der schwamm
Ich war in den letzten Wochen viel unterwegs und neulich ist mir auf dem Heimweg ein Artikel über Schwämme in die Hände gefallen.
Ein deutscher Wissenschaftler hat in einer New Yorker Zeitung einen Artikel über Schwämme veröffentlicht. Sofort dachte ich an die griechische Insel Kalymnos, die auch als „Insel der Schwammtaucher“ bekannt ist.
Leider wurde ich schnell enttäuscht, es handelte sich in dem Bericht um den „gemeinen deutschen
Haushaltsschwamm“, der zum Reinigen benutzt wird und in Amerika offenbar zu Panikschüben führte.
Ein interessanter Artikel, denn die Kernaussage war, dass pro Kubikzentimeter ca. 30 Milliarden Bakterien leben.
Am darauf folgenden Sonnabend war Elke bereits morgens mit ihrer Freundin Inge verabredet. Ich schlief aus, duschte, kochte mir einen Kaffee und las in der Küche in meiner Zeitung.
Plötzlich spürte ich ein Kribbeln im Genick und meine Nackenhaare stellten sich auf. So ein Gefühl kennt jeder, oder? Ich fühlte mich
beobachtet!
Vorsichtig nahm ich alles in Augenschein, was in meinem direkten Gesichtsfeld zu sehen war.
Da war…. nichts!
Dann drehte ich mich vorsichtig um. Da war auch nichts aber….einen Augenblick dachte ich, dass der Schwamm heller als gewöhnlich leuchtete. Das hatte er gestern Abend aber nicht, glaubte ich mich zu erinnern.
Ich dachte an den Artikel in der Zeitung und holte den Zollstock. Der Schwamm maß 6 x 9 cm. Dazu 30 Milliarden Bakterien pro Quadratzentimeter. Da waren also 1,5 Billionen Mitbewohner,
die heute eindeutig Kontakt mit mir aufnehmen wollten! Mein wissenschaftlicher Ehrgeiz war geweckt!
„Los geht’s“, sagte ich mir und ärgerte mich ein wenig, weil ich mein 30 Tonnen schweres Elektronenmikroskop am vergangenen Wochenende in den Keller geschleppt hatte.
Dann nahm ich den Schwamm vorsichtig in die Hand und stellte mir 1,5 Billionen kleine Männchen vor, die sich vor Angst zitternd gegenseitig an die Hand nahmen und mich anstarrten. Wie ein echter Kerl hielt ihrem Blick stand und sagte mit leicht zitternder Stimme in Richtung des Schwamms gerichtet „Hallo, wie geht es
Euch heute?“
Damit sie nicht so brüllen mussten, hielt ich den Schwamm ans Ohr.
Es kam keine Antwort.
Danach probierte ich es in allen bekannten Sprachen, die ich kenne. Wieder nichts. Vermutlich mussten sie erst einen Wortführer wählen.
„Na, das kann ja dauern“, dachte ich und las noch einen Augenblick in meiner Zeitung. Dabei kam mir die nächste Idee:
„Wie doof“, dachte ich! „Es gibt eine absolut einfache Lösung zur Kontaktaufnahme“. Als Tastfunker bei der Marine in den 80er Jahren gibt es DIE EINE Lösung, die absolut niemand
ignorieren darf:
Vorsichtig legte ich den Schwamm auf den Küchentisch. Dann legte ich los:
3 kurz, 3 lang, 3 kurz. Ich morste den Schwamm an!
S O S!
Das ist absolut international und versteht jeder.
Im festen Glauben daran, dass sie antworteten, stellte ich das Radio aus. Sie waren wohl vom Stampfen mit ihren kleinen Beinchen zu erschöpft. Das war sehr unbedacht von mir!
Dann besann ich mich auf Lichtzeichen und nahm den Schwamm in die linke
Hand. Ich wiederholte die Kontaktaufnahme mit der Taschenlampe. S O S!
Die Nachbarin aus dem Haus gegenüber sah dem Treiben in meiner Küche interessiert zu.
„Na ja“, dachte ich mir, „es kann ja nicht jeder auf der Suche nach einer intelligenten Spezies mitwirken“, und winkte ihr mit der Taschenlampe zu, leuchtete aber zur Tarnung noch in die Ecken der Küche.
Nach weiteren erfolglosen Versuchen rief ich Konny, meinen älteren Bruder an und erklärte ihm mein Problem. Konny ist Arzt.
Während er mir antwortete, nahm ich weiterhin Kontakt auf. Dann fiel das Wort „Beruhigungsmittel“.
„Na klar“, sagte ich ihm, „das ist es. Soll ich eine Tablette auflösen und den Schwamm dann darin eintunken? Die Kleinen sind bestimmt ganz aufgeregt“
Konny brüllte mich an, „nein DU nimmst die Beruhigungsmittel, stehst Du im Büro schon wieder unter Strom?“
„Wenn hier Außerirdische landen und auf Dich treffen, dann denken die doch, dass hier kein intelligentes Leben existiert“, sagte er.
Jetzt war ich doch etwas beleidigt und wimmelte ihn mit der Ausrede ab, ich
müsse noch einkaufen.
Ich überlegte weiter.
„Ja doch, Nahrung“ – sie waren beleidigt, weil ich sie heute noch nicht gefüttert hatte. Ich holte den Napf meiner verstorbenen Katze und verteilte ein wenig Joghurt, Salat, Tomate, Aufschnitt, einen kleinen Keks, Erdnüsse , Käse. Also, alles, was ich irgendwie fand, lag anteilig im Napf, den Schwamm natürlich auch.
Fast alles lag im Napf. Meine Schokolade wollte ich nicht teilen. Und den Wein auch nicht.
Dann ließ ich meine 1,5 Billionen
Freunde mit ihrem Essen alleine und widmete mich unnützen Dingen des Haushalts.
Am Abend hatte ich den Eindruck, sie hätten gut gegessen – ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass das Essen so in sich zusammengesackt ist. Das war schon sehr passabel.
Ich musste meine Studien und Erkenntnisse nur noch Aufschreiben und veröffentlichen.
Elke kam nach Hause und fand mich glückselig vor, ich sagte ihr, ich hätte einen sehr schönen und erfolgreichen Tag gehabt.
„Ach Schatz“, rief sie aus dem Nebenzimmer, „ist Dir heute früh an
unserer Küche etwas aufgefallen?“.
„Klar doch“, dachte ich mir und sah mich verstohlen um. Hatte ich alle Spuren meiner Experimente beseitigt? Wie konnte ich Elke nur erklären, dass ich jetzt berühmt bin? In meinen Gedanken malte ich mir aus, dass sie einen Brief nach dem anderen von der Nobel-Kommission (alle an mich gerichtet) aus unserem Briefkasten fischt, völlig überrascht natürlich.
„Ach echt? Als Du gestern beim Sport warst, hatte ich ein wenig Langeweile und habe die Küche aufgeräumt. Ist Dir aufgefallen, wie ekelig unser Schwamm war? Ich habe den alten gestern Abend weggeworfen und heute früh einen ganz
neuen Schwamm hingelegt“.
Erneut an diesem Tag sträubten sich meine Nackenhaare. Mordlüstern.
„Ja, das fiel mir natürlich sofort auf“, log ich sie an.
Frustriert griff ich in den Kühlschrank und holte ein Hefeweizen heraus. Beim Einschenken hellte sich mein Blick auf.
Hefe, Weizen, Gärung ,Enzyme und Hefekulturen???
Elke war am folgenden Tag erneut verabredet und ich habe noch meinen alten Chemiebaukasten im Keller.