„Und das wiederum bringt uns zu unserem entscheidenden Thema heute“, beendete Lexi gerade eine ihrer langen Debatten, wobei eigentlich nur sie selber diskutierte und andere dafür beschuldigte nicht ihrer Meinung zu sein, wobei diese kein Wort dagegen sagten, „Der Herbstball!“ In den Gesichtern der Mädchen bildeten sich kleine Lächler. Der Herbstball war das erste schulische Fest in jedem neuem Jahr. Bei diesem Ball konnte man zeigen, was man für eine Person über die Ferien geworden war, welchen Status das man trug und natürlich auch, um zu zeigen,
dass man mit den heißesten Typen dazu hinging und das schönste Kleid trug. Es war das It-Event für die populärste Gruppe der Schule. Und natürlich waren Lexi und ihre Freundinnen für die Organisation verantwortlich. Das hieß selbstverständlich, dass die Anführerin nur anschaffte und die anderen Mädchen ihre Befehle befolgten. Außerdem wurden nur ihre Ideen umgesetzt. „Ja, ich bin auch ziemlich aufgeregt meine Freundinnen!“, sagte Lexi, obwohl niemand von den anderen etwas gesagt hatte. „Heuer müssen wir das letztjährige Thema natürlich übertrumpfen“, meldete sich jetzt Jessica zu Wort und klatschte
aufgeregt in die Hände. Im letzten Jahr hatte sie den Anstoß für den Inhalt des Balles gegeben. Natürlich war es dann im Nachhinein betrachtet Lexis Idee gewesen, meinte die Blondhaarige zumindest. Jessica war danach schon etwas sauer gewesen, aber so war und ist nun mal Lexi Hastings. Und ehrlich gesagt widersprach ihr niemand so gerne, denn man wusste, was diese Frau alles bewerkstelligen konnte und vermied es mit ihr zu streiten. Denn es gab bei diesen Streitereien immer nur einen Gewinner. Und der war Lexi. Immer. „Du hast Recht, Jess. Letztes Jahr hab ich mich quasi selbst übertroffen“, lobte sich
die Anführerin selbst in den Himmel. Die anderen Mädels sahen sich nur mit runzelten Gesichtern an. Sie wussten genau, dass Jessica die Idee dazu hatte, aber trotzdem traute sich keiner die Blondhaarige darauf hinzuweisen. „Welches Thema war voriges Jahr?“, fragte nun eine der neueren Mädchen in der populären Clique. Diese Frage zu stellen war schon ziemlich mutig von ihr. Sie hatte einen dunkleren Hautton, lange dunkelbraune Haare, eine Spitznase, volle rote Lippen und stichgrüne Augen. Lexi sah sie nur entgeistert an, dann zog sie ihre Augenbrauen hoch und betrachtete das Mädchen genauer. Im
ersten Moment fiel ihr der Name ihrer „Freundin“ gar nicht ein. „Wer ist das nochmal?“, wollte sie dann leise von Jessica wissen und sprach sie in einem Flüsterton an, der natürlich niemals so leise war, dass die anderen in der Clique sie nicht hörten. „Keya Charu“, antwortete Jessica, ebenso leise, jedoch nicht unüberhörbar. „Keya!“, sagte Lexi dann ganz bestimmt, „Du willst mir doch nicht weiß machen, dass du dich an letztes Jahr nicht erinnern kannst?“ Geschockt sah die Inderin ihre Anführerin an. Das konnte doch nicht sein, dass Lexi jetzt auf sie los gehen wollte. „Tut mir Leid, Lexi, aber ich bin erst seit
November hierher gezogen und konnte an dem Ball darum nicht teilnehmen“, sprach Keya mit ihrem wundervollen indischen Akzent. Man konnte nicht sagen, ob Lexi sie jetzt anhüpfen, töten oder einfach ignorieren wollte. Erhaben blickte sie nur verbissen in die Augen der Dunkelhaarigen und suchte nach der Wahrheit in ihren Worten. Dann plötzlich blickte sie weg und sagte nur leise: „Es war Sommernachtstraum, das Thema!“ Verblüfft über Lexis Reaktion betrachtete Jessica immer wieder abwechselnd die beiden Mädchen an. Sowas kam bei Lexi wirklich nur ganz selten vor, dass sie einfach eine Antwort auf eine Frage gab,
die eigentlich so absurd war. Anscheinend war der Anführerin klar, das Charu, wie sie von den anderen Mädchen immer genannt wurde, weil es einfach die schönere Bedeutung hatte, wirklich nicht wissen konnte, wie der Herbstball im letzen Jahr durchgeführt wurde. Allerdings sollte man sich nicht lange auf so eine Reaktion von Lexi einstellen, denn im nächsten Moment könnte sie dich, im übertriebenen Sinne, töten. Die Mädchen der populären Clique wussten das, deshalb lächelte niemand in der Gruppe. Jedoch wusste Jessica genau, dass sie im Inneren triumphierten. Und ehrlich gesagt, tat sie das auch ein
bisschen. „Hat jemand einen Einfall für das neue Thema?“, fragte nun Jessica schnell. Mit dieser Frage wollte sie eine der Mädchen vielleicht doch aus der Reserve jagen, damit sich Lexi auf sie stürzen konnte. Die Anführerin war viel besser zu ertragen, wenn sie jemanden schikanieren konnte. „Komm schon, Jessica. Denkst du wirklich einer dieser kleinen Arbeiterbienen würde ein geniales Thema einfallen“, war Lexis Reaktion auf die Frage für die Clique. Langsam griff sie nach ihrer Clutch, die neben ihr auf dem Tisch lag und öffnete diese. Man konnte sich gar nicht
vorstellen, wie viel Platz sich in so einem kleinen Ding befand. Lexi wühlte zielsicher darin herum und holte ihr schwarzes Notizbuch daraus hervor. In diesem Notizbuch befand sich alles. Die Regeln. Lexis Meinung zu allem was sie sah oder tat. Aber auch die Geheimnisse oder Machenschaften, die sie plante oder ausgeführt hatte. Es war zirka so groß wie ein A6 Blatt, in schwarzes Leder eingebunden, mit Ringen an der Seite, damit man schöner durchblättern konnte und einen Gummiband zum Verschließen. Dieses Notizbuch war Lexis heiligsten Heiligtum und nicht einmal Jessica durfte es jemals in ihre Hände
nehmen. Die Anführerin schlug das Heft irgendwo in der Mitte auf und blätterte einige Male nach vorne, bis sie an einer Seite hängen blieb. In dieser Seite steckten ein paar Eintrittskarten, jedoch sah Jessica zu wenig davon, um zu erraten, um welche es sich handelte. „So meine Mädchen!“, fing die populärste Blondine nun, mit einer wahrscheinlich endlosen Rede und Aufgaben, an, „Natürlich habe ich mir schon weit im Vorhinein Gedanken über den diesjährigen Herbstball gemacht und mir selbstverständlich alles notiert. Ich will mich ja nicht selbst loben. Okay, schon ein bisschen, weil ich einfach die Beste
bin. Das Thema wird zweifellos alles übertreffen, was wir bisher hatten. Mir ist diese Idee eingefallen, als ich in meiner Liege im Garten vor dem Haus lag, die letzten warmen Sonnenstrahlen genoss und mir ein Erfrischungsgetränk genehmigte. Der Herbstball wird ganz in dem Motto der…“ „Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien stehen!“, beendete das Mädchen den Satz, das gerade zur Tür herein marschiert war, „Aber Klauen war schon immer deine Stärke.“ Layla trat näher an die Gruppe heran, schnappte sich einen Sessel, der bei einem freien Tisch stand und setzte sich genau Lexi gegenüber. Man sah direkt wie der
Anführerin die Röte im Gesicht auffuhr. Genervt biss sie sich auf die Unterlippe und sah ihrer Cousine stichgerade in die Augen. „Tut mir Leid Lex, für die Verspätung. Ich musste noch etwas mit deiner Mutter klären“, sprach die Schwarzhaarige und zwinkerte der Brünetten zu. „Lexi duldet kein Zu-Spät-Kommen!“, fauchte Jessica Layla an, „Das wird für dich erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen.“ „Achja?“, antwortete Lexis Cousine, „Was wollt ihr tun? Mich aus der Clique rauswerfen? Oh, nein! Ich will doch so gerne dabei bleiben!“ Theatralisch ließ sie ihre Hände auf ihre
Wangen fallen und schüttelte aufgeregt den Kopf, um nicht zugleich in einem Lachanfall auszubrechen. Zur gleichen Zeit fing Lexi etwas zur Knurren an. Diese Reaktion hatte man von der Anführerin noch nie gesehen. Mehr als gespannt, verfolgten die angeblichen Freundinnen von ihr die Szene und machten sich auf einen Wutanfall der atomarisierenden Größe bereit. In der Tat aber fing die Blondine an zu lächeln und betrachtete Layla mit einem so süß wie zuckerartigen Blick, dass man meinen konnte, sie würde das Ganze nur als Scherz aufnehmen. Jessicas Gedanken spielten verrückt. In ihrem ganzen Leben mit ihrer „besten“
Freundin hatte sie so eine Rückmeldung auf das Gesagte von ihrer Cousine noch nie gesehen. Klar, es hatte Lexi ja auch noch niemand so provoziert. Die anderen Mädchen in der Gruppe würden sich selbstverständlich niemals trauen nur annähernd so etwas zu ihrer Anführerin zu sagen. Aber dieses Mädchen tat es und anscheinend war es mit den Konsequenzen noch nicht bekannt geworden, was das Erwecken der Bestie bedeutete. „Die Spielregeln sind für alle die gleichen. Also wirst du gehen müssen!“, erläuterte Jessica, steif und mit einem hasserfüllten Unterton. „Nein!“, widersprach Lexi ihrer Freundin, „Ich denke, dass man hier bei meiner
lieben Cousine eine Ausnahme machen sollte.“ Ihre Aussprache war so falsch und sarkastisch, dass man regelrecht Angst vor der Ruhe in Lexis Stimme hatte. Mit einem verschmitzten Grinsen versah sie ihre Cousine noch einmal und ließ dann den Blick wieder in ihr Notizbuch schweifen. Layla überdrehte die Augen, ließ sich auf ihrem Sessel zurück fallen und lauschten den nächsten Worten ihrer Cousine. „Wie schon von Layla erwähnt ist unser diesjähriges Thema die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Ich weiß, ihr werdet meinen, ich bin total verrückt geworden. Bin ich natürlich nicht“, Lexi
lachte gespielt auf, „Dieses Thema spiegelt nur perfekt, die hiesige Situation in unserer Schule wieder. Wir haben eine neue Sportart und die gehört natürlich gefeiert.“ Einige der Mädchen grinsten oder nickten der Anführerin zustimmend zu. Layla schüttelte nur verachtend den Kopf. Sie wusste genau, wer Lexi auf diese Idee, dieses Themas gebracht hatte und sie wusste jetzt auch, warum ihre Cousine so interessiert an den Erzählungen von ihr über die Weltmeisterschaft gewesen war. Natürlich hatte sie das alles geplant und war nicht wie von Layla vermutet einfach nur aufmerksam gewesen. Wie konnte eine Person nur so viel
Falschheit beinhalten? „Ihr fragt euch jetzt sicher, warum die Weltmeisterschaft und warum genau diese in Brasilien. Zweifellos ist die Weltmeisterschaft dann für unsere Mannschaft ein bisschen zu hoch gegriffen. Jedoch wollen wir selbstverständlich ganz nach oben“, redete die Anführerin weiter. „Du weißt schon, dass wir bis jetzt nicht einmal eine Mannschaft zusammen haben? Geschweige denn wissen, ob diese überhaupt gut ist?“, wollte die Schwarzhaarige von Lexi wissen und kam den Tisch wieder näher. Layla legte die Hände gekreuzt auf den Tisch und schlug die Beine über einander.
Eine bessere Abwehrpose gab es nicht. „Du weißt genau, dass unsere Brüder in der Mannschaft sein werden. Was gibt es besseres als einen Hastings!“, konterte Lexi gespielt überfreundlich. Schon wieder eine Reaktion die Jessica nicht kannte. Zu allem Anschein hatte die Anführerin total ihre Taktik geändert. So wie sie die anderen Mädchen mit Brutalität und Hass strafte, strafte sie Layla mit Überfreundlichkeit und Sarkasmus. Jessica wusste eindeutig nicht was angsterfüllender war. Denn diese Lexi erkannte sie einfach nicht mehr wieder. Layla wollte schon zu einem genialen Gegenschlag ausholen, als ihr Lexi zuvor
kam. Nicht mit einer nächsten Gemeinheit, sondern sie schnitt wieder das Thema Herbstball an. Das schwarzhaarige Mädchen runzelte nur verblüfft die Stirn. „Brasilien. Warum Brasilien? Natürlich geht es hierbei um die Mode und das Outfit für den Abend. Brasilien ist frisch, bunt, luftig. Man denkt an Sommer und braune Haut und Farben. Dieser Herbstball wird nicht im Sinne von Herbst, in braun und rot Tönen gehalten, sondern, er wird bunt und strahlend und die Outfits werden heiß und auffallend sein. Und das natürlich alles im Sinne von Fußball und unserer neuen Mannschaft. Unserem
Team.“ Das musste man Lexi lassen, sie wusste, wie sie andere überzeugen konnte. Genauso wusste sie, wie sie „ihre“ Idee am besten vermarkten musste und wie alle nur durch ein paar Sätze schon irgendwie mitten in dem Raum, wo dieser Herbstball stattfand, sich befanden. Vor den Augen, die Dekoration sahen, die Lexi so ausführlich und extrem teuer beschrieb. Jessica war gebannt von ihrer besten Freundin und irgendwie hatte sie dadurch auch Layla zum Schweigen gebracht. Trotzdem war sie gespannt, was sie noch gegen ihre Cousine vor hatte. „Mädels, es gibt noch sehr viel zu tun. Ich werde euch jetzt einzeln ein paar
Aufgaben ansagen, die jede von euch bis zum Herbstball bewerkstelligen muss“, redete Lexi ununterbrochen weiter, richtete allerdings kurz einen Blick auf ihr Notizbuch und erhaschte die Eintrittskarten, die sich eingeklemmt in der Mitte befanden. Vorsichtig nahm sie sie in die Hand und begutachtete ihr Werk. „Bevor wir zu den Aufgaben kommen, möchte ich euch natürlich über die Regeln der Begleitung noch einmal Auskunft geben. Einige in meiner Clique haben ja noch nie an so einem Ball teilgenommen. Für euch erklärt Jess noch mal kurz die wichtigsten Punkte“, somit übergab Lexi das erste Mal Jessica das
Wort. „Jeder von euch bekommt zwei Karten. Eine für euch und eine für eure Begleitung. Es gelten nur männliche Personen als Begleitung. Das heißt, es wird keine Freundin oder Bekannte oder sonst irgendetwas Weibliches in unserer Gruppe dazukommen. Natürlich muss eure Begleitung von Lexi abgesegnet werden. Bis zur zwei Tage vor dem Ball könnt ihr das bei ihr machen. Mit Brüder, Nerds oder Außenseitern braucht ihr erst gar nicht nachfragen kommen. Gefällt Lexi eure Begleitung nicht, heißt es, dass ihr so schnell wie möglich einen Ersatz finden könnt, wenn ihr keinen findet, dann müsst ihr zu Hause bleiben. Wir
möchten beim Ball nicht so aussehen, als würden wir keine Männer abbekommen. Wird eure Begleitung spontan krank, heißt das auch das Out für euch. Alles verstanden?“, wollte Jessica umgehend wissen. Die Mädels nickten und bevor Lexi mit ihren „Freundinnen“ die Aufteilung der Aufgaben durchging, teilte sie an jede zwei Eintrittskarten für den wahrscheinlich unvergesslichsten Herbstball in der Geschichte von New Castle High aus.