Der goldene Rasenmäher
Der schönste Sommer meines Lebens
Der Sommer neigte sich so langsam dem Ende zu, und diesmal reichte es mir.
Dies ist noch zurückhaltend formuliert, denn die Wahrheit war, ich hatte die Schnauze gestrichen voll!
Natürlich war ich im Bundesland Baden-Württemberg schon so einiges an absonderlichen Umständen gewöhnt, denn hier herrscht in übergroßem Maß Ordnung und Sauberkeit. Außerdem kenne ich kein einziges Bundesland, in dem es so unendlich viele abschließbare Gartentore mit einer Höhe von achtzig
Zentimetern gibt. Selbst ein völlig unsportlicher Mensch könnte locker ohne sich zu verausgaben über diese Begrenzungen herüber springen. Was ist dann der Sinn dieser Tore?
So viel zunächst zur Ordnung.
Aber hier wird auch unheimlich penibel auf die korrekte Einhaltung der wöchentlichen Kehrwoche gepocht. Wehe, ich vergesse diese Tätigkeit nach äußerst strengen Vorgaben und Richtlinien zu erledigen, dann werde ich von allen Nachbarn derart verächtlich angeschaut, als ob ich einen abartig perversen Mord begangen hätte. Warum machen alle so ein Riesentheater darum? Nach einem heftigen Windstoß sieht der
Gehweg vor dem Haus doch ganz genau so aus wie vorher.
Nein, ich sehe es überhaupt nicht ein tausendmal mit dem Kehren von vorne anzufangen, aber ob Sie es glauben oder nicht, manche Leute fegen den halben Tag mit dem Besen. So viel zum Punkt Sauberkeit.
Die Temperaturen in dieser Jahreszeit ließen es häufig zu, sodass ich in meiner Wohnung im Arbeitszimmer mit geöffnetem Fenster sitzen konnte. Jedoch während ich versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, drang an jedem Tag dasselbe Geräusch in meine Ohren. Das laute, brummende Rattern des Motors eines Rasenmähers, dessen
Besitzer mindestens zwei Stunden lang jeden einzelnen Grashalm nieder zu walzen schien. Allerdings konnte ich die Gärten in meiner näheren Umgebung nicht gerade als weitläufig bezeichnen, die größten von ihnen verfügten etwa über die gleiche Fläche wie drei Autoparkplätze zusammen.
Jedoch hielt ich es für vollkommen undenkbar, dass der Klimawandel sich inzwischen so dermaßen drastisch veränderte, der die Grashalme pro Tag mehrere Zentimeter wachsen ließ. Vielleicht besaßen meine Nachbarn auch die Gabe das Gras wachsen zu hören, aber dies entzog sich meiner Kenntnis.
Doch bitte verstehen Sie mich nicht
falsch, ich bin schon ein gutmütiger und verständnisvoller Mensch. Aber was zu viel ist…
Jeden Tag wurde ich also mit den etwas nervtötenden Geräuschen irgendeines Rasenmähers beglückt, und oft mischten sich auch andere Gerätschaften darunter. Zum Beispiel die elektronische Gartenschere, der mit Benzin angetriebene Rasentrimmer, und sonstige Motorgeräusche, die ich nicht einwandfrei zuordnen konnte. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ein vollständiges Orchester, bestehend aus lauter verschiedenen Gartengeräten. Somit entschloss ich mich zu einer erforderlichen Gegenmaßnahme.
Zunächst bat ich meine Freundin darum, mich bei einem Spaziergang durch die Straßen von unserer Nachbarschaft zu begleiten.
Jetzt wollten wir uns einen Überblick über die verschiedenen Grünflächen verschaffen, und inspizierten sie zu diesem Zweck sehr gründlich.
Bei einem dieser begrünten Wohlfühl-entspann-Oasen schnalzte ich leise mit der Zunge, denn sie könnte problemlos ein musterbildliches Vorzeigeobjekt für die Ausstellung der Landesgartenschau sein. Akkurat geschnittener Rasen in gleichmäßiger Höhe, die einer Prüfung mit dem Lineal lässig auf den Millimeter standhalten könnte.
Eine große Anzahl unterschiedlich bepflanzter Kübel in allen Farben, und dazwischen allerlei Dekoratives wie einen kitschigen Mini-Springbrunnen, sowie die Gartenzwerge in all ihren Formen bloß nicht zu vergessen. Na ja, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Aber auch einen blitzblanken, kleinen Weg von denen wir vermutlich sofort von deren frisch, mittels Hochdruck gekärcherten Bodenplatten essen könnten. Es aber auf einen Versuch ankommen zu lassen, lehnte meine Freundin auf meine Nachfrage kategorisch ab. Trotzdem habe ich die große Hoffnung, dass Sie meiner kühn aufgestellten Behauptung Glauben
schenken.
Kurzum, die Queen von England würde bei diesem Anblick schlicht vor Neid erblassen. Aus diesen Gründen stellten meine Freundin und ich fest, dass wir offensichtlich im Viertel der Gartenfreunde des Jahrhunderts leben mussten.
Jedoch konnte es keinesfalls so weiter gehen, denn manchmal mähte ein Nachbar gewissenhaft seinen Rasen, wodurch wiederum dessen Nachbar angestachelt wurde, ebenfalls äußerst gründlich seinen Rasen zu mähen. Demzufolge kamen wir in den zweifelhaften Genuss, uns den vollständigen Nachmittag diese
zauberhaften Geräusche der Rasenmäher im Duett anhören zu dürfen. Mein Versuch, daraus ein einzigartiges, sowie ganz besonderes Musikstück für die Weltöffentlichkeit zu komponieren, scheiterte kläglich. Die zuständigen Manager für Musik beschimpften mich wüst und unterstellten mir in ihren E-Mails, ich würde sie auf den Arm nehmen wollen. Meine Freundin konnte mich gerade noch von einer Sammelklage beim Rechtsanwalt gegen diese Kunstbanausen abhalten. Nun gut - zurück zu meiner beschlossenen Gegenmaßnahme für diese dröhnenden Mähermotoren.
Am nächsten Tag besorgte ich mir ein Miniaturmodell eines Rasenmähers, und holte mir vom örtlichen Schreibwarenhändler meines Vertrauens einen Vordruck von einer Urkunde.
Die goldfarbenen Verzierungen am Rand darauf gefielen mir, und die altdeutsche Schrift machte einen unheimlich edlen Eindruck auf mich.
Dann malte ich das kleine Modell des Rasenmähers mit goldener Farbe an, und klebte ihn auf ein schwarz lackiertes Brett. Anschließend stülpte ich eine Abdeckung aus Kunststoff darüber, und fertig war die Auszeichnung für den Mäher der allerersten Klasse in unserem kleinen Städtchen.
Natürlich begutachtete meine Freundin dieses Meisterwerk, und ihre Einwände damit würde ich die ganze Sache bloß noch verschlimmern sowie unnötig forcieren, schoss ich bedenkenlos komplett in den Wind. Wie auch immer.
Jetzt trug ich nur noch den Namen des Herrn Super-Super-Ober-Rasenmäher-Meisters in die entsprechende Zeile dieser überaus hübschen und dekorativen Urkunde ein, und machte mich mit dem kleinen Geschenk in der Hand auf den Weg zu ihm. Mit einer kleinen Rede gratulierte ich ihm, und überreichte ihm die Urkunde zusammen mit dem goldenen Rasenmäher. Als ich ihn dabei beobachtete, lernte ich den Begriff über
alle Backen strahlen erst richtig und in aller Deutlichkeit kennen.
Doch ich hätte auf meine Liebste hören sollen. Dieser Typ hastete sofort in sein Haus, und kam mit einer DIN A4-Plastikfolie, sowie Reißzwecken in seinen Händen wieder in den Garten. Schnell schob er die Urkunde in die Schutzhülle, und befestigte sie mit den Zwecken am Gartentor. Somit konnten nun alle Passanten lesen, welcher sensationelle Gartenfreund hier wohnte. Dabei hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl, denn vielleicht tauchte gleich noch der Bürgermeister auf um seine Glückwünsche zu übermitteln, und ich würde noch mehr in die ganze Sache
hineingezogen werden. Nein, lieber nicht, und ich schlich nach Hause.
Zu meiner Überraschung erwartete mich meine Freundin schon, und hielt mit einem breiten Grinsen eine Schachtel Ohropax in der Hand.
„Mach dir keine Sorgen, ich hab das Problem gelöst!“, meinte sie, und winkte mit der Hand ab.
©Newcomer