So….blaue….Augen!
Es war einer dieser Herbsttage und ich wusste nicht, ob es überhaupt hell geworden war.
Vor Kurzem war ich noch im Urlaub und das Einzige, was mich daran erinnerte, war meine Bräune.
Heute hatte ich entschieden zu lang gearbeitet und ging maulig zum Jungfernstieg, um meine S-Bahn zu bekommen. Immerhin hatte ich Glück und ich bekam meinen Lieblingsplatz-eine Sichtschutzwand im Rücken und am Fenster. Ich fuhr rückwärts.
Mir gegenüber saß eine junge Frau, ich fragte mich kurzfristig, ob ich im
Zeitraffer war: Ihre Finger tippten so schnell über die Tastatur, dass mir beinahe schwindelig wurde.
„Blöder Zeitvertreib“ dachte ich mir.
Neben ihr saß ein älterer Herr, der ziemlich kaputt wirkte.
Und überhaupt fühlte ich mich unwohl. Nicht nur, dass ich schlechte Laune hatte, durch meine gesunde Hautfarbe fühlte ich mich wie in einem Waggon voller Vampire. Das passte zum dunklen Tag.
Also griff ich zu meiner Zeitung und las ein paar alte Nachrichten, die in der Frühe aus der Druckerpresse gekommen waren. Ich gestehe: Ich lese Zeitung und quäle meine Augen morgens nicht am
Handy. Ich entspannte mich ein wenig.
Aber nur kurz!
Am Hauptbahnhof stieg eine Mutter mit zwei kleinen Mädchen ein. Die beiden Kleinen stritten lautstark über einen Comic. Sie waren so 7 und 8 Jahre alt. Beide hatten eigentlich ganz liebe Gesichter und sympathische braune Augen. Aber sie stritten um einen Comic!
Zusätzlich zu meiner äußerst schlechten Laune setzte sich „Nr.1“ (die Ältere) direkt neben mich und „Nr.2“ saß am Gang, beide stritten weiter. Automatisch klebte ich mit meiner Zeitung parallel zum Fenster und Lesen war nicht mehr möglich. Ich hatte den Eindruck, ich
würde zu einem fiesen Monster mutieren.
Ich habe die Fähigkeit, einen äußerst gemeinen Blick aufzusetzten - „wenn Blicke töten könnten“, wäre ich dazu in der Lage. Das behaupten zumindest meine drei Geschwister. Und die kennen mich.
„Streng Dich an“ sagte ich mir, „früher hatten Konrad, Anke und Markus auch Angst, wenn Du den bösen Blick aufgesetzt hast.“
Langsam ließ ich die Zeitung sinken. Die junge Frau, die mir gegenüber saß, bemerkte die langsame Bewegung und sah mich gespannt an. Sie hatte ihren Weltrekordversuch im Tippen kurzfristig ausgesetzt. Das echte Leben scheint wohl
doch interessanter zu sein als das Internet im Handy.
Ich drehte meinen Kopf seitlich nach unten, mit dem fiesesten Blick, der auch meinen Geschwistern gut bekannt ist.
„Nr.1“ (direkt neben mir) bemerkte es und hörte kurzfristig auf, mit „Nr.2“ (am Gang) zu streiten. Sie sah mich an. Es war bei bei einem finalen Duell im Western. Wir sahen wir uns an. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren! Der Gute und der Böse!
„Ooooooooh, Du hast aber schöne blaue Augen. Die will ich auch haben“, rief sie plötzlich. „Nr. 2“ (am Gang) folgte mit einem spitzen Schrei „die will ich auch sehen“, sprang vom Sitz auf, drängelt
sich an meine Knie und macht einen langen Hals in meine Richtung.
Ich zuckte zusammen – verloren, ich hab mich zuerst bewegt! Eigentlich wollte ich ja nur fies für Ruhe sorgen und jetzt haben die Zwei mich komplett aus meinem „Rächerkonzept“ gebracht. Für eine Millisekunde verlor ich die Fassung und natürlich mein Konzept!
Bevor es einen „Shitstorm“ “ bei vielen Eltern, Biologen, Medizinern und Erziehern und anderen Fachleuten hervorruft: Ich benutzte eine Notlüge, um die Beiden nicht traurig zu machen.
„Ooooooooh, Du hast aber schöne blaue Augen. Die will ich auch haben“
„Na ja“, antwortete ich, „manchmal
ändert sich die Augenfarbe noch, wenn man größer wird und vielleicht hast Du ja Glück und bei Dir passiert das auch“. Mir war schon klar, dass das eine Lüge war, aber sagte dann auch (und das war ehrlich), „aber Du hast Du auch eine hübsche Augenfarbe“.
„Aber Deine leuchten so schön blau“
Wir diskutierten zu dritt einen kurzen Augenblick über die Vorteile von blauen und braunen Augen, und ich konnte sie mit dem ersten Argument sehr beruhigen und dass es bei mir nur so aussieht, weil ich gerade aus dem Urlaub zurück war.
Dann fragte ich „Nr.1“ und „Nr.2“ ob sie vielleicht mit mir Zeitung lesen wollten, damit sie nicht um den Comic streiten
müssen. Freudig griffen sie die Idee auf. Wir sahen uns die Bilder an und ich erzählte zu einigen Bilder die Geschichte dazu. Auch hier griff ich manchmal zu kleinen Notlügen.
Sie hatten viele Fragen, und die Zeit verging im Flug. Nach 20 Minuten musste ich aussteigen.
Als ich ausstieg, bedankte sich die Mutter der Mädchen mit einem Lächeln bei mir.
„Tschühüss, bis baaaaald!“, schallte es hinter mir her – einige der verbliebenden Vampire im Waggon lachten, selbst die Weltrekord-Tipperin.
Die Zwei winkten mir noch aus der Bahn zu, als ich bereits draußen war und in
meinem Gesicht war ein ganz breites Grinsen zu sehen.
Ich hatte richtig gute Laune, die noch einige Tage anhielt.
Herrlich chaotisch.