1
Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper und zog die Knie heran. Ich sehnte mich nach der Wärme, auf die ich jedoch heute Nacht vergeblich wartete.
Nie zuvor in meinem Leben hätte ich das Gefühl beschreiben können, das im Begriff war, mich in den Wahnsinn zu treiben. Doch es kroch wie die eisige Kälte einer trostlosen Novembernacht stetig an mir hinauf und nistete sich als ein kleiner Parasit, der danach gierte sich zu seiner vollen Größe zu entfalten, in meinen Verstand.
Ich dachte nur noch an eins:
Wo war er? Ich wartete auf ihn, doch er kam nicht. Es war schon viel zu spät.
Zuerst versuchte ich mir noch einzureden, dass ich mir Sorgen machen müsste. Sie konnte später als Ausrede verwendet werden, um ihm eine Szene zu machen, doch heute funktionierte das nicht. Es war fast so, als würden den Sorgen Flügel verliehen, die sie weit weg trugen und ich konnte sie nicht halten. So sehr ich es auch versuchte. Was sie zurück ließen schmerzte so sehr, dass ich meine Nägel in die Oberarme grub, im Versuch den quälenden Schmerz des Hass zu lindern, doch er wuchs, von Sekunde
zu Minute, von Augenblick zur Stunde und von jener bis zur Unendlichkeit dieser verfluchten Nacht. Ich spürte, wie er meine reine Seele zerfraß und sie unwiederbringlichen Schaden nahm.
So wurde ich von der Schwärze der Mitternacht verschluckt.
2
Ich wartete …
… auf das Geräusch des eisernen Tores, das quietschend die Ankunft meines Ehemannes ankündigte, auf das Klicken des ächzenden Türschlosses, das den Weg in den Flur freigab und auf das Geräusch, des Schlüsselschranks, dass man, auch wenn man sich Mühe gab, nicht leise schließen konnte. Und da war es - ganz plötzlich, als wenn ich ihn mit meinen Gedanken zurück beschworen hätte. Ich fuhr zusammen, als ich die verhassten Geräusche vernahm, die die Stille der Nacht durchdrangen und an meinen Ohren wiederzuhallen schienen.
Erst das leise quietschende: Er kommt! dann das ächzende: Er tritt ein! und noch das Da! Wie ich diese Geräusche verabscheute, immer, wenn sie durch die Stille des Hauses drangen.
Doch mein Hass blieb nicht mehr gänzlich alleine - zu ihm gesellte sich blanke Wut, ausgelöst durch nervenzerfetzenden Klänge, scheinbar geradewegs der Hölle entsprungen.
Meine Gefühle rasten, als ich die schweren Schritte durch den Flur treten hörte. Ich rührte mich nicht. Noch immer krampften sich meine Finger um meine Arme und einzig ihr Druck wurde stärker
und stärker, bis sich die Nägel tief in meine Haut gruben.
Wie gut der Schmerz tat, der ruckartig in meine Arme schoss, als die Nägel die Haut durchstießen und sich in das blanke Fleisch bohrten. Ich merkte, als das Blut warm, sogar kitzelnd meine Arme hinunter lief und es ging mir besser. Ich musste sogar lächeln. Er linderte meinen Hass und zügelte meine Wut. Ich schaffte es sogar im Schutze der Dunkelheit so ruhig zu sitzen, dass er mich nicht sah. Ich saß nur da und sah ihm zu. Ich musste mich jetzt sogar anstrengen, nicht laut loszulachen, als ich ihn dabei beobachtet, wie er sich leise durch das
Wohnzimmer stahl ja, so nichtsahnend, wie er seine Sachen von seinem Körper streifte, die er wahrscheinlich erst seit einer halben Stunde wieder anhatte. Vielleicht hatte sogar seine kleine Nutte ihm dabei geholfen. Wie schade, jetzt muss er sich alleine ausziehen.
Ich könnte ihm einen gehörigen Schrecken einjagen, wenn ich plötzlich laut losschreie. Doch die Überlegenheit, die ich über ihn ausstrahlte, ließ mich schweigend genießen. Ich könnte etwas fallen lassen, sodass er verwirrt ist, wenn er versucht im Dunkeln die Ursache zu erkennen ich könnte noch ganz andere Sachen machen.
Das Blut auf meinem Arm begann bereits zu gerinnen. Ich blickte einem letzten Tropfen hinterher, der von meinem Arm auf den weißen langhaarigen Teppich tropfte mitten in den silbernen Schein des Mondes, der zwielichtig auf den Boden fiel.
Ich könnte mit seinem Blut den Teppich tränken. Der fast volle Mond blickte grotesk ins Zimmer und noch immer spürte mein Mann nicht, dass er nicht alleine war und er würde es auch nicht mehr spüren, denn er ging ins Bett.
Ich beobachtete meinen Tropfen Blut, der ungeahnte Gedanken auslöste: Von
seinem Blut, dass sich über den Teppich legt, das warm aus der tiefen Wunde quillt, die ich ihm mit dem Messer zugefügt hatte. Würde das Küchenmesser schon ausreichen? Immerhin schneidet es die Gurken recht gut, da kann ich mir überlegen, für welchen Teil seines Körpers dieses Messer gut zu verwenden ist. Doch die Wunde soll tief sein. Das Blut soll nicht spritzen. Es soll langsam sickernd den Teppich in einer ganz neuen Farbe gestalten. Dunkelrot würde gut zum Regal passen.
Nein, ich denke ich nehme das Schinkenmesser. Nicht das kleine mit der dünnen Klinge nein es muss das Große
sein. Schon des Schreckens wegen.
Ich sollte lieber nach ihm sehen, denn ich hörte ein Rumoren aus dem Schlafzimmer. Er fragte sich sicherlich, wo ich bin. Ich wollte ihn nicht enttäuschen und so ging ich schlafen.
was!
3
Den nächsten Morgen begannen wir wie immer. Mein untreuer Ehemann hatte nicht einmal versucht eine Ausrede zu erfinden, aber ich fragte auch nicht. Ich bereitete ihm das Frühstück, schnitt seinen Käse mit dem richtigen Messer in feine Scheiben und musste beim Anblick des Schinkens im Kühlschrank lächeln.
Die Nacht hatte ich nicht geschlafen, doch ich fühlte mich erholter als an manch anderen Tagen, denn - ich hatte geplant.
Meine Messer ließ ich lieber doch in den Fächern. Ich fand unseren Teppich in seiner Farbe doch recht annehmbar.
Außerdem war er mir in Statur und Kraft weit überlegen. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen und das fiel mir nicht schwer.
Ob er immer noch dachte, ich wüsste von seiner rothaarigen Schlampe nichts? Das war inzwischen auch egal. Bald würde er keinen mehr hoch kriegen um ihn in die verfickte Schlampe stecken zu können.
Ich war wie im Dauerrausch, überdreht und euphorisch. Die Überlegenheit, die Macht, die ich verspürte, ließ meinen Verstand auf Hochtouren arbeiten und das Beste an meinem Plan war – er ahnte nichts und ich ließ mir nichts anmerken. Ganz im Gegenteil. Ich bereitete brav das Frühstück, mit Kaffee, frischen Eiern
und dampfenden, selbst gebackenen Brötchen, verabschiedete mich am Morgen mit einem Kuss und entließ ihn zur Arbeit.
Er ahnte nichts und ich lächelte.
Ich machte brav den Haushalt und nicht einmal das kleinste Staubkorn konnte ihm Anlass zur Klage geben. Wenn er nach Hause kam, empfing ich ihn stets mit einem Kuss zur Begrüßung, egal zu welcher Uhrzeit und servierte ihm ein Nachthäppchen frischen, warmen Kuchen, selbstgemacht, natürlich.
Er ahnte nichts und ich lächelte.
Seine Kraft ließ schnell nach und bald
war er nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Ich pflegte ihn, brachte ihm Decken, bezog sein Bett jeden Tag frisch, umsorgte ihn wie ein kleines Kind, gab ihm Medizin für seinen Magen und backte ihm frisches Brot.
Er ahnte nichts und ich lächelte.
Jeden Tag bemerkte ich mehr, wie die Kräfte seinem Körper entwichen und jeden Tag wurde meine Fürsorge größer. Ich verließ das Haus nicht mehr, blieb Tag und Nacht bei ihm und tat kaum ein Auge zu. Oft fragte er mich nach einem Arzt, wollte ins Krankenhaus, doch ich erzählte ihm eine Lüge nach der anderen und genoss es. So wie du über die vielen
Jahre es getan hast - so erzähle ich dir jetzt Märchen.
„Schatz, mach dir keine Sorgen. Ich habe Medizin für dich besorgt.“ oder „Ich habe mit dem Arzt gesprochen und er hat dir strickte Bettruhe verordnet und du sollst versuchen was zu essen.“ Dann gab ich ihm meist von dem selbstgemachten Brot und noch immer:
Er ahnte nichts und ich lächelte.
Als sein Zustand so schlecht wurde, dass er nur noch zeitweise klare Momente hatte, sagte ich meist auf die Frage nach ärztlicher Versorgung: „Schatz, der Doktor war vor einer Stunde bei dir. Es ist alles ok. Du sollst deine Brühe
trinken, die ich dir mache und dich ausruhen.“ Ich flößte ihm nach und nach die Brühe ein, und er trank sie. Er ahnte nichts und noch immer lächelte ich.
4
Eines Tages klingelte es an der Türe. Es war die Polizei. Als ich sie erblickte, wurde ich etwas nervös, doch ich ließ mir nichts anmerken und war so freundlich wie so oft in meinem Leben. Ich genoss das Wissen Verbotenes getan zu haben und nun meiner größten Bedrohung genau gegenüber zu stehen, doch der Nervenkitzel, brachte mich fast zur Ekstase und so bat ich die Herren ins Haus.
Kurz ging mir durch den Kopf etwas übersehen zu haben ich hatte meinen Mann bei der Arbeit krank gemeldet. Familie hatte er nicht mehr zumindest
nicht vor Ort, sodass er von deren Seite wohl eher nach Jahren, als nach Tagen vermisst werden würde und für die Herren lag er eben krank im Bett. Er war derart geschwächt, dass ich sogar bezweifelte, dass er die Hüter des Gesetzes wahrnehmen würde, selbst wenn sie ihn rüttelnd befragen würden.
Tatsächlich wurde mein Mann gesucht und wie konnte es wohl anders sein, hatte die rothaarige Hexe mir die Polizei auf den Hals gehetzt.
Und dann geschah für einen Moment das Unglaubliche. Ich stand neben dem Bett meines Mannes, als er mit ungeahnter Kraft nach meiner Hand griff. Mit heiser Stimme murmelte er:
„Mörder!“
Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Hatte er zu mir gesprochen oder hatte sich mein schlechtes Gewissen gemeldet? Hatte ich überhaupt eins? Ich wagte kaum zu atmen, hoffte nur, die Herren, die im Türrahmen standen und im Gespräch miteinander vertieft waren, haben nichts gemerkt. Sah nicht so aus.
Oder doch, denn einer der Polizisten hob plötzlich den Kopf in meine Richtung. „Wie bitte?“ fragte mich der Herr, der seinem Kollegen in Größe weit überlegen war.
Mit gekonnter unauffälliger Bewegung befreite ich meinen Arm aus der Umklammerung. „Ähm … meine Herren,
bitte verhalten Sie sich leise. Sie sehen ja, mein Mann ist krank. Sein Arzt hat ihm strickte Ruhe verordnet. Er sieht jeden Tag nach ihm.“ Ich schob mich und die Polizisten schnellen Schrittes aus dem Zimmer.
Mit einem letzten, flüchtigen Blick nahmen sie ihre Mützen, setzten sie wieder auf, die sie aus Höflichkeit vor Betreten meines Hauses gezogen hatten und verabschiedeten sich. Erleichtert schloss ich hinter ihnen die Türe und atmete für einen kurzen Augenblick aus.
Als ich in das Zimmer zurückkehrte, sah er mich mit verschleiertem Blick an. Er formulierte mit seinen Lippen etwas, doch ich konnte nicht verstehen, was es
war, also setzte ich mich zu ihm auf sein Bett und legte mein Ohr dicht an seinen Mund und verstand drei Wörter: „Tut mir leid.“ Aber mehr war auch nicht nötig. „Ich weiß …“, war mein letzter Satz, „… und nun bezahlst dafür.“
Er wusste genau, es gab kein Entrinnen - und ich lachte.
5
Es dauerte nicht lange, bis er die ersten Haare verlor. Erst fand ich einzelne Strähnen, dann ganze Büschel auf dem Kopfkissen. Als brave fürsorgende Ehefrau sorgte ich dafür, dass sein Kissen stets sauber war. Einzeln sammelte ich die Haare herunter und kämmte ihm die Losen aus. Dabei achtete ich ganz besonders auf Intensität.
Als er die ersten Zähne verlor, überzog ich sein Bett mit einem Latexlaken. Des täglichen Waschens wurde ich doch recht schnell müde und so konnte ich die Blutlachen abwischen. Das Gefühl des Hass und der Wut, die mir den Weg für
diesen Plan geebnet hatten, hatte ich seit jener Nacht nie wieder gespürt. Ich war zum ersten Mal seit unserer Eheschließung wirklich glücklich und mit jedem neuen Zahn, den ich aus seinem Bett zog lachte ich mehr.
Jeden Tag warf er mir mehr angsterfüllte Blicke zu. Mit letzten Kräften versuchte er sich gegen das Einflößen der Suppe zu wehren.
Seine hoffnungslosen Versuche sich zu sträuben sorgten bei mir für einen unaussprechlichen Triumph. Ich fühlte mich mächtig, nicht mehr klein und grau, wie es sonst unter seinem Blick gewesen war. Ich hatte an Stärke gewonnen, hatte das Gefühl alles erreichen zu können,
was ich wollte und über jedem und allem zu stehen. Ich hatte die Macht über Leben und Tod.
6
Eines Tages beschloss er einfach aufzugeben. Keine Reaktion seiner Augen war mehr zu sehen. Kein Unverständnis, kein Bedauern und das Schlimmste, er hatte keine Angst mehr – wollte nur noch sterben. Er gab sich auf.
Er lag siechend im Bett und atmete. Flach und schnappend versuchte er mit jedem Atemzug den er tat, sein letztes bisschen Leben auszuhauchen und ich stand in seinem Zimmer und wartete. Doch nichts geschah. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen beinahe schon Monate und ich wollte ihn nicht mehr sehen. Ich hatte meine Rache genossen.
Doch das, was Mediziner vielleicht noch Leben nennen würden, wollte einfach nicht aus seinem Körper weichen.
Irgendwann, ich hab vergessen, wieviel Zeit vergangen war, überließ ich ihn sich selbst. Schaute nur noch das ein oder andere Mal in das Zimmer und wollte wissen, wann ich das Bestattungsinstitut rufen konnte, doch er atmete vor sich hin. Ich verstand nicht, was das sollte! Was wollte er noch hier und was wollte er von mir?
„Stirb endlich!!“ schrie ich ihn beinahe täglich an, doch er hörte nicht, reagierte nicht mehr und noch schlimmer – er nahm mir nichts mehr ab. Essen hatte er schon lange nicht mehr zu sich
genommen, doch man kann ohne Flüssigkeit nicht leben – oder doch?
Wieder brach eine neue Woche an, in der er vor sich hinsiechte und ich auf seinen Tod wartete. Wieder wurde ich gezwungen für Stunden seinem schrecklichen Atem zu lauschen und bei jedem hoffte ich, es würde keiner mehr folgen. Doch sie folgten und die rasselnden Geräusche wurden stärker.
Immer lauter hallten sie aus dem Schlafzimmer und verfolgten mich bis in die letzte Abstellkammer. Ich schlug meine Hände gegen die Ohren, versteckte meinen Kopf in meinen angewinkelten Knien, nur um die Geräusche auszusperren. Doch sie drangen bis tief
in meinen Kopf hinein und stachen in meine Ohren, so sehr, dass sie bluteten. Oder doch nicht? Meine Hände waren sauber, als ich auf sie hinab blickte und doch schmerzte jedes Stöhnen.
Und dann wusste ich was zu tun war. Ich musste handeln – musste dem Ganzen ein Ende setzen und das tat ich.
Ein letztes Mal sollte ich das Gesicht des Mannes sehen, der schon lange keiner mehr war. Ein letztes Mal wollte ich ihm sagen, dass er den größten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er zur roten Hexe ins Bett gestiegen war und ein letztes Mal werde ich ihn bestrafen und dann wird alles vorbei sein.
Ich trat an sein Bett heran und blickte
auf das Gesicht herab. Er hatte keine Züge mehr, die dem Mann glichen, den ich einst aus Liebe geheiratet und den ich noch vor Wochen bis zum Tod gehasst hatte. Jetzt war nur noch eins wichtig – das ENDE.
Vorsichtig, ohne ihn berühren zu wollen, zog ich das Kissen unter seinem Kopf hervor. Mit sanften Händen legte ich es über sein Gesicht und drückte zu. Ich lauschte, während ich darauf wartete, dass keine Geräusche mehr aus seiner Kehle drangen.
Ein Rasseln … noch ein Rasseln .. und wieder.
„Stirb, verdammt, du Sauhund, du alter
Hurenbock! Geh und lass mich in Ruhe.“ Mein Druck verstärkte sich. Er wehrte sich nicht, konnte es ja gar nicht mehr ... aber ... es rasselte wieder … und wieder ... und dann wurde es leiser.
Ich war auf dem rechten Weg und hielt das Kissen fest umklammert. Wieso bekam er noch Luft?
Noch eins … lange Pause. War es vorbei? Langsam löste ich meinen Druck. Ich wollte das Kissen wegnehmen und nachsehen, doch da war es schon wieder ... rassel … und dann nichts mehr. Es war der letzte Zug den er in seinem irdischen Leben tat.
Die nächsten Tage erlebte ich als würde
jemand anders mein Leben leben und die Dinge erledigen, die notwendig waren.
Ich informierte seine Arbeit, weitläufige Bekannte, denn mehr hatte er nicht. Ich organisierte die Beerdigung. Niemand stellte Fragen, ich spielte die trauernde Witwe, alle wünschten mir herzliches Beileid und tiefe Anteilnahme. Brav bedankte ich mich bei allen und freute mich insgeheim auf die Zeit danach – Ruhe und Frieden.
7
Es war ein schöner Nachmittag, als der Pfarrer die Gedenkfeier abhielt und ein paar nette Worte über das Scheusal, was einst mein Ehemann war, verlor. Ich war, entsprechend allen Erwartungen, ganz in schwarz gekleidet. Mit Taschentuch bewaffnet, schnäuzte ich das ein oder andere Mal hinein um meiner Trauer Ausdruck zu verleihen.
Als der Sarg in die Erde hinab gelassen wurde, glitt mein Blick über die friedlichen Grabsteine der umliegenden Gräber und blieb in der Ferne an einer Frau hängen, die sich verstohlen hinter einem Baum
versteckte.
Ich wusste genau wer sie war.
Das konnte nicht wahr sein. Ein bekanntes Gefühl stieg in mir auf, als mich die roten Haare in ihren Bann zogen. Was tat sie da? Weinte sie etwa?
Ihr Blick blieb auf mir haften und er sprach zu mir, als wenn sie mir gegenüber gestanden hätte und mich anschreien würde: Ich weiß es! sagte ihr Blick immer wieder Ich weiß es! Mörder!
Doch ich ließ mir nichts anmerken, sondern empfing die Beileidsbekundungen der Trauergäste nachdem ich mit einer Schaufel Erde das Kapitel Ehe in meinem Leben begrub.
Als gute Frau ging ich gezielt auf das
verweinte, traurige rothaarige Wesen zu, dass sich noch immer hinter dem Baum versteckte und nahm sie zärtlich in den Arm. Ich sprach ihr, ohne Fragen zu stellen und ohne Fragen empfangen zu wollen mein herzlichstes Beileid aus und wischte mir gekonnt eine gekünstelte Träne von der Wange.
Dann lud ich sie zum Kaffee und Kuchen ein und sie sagte zu. Warum weiß ich nicht, aber das war auch nicht wichtig. Er hatte seine Strafe erhalten, die Strafe dafür, dass er mich belogen hatte und sie würde sie auch erhalten – als Strafe dafür, dass sie ihn geliebt hatte.
Ich dachte nicht mehr zurück – nie mehr – mich beschäftigte nur noch ein
Gedanke.
Ich muss neue Fieberthermometer kaufen – diese alten von früher – die mit Quecksilber.