganz schrecklich. Und dann fiel mir diese Katze wieder ein.“ Christina seufzte. „Vergessen sie die Katze Mrs. Stanton. Die hat bestimmt nichts damit zu tun.“ „Meinen sie? Vielleicht ist es eine Geisterkatze, die von ihrem Herrchen
gequält wurde, und jetzt ruhelos in diesem Zimmer lebt.“ Oh Gott…Glaubte diese alte Vettel wirklich das, was sie da gerade sagte? Ja klar. Die schwarze Geisterkatze aus Newhaven, die Motelgäste mit ihrem Kreischen in den Wahnsinn treibt. Was für ein Schwachsinn. Dennoch galt es, diese Geräusche zu untersuchen. Vielleicht war da ja wirklich etwas dran. Sie musste zumindest ausschließen, dass es sich hierbei um etwas Übernatürliches handelte. Allein schon der Genugtuung wegen, dass diese Frau wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. „Ich glaube nicht, dass es das ist Mrs. Stanton. Trotzdem werde ich mir das
ganze genauer anschauen, um auszuschließen, dass das Motel nicht vielleicht doch von Geistern heimgesucht wird.“ Die Motelbesitzerin griff Tina bei den Händen. „Danke! Vielen Dank! Sie sind wirklich unsere Rettung!“ Sie bereute es. Sie bereute es in dem Augenblick, in dem Sie Petra zugesagt hatte, sich um die ‚Geister‘ zu kümmern. Jetzt saß sie nämlich in einem der alten Zimmer und wartete darauf, dass rein gar nichts passierte. Als wäre das alte Mobiliar nicht genug, hatte Mrs. Stanton ihr Kekse und Milch gebracht.
‚Nervennahrung‘, hatte sie gesagt, damit sie die Nacht übersteht. Die Schwarzhaarige warf einen Blick auf die Uhr. Halb zwei und absolut nichts hatte sich ereignet. Keine Schwarze Katze und auch kein Kreischen. Wie vermutet. Zumindest war es warm, weshalb sie sich für ein schwarzes einfaches Top und eine Boxershorts entschieden hatte. Hier musste sie keine Angst haben, dass ein Spanner sie begaffte. Order ein Perverser Geist. Bei dem Gedanken musste sie Schmunzeln. ‚Hach Tina. In was hast du dich da dieses Mal nur hineingeritten?‘ Wenigstens konnte sie den beiden später
berichten, dass sie nichts zu befürchten hatten. Die junge Frau gähnte und warf einen Blick auf den Laptop, der vor ihr auf dem Bett lag. Die blauen Augen wanderten musternd über den Bildschirm. Es gab nichts im Internet, was auf eine Heimsuchung schließen ließ. Hier und dort, gab es Kommentare der Gäste auf der Website: „Die Nacht war wirklich gruselig.“ „Es spukt tatsächlich.“ „Ein aufregendes Wochenende.“ Nichts weiter als Touristen, die sich etwas einbildeten. Das konnte vorkommen. Man sah und hörte plötzlich Dinge, die es gar nicht gab und das nur, weil man unbedingt an eine Sache
glauben wollte. Das hier war dasselbe. Die Fantasie ging mit den Leuten durch. Kein Wunder. In dieser Stadt passierte schon lange nichts Aufregendes mehr. Wie Mrs. Stanton richtig erwähnt hatte, ging es Newhaven wirtschaftlich nicht gut. Die größeren Unternehmen waren schon vor Ewigkeiten weggezogen. Die Leute, die noch hier lebten gehörten zu den Einheimischen, die hier aufgewachsen waren. Tina dachte einen Moment darüber nach. Sie konnte sich ein solches Leben nicht vorstellen. In den Staaten war es anders. In ihrer Heimatstadt Detroit war immer etwas los. Verbrechen hier, eine weitere Katastrophe dort. Ganz anders, als hier.
Wehmut wanderte in ihren Blick. Unweigerlich musste sie an ihre Eltern denken. Was die wohl taten? Ob sie an sie dachten? Und Carl, ihr kleiner Bruder. Wie es wohl sein musste, seine große Schwester nicht mehr um sich zu haben? Darüber hatte sie nicht nachgedacht, als sie gegangen war. Haften geblieben war nur der letzte Streit mit ihrem Vater, bevor sie die Tür für immer hinter sich geschlossen hatte. Sie schüttelte den Kopf und versuchte den Gedanken aus ihren Kopf zu verbannen, als ein kreischendes Geräusch sie zusammenfahren ließ. Sie horchte in die Stimme hinein. Was folgte war ein schnelles Klopfen in den Wänden.
Christina stand vom Bett auf und huschte über den Holzboden an die Wand, wo sie ihr Ohr gegen die Tapete presste. Da war es wieder. Dieses seltsame dumpfe Kreischen. Wie ein Stöhnen. Es wanderte. Sie erhob sich und schritt zum kleinen Ofen, der sich in der Ecke befand. Der eiserne Schürhaken sollte helfen. Reines Eisen wirkte immer gegen Geister. Für den Fall der Fälle würde sie ihn mitnehmen. Christina griff ihn und lauschte weiter dem Kreischen, dass sich nun über ihr zu befinden schien. Innerhalb weniger Sekunden war sie auf den Flur geeilt. Er lag komplett im Dunkeln. Das Fenster am Ende des Korridors ließ ein wenig Mondlicht
hinein. Der alte Holzboden knarrte unter jedem ihrer Schritte. Immer weiter wagte sie sich vorwärts, wobei sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten. Wieder erklang das Klopfen. Sie verharrte auf der Stelle. Hinter sich nahm sie plötzlich eine Bewegung war und schoss mit erhobenem Schürhaken herum. „Um Gottes willen! Hilfe!“ Ein wenig irritiert blickte die Schwarzhaarige in den schwachen Schein einer Kerze. Es war Petra, die vollkommen bleich vor ihr stand und zitterte. Direkt hinter ihr kam Manfred aus dem Zimmer. „Was ist hier los?
Liebling?“ Als er Christina erblickte, zuckte auch er zusammen. „Du liebe Güte! Was ist denn in Sie gefahren? Haben sie den Verstand verloren?!“ Einen Moment lang sah Sie die beiden abwechselnd an, ehe sie den Schürhaken sinken ließ. Verdammt. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass so etwas passierte. Wer rannte auch nachts mit einem eisernen Schürhaken durch den Flur? Super Tina. „Ich habe etwas gehört“, begann sie, als erneut das Kreischen von oben erklang. Petra und Manfred erschraken. Die alte Frau ließ beinahe die Kerze fallen. Die
Geisterjägerin erhob wieder den Schürhaken. „Gibt es hier einen Dachboden?“ Den gab es tatsächlich. Mrs. Stanton zeigte ihr die Leiter, die in das oberste Stockwerk des Hauses führte. Langsam bewegte sich Christina zum Fuß vor und nahm die Kerze in ihre freie Hand. „Egal was passiert. Sie bleiben hier. Haben sie mich verstanden?“ Die Beiden nickten. Daraufhin begab sich die junge Frau langsam hinauf, bis sie den alten düsteren Dachboden erreichte. Es roch vermodert und an manchen Stellen hingen Spinnenweben mitten im
Raum. Vorsichtig bewegte sie sich über den Fußboden vorwärts. Den Haken festumklammert. Wieder das Kreischen, direkt hinter ihr. „Scheiße!“ Sie schreckte herum, holte zum Schlag aus. Der Schürhaken sauste hinab…und schlug mitten gegen ein Bündel alter Heizungsrohre. Hinter denen schoss augenblicklich eine schwarze Katze hervor. Sie huschte zwischen Christinas Beinen hindurch und verschwand über die Treppe. „Was?“ Und wieder das Klopfen. Es kam aus den verdammten Heizungsrohren. Das
Kreischen war nichts weiter als der blöde Wind, der durch die Rohre fegte. Die scheiß Katze lebte wahrscheinlich hier oben und ernährte sich von den Mäusen, die hier und da über den Boden huschten. „Ist alles in Ordnung Miss?“ Am Ende der Leiter glotzten die Köpfe der Stantons dümmlich auf den Dachboden. Tina starrte sie an und war sie nicht sicher, ob sie im Moment lachen oder die beiden mit dem Haken Erschlagen sollte… „Es tut uns wirklich leid, dass wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereitet haben Miss. Das war nicht unsere
Absicht!“ „Es ist in Ordnung Mrs. Stanton. Wirklich. Machen sie sich keine Umstände!“ Am liebsten hätte sie gefluchte. Den ganzen Morgen über. Stattdessen saß sie mit dem Paar beim Tee im Wohnzimmer, in einem mehr als kitschigen Sessel. Rosa Blümchen verzierten den weißen Stoff. Jeder mit etwas Geschmack hätte ihn verbrannt, oder vergraben, damit niemand ihn findet. Er war das einzig wirklich erschreckende im ganzen Haus. „Kaum zu glauben“, begann Petra und lachte. „Die Heizungsrohre. Wer hätte das gedacht? Und die Katze? War ja klar, dass sie kein Geist war. Ich
Dummerchen! Was habe ich mir dabei nur gedacht?“ Christina lachte gespielt und hob ihre Teetasse. ‚Hahaha, noch ein Wort und hier gibt es bald wirklich einen Geist‘. Natürlich sprach sie den Gedanken nicht laut aus. Ihr Blick glitt zu Manfred. Er schien froh darüber zu sein, dass es sich bei all dem nur um faulen Zauber handelte. Wenigstens einer dachte hier vernünftig. Das war schon mal ein Anfang. Trotzdem tat er ihr ein wenig Leid. Immerhin war er mit Petra verheiratet. „Nun, was soll ich sagen? Man kann sich nie sicher sein, ob wirklich etwas
dahintersteckt. Deshalb ist es immer besser, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie sehen ja, dass es meistens gar nichts ist.“ Petra nickte und setzte ihre Tasse ab. Sie trug am Morgen Lockenwickler. Mit ihrer faltigen Haut und den silbernen Haaren sah sie wirklich aus wie ein Geist. „Eigentlich ist es schade.“ „Wie meinen?“ „Naja. Ich meine: Ein echter Geist? Stellen sie sich das doch mal vor. Wenn herauskommt, dass es wirklich nur die Heizungsrohre waren. Die Besucher werden wahrscheinlich fernbleiben, wenn sie wissen, dass alles nur ausgemachter Blödsinn
ist.“ War das tatsächlich ihr Ernst? Sie hatte die blöde Kuh beinahe erschlagen. Dennoch war einzige was sie interessierte, der leidende Tourismus? Christina konnte nicht anders, als zu seufzen. Manche Leute hatten wirklich einen Sprung in der Schüssel. „Nun. Es muss ja keiner erfahren“, begann Tina, doch sah sie schnell, wie Manfred hinter dem Rücken seiner Frau den Kopf schüttelte. „Allerdings, wäre es nicht rechtens, die Menschen zu belügen, nur um sie um ihr Geld zu erleichtern Mrs. Stanton.“ Darüber schien Petra einen Augenblick nachzudenken. Dann nickte sie und
lächelte. „Sie haben Recht Liebes. Schade ist es trotzdem. Nun ja. Manfred und ich, wir werden schon eine neue Idee finden, mit der wir Besucher ins Haus locken.“ „Vielleicht Teekränzchen?“, meinte Christina. „Das wäre eine Idee. Nicht war Liebling?“ Er lächelte und nickte. Als sich Petra allerdings wieder der jungen Frau zuwandte, verdrehte er nur die Augen. Christina zuckte mit den Schultern und leerte den Rest aus ihrer Teetasse. Eines musste sie Mrs. Stanton lassen: Sie kochte guten schwarzen Tee. Sie erhob sich und reckte die Glieder. Nach dieser
Nacht fühlte sie sich ausgelaugt. Ein paar Stunden mehr Schlaf hätten sicher nicht geschadet. Sie wollte aber auch nicht unbedingt länger hierbleiben, als es unbedingt nötig war. „Nun, wenn Sie mich jetzt Entschuldigen. Ich muss noch jemanden anrufen.“ Dieser jemand war niemand anders, als Fergus Mclean. Irgendjemandem musste Sie diese absurde Geschichte einfach erzählen. In ihrem Zimmer angekommen hatte sie gleich seine Nummer gewählt. Es dauerte auch nicht lange, bis er abnahm. „Kleines. Ich habe mich schon gefragt,
wann ich wieder von dir höre. Wie läuft es? Hast du mittlerweile etwas herausgefunden, was das Motel in Newhaven angeht?“ „Ich bin gerade dort. Die Geschichte war nur ein Hoax. Nichts Echtes dran. Nur ein paar alte Heizungsrohre und eine Katze, die auf dem Dachboden hauste.“ Er lachte am anderen Ende der Leitung. Christina ließ sich auf dem Bett fallen und starrte an die Decke. Für ihn musste das wirklich komisch sein. Sehr zu ihrem Missfallen. „Das ist nicht witzig. Es ist ernüchternd, wie viele Geschichten über Geister und andere Wesen sich als falsch herausstellen. Ich glaube, die Stantons
wussten selbst, dass an der Sache nicht viel dran ist. Sie haben das Ganze nur weiter aufgebauscht, um Kunden in ihr schäbiges Motel zu locken.“ „Nun Kleine, so ist das nun mal. In unserem Gewerbe kommen solche Dinge nicht einfach auf dich zugeflogen. Manchmal musst du einfach sehr tief graben, um überhaupt etwas zu finden. Angus und ich suchen manchmal Monate, bis wir einen echten Fall finden. Du bist noch neu in all dem. Du wirst dich daran gewöhnen.“ Die 26-Jährige seufzte und massierte sich mit einer Hand die Stirn. „Ja ich weiß, aber…ach keine Ahnung.“ „Ich weiß schon. Nach der Sache mit der
Nonne in Rathfriland, dachtest du wahrscheinlich, dass dein Leben immer so aufregend ist. Kann ich mir denken. Du dachtest wahrscheinlich, dass diese Biester jetzt an jeder Ecke auf dich lauern. Um es anders zu sagen: Du bist auf den Geschmack gekommen.“ „Ja.“ „Das ist nicht die richtige Einstellung. Hör zu Christina: Dieser Job ist gefährlich. Es kann nicht immer so reibungslos ablaufen wie in Nordirland. Wenn es dir bei dieser Sache nur um den Kick geht, solltest du dir vielleicht etwas Anderes suchen. Ich kenne viele, die ähnlich denken. Manche von ihnen sind aufgrund dieser Einstellung gestorben.
Ich fände es traurig, wenn das bei dir auch der Fall wäre. Sie holte tief Luft. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Diese Worte hatten sie irgendwie getroffen. Wenn Sie ehrlich war, musste sie ihm sogar ein wenig Recht geben. Dieser erste Fall mit der Nonne hatte sie auf den Geschmack gebracht. Sie wollte mehr davon. Mehr von dieser Materie ergründen, von der sie so wenig verstand. Es war Wissensdurst, der einfach nur gestillt werden wollte. Es ging dabei natürlich um mehr. Diese Wesen waren nicht alle gefährlich, aber es gab welche, die Menschen Schaden zufügten. Das war auch einer der Gründe,
warum Fergus und Angus zu Paraforschern geworden waren: Um Menschen zu helfen, die sich in den Klauen des Übernatürlichen befanden. Sie seufzte. Vielleicht sollte sie wirklich anfangen, das ganze aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. „Bist du noch dran Liebes?“ „Ja. Ich habe nur etwas nachgedacht. Du hast Recht Fergus. Ich bin das einfach falsch angegangen.“ „Mach dir nichts draus Liebes. Du bist jung und hast noch viel zu lernen. Ich war in deinem Alter auch nicht anders. Ein junger Spund, der die ganze Welt erobern wollte.“ „Du bist gar nicht so
alt!“ Wieder lachte er. „48 ist ein gutes Alter. Vielleicht macht mich auch einfach der Job alt. Wie dem auch sei Kleines. Lass den Kopf nicht hängen. Ich melde mich bei dir, wenn ich etwas finde. Okay?“ „Ja. Mach ich auch. Grüß Angus von mir.“ Nach dem Gespräch mit Fergus hatte Christina beschlossen, die örtliche Pizzeria aufzusuchen. Ein kleiner Happen würde ihr sicher nicht schaden. Sie ließ ihren alten VW-Bus vor dem Motel stehen. Die kurze Strecke konnte sie auch laufen. Als sie so durch
Newhaven schlenderte, beobachtete sie viel. Meistens lebten hier ältere Menschen. Alles hatte diesen verschlafenen Kleinstadtcharme. Auf seine Art und Weise war die Stadt wirklich nett. Für einen Kurzurlaub wie geschaffen. Vielleicht würde sie noch ein, oder zwei Tage länger hierbleiben. Das half sicher, den Kopf freizubekommen. Außerdem konnte sie die Zeit für Recherche nutzen. So bog sie in die Straße ein, in der sich die Pizzeria befand. Eine leichte Brise wehte durch die Straße. Heute hatte sie sich für eine schwarze Jeanshose und einen dünnen Pullover entschieden. Darüber trug sie ihre schwarze
Lederjacke. Das wärmte genug. Über dem Rücken hing ihre Laptoptasche. Sie konnte die Zeit beim Essen gut nutzen, um vielleicht einen neuen Fall zu finden. Die Pizzeria war klein gehalten. Auf Grund der Größe, schätzte sie, dass man sich hier eher auf einen Lieferservice spezialisiert hatte. Die Einrichtung war simpel. Ein Tresen, hinter dem sich bereits die Küche befand, sowie zwei Tische mit jeweils drei Stühlen, falls sich jemand dazu entschloss hier zu Essen. Sie ließ sich auf dem Platz nahe dem Fenster zur Straße nieder und packte ihren Laptop aus. Sogleich watschelte ein schlanker junger Mann auf sie zu. „Willkommen bei Dominos Ma’am. Darf
ich ihre Bestellung aufnehmen?“ „Einen Kaffee und eine Salamipizza.“ Er nickte fröhlich und notierte die Bestellung auf einem kleinen Schreibblock. „Gerne doch. Sie können unser freies W-Lan benutzen. Das Passwort lautet NewHaven1234“ Wirklich sehr simpel. Sie nickte ihm zu und er machte sich hinter den Tresen davon. Zeit zu arbeiten. Schnell war ihr Laptop aufgestellt und die örtlichen Nachrichten aufgerufen. In der Stadt selbst gab es nicht viel Neues, weshalb sie auf die Seite des Guardians Zugriff. Hier stieß sie auf das übliche Zeug. Meldungen über schwankende
Wirtschaftskurse und dazugehörige Fanatiker, die den Brexit dafür verantwortlich machten. ‚Die Spinnen, die Briten‘, dachte sie so bei sich, als die Bedienung ihren Kaffee brachte. „Hier Miss. Wenn sie noch etwas brauchen, sagen sie Bescheid. Ihre Pizza kommt gleich!“ Sie nickte und nippte an dem Getränk. Der Kaffee war gut. Das würde helfen, konzentriert zu bleiben. So grub sie weiter. Anfangs stieß sie auf die schrillsten Geschichten. ‚Mein Mann ist ein Radio‘, hieß es in einem Artikel aus Horsam. Es ging darum, dass das Radio einer Witwe
ständig den Lieblingssong ihres verstorbenen Gatten spielte. Deshalb ging sie davon aus, er würde darin spuken. Tina verdrehte die Augen. Was für ein Käse. Heutzutage hatten viele nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wahrscheinlich war ihr eigenes Leben so langweilig, dass sie etwas erfinden mussten, damit es aufregender wurde, so wie die Stantons, die in ihrem alten Motel lebten und um ihre verflossenen goldenen Lebensjahre trauerten. Sie seufzte, als die Bedienung mit der Pizza kam. Lächelnd bedankte sie sich und griff nach dem ersten Stück, während sie mit der freien Hand weitersuchte. Fergus hatte Recht. Es war wirklich nicht
einfach, etwas zu finden. Das meiste war irgendwelcher Humbug. Im lokalen Umkreis gab es wenig Interessantes. Nach weiteren zwanzig Minuten, in denen sie ihre Pizza bereits verputzt hatte, machte sich langsam das Gefühl der Ernüchterung breit. Gerade wollte sie die Suche aufgeben, als sie auf der Internetseite von Heathfield, das weiter nördlich von Newhaven lag, etwas entdeckte. ‚Tot hinter verschlossenen Türen.‘ Das war die Kopfzeile des Artikels. Er war gut zwei Wochen alt. Christina lehnte sich etwas vor und studierte die Zeilen des Artikels: ‚Vor ein paar Tagen fand die Polizei die
Leiche der 23-Jährigen Hanna N. im Wohnzimmer ihres Hauses. Nach einem Notruf der jungen Frau hatte sich eine Streife zur Wohnung des Opfers begeben und die Tote entdeckt. Die Polizei geht von einem Einbruch aus, auch wenn man sich darüber noch nicht schlüssig ist. Wir werden sie natürlich weiter darüber auf dem Laufenden halten.‘ Was war das denn? Nicht ganz schlüssig? Was sollte denn an einem Einbruch seltsam sein? Wie aus Reflex hatte die junge Frau ihr Handy gezückt und die Nummer von Fergus gewählt. „Ich glaube ich habe was.“ „Wirklich?“ „Eine Tote in Heathfield. Allerdings ist
der Artikel sehr Vage. Hanna N. 23 Jahre. Die Geister scheiden sich, ob es ein Einbruch war oder nicht. Kannst du ein wenig für mich graben?“ „Klar. Ich ruf dich gleich zurück.“ Sie wusste, dass Fergus viele Kontakte hatte. Was das anging, war er wirklich eine große Hilfe. Nachdenklich ließ sie ihren Blick über den Bildschirm schweifen. Irgendwas sagte ihr, dass das ganze seltsam war. Entweder war es ein Bauchgefühl, oder doch die Verzweiflung. Sie war sich nicht sicher. Sie bestellte sich noch einen weiteren Kaffee bei der Bedienung, ehe Fergus nach gut einer viertel Stunde erneut anrief.
„Und?“ „Du hast Recht. Es ist wirklich seltsam.“ „Was meinst du damit?“ „Ich kenne den Sherif der dort arbeitet. Mary Amber. Sie hat mit dem Opfer telefoniert, bevor es gestorben ist.“ Das klang interessant. „Ja und weiter? Spann mich nicht auf die Folter!“ „Das Opfer heißt Hanna Newland. 23 Jahre alt. Sie hat abends den Notruf gewählt und gemeint, jemand befände sich in ihrem Haus. Als die Polizei dort ankam, war sie allerdings schon tot. Das wirklich seltsame war aber, dass es keine Spuren auf ein gewaltsames Eindringen
gibt. Alle Fenster und Türen waren verschlossen. Amber dachte erst, dass Hanna ihren Mörder hereingelassen hat.“ „Aber das deckt sich doch nicht mit dem Notruf“, warf Tina ein. „Nein. Tut es nicht. Das macht die Sache ja so seltsam.“ „Hmmm. Vielleicht ein Geist?“ „Möglich. Ich kann nicht viel darüber sagen. Der Sherif hatte leider nicht mehr Informationen.“ Ungeduldig tippte die Schwarzhaarige mit den Fingern auf dem Tisch herum. Es gab eigentlich nur eine Lösung. Mit der freien Hand hatte sie bereits die Route nach Heathfield auf ihrem Laptop
berechnet.
„Ich fahre hin. Vielleicht kann ich ein bisschen mehr herausfinden. Wenn das wirklich ein Fall ist, dann rufe ich dich wieder an Ferg‘.“
„Okay, aber sei vorsichtig. Überstürze nichts!“
„Nein. Danke für die Hilfe!“
„Immer wieder gerne Liebes!“