S-Bahn
Es war wieder später geworden.
Ursprünglich wollte ich um 15:00 Feierabend machen, aber eine dringende Projektarbeit hat das verhindert. Also saß ich gegen halb sieben abends in der Bahn und genoss die seltenen Sonnenstrahlen in diesem Frühjahr. Sie schienen mir ins Gesicht. Ich spürte die Endorphine im ganzen Körper. Glücksgefühle!
Zwei Stationen später setzte sich eine Frau auf den freien Platz gegenüber. Sie hatte ein sehr sympathisches Gesicht, braune Haare und braune Augen. Wir
waren ungefähr gleich alt.
Ich sah sie verwundert an. Sie hatte eine Wolldecke und eine Isomatte dabei. Bei DEM Wetter?Ich bin nicht gerade ein Blitzmerker aber als es mir aufging, dass es sicherlich um Yoga oder Qi Gong handelt, lächelte ich.
Sie sah es und lächelte zurück.
Kennt jemand das Gefühl, wenn zwei Menschen sich mögen, beäugen, „belauern“ und keiner der Beiden wagt den ersten Schritt? So war es hier.
Wir blickten uns an, sahen, dass keiner von uns Ringe trug, lächelten weiter aber nichts geschah.
Der Augenkontakt war sehr intensiv. Ich begann, mit meinem Kalender zu
hantieren, in dem ich (altmodisch) handschriftlich meine Termine eintrage.
“Das gibt es doch nicht“, dachte ich bei mir. „Frag mich einfach nach diesem altmodischen Ding“. Ich werkelte und hantierte umständlich weiter. „Fragt sie mich nach meiner Nummer oder schreibe ich ihr meine Nummer auf und gebe sie beim aussteigen“?
„Frag nach der Isomatte, klopfe einen Spruch über die Decke“, schrie meine innere Stimme mich an. Ich bin ein Feigling.
Es zerrte und zog an allen Stellen des Körpers. „Sag was“. Wieder Augenkontakt. Lächeln.
„Mein Gott, wie blöd bist
Du“?
Beim Aussteigen sagte ich „bis zum nächsten Mal“. Wir lachten Beide.
Ich wartete bis die Bahn los fuhr, wir winkten uns zu und ich konnte diese Situation nicht glauben.
Wir sind nicht ins Gespräch gekommen, weil wir uns nicht getraut haben. Beide hatten wohl Angst, eine Abfuhr zu bekommen. Warum eigentlich?
Ich finde, in der Bahn ist es so, dass die, die man nie wieder treffen möchte, doch immer wieder trifft. In jedem Waggon, zu jeder Tageszeit – ist es nicht so?
Aber die sympathischen, liebenswerten Menschen verschwinden meistens unauffindbar im „Bermuda-Dreieck
Bahn“.
Meine Bahn fährt alle 5 Minuten. Meistens mit 9 Waggons.