Abschied
Diese laute Stille tut mir weh.
Wir sind müde, die Fahrt war lang,
aber auch nicht länger als sonst,
denn es sind immer die gleichen 2000 Kilometer, wie jedes Jahr, nur dieses Mal ist es anders. Auch noch ganz anders als nach Papas Tod. Dieses Mal ist niemand mehr da, der sehnsüchtig auf uns wartet.
Stille empfängt uns, und doch dröhnt diese Stille in unseren
Ohren. Niemand, der vor Freude
über unser Kommen weint. Diese Leere tut weh.
Uns schießt ein Bild in den Kopf, ihr beide sitzt im Schatten auf euren Stühlen, geschützt vor der
Sonne, vor dem Haus. Dann, nachdem Papa uns verlassen hatte, saß niemand mehr da.
Auch du nicht. Dieses harmonische Beisammensein gab es nicht mehr. Also setztest du dich auch nicht
mehr alleine in die Sonne.
Nach 62 gemeinsamen Jahren, musstest du deinen Weg nun alleine weiter gehen. Du hast tapfer
versucht, diesen Schmerz in
dir zu ertragen. Nur manchmal übermannte es dich, und während du in den Himmel schautest,
fragtest du uns, :"Warum holt er mich nicht auch?“
Wir verstanden dich, denn wir vermissten Papa genauso.
Wir konnten uns auch nicht vorstellen, ohne den Anderen
leben zu müssen. Von nun an bekamst du pünktlich jeden
Abend einen Anruf aus Germania. Und uns war klar, dass du schon sehnsüchtig auf das Klingeln des Telefons gewartet hattest. Auch wenn du dich sehr
zurückgezogen
hattest, wusstest du täglich etwas Neues zu berichten. Der Besuch
beim Supermarkt, oder der Abstecher zu Giovanni in den Laden, stets gab's irgend etwas Neues zu erzählen. Leider wurde auch deine Stimme in den letzten Jahren immer leiser.
Wir verstanden deine Einsamkeit. Deine Kinder und Enkel führten ihr eigenes Leben, und du fühltest dich seit Papas Tod alleingelassen. Häufig sagtest du, wie traurig du bist, dass wir so weit weg wohnen. Dich zu uns zu holen, hattest du nach einigen Monaten Aufenthalt
bei uns, aber abgelehnt. Bis mittags, warst du auch hier alleine.
Hier gab es anderes Wetter, eine andere Mentalität, eine fremde Sprache. Ich verstand dich, als du sagtest, dass du wieder nach Hause möchtest. Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
Du bedauerte es oft, keine Tochter zu haben, du sagtest zu mir, eine
Tochter bleibt immer bei der Mutter. Mädchen holen ihren Mann in die eigene Familie, während Söhne in die Familie ihrer Ehefrau gezogen werden. Ich kann für mich allerdings sagen, dass ich euch ebenso im Herzen habe, wie meine
eigenen Eltern. Ihr habt mich so liebevoll und herzlich aufgenommen, dass es mir nicht schwerfiel, euch mit Mama
und Papa anzureden. Ich fühlte mich gleich wohl bei euch, und höre noch euer Lachen, angesichts meiner Versuche mich auf Italienisch mit euch zu unterhalten. Wie oft hatte ich beim Kochen den Duden neben dem Herd liegen, damit wir uns verstehen. Wie oft benutzte ich eine falsche Übersetzung und euer Sohn korrigierte mich, während ihr sagtet, ach lass sie doch, wir verstehen, was sie
meint.
Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass ich diese Sprache bis heute nicht beherrsche, und dennoch haben wir uns verstanden. Seit gut einem Jahr ging es gesundheitlich bergab mit dir. Du wurdest immer schmaler
und sagtest immer häufiger, wie einsam du dich fühlst. Alleine zu essen, macht keinen Spaß und so hast du immer weniger zu dir genommen.
Saßen wir gemeinsam am Tisch, war es eine Freude, dir beim Essen zuzuschauen. Wir kauften alles ein, von dem wir wussten, dass du es
magst. Du lebtest richtig auf. Das Haus war erfüllt von Leben und Lachen, aber dieser Urlaub endete auch wieder viel zu schnell. Jeden Tag riefen wir an. Die letzten Monate, war es dann aber so, dass wir dich an manchen Tagen kaum verstanden. Erst nach einer Weile, bekam deine Stimme wieder einen normalen Klang. Das zeigte uns, dass du wieder einmal alleine warst, und außer mit der Katze oder dem Fernseher keinerlei Unterhaltung gehabt hast. Vor einem Viertel Jahr erreichte uns dann die Nachricht, das es dir sehr schlecht geht. Nach einem
Krankenhaus Aufenthalt, den du hinter dir hattest, buchten wir einen Flug um uns selbst ein Bild zu machen.
Du hattest dich verändert, nur noch Haut und Knochen, und du warst
unruhig, besonders Nachts. Mir kamen die Tränen als ich deine Knochen beim Umarmen durch die Kleidung spürte. Ich kannte dieses Verhalten, hatte es schon bei meiner Oma erlebt, bis man bei ihr Alzheimer diagnostizierte.
Bei ihr, war der Tod meines Onkels, ihres Sohnes wohl der Auslöser, der dieser elenden Krankheit einen
großen Schub gegeben hat. Bei dir, können wir nur erahnen, was es war. In dieser Woche bei dir konnten wir diese Unruhe selbst erleben. Es tat uns weh, dich so zu sehen. Dann hattest du wieder eine unruhige Nacht und du stürztest und zogst dir starke Prellungen zu. Von da an verbrachte ich die restlichen Nächte neben dir. Wenn du Nachts unruhig wurdest, nahm ich deine Hand, und du sagtest: " Sei di qua, figlia mia? (Meine Tochter, bist du noch da?) und ich antwortete: " Si Mamma, io sono die qua. (Ja Mama ich bin hier.) Ja Mama Schlaf weiter, ich bin bei dir.
Als wir uns verabschiedeten, weil wir zurück nach Deutschland und
an die Arbeit mussten ahnten wir, dass es ein Abschied für immer war, obwohl wir hofften dich, wenn wir unseren Jahresurlaub haben, doch noch wiederzusehen. Eine Pflegerin sollte sich nun um dich kümmern und dir zur Seite stehen.
Es war ein tränenreicher Abschied, Kilometer um Kilometer, den wir
zurücklegten, wollten die Tränen nicht versiegen, und auch jetzt
während ich das schreibe, laufen wieder die Tränen. Du und Papa,
ward die besten Schwiegereltern,
die man sich wünschen konnte.
Und nun ist es doch eingetroffen, es war uns zwar bewusst,
dass es eintreffen würde, aber wir hatten es nicht wahrhaben wollen.
Du bist nun nicht mehr allein, du bist erlöst, und wir hoffen von ganzem
Herzen, dass Papa und du wieder vereint seid.
ES IST STILL
DIESE LEERE IST BEDRÜCKEND
EURE STIMMEN SCHWEIGEN
NICHTS IST WIE ES WAR
UNSERE TRAUER IST
GRENZENLOS
DER EINZIGE TROST IST UNSERE HOFFNUNG DARAUF, DASS IHR WIEDER BEISAMMEN SEID.