Würdevoll steht sie auf der Hochebene und lässt ihren Blick über die hohen Berge, die sich mächtig in den feuerroten Himmel wölben, schweifen. Sie lauscht dem Gezwitscher der Vögel, der sich mit dem Plätschern des Wasserfälle zu einem magischen Gesang entwickelt. Ein angenehm warmer Wind weht durch ihr weisses Haar und die letzten Sonnenstrahlen scheinen auf ihr Gesicht. Ein letztes Mal lässt sie sich von dem süssen Duft der Orchideen betören, ehe sie sich zu den anderen gesellt. Ihr Blick wandert ebenfalls auf das grosse Feld im Tal und ihr Gesicht verhärtet sich.
Grauer Rauch steigt in den Himmel auf und trägt den Geruch nach verbranntem Fleisch und Asche mit sich. Laute Schreie, wüste Flüche und Beschimpfungen hallen zu ihnen hoch und lässt ihr Herz schneller schlagen. "Es ist soweit.", murmelt er mit rauer Stimme und senkt seinen Kopf. Voller Trauer verharrt sie ruhig und wartet auf die Reaktion des Rates. "Mögen die Götter unsere gefallenen Schwestern und Brüder voller Würde empfangen. Unsere Zeit ist gekommen!", murmelt eine junge Frau neben ihr und kniet zu Boden. Ein Schauer durchfährt ihren Körper und sie macht es ihr gleich. "Mögen unsere Herzen rein gewaschen werden!", flüstert
sie leise und senkt ihren Kopf. Die letzten Sonnenstrahlen durchbrechen den Himmel und mit ihnen wächst die Hoffnung, dass das Licht eines Tages zurück kehren würde. Eine unangenehme Stille breitet sich aus, als sich die Finsternis, wie ein Leichentuch, über das Tal legt und mit einem ohrenbetäubendem Knall die ganze Welt in Scherben zerbricht. Eine Welle aus purer Energie ergiesst sich tosend über die Landschaft und reisst jedes Lebewesen mit zu Boden. Mit lautem Gebrüll stürzt sich die Finsternis gierig auf die Erde, zerreisst jedes Herz aus Licht und vollendet so das Schicksal der Vergessenen.
Mit einem lauten Schrei schreckt Keira aus dem Traum hoch. Ihr Herz hämmert gegen ihre Brust und ihr Atem geht schnell. Ihre Haare kleben am Gesicht und das ganzes Bett ist von Schweiss durchtränkt. Tief atmet sie durch und wiegt sich beruhigend hin und her. Es war alles nur ein Traum, die Welt ist noch so, wie sie gestern war. Doch ihr Blick fällt auf den kleinen Beutel, der auf dem Fensterbrett liegt. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend kehren zurück und Keira spürt, wie die Angst in ihr hochsteigt. Erschrocken bemerkt sie, dass die Frau ebenfalls schneeweisse Haare hatte, wie die aus
ihrem Traum und sie fragt sich, was das wohl zu bedeuten hat. Wer ist diese Frau? Hin und hergerissen überlegt Keira, ob sie den Beutel einfach in den Fluss werfen sollte oder wenigsten nach dem Inhalt sehen sollte. Vielleicht befindet sich darin einfach nur eine tote Ratte und es ist ein schlechter Scherz. Aber wieso sollte sie es mit ihrem Leben schützen? Je weiter sie darüber nachdachte, desto stärker wird ihre Neugier und mit einem genervten Seufzer schwingt sie ihre Beine aus dem Bett. Der fast runde Mond scheint hell in ihr Zimmer und die dürren Äste des Apfelbaumes werfen unheimliche Schatten an die Wand. Ab und zu hört
man das Rufen einer Eule, ansonsten herrscht absolute Stille. Mit zitternden Händen öffnet Keira vorsichtig den Beutel und leert den Inhalt auf ihr Bett. Mit einem ehrfürchtigen Raunen starrt sie auf den ungeschliffenen Stein, welcher ungefähr so gross wie ihre Hand ist und im Mondlicht bläulich schimmert. Noch nie hatte sie so etwas schönes gesehen. Kleine Zeichen sind auf der unebenen Oberfläche eingeritzt und sein Inneres sieht aus, als wäre es mit waberndem Nebel gefüllt. Fasziniert lauscht Keira dem leisen Gesang, das ihr Zimmer erfüllt und sie hätte schwören können, dass es vom Inneren des Steines ausgeht.
Je länger sie ihn betrachtet, desto mehr beginnt ihr Körper zu kribbeln und sie spürt einen leichten Druck in ihrer Brust. Zögerlich berührt sie den kalten Stein und eine unbeschreibliche Wärme durchströmt ihren Körper. Erregt fährt sie über seine kantige Oberfläche, als ein stechender Schmerz ihre Handfläche durchströmt und etwas Rotes auf den Kristall tropft. Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück und beobachtet, wie das purpurfarbene Blut langsam durch die feinen Ritzen fliesst und sich im Innere des Steines ausbreitet. Mit angehaltenem Atem starrt Keira auf das immer heller werdende Licht und spürt, wie das Stechen in ihrer Brust immer stärker
wird. Verzweifelt ringt sie nach Luft, doch ihre Lungen sind wie zugeschnürt und ihre Muskeln verkrampfen sich. Ein ohrenbetäubendes Donnern hallt durch Keiras Kopf, als sich eine bleierne Dunkelheit über sie legt und sie bewusstlos zu Boden fällt. "Aufstehen, Keira!". Das laute Rufen reisst Keira aus dem Schlaf und erschrocken öffnet sie ihre Augen. Das grelles Licht blendet sie und ein stechender Schmerz jagt durch ihren Kopf. "Wo bin ich?, murmelt sie und blickt in die strahlend blauen Augen von Glan. "Zuhause! Wo den sonst?", lacht er und zieht die Decke von ihr weg. "Wir
gehen heute in die Kirche!" Verdutzt runzelt Keira die Stirn und ihr Blick fällt auf den kleinen Beutel auf der Fensterbank. "Geh, Glan. Ich komme gleich!", murmelt sie und drückt ihren kleinen Bruder unsanft aus dem Zimmer. Tief atmet sie durch und versucht ihren aufgewühlten Geist zu beruhigen. Zögerlich geht sie zum Fenster und starrt argwöhnisch auf das unheilbringende Geschenk. Eine unangenehme Kälte strömt von ihm aus und sie hätte schwören können, dass sie leise Stimmen flüstern hört. "Es war nur ein Traum!", murmelt sie leise vor sich hin, währendem sie mit zitternden Händen die blaue Kordel vorsichtig löst. Ein leises
Keuchen entfährt ihr, als sie tatsächlich den leicht hellblauen Stein erkennt, wobei sein Inneres nun nicht mehr weiss, sondern rötlich schimmert. Fasziniert starrt sie auf den wabernden Nebel und wieder überkommt sie den Drang, ihn anzufassen. Er ist einfach nur wunderschön. "Keira, was dauert denn so lange?" Die schneidende Stimme von Trista reisst sie aus ihrem Bann und sie zuckt erschrocken zusammen. "Komme gleich!", ruft sie laut und verschliesst den Beutel hastig. Der Stein ist ohne Zweifel von hohem Wert und er gehört ihr alleine! "Du bist ganz bleich, Kind! Geht es dir
gut?", sagt Trista besorgt, als Keira die Treppe hinunter kommt. "Ja. Habe nur schlecht geschlafen!", murmelt sie und spürt die prüfenden Blicke von Caden und Bradin in ihrem Rücken. Den Stein hatte sie noch schnell unter ihrer Matratze versteckt, wo ihn vorerst niemand finden sollte. Eilig zupft sie ihr Kleid zurecht, währendem Trista ihre braune Haaren zu einem langen Zopf bindet. Wäre Vater hier, müsste sie nicht die Messe besuchen. Im Gegensatz zu Kian, ist Trista eine fromme Gläubige der ewigen Flammen und besteht deshalb auf den sonntäglichen Kirchenbesuch mit ihren Kindern. Keira glaubte zwar an die Götter, doch was die Menschen daraus
machen, findet sie insgeheim einfach nur widerlich. Doch wer sich gegen den Glauben ausspricht, wird als Ketzer beschimpft und den ewigen Flammen übergeben. Schon des öfteren kam es zu Verfolgungen von Frauen und Männer, die sich den magischen und rituellen Praktiken verschrieben haben, welche allesamt auf dem Scheiterhaufen ein schreckliches Ende fanden. "Und vergiss nicht Keira. Hüte deine spitze Zunge!", witzelt Caden und erntet von Trista einen bösen Blick. "Geht doch schon mal raus. Die Kutsche sollte bereit stehen!", befielt sie und knöpft dem quengelnden Glan sein weisses Hemd zu. Lächelnd verlässt Keira mit ihren Brüdern das
Haus und schwingt sich auf die schwarze Kutsche, welche Vater Trista zur Hochzeit geschenkt hatte. "Was hast du eigentlich an deiner Hand gemacht?", fragt Bradin besorgt und Keira blickt erstaunt auf ihre Handfläche, wo ein langer, roter Striemen zu sehen ist. Ein Schauer jagt über ihren Rücken und ihr Herz beginnt schneller zu pochen. "Nichts. Muss wohl bei der Arbeit passiert sein!", lügt sie und vergräbt ihre Hand in den feinen Stoff ihres Kleides. Caden mustert sie argwöhnisch, ehe er sich gähnend seinem Bruder zuwendet. "Hoffentlich schlafe ich nicht ein!", brummt Bradin und lehnt sich müde zurück. Tiefe Augenringe unterstreichen
sein eingefallenes Gesicht und lässt ihn viel älter aussehen, als er es ist. "Auch nicht gut geschlafen?", fragt Keira besorgt und wippt nervös mit ihren Füssen. Bradin blickt sie nachdenklich an und nickt dann. "Es muss unter uns bleiben - aber König Reidros hat Meister Marton den Auftrag für ein spezielles Elexier gegeben. Der Meister wollte mir zwar nicht genau sagen, was es für eine Wirkung hat, aber ich habe natürlich nachgeforscht!" Die Türe fliegt krachend ins Schloss und Trista setzt sich mit genervter Miene und einem weinenden Glan an den Händen neben sie. Bradin wirft Keira einen verschwörenden Blick zu und formt mit seinen Lippen das Wort
"Schattenwesen". "Was habt ihr schon wieder zu flüstern? Keine Dummheiten!", ermahnt Trista mit harschem Ton und die Kutsche setzt sich in Bewegung. Die alte Kirche steht in Mitten von Seydar und ist neben dem Schloss das älteste Gebäude. Gross und mächtig ragen seine spitzen Zinnen in den bewölkten Himmel und mit dem grossen Tor, erinnert es Keira an ein gehörntes Monster, das jeden Moment zum Leben erwacht. Zögerlich bleibt sie stehen und beobachtet die vielen, schwarz gekleideten Menschen, die mit bitterer Miene die Kirche betreten. Die lauten
Kirchenglocken übertönen das laute Geschrei der Kinder, welche von den Erwachsenen an den Ohren hinein gezogen werden. "Augen zu und durch!", murmelt Caden. Gemeinsam betreten sie das Gebäude und werden sogleich auch von den gefürchteten Kirchenweibern empfangen. "Ach welch eine Freude! Die ganze Familie Ciallmhar hat sich versammelt!", gurrt die eine und mustert Keira spöttisch. "Auch die liebe Keira! Schon lange nicht mehr gesehen!" Keira lächelt aufgesetzt und verneigt sich leicht. "Geht sie immer noch ihrem Vater zur Hand?", fragt die Andere mit den blonden Haaren Trista, welche mit zusammengepressten Lippen dasteht. "Ja.
Aber das macht..." "Ich werde zu der ewigen Jungfrau beten. Möge die verlorene Seele zurück ins Licht finden!", unterbricht das blonde Weib Keira und funkelt sie böse an. Keiras Hände ballen sich zu Fäuse und sie ist kurz davor, der alten Schachtel, zu widersprechen, doch Bradin packt sie an der Schultern und drückt sie an den Weibern vorbei. "Dumme Ziegen sind das!", zischt Keira und hört noch, wie die andere Frau, sich bei Trista über ihren Anstand beklagt. Genervt setzt sie sich in einer der Bänke und lässt ihren Blick über das Innenleben der Kirche schweifen. Zuvorderst, dort wo sich der Gabentisch befindet, brennt
ein grosses Feuer und darum herum stehen fünf grosse Figuren - die Götter der ewigen Flammen. Der Herrscher mit seinem Stab und dem Adler auf seinem Kopf, das alte Weib mit ihrer Sichel und dem Raben auf der Schultern, die Jungfrau, welche auf einem Schwan dahin reitet und der Krieger , ummantelt von einem Wolf und mit seinem Speer in der Hand. Keiras Blick bleibt auf der letzten Figur der mächtigen fünf haften. Der Tod, dargestellt durch ein Skelett, welches in seinen Händen ein Vogel, fast so gross wie er selber, hält. Mächtig entfaltet der majestätische er seine Flügel, stolz reckt er seinen geschmeidigen Hals und seine langen
Krallen leuchten im Licht des Feuers. "Was ist das für ein Vogel, beim Tod?", fragt Keira leise Bradin, welcher sie erstaunt anblickt. "Ein Feuervogel - auch Phoenix genannt. Bei jedem Neumond geht er in Flammen auf und zerfällt zu einem Haufen Asche. Doch er stirbt nicht - er wird wiedergeboren und wächst zu einem neuen Vogel heran, bis er wieder stirbt. Ein ewiger Kreislauf von Tod und Leben!", erzählt Bradin lächelnd. "Das ist schön!", murmelt Keira und blickt wie gebannt auf den wunderschönen Vogel. Das helle Klingen der Glocken ertönt und die Menschen erheben sich. Widerwillig macht es Keira ihnen gleich und mustert den alten Mann, welcher mit
hoch erhobenem Kopf den Gang entlang schreitet. Sein Körper bedeckt ein feuerrotes Gewand und auf seinem Kopf trägt er eine fünfzackige, goldene Krone. Der intensive Duft nach Drachenblut steigt in ihre Nase und lässt sie leise husten, wobei sie einen ermahnenden Blick von Trista erntet. "Brüder! Mögen die Flammen der Götter unsere Zungen reinigen und unseren erbarmen!", ruft der Priester mit lauter Stimme und kniet vor dem grossen Feuer nieder. Nur leise vernimmt man sein Raunen, ehe er wieder aufsteht und sich den Anwesenden zuwendet. "Wir habe die Dunkelheit so nahe gespürt wie noch nie. Grosses Unheil sucht unsere Stadt
heim. Die Zeit der Feuerbrunst kommt immer näher. Ungläubige, Ketzer und Heuchler werden in den ewigen Flammen brennen. Brüder, es ist Zeit sich dem Licht zuzuwenden!" Mael, welcher auf der anderen Seite mit seiner Familie sitzt, wirft Keira einen spöttischen Blick zu und nickt mit dem Kopf in Richtung seines Vaters. Ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie Iaran mit geschlossenen Augen, zurück gelehnt und wohl schlafend, erkennt. "Schau nicht hin! Genau diese Familie sollte den Worten des Priesters glauben! ", befielt Trista mit verächtlichem Ton und ihre Hände verkrampfen sich um ihren Arm. Ärger
steigt in Keira hoch und sie funkelt ihre Stiefmutter wütend an. Diese Abneigung, die Trista zu der Familie von Mael hegt, nervt sie gewaltig. Keira hat keine Ahnung, was zwischen ihnen vorgefallen sein könnte, dass Trista sie so sehr meidet. Schon als sie klein war, konnte sie sich daran erinnern, dass ihre Stiefmutter sie nur widerwillig zu der Schmiedfamilie lies und sie durfte auch nie bei ihnen übernachten. Genervt wendet sie sich wieder dem Priester zu, welcher gerade über die Versuchung und das Böse predigt, doch ihre Gedanken schweifen immer wieder zu ihrem Traum und der merkwürdigen Frau. Auf einmal spürt sie einen leichten Schmerz an ihrer
Hüfte, als würde etwas spitzes in ihr Fleisch stechen. Vorsichtig tastet Keira nach dem Schmerz, als sie tatsächlich etwas spitzes in ihrer Rocktasche spürt. Unauffällige nimmt sie es heraus und mustert es erstaunt. Das schwarze, spitz zulaufende Stück eines Schnabels, wahrscheinlich eines Rabens, liegt auf ihrer Hand und schimmert im Licht der Kerzen. Verwirrt runzelt sie die Stirn, als ihr die Erinnerungen wieder in den Sinn kommen. Wie konnte sie es nur vergessen! Die alte Frau, die in ihren Armen gestorben ist, hat ihr doch etwas in die Hand gedrückt. Aber wieso ein Rabenschnabel? "Mögen sie nun vortreten und den Segen
der Götter empfangen!" Die laute Stimme des Priesters reisst sie aus ihren Gedanken und schnell lässt sie den Schnabel in ihre kleine Tasche fallen. Zusammen mit den anderen Leuten stellt sich Keira der Reihe an, sodass der Priester ein wenig Asche auf ihre Handflächen streut, als Symbol für die Reinigung. Als Keira an der Reihe ist, verbeugt sie sich leicht vor dem Priester und legt ihre Hände in seine. "Sei gesegnet. Möge das Feuer dich reinigen!", murmelt er, doch seine Stimme bricht abrupt ab. Verwirrt blickt Keira auf und bemerkt seinen starren Blick auf ihrer verwundeten Hand. "Von wo hast du das?", flüstert er
mit bedrohlicher Stimme. "Ich weiss es nicht!", antwortet Keira mit zitternden Stimme und versucht sich aus seinem festen Griff zu befreien. "Lüg nicht!", zischt er und seine Finger drücken immer stärker auf die Wunde, wobei bereits einige Blutstropfen heraus perlen, welche im Licht des Feuers leicht bläulich schimmern. "Lassen sie mich los!", keucht Keira mit schmerzerfüllter Stimme und reisst sich aus seiner Umklammerung. Mit eiligen Schritten und Tränen in den Augen verlässt sie die Kirche, wo ihre Familie bereits auf sie wartet. "Was hat denn so lange gedauert?", fragt Trista und mustert sie prüfend. "Nichts.
Ich habe nur zu den Götter gebetet!", antwortet Keira und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht. "Du bist heute ziemlich schlecht drauf, was? Geh am besten Kräuter sammeln - das wird dich beruhigen. Vater kann bestimmt Nachschub gebrauchen!", spricht Bradin liebevoll und drückt sie aufmunternd. Keira nickt abwesend, währendem ihre Hand den Rabenschnabel krampfhaft umschliesst. Erst als es eindunkelt merkt Keira, wie weit sie in den immer dichter werdenden Wald vorgedrungen ist. Am Nachmittag brannte die Sonne unbarmherzig auf die Felder nieder und so beschloss sie, lieber
den Schatten der Bäume zu suchen, wo es schön kühl war. Immer weiter verlor sie sich in dem satten Grün der Pflanzen und sie genoss die Stille. Ab und zu kreuzten wilde Tiere ihren Weg und in der Ferne sah sie sogar einen Dachs, was sie besonders freute. Der kleine Korb ist randvoll gefüllt mit Arnika, Spitzwegerich, Ringelblume und Schlafmohn - alles wichtige Heilkräuter, welche Vater für seine Arbeit sicherlich braucht. Für einen Moment bleibt sie stehen und lauscht dem Gesang der Vögel und dem Knarren der Bäume. Und wie sie so da steht, ganz still und andächtig, lösen sich all ihre Gefühle, die sich in den letzten Wochen aufgestaut
hatten und sie setzt sich schweigend auf den Moos bedeckten Boden. Beruhigend umschlingt sie mit den Armen ihre Beine und stützt ihr Kinn auf die Knie ab. So viel ist in letzter Zeit passiert, so viele merkwürdige Ereignisse sind geschehen. Noch nie fühlte sich Keira so alleine und verwirrt. Und alles hat begonnen mit dem verletzte, jungen Mann - wie könnte sie es jemals vergessen. Plötzlich zuckt Keira zusammen und greift hastig nach ihrer Tasche. Ihr Herz hüpft vor Freude, als sie den zerknitterten Brief heraus holt und ihn glatt streicht. Das Siegel des Königs prangt ungebrochen auf der Rückseite und weist auf die Wichtigkeit dieser Nachricht hin. Wenn ihr niemand
sagt, was hier vor sich geht, dann holt sie sich die Informationen selber. Mit diesem Gedanken reisst sie den Brief, welcher eigentlich an ihren Vater adressiert war, auf und beginnt neugierig darin zu lesen. Sehr geehrter Meister Ciallmhar Wie sie sicherlich bereits zur Kenntnis genommen haben, steht Seydar vor einem Krieg gegen uralte Mächte. Sie, als geschätzter Hüter der Magie und Heilkunst, haben sicherlich Informationen, die für uns sehr wertvoll sein könnten. Aufgrund der aktuellen Lage wäre es von mir nur unklug, die Details in einem solchen Brief zu
beschreiben, doch wie ich sie kenne, möchten sie Informationen. Ich und meine Berater sind uns sicher, dass die Scáth Dúil nicht nach Macht, Geld oder Land dürsten. Sie suchen etwas bestimmtes. Etwas uraltes, mächtiges, das vor langer Zeit, als Seydar noch die Hochstadt der Magie war, hier versteckt wurde. Zwar wissen wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht genau was es ist, aber so viel sei gesagt - gerät es in die falschen Hände, wird nichts mehr so sein, wie zuvor. Die Welt ist in Unruhe. Meine Burgtore steht ihnen jeder Zeit offen! Gezeichnet König
Reidros Überwältigt von den so eben erfahrenen Informationen lässt Keira den Brief fallen und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Vater hatte also Recht! Sie sind nicht an die Eroberung von Seydar interessiert - sie suchen etwas. Aber was könnte es sein? Keira schüttelt ungläubig den Kopf, als eine schreckliche Vermutung, die so makaber, wie wahr sein könnte, sich in ihren Gedanken festsetzt. Voller Entsetzten springt sie auf, packt ihre Tasche und rennt in die Richtung, von der sie gekommen ist. Immer schneller hastet sie durch das Unterholz, springt über umgefallene
Baumstämme und Wurzeln. Ihr Atem geht flach und immer wieder peitschen ihr Tannenzweige ins Gesicht, welche blutige Striemen auf ihrer Haut hinterlassen. Doch das stört sie nicht. Immer weiter kämpft sie sich durch den Wald und je näher sie sich der Stadt nähert, desto mehr verstärkt sich ihr ungutes Gefühl. Endlich erreicht sie den Waldrand und bleibt für einen kurzen Moment stehen, um Luft zu schnappen. Ihr Blick wandert über die kleinen Bauernhäuser, deren Lichter so friedlich in der immer dunkler werdender Nacht, scheinen, als würde ihnen keine Gefahr drohen. Wie als Antwort durchbricht ein lautes, schrilles Heulen die Stille und ein
Schwarm von Raben fliegt kreischend über ihren Kopf hinweg. Panik durchströmt sie und mit einem lauten Keuchen setzt sie ihren Weg fort. Nur noch wenige Meter trennen sie vom ersten Bauernhof, als ein gellender Schrei ertönt. Voller Entsetzten bleibt sie stehen und blickt sich panisch um. "Keira, flieh! Schnell!" Das schmerzerfüllte Rufen von Birgit lässt Keira das Blut in den Adern gefrieren. "Birigt? Wo bist du? Was ist los?", schreit sie verzweifelt und rennt in die Richtung, wo sie ihre Freundin vermutet. Gerade als sie um die Ecke abbiegt, bleibt sie abrupt stehen und ein leiser
Schrei entfährt ihrem Mund. Eine dunkle Gestalt, sein Gesicht im Schatten der Dunkelheit verdeckt, hält Birgit ein Messer an die Kehle und ihr weisses Kleid ist bereits Blut besudelt. "Geh!", schreit sie flehend und Tränen rinnen über ihre Wangen. Doch Keira bleibt wie angewurzelt stehen und starrt ihre blutverschmierte Freundin voller Entsetzen an. "Nicht! Lasst sie frei!", ruft Keira mit zitternden Stimme und zieht ihr kleines Messer aus der Tasche. Ein kehliges Lachen erklingt aus dem Mund der Gestalt und im selben Moment scheint der Vollmond auf sein Gesicht. Ein Schauer jagt über Keiras Körper, als sie seine beharrte Haut, die gelb
funkelnden Augen und seine rasiermesserscharfen Zähne sieht, welche zu einem grässlichen Lächeln verzogen ist. Was zuvor wie ein Messer ausgesehen hatte, sind seine langen, messerscharfen Krallen, welche er in Birgits Haut drückt. "Du hast etwas, was mir gehört, Schlampe!", knurrt der Mann und ohne mit den Wimpern zu zucken, schneidet er Birgit die Kehle durch. Mit einem schrillen Schrei beobachtet Keira, wie sie leblos in sich zusammen fällt und sich um ihren Leiche eine Blutlache bildet. Mit zitterndem Körper übergibt sich Keira und fällt ebenfalls schwach zu Boden. Mit Tränen verschmierten Augen nimmt sie nur noch schwach war, wie der
Mann mit blutverschmierten Krallen auf sie zu kommt, ehe ein stechender Schmerz durch ihre Brust jagt und sich die Finsternis über sie legt.
Newcomer Während des Lesens entstehen bei mir unendlich viele Bilder im Kopf und sie versetzen mich genau in die entsprechende Szene an Ort und Stelle des Geschehens hinein. Deine Figuren begegnen mir äußerst real, und der Verlauf der Story ist vorstellbar. Sehr gerne gelesen, und ich drücke dir ganz fest die Daumen für deine Abschlussarbeit! Liebe Grüße, Marko |
KaraList Du bist Deinem lebendigen Schreibstil treu geblieben. :-) Saubere Formulierungen und bildhafte Beschreibungen von Situationen, lassen den Leser in die Handlung eintauchen, so er dieses Genre mag. Zu Grammatik und Othographie hatte ich ja schon zum 1. Kapitel etwas geschrieben, zur Wahl einiger Begriffe, die nicht in diese mittelalterliche Zeit passen, ebenfalls. Bleistift hat zum 1. Kapitel einen sehr konstruktiven Kommentar mit zutreffenden Hinweisen geschrieben. Vielleicht solltest Du hinsichtlich dieser Empfehlungen Deine Geschichte nochmals überarbeiten. Doch insgesamt sage ich zum vorliegenden Text ... gern gelesen! Dein Abgabetermin rückt ja näher, also wünsche ich Dir viel Erfolg. LG Kara |