Es war ein sonniger Nachmittag als sie an jenem Samstag im Wohnzimmer saß und in einem Katalog stöberte, der heute Morgen in ihrem Briefkasten steckte. Wie jedes Mal markierte sie jeden Artikel mit einem großen »X«, den sie sich irgendwann mal leisten wollte. Viel Geld besaß sie nicht, sie war nicht reich, aber es reichte für den Lebensunterhalt. Ebenso für den einen oder anderen Wunsch, ein bis zwei Mal im Monat. Miete brauchte sie schließlich nicht zu bezahlen. Das kleine Häuschen war ihr Eigen, welches sie sich von ihrem Erbschaftsanteil geleistet hatte. Nicht sehr groß - ein kleines, zweistöckiges am Stadtrand umschlossen von Natur, das war ihr wichtig. Frieden, Luft zum Atmen, aber dennoch nah genug um
binnen 30 Minuten den Stadtkern zu erreichen. Keines dieser Reihenhäuser in jenen man die Nachbarn durch die Wände hören konnte. Nein, das wollte sie nicht. Aber einen Garten sollte es haben, welcher sich um das Gebäude schlang. Ihr ganzer Stolz. Einige Seiten weiter umkreiste sie einen Artikel und schmökerte weiter. Dies machte sie immer, wenn irgendetwas für diesen Monat in die engere Auswahl fiel. Einige dieser Artikel füllten bereits ihren Schrank. Meistens Röcke oder Blusen, Kleider oder Corsagen aus Samt, Seide oder Leder, hier und da mit Rüschen geschmückt. Oft trug sie sie zu Partys in Diskotheken oder an Festivals der Schwarzen-Szene. Sie fühlte sich wohl darin und unter dem Publikum zu Hause, auch wenn es schon lange nicht mehr das selbe war. Sie erinnerte sich an die Zeit
als sie zum ersten Mal solch eine Diskothek betrat. Wie herzlich und mit gewählten Worten, sie von allen empfangen und ins Herz geschlossen wurde. »Wie eine kleine Familie.«, dachte sie. Jedoch ändern sich die Zeiten und die Jenigen die dieser Lebensweise frönten, waren längst schon nicht mehr so gut gesät wie damals. Vielleicht war es genau das. Die gut gewählten Worte die sie so an seine Texte fesselten, jene die ihr immer ein sanftes Lächeln ins Gesicht zauberten, auch wenn sie es nie zugeben würde. Im heutigen Zeitalter eine gängige Art und Weise sich kennenzulernen, dennoch war es anders. Er schrieb und flirtete offen über die Kommentare und nicht, wie so oft, über ungebetene Privatnachrichten, welche nur eine Nahaufnahme von erregten
männlichen Geschlechtsteilen oder langweilige literarische Ergüsse wie: »Hi« oder »Wie geht's«, enthielten.
Er schrieb öffentlich und bat höflich um Erlaubnis eine Privatnachricht senden zu dürfen. Zusammen mit der unbeschreiblich guten Wortwahl hatte es etwas Besonderes in den großen Weiten des Internets. Umso mehr in einer Community die ein weißes, klein geschriebenes »f« auf blauem Hintergrund zum Logo führte.
Ein letztes Mal klatschte der nasse, mit Wasser vollgesogene, Mopp auf die Fliesen. Sie wischte sich mit dem Oberarm den Schweiß von der Stirn. »Erledigt!«, dachte sie und atmete weit aus, während sie sich die gelben, gummierten Handschuhe von den Händen streifte. Die Tür zur Abstellkammer knarrte und fiel hallend ins Schloss, nachdem sie den Eimer, den Mopp, die Handschuhe und die Reinigungsmittel darin verstaut hatte. Es war nötig geworden - die kleine Räuberhöhle grundlegend auf Vordermann zu bringen. Sie betrachtete sich im Spiegel der an jener Tür befestigt war. Praktisch war dieser am besten Platz im Haus, so konnte sie immer einen prüfenden Blick auf sich werfen, bevor sie das Haus verließ oder
Besuch empfang. Das braune Tank-Top klebte an ihr, welches sie speziell für solche Vorhaben behalten hatte. »Wie eine zweite Haut.«, dachte sie - triefend von der Anstrengung der letzten Stunden. Es war noch aus der Zeit bevor sie sich der Dunkelheit und dem schwarzen Lidschatten ergeben hatte. Ebenso wie die graue Jogginghose. Sie war zwar viel zu weit, aber bequem. Nur einige feuchte Flecken an den Beinen zeichneten sich ab, welche bereits wieder zu trocknen begannen. »Du siehst wie immer heiß aus, Pia.«, dachte sie lachend, während sie einen übertriebenen Kussmund mimte und ihre Brüste mit beiden Händen anhob und zusammendrückte. »Sehr sexy...« Nach wenigen weiteren Grimassen streckte sie lächelnd die Zunge heraus
und strich sich die wenigen braunen Locken aus dem Gesicht, welche dem Haarband entkommen waren. Kein Zweifel - So konnte sie ihm nicht entgegentreten. Wie schrieb er noch? »Ein Gemälde erstrahlt nicht durch seine Beleuchtung. Sondern durch die Gabe den Betrachter zu bannen und zum Nachdenken zu animieren.« Ein sanftes Lächeln machte sich bemerkbar. »Nur zu animieren - ist ja wohl etwas untertrieben, der Herr.«, dachte sie, während sie sich auf dem Weg ins Badezimmer das Top über ihren Kopf zog und dabei versehentlich das Haarband aus ihrem Haar entfernte. Die blauen Hausschuhe, die sie mit großen Augen anstarrten und ihre Füße wie große Kekse
in einem gierigen Maul umschlungen, feuerte sie mit zwei kräftigen Tritten gegen die Badewanne. Die Schuhe waren vielleicht nicht mehr altersgemäß, aber wer sah sie schon darin. Allein zu leben hatte eben nicht nur Nachteile. Ihr Blick fiel auf die Uhr, welche sie durch die Tür an der Mikrowelle erspähen konnte: »16:43«. »Noch genügend Zeit für ein Bad«, sagte sie, während ihre Hose sanft zu Boden glitt. Sie verriegelte den Abfluss, kontrollierte das einfließende Wasser und stützte sich mit ihren Händen am Rand der Badewanne. Nicht zu heiß und nicht zu kalt, sie konnte es kaum erwarten hinein zu steigen. Einige Momente später richtete sie sich, mit einem Schnaufen, auf und warf noch einmal einen Blick in den Spiegel der direkt gegenüber an der Tür der Abstellkammer hing.
Sie begutachtet ihren nackten Körper, drehte und wendete sich einige Male und versuchte sich einzureden, dass kein Mensch perfekt sei. Dabei hatte sie zwar oft zu hören bekommen, dass gerade - Sie - sich um ihre Figur keine Sorgen machen brauchte, doch sie sah die Probleme ganz genau. Hier und da zu viel, besonders am Bauch. Zwar war ihr Busen üppig, aber die Brustwarzen gefielen ihr nicht. Sie empfand sie nicht rosig genug, eher viel zu dunkel im Gegensatz zur Hautfarbe des übrigen Körpers. Ihre Oberschenkel, ihren Rücken und auch den Po, besonders den Po, darauf war sie stolz. Ihre feste Überzeugung basierte darauf, dass die Männer gewiss ihre Hintergedanken hatten und die Frauen keine weitere Konkurrenz wollten, deswegen und nur deswegen bekam sie so oft Komplimente.
Es konnte nicht anders sein. Nach kurzer Überlegung huschte sie ins Wohnzimmer und kramte ihr Handy sowie die dazugehörenden Kopfhörer aus ihrer Handtasche. Auf dem Weg zurück ins Badezimmer suchte sie sich die entsprechenden Klänge aus Meeresrauschen, Möwengesängen und einer, auf einer Panflöte gespielten, sachten Melodie heraus, welche sie für Bäder oder Momente an denen sie sich entspannen wollte, gespeichert hatte. Die Wanne war bereits reichlich gefüllt. Es fehlte nur noch die letzte Zutat. Links in der Ecke der Wanne stand ein Fläschchen eines Schaumbades, welches sie erst vor kurzem in einem gängigen Discounter erworben hatte. Das Fläschchen trug die Aufschrift: »Traumreise Bad« und roch nach Lavendel.
»Einige kräftige Portionen müssten genügen.«, dachte sie, als sie die Öl ähnliche Flüssigkeit in die Wanne gab und das Fläschchen, gut verschlossen, wieder in die Ecke stellte. Das Wasser fühlte sich heiß an, als es nach und nach ihre Haut, wie ein Film aus heißem Wachs, umschlang. Zuerst die Füße und Waden, dann ihren Po. Langsam streckte sie ihre Beine aus und ließ sich Zentimeter für Zentimeter in die Wanne gleiten, während sie sich mit den Armen am Rand stütze. Als ihr Po den Wannenboden erreichte, verharrte sie in dieser Position und ließ ihrem Körper Zeit sich an die Temperatur zu gewöhnen. Sie schöpft langsam, mit ihren Händen, Wasser über ihren Oberkörper und genoss die Wärme auf ihrer Haut. So sehr, dass ihr Körper von einer Gänsehaut
bedeckt wurde und ihre Brustwarzen erhärteten.
Ein Griff nach den Kopfhörern, eine Berührung des Touchscreens und sie ließ sich langsam rücklings ins Wasser gleiten. Es tat so gut. Es kam ihr so vor, als könnte sie spüren wie sich jeder einzelne Muskel in ihrem Körper entspannen würde. Es war himmlisch, genau das hatte sie nun gebraucht. Keine Komplimente - keine gut gewählten Worte - einfach nur das.
Im selben Augenblick verließ ein erleichternder und langer Atem ihre leicht geöffnet Lippen, während ihr die Augen zu fielen um ganz in die Klänge ihres selbst erbauten Traums eintauchen zu können. Nur das warme, wohltuende Wasser und die Magie von Freiheit in ihren Ohren.
Emotionslos ließ sie die Fernbedienung ihres LED-Fernsehers auf die braune Couch gleiten und folgte gelangweilt der laufenden Sendung. Nichts Besonderes - wieder mal irgendein Dokumentarfilm über den 2. Weltkrieg, welcher auf einem der gängigen News-Sender ausgestrahlt wurde. Ohne erdenklichen Grund blieb sie auf jenem Sender hängen, nachdem sie die Wanne verlassen hatte, sich in ihren Lieblingsbademantel hüllte und nassen Fußes ins Wohnzimmer tappte. Wie eine kleine Gazelle tippelte sie auf Zehenspitzen über die kalten, weißen Fliesen des Badezimmers, über das wärmere, hellbraune Parkett im Flur, bis hin zum wohlig, warmen und flauschigen Teppich des Wohnzimmers, welchen sie
speziell für ihre Wohlfühl-Oase ausgesucht hatte und setzte sich entspannt auf ihre Couch. Gekonnt verblieben nur wenig nasse Stellen, die ihren Weg verraten hätten, noch weniger, dass sie zuvor gebadet hatte. »Nicht schon wieder...«, stöhnte sie auf und ließ ihre Hände auf ihren Schoß fallen. Ihr weißer Bademantel, der einen rosigen Saum und Gürtel besaß, rutschte ihr von den Beinen, welche übereinander geschlagen auf ihrem Couchtisch endeten. Sie streifte sanft mit ihren Händen über ihre Schenkel und erinnerte sich daran wie sehr sie es genossen hatte jene zu wachsen. Es war nicht nur der sanfte Schmerz, der beim Abziehen ein erregendes Gefühl entfachte. Sondern auch die Erinnerung an die unzähligen Nachrichten die sie mit ihm tauschte und welche sich gerade um
jene Köperregion drehten. Die warmen Wachsstreifen brachten sie dazu sich vorstellen wie seine Hände auf den Innenseiten ihrer Schenkel auflagen, ihre Beine breit gespreizt - ungeschützt vor fremden Blicken und wohlan das Brennen auf der Haut, nach dem ruckartigen Abziehen. Wie ein strafender Schlag mit der flachen Hand, welcher alleinig dieses Gefühl hinterließ. Verstohlen biss sie sich, ganz sacht, auf ihre Unterlippe als ein ohrenbetäubendes Surren ihre Fantasie unterbrach. Sie schreckte auf und erstarrte für einen Augenblick. Musternd wanderte ihr Blick langsam durch ihr Wohnzimmer. Vom Fernseher über die Heim-Kino-Anlage, ihre Spielkonsolen bis hin zu ihrem Festnetztelefon. »Bzzzzt!«, erklang es erneut und sie zuckte wiederholt zusammen.
Mit einem mürrischen Gesichtsausdruck drückte sie sich kräftig von der Couch ab und sah sich um. Im selben Moment löste sich das Handtuch, in welches sie ihr feuchtes Haar gewickelt hatte, segelte zu Boden und enthüllte ihre wilde, lockige Mähne. »Bzzzzzzzzzzt!«, ertönte es erneut. Hoch auf ihr Gehör konzentriert, versuchte sie den Herkunftsort zu lokalisieren. So wanderte sie langsam durch ihr Wohnzimmer und lauschte. Bei jedem Widerhall legte sie ihr Ohr an eines der Geräte die möglicherweise solch ein Geräusch hätten wiedergeben können. Sie wurden weder lauter noch leiser als sie immer wieder auf hallten. Jedoch verkürzten sich die unregelmäßigen Abstände nach und nach. Es kam ihr so vertraut vor, aber sie konnte sich um
Himmels willen nicht daran erinnern wo sie dieses nervende, surrende Geräusch schon mal gehört hatte. Noch weniger, wo es hergekommen war. Egal an welcher Stelle sie auch stand, an welchem elektronischem Gerät sie auch horchte, es war einfach nicht auszumachen. Immer wieder nur dieses nervende und ohrenbetäubende: »Bzzzzt! – Bzzzzzzzzzzt! – Bzzzzt!« Langsam kochte die Wut in ihr auf und sie setzte sich schnell in Bewegung. Ein Stromkabel nach dem anderen riss sie unsanft aus den Steckdosen, bis keines der Geräte mehr mit Strom versorgt wurde. Stille. Ein Moment der Stille. »Na endlich!!«, schossen wütend jene Worte aus ihrem Mund und sie schaute sich grimmig und schnell atmend in
Zimmer um. »BZZZZZZZZZZZZZZZZZZZT!!«, hämmerte es in ihren Gehörgängen. Mit einem lauten, unendlich hallenden Schrei, fiel sie auf ihre Knie. Ihre Beine schlugen - gut gedämpft – auf dem weichen Boden des Wohnzimmers auf. Es tat nicht weh. Gerade spürte sie jedenfalls nichts. Mit dieser Erkenntnis und ihren Händen an den Ohren sank sie zu Boden, zog ihre Gliedmaßen fest an ihren Körper und eine einsame Träne der Verzweiflung, kullerte ihr die Schläfe hinunter. Genau in diesem Augenblick, riss sie ihre Augen auf. Ein heftiges Zucken durchwanderte ihren gesamten Körper und das Wasser in der Wanne plätscherte.
Die entspannende Musik war schon längst erloschen und ihre verschlafener Blick erahnte die Decke ihres Badezimmers.
»Fuck! Was für ein Traum.«, sagte sie und erhob sich aus dem kühlen Nass, welches schon längst nicht mehr so warm war als zuvor. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Schlaf aus den Augen und verblieb noch einige Momente regungslos im Wasser.
»Bzzzzzzt.«, hörte sie sacht aus dem Flur erklingen.
»FUCK! Verdammt! Wieviel Uhr haben wir?!«, schrie sie auf und stolperte, unter lautem Geplätscher, aus der Wanne.
Jetzt konnte sie sich auch erklären, woher sie jenes surrende Geräusch aus dem Traum kannte.
Die Türklingel!
»»Hat dir die Geschichte gefallen? Dann ließ die bald erscheinende Fortsetzung: „Die Freiheit im Schatten – 2. Akt“ Hinterlasse mir einen Kommentar mit deiner Kritik, es würde mich freuen.
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Derias Dark««