was bleibt Teil 2
„Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie es sagen dürfen.“ (Voltaire)
Ich erinnerte mich widerwillig. Brokdorf Es war 1981 und ich wollte unbedingt zur Demo nach Brokdorf. Papa war schon unterwegs – als Polizist - auf der „anderen Seite“ der Demo. Und so fuhr ich mit vier Freuden los. Ich war der einzige Minderjährige in unserer Gruppe aber es war immerhin knapp zwei Wochen vor meinem 17. Geburtstag! Wir hatten uns kaum dem
Demonstrationsgelände genähert, da hörte ich eine wohlvertraute Stimme: „Darf ich mal Eure Ausweispapiere sehen?“ 80.000 erwartete Demonstranten und wen treffe ich? Meinen Vater! In Zivil! „Du kennst uns doch alle, was soll denn das?“ brüllte ich ihn sofort an. „Lass den Mist. Wir wollen hier unsere Grundrechte wahrnehmen, Meinungsfreiheit“.
Es folgte ein sehr lautstarker Disput zwischen Vater und Sohn, der einige Uniformierte in der Nähe auf uns aufmerksam machte – aber im Gegensatz zu meinem Vater konnte ich mich vor ihnen nicht ausweisen und wollte mich
erst recht nicht beruhigen. Meine Freunde sagten mir später immer wieder, ich wäre der Einzige gewesen, der laut und ausfällig war. Wie wütend kann ein 16-jähriger werden? Er hatte mir bei dem Streit offenbar mehrere „goldene Brücken“ gebaut, die ich jung, zornig und zielgerichtet zum Einsturz brachte. Ich habe es nicht erkannt, ich wollte auch gar nicht. Dann platzte ihm der Kragen und er bat zwei uniformierte Kollegen, mich zum nächsten Bahnhof zu bringen und dafür zu sorgen, dass ich nach Hamburg zurück fuhr. „Kollegen, scheut Euch nicht, ihm Handschellen anzulegen, wenn er bockig ist. Revolte kann er übrigens gut“, sagte er. „Und
nehmt sie ihm auch erst wieder ab, wenn er im Zug sitzt“. Als unbelehrbarer Besserwisser hörte ich nicht auf, zu pöbeln. Seine Kollegen sahen ihn an, sollten sie d a s wirklich tun? Handschellen? Er zuckte nur kurz mit den Schultern, nahm seine eigenen Handschellen und legte sie mir höchstpersönlich an. „Wir bringen ihn jetzt zusammen zum Bahnhof“, sagte er.
Wie wütend kann ein 16-jähriger werden wenn ihm sein eigener Vater auf einer Demonstration Handschellen anlegt? Ich war wie ein Berserker und verbrachte dann zwei Stunden („zur Beruhigung“) im Polizeiwagen. Als ich dann im
abfahrenden Zug saß (befreit von den Handschellen), fing ich an, vor Wut zu heulen. Wie ein Verbrecher abgeführt und rausgeworfen. Nach der Demo redete ich zuhause eine lange Zeit nicht mit ihm. Durch die Bilder im Fernsehen bekam ich aber ganz langsam ein vorsichtiges Gespür dafür, dass der Einsatz damals sehr hart gewesen sein muss.
War mein „Rauswurf“ doch nur zu meinem eigenen Schutz?!?? Hatte er etwa doch Recht? Heute, mit dem Abstand von über 35 Jahren, sehe ich die Bilder im Internet und bin ich ihm dankbar für diese lehrreiche Aktion, mehr noch,
oftmals frage ich mich, wie er mir überhaupt vergeben konnte. Ich habe ihn nie gefragt oder mich für meinen Mist entschuldigt. Ich denke oft an diesen Tag. Am Ende des Tages war ich wütend zuhause – aber gesund.