Arztbesuch
"Kind, ich muss zum Arzt. Du musst mich fahren".
"Ist was passiert?", fragte ich mitfühlend.
"Mein Bein tut weh. Soll sich der Doktor mal angucken".
Oma Erna ist eine super tolle Frau, aber wenn sie was will, dann aber hopp, gestern schon. Eigentlich ist sie die Oma meiner Schulfreundin und hat mir früher immer bei den Hausaufgaben geholfen . Wir haben uns gegenseitig adoptiert.
Passt einfach.
Oma zwängte sich in mein kleines Auto. Umständlich, weil das Bein schmerzte. Wir schafften es aber. Oma ging langsam die drei Stufen zum Arzt hoch.
"Du kannst auch mit dem Fahrstuhl fahren, Oma."
"Bin ich alt?"
"Ne, aber du hast doch Schmerzen."
"Papperlapapp. Ich halt das schon aus. Der Doktor guckt sich das ja gleich an".
Die sympathische Sprechstundenhilfe führte Oma in das Sprechzimmer. Fast leer. Wir hatten Glück, morgens um
7.30 Uhr.
"Sie können schon mal ins Behandlungszimmer gehen, Frau Schmidt",
Oma humpelte los. Sie setzte sich auf den Stuhl im Sprechzimmer und zack- Bein hoch auf den Schreibtisch.
"Oma, das geht nicht", rief ich erschrocken.
"Wat? Der Doktor soll sich das Bein
doch angucken."
"Ja, das macht er auch, aber das Bein lass bitte unten. Stell es wieder auf den Boden Oma, bitte", sagte ich mit Nachdruck.
In diesm Moment kam der Arzt rein. Omas Bein war auf dem Boden und sie zeigte ihre schmerzende Stelle. "Hab schon einen Struzzen drumgewickelt gehabt, in der Nacht".
"Einen Struzzen?", fragte der Arzt etwas unwissend.
"Na, Hausmittel. Draufgepullert und um
das Bein gewickelt. Machen wir in der Familie immer so".
"Ich nicht Oma", rief ich dazwischen. Ich mach die Sitte nicht mit."
Ich sah den Arzt mit großen Augen an, um mich zu vergewissern, dass er mich auch verstand.
"Ich schreib Ihnen Tabletten auf. Sie nehmen morgens und abends eine Tablette. Dann sollten die Schmerzen bald aufhören."
Oma band ihr Kopftuch wieder um, dass sie auch im Sommer trug. Sie liebte ihr
Tuch. Manchmal kommt sie mir schon vor wie Mütterchen Frost, liebenswert.
"Guckst du noch ein bisschen mit mir fern?", fragte sie und sah mich dabei lächelnd an.
"Ja, die Zeit habe ich noch. Mein Dienst beginnt erst mittags. Alles ist gut".
Fernsehen mit ihr ist wie eine Extra-Show. Das Programm interessiert mich nie, aber Omas Kommentare, die schon.
"Was macht die denn da? Ist die bescheuert? Das macht man doch nicht!"
Oma kommentierte jeden Satz. Ich saß lächelnd auf dem Sessel ihr gegenüber. Oma sprang immer wieder hoch - huch, mit schmerzendem Bein.
Auf dem Weg in die Firma musste ich immer wieder lachen. Oma Erna ist wie ein Geschenk. Hoffentlich noch sehr lange.