Patmos, Mythen und Fussball.
Früher haben Elke und ich ganz oft griechische Inseln besucht. Die große Freiheit.
Nur mit dem Koffer haben wir einen Flug zu einer Hauptinsel gebucht und sind dann irgendwie von dort mit dem Schiff weitergekommen. Wir landeten irgendwann einmal im Mai auf der Insel Leros und von dort aus starteten wir einen Ausflug zur nahgelegenen Insel Patmos.
Patmos ist eine phantastisch schöne Insel, das Kloster auf dem Gipfel ist sensationell.
Der Bibel zufolge hier der Heilige Johannes die Vision der Apokalypse in einer Höhle auf Patmos empfangen haben. Das einzig apokalyptische Element an diesem Tagesausflug war leider, dass wir die falsche Taverne ausgesucht haben.
Als wir nachmittags auf das kleine Schiff zurück nach Leros stiegen, kündigte der Kapitän schon an, dass die Rückfahrt wegen des aufkommenden Windes holperig sein würde.
„Apokalypse, Teil 2“ dachte ich mir, denn Elke ist bereits bei Windstärke 2
nicht mehr seefest.
Also schnappte ich mir Elke beim boarden und wir gingen sofort ins Unterdeck, weil das Schiff sich unten in der Mitte am wenigsten bewegt. Alte Galeerenweisheit.
Frühes Kommen sichert die besten Plätze. Da viele erst nach oben gingen, hatten wir die „Premiumplätze“ (inclusive Liegemöglichkeit für Elke) belegt.
Wir verließen Patmos und schon beim Ablegen nahm das Gesicht von Elke eine ungesunde grüne Farbe an, zu blöd – warum hatten wir auch die Tabletten gegen Reisekrankheit in der Unterkunft
vergessen?
Elke schloss die Augen und nach einer Weile döste sie ein wenig. Das hoffte ich zumindest.
Ein Schwätzchen mit Dionysos würde mir in dem Augenblick auch sehr gut gefallen, Retsina und etwas Leckeres auf dem Teller. Für den Gourmet und den Gourmant wäre nach dem unglücklichen Essen im Hafen gut gesorgt! Mit einem Blick auf die grüne Elke verwarf ich diesen Gedanken schamvoll.
Nach einiger Zeit wurde mir langweilig und so dachte ich noch einmal an die gerade abgelaufene Fußball-Saison. Ich
überlegte mir, wie das regionale „Team Mythos“ aussähe, wobei ich damit natürlich nicht das griechische Bier dachte, sondern die Abkürzung für Mythologie.
Als Schiedsrichter diente Chronos, der hatte eh immer nur die Zeit im Auge und würde jede Spielverzögerung ahnden.
Zeus als Trainer des „Team Mythos“ konnte bei diesem Heimspiel in seinem Olympiastadion auf die volle Besetzung zurückgreifen und in Gedanken konnte ich einen kurzen Blick auf Teile seiner Mannschaft werfen.
Er hatte Neptun und Poseidon
aufgestellt, beide hatten schon seit geraumer Zeit „nah am Wasser gebaut“ und waren in einer Formkrise. Die Abwehr war in den letzten Spielen deutlich ins Schwimmen geraten.
Hades, als Mittelfeldspieler, war im Moment grottenschlecht drauf – als Gott der Unterwelt passte das.
Ein Zyklop als Mittelstürmer und Torjäger, in meinem Team versemmelt der auch immer die Bälle und trifft das Tor nie!
Die Vergleiche gefielen mir immer besser, ich hatte mit einem Lachkrampf zu
kämpfen.
Als Cheerleading-Team engagierte Zeus die Sirenen, weil sie mit ihrem Gesang den Gegner so phantastisch ablenken konnten, das Maskottchen war natürlich der Minotaurus.
Als Wappen des Teams diente der Koloss von Rhodos!
„Eine interessante Mannschaft“ dachte ich mir und entschuldigte mich mit einem schlechten Gewissen bei Zeus und seinen Mitstreitern. Oder sponn ich den Gedanken nicht zu Ende, weil ich ein Räuspern hörte obwohl niemand um mich herum war?
In der Zwischenzeit kamen die übrigen Passagiere wegen des Windes ebenfalls von der „Obertribüne“ nach unten. Elke hatte bereits ohne gegnerisches Foul ihre liegende Position eingenommen und das Spiel lief im Hintergrund weiter.
Während Elke sich nicht regte, wurde mir langweilig. Ich sah mich im Inneren des kleinen Schiffs um und versuchte die Buchstaben der griechischen Schilder an der Wand zu erkennen. Das erste Schild war einfach: wie lege ich meine Schwimmweste an?
Vermutlich galt das Schild vermutlich nur im „unwahrscheinlichen Falle eines
Untergangs“, dachte ich mir.
Demnach schien das auch nicht die Autogrammkarte von Hades zu sein.
Ein zweites Schild mit 3 Wörtern darauf, direkt an der Treppe, erregte meine Aufmerksamkeit viel mehr. Die großen griechischen Buchstaben liegen mir, also fing ich an, zu lesen. So sieht das in Lautschrift aus:
Proooooo……..so…..chi…….
Tooooo…….
Keee……………faaaa….li.
Ganz eindeutig: Prosochi to Kefali !!!
„Geht doch“, sagte ich mir!
Na ja, es hatte ehrlich gesagt eine kleine Ewigkeit gedauert, es zu entziffern und ich hatte keine Ahnung was das
bedeutete.
Joseph, der Wirt der Taverne würde es wissen, also notierte ich diese 3 Wörter auf einem Zettel, um ihn heute Abend zu fragen. Mein Magen knurrte.
Während der weiteren Fahrt beobachtete ich die weitgehend griechischen Zuschauer meines kleinen Kopf-Fußballspiels, die sich lautstark unterhielten – klar, das war ja auch ein Heimspiel.
Das Spiel endete torlos.
Elke hielt sich bis zur Ankunft des Schiffs wacker. Mit wackeligen Knien stand sie auf und wirkte als hätte sie 90
Minuten plus Verlängerung durchgespielt. Aber ich war stolz auf sie, es ist alles gut gegangen. Der Mannschaftsarzt mit seinen kalten Umschlägen wurde nicht gebraucht!
Als wir endlich aussteigen durften, nahm ich zur Belohnung den Rucksack von Elke und hielt ihr den Rücken frei, damit sie entspannt die Treppen hochsteigen konnte, wenn wir an der Reihe sind.
Und so stand ich da:
Einen Rucksack in der linken Hand und einen in der rechten. Einen Meter fünfundachtzig groß und gut durchtrainiert! Die Rucksäcke waren allerdings federleicht.
„Etwas bleicher hätte ich auch als Statue durchgehen können, die eben ausgegraben wurde“, dachte ich mir. Wenn der „Koloss von Rhodos“ mich so gesehen hätte, wäre er vor Neid freiwillig ins Wasser gesprungen. Da kam der Angeber in mir durch.
Die Passagiere vor uns kamen in Bewegung und Elke konnte vor mir langsam die Treppe hinauf steigen. Während ich mich noch immer über den badenden „Koloss von Rhodos“ lustig machte, machte es einen lauten Knall und die griechische Mythologie vermischte sich sofort mit der Astronomie der Neuzeit.
Ich hatte mir an der Treppe den Kopf gestoßen und sah wirklich Sterne, die langsam vor meinen Augen kreisten. Konkrete Sternenbilder konnte ich nicht erkennen aber das Sternbild „Beule“ konnte ließ sich ertasten, es war ja auch ungewöhnlich nah für ein Sternbild.
In Gedanken entschuldigte ich mich beim „Koloss“. Plötzlich stand er wieder fest auf seinem Sockel!
Das Lachen der Griechen um mich herum weckte mich. „Na klar“, sagte ich mir. Ihr seid ja auch einen halben Meter kleiner als ich! Und hoffte dabei, sie würden mein wüstes Schimpfen nicht
verstehen. Mir tat echt der Kopf weh!
Nachdem wir von Bord waren, nahm Elke ihren Rucksack und ich sah sie mir genauer an. Jetzt hatte sie nur noch ein türkisgrünes Gesicht. „Ein echt gesundes Gesichtsgrün - wie das Wasser im Hafenbecken“ dachte ich mir und biss mir auf die Lippen, diesen Kommentar nicht laut zu sagen. „Heute gehen wir lieber nicht mehr Baden, sonst finde ich Dich da nachher nicht wieder“
Abends saßen wir bei Retsina in der Taverne und Elke erzählte Joseph in englischer Sprache von ihrem Kampf gegen die riesigen Wellenberge, die sie
nachmittags komplett alleine gemeistert hatte.
Um die Höhe der Wellen plastisch darzustellen zeigte ich auf mein Knie und Elke konnte es nicht lassen, deshalb auch von meinem Malheur an der Treppe zu erzählen.
Das erinnerte mich an meinen Zettel, mit den Buchstaben, die ich heldenhaft abgemalt habe und gab ihn Joseph.
„Prosochi to Kefali“ stand da (natürlich in griechischen Buchstaben).
Joseph sah sich den Zettel an und fing an, lauthals zu lachen. Dann holte er seine 3 Kellner zu sich erzählte etwas, nahm den Zettel und deutete weiterhin lachend auf mich.
Die 3 Kellner fingen ebenfalls an, lautstark zu lachen. Die „Cheerleading-Sirenen“ holten mich wieder ein aber jetzt lachten sie mich aus. Sie hörten einfach nicht auf.
Ich wurde unruhig.
Joseph nahm Elke zur Seite und schrieb etwas unterhalb meiner Schriftzeichen auf. Elke sah es sich an und fing ebenfalls lauthals an, zu lachen.
Was hatte ich getan? Da war doch etwas mit der „Büchse der Pandora“. Hatte ich mit dem Zettel Unheil angerichtet? Eine furchtbare Pandemie ausgelöst? Eine weltweite
Lachkrampf-Pandemie???
Verzweifelt begann ich, nach einem Mundschutz zu suchen, damit ich nicht auch befallen wurde. Ich stellte mir ein Flugzeug vor, in dem 200 Fluggäste lauthals loslachten, wenn ich einstieg.
Dann gaben sie mir den Zettel zurück. Der Mundschutz würde nicht helfen!
Unter
“Prosochi to Kefali”
stand in englischer Sprache:
“WATCH YOUR HEAD”
Auf deutsch:
„Pass auf Deinen Kopf auf!“
Jetzt hatte das „Team Mythos“ doch noch
einen Kantersieg davon getragen und der „Koloss“ würde wiehernd vor Lachen direkt ins Meer umfallen.
„Wie peinlich“, dachte ich mir und musste ebenfalls laut loslachen.
Zeus, das war doch irgendwie in der Nachspielzeit nachgetreten, oder hast Du auf dem Schiff doch geräuspert?
Nachtrag:
Liebe griechische Götter:
Ich hoffe, Ihr seid mir nicht böse über diesen kleinen Spaß mit Euch und seid mir weiterhin gewogen, wenn ich in Eurem wunderschönen Land bin!
Aber immerhin habe ich Euch (wenn auch in der Nachspielzeit) gewinnen
lassen und inzwischen auch recht gut griechisch reden gelernt.
Auf Euch! Jamas!