Forumbattle 63
Thema: Erinnerungssplittertorte
Vorgabewörter:
Engelszungen, Meerjungfrau, Rätselhaft, Troll, Regenbogen, Lichtgestalten, Bezaubernd, Seepferdchen, Herzrasen, Waldlichtung, Sternschnuppe, Sonnenaufgang
ungebetener Gast
Da sitze ich nun also vor meiner Erinnerungssplittertorte. Neben mir immer noch mein ungebetener Gast. Mit müden Augen und hängendem Kopf, nehme ich die ersten Strahlen des nahenden Sonnenaufgangs wahr. Aber ganz ehrlich, was bringt mir das? Als ob die Sonne mein Herzrasen, die schweißnassen Hände oder die rätselhaften Gefühle nehmen könnte. Ich spüre wieder die Wut hochkochen, und frage mich wohin damit. Ich habe das Bedürfnis laut zu schreien, so lange, bis keine Luft mehr in meinen Lungen ist. Aber was würden die Nachbarn denken?
Ich kann wohl schlecht in den frühen Morgenstunden das ganze Haus zusammenbrüllen. Also schweige ich, wie immer eigentlich, und setze mein bezauberndes Lächeln auf. An sich totaler Quatsch, denn es sieht mich ja doch niemand. Obwohl… Scheinheilig grinse ich meinen Gast an, bevor ich mich dieser Torte widme.
Das erste Erinnerungsstück schmeckt bitter. Grimassen ziehend schüttelt es mich. Da ist er wieder, der Troll, der mit Engelszungen auf mich einredet. Passt auch irgendwie nicht so recht zusammen, schießt es mir durch den Kopf. Aber so war es - glaube ich jedenfalls. Sofort
spüre ich wieder das beklemmende Gefühl und das Bedürfnis zu flüchten. Unsagbare Angst breitet sich in mir aus, Dunkelheit umarmt mich, zieht an mir, reißt mich immer tiefer.
Nein! Das will ich nicht!
Mit zugekniffenen Augen taste ich nach dem nächsten Stück. Etwas salzig für eine Torte, denke ich und will es ausspucken. Doch kaum dass ich den Mund geöffnet habe, füllt er sich mit Wasser. Meerwasser und noch etwas, vielleicht ein Seepferdchen? Ekel und Panik erfassen mich, ich bekomme keine Luft mehr. Wild strampelnd versuche ich
an die Oberfläche zu gelangen. Es scheint keine zu geben. Immer hektischer werden meine Versuche, immer langsamer mein Herzschlag.
Das ist nicht real! Ich weiß es! Genauso wenig real wie Meerjungfrauen.
Klitschnass, als wäre ich tatsächlich dort gewesen, sitze ich wieder vor dem Zauberkuchen; neben mir mein breit grinsender Gast. Oh, wie sehr ich ihn verabscheue. Wie ferngesteuert ergreife ich das nächste Stück. Es schmeckt modrig, lässt mich an eine Waldlichtung denken. Nasses Moos, vom Regen aufgeweichte Erde und glitschige
Baumstämme. Warum eigentlich nicht in Sonnenlicht getauchtes zartes Grün, mit Blütenpollen, die wie Lichtgestalten tanzen, und flatternden Schmetterlingen? Jedenfalls rutsche ich immer wieder aus. Mir tut alles weh und die Kräfte schwinden. Wozu überhaupt noch wieder aufstehen? Beim nächsten Schritt lande ich doch sowieso wieder auf dem Boden. Eisige Kälte steigt in mir empor, macht mich bewegungsunfähig. Restlos erschöpft bleibe ich liegen und starre, mit leerem Blick, durch die Baumkronen in den Himmel. Der einsetzende Regen streichelt mir zärtlich übers Gesicht. Unsäglich müde schließe ich die Augen, aber an Ruhe ist nicht zu denken.
Hämisches Lachen dringt zu mir durch, wird mit jedem Atemzug lauter. Was soll das? Ich halte mir krampfhaft die Ohren zu. Ohne Erfolg. Ich kann die Stimme, die mir Angst einflößt, immer noch hören.
Nein, nein, nein! Schweig endlich!
Schweißnass und mit zugehaltenen Ohren öffne ich vorsichtig meine Augen. Die hektische Atmung beruhigt sich, denn es ist ja gar nicht dunkel stelle ich erleichtert fest. Es hat zwar ein leichter Nieselregen eingesetzt, die Sonne jedoch lässt sich davon wenig beeindrucken. Man kann sogar ganz schwach einen
Regenbogen in der Ferne erkennen. Schön, denke ich, bevor mir die Krümel der Erinnerungssplittertorte wieder ins Auge fallen. Auch mein Gast neben mir macht geräuschvoll auf sich aufmerksam. Unruhig rutscht er auf seinem Stuhl hin und her und schießt mit schwarzen Sternschnuppen um sich. Da muss ich doch tatsächlich lachen.
Als ob ich nicht wüsste, dass er immer mein Gast sein würde, gewollt oder nicht. Nächstes Mal teilen wir die Torte einfach. Mal gucken wer dann am Ende lauter lacht, denke ich, und setze meinem kleinen schwarzen Gespenst eine rosa Clownsnase auf.
©M.Rethorn 28.09.2017