Elke 13
(nach einer wahren Begebenheit)
Elke und ich waren zum Wanderurlaub auf La Palma und bauten einen „Badetag“ ein.
Gegen halb drei zogen am Badeort Wolken auf und wir entschieden, unsere Badesachen einzupacken, um danach langsam zum Bus zu gehen, der um Punkt 15:00 fuhr. Wir mussten einmal quer über die Insel.
Wie immer, wenn es zu einer Tour mit Bus oder Bahn ging, war das übliche Procedere, nochmal „Pipi“ zu gehen. Ich glaube einfach, das ist überall
so.
Das WC-Häuschen stand direkt am Marktplatz mit den kleinen Restaurants, nahe der Bushaltestelle. Es scheint ein ungeschriebenes (und ungerechtes) Naturgesetz: Bei den Männern war frei, bei den Damen eine Schlange.
Mit einem schlechten Gewissen schlich ich unauffällig an der Damenschlange vorbei und schlug Elke mit einem Augenzwinkern vor, doch auf das Behinderten-WC zu gehen, das verwaist war.
Es stellte sich heraus, dass das die dümmste Idee war, die ich in den vergangenen Jahren hatte!!
Nachdem ich zurück war, löste sich die
Damenschlange langsam auf, aber Elke blieb verschwunden. Ich stand auf und klopfte vorsichtig an die Tür.
“Alles klar bei Dir?“, fragte ich.
Aus dem Inneren ertönte eine dumpfe Stimme, als hätte sie beim Reden eine Hand vor dem Mund: „Ich habe hier ein Problem und bekomme die Tür nicht auf“.
Ich fühlte mich sofort an den Film „Apollo 13“ erinnert. Wer kennt sie nicht, diese berühmten Worte aus dem Film: „Houston, wir haben hier ein Problem“.
Das waren genau die Augenblicke, auf die ich mich seit meiner Kindheit vorbereitet habe – untergehende
Supertanker, seenotleidende U-Boote in 1.000 Meter Tiefe, abstürzende Raumschiffe und ….versperrte Toilettenhäuschen.
Jetzt war ich voll in meinem Element! Endlich hatte ich als handwerklich unbegabter Superheld einen echten Einsatz!
Also gut! Elke war ab sofort „Elke 13“ und ich war die Kommandozentrale. Diesen Vergleich bekam ich nicht mehr aus dem Kopf.
„Was ist denn los“? fragte ich.
„Das Schloss dreht immer durch und die Tür öffnet sich nicht“. „Mach doch mal was“, ergänzte sie.
Ich fragte sie, ob sie bereits versucht
hat, die Schraube mit ihrer Gürtelschnalle zu fixieren und dann zu öffnen – das hatte sie, aber ihre Schnalle war zu breit. Als Kommandozentrale musste ich „Elke13“ jetzt beruhigen und bedacht agieren.
„Das wird schon“ sagte ich und blickte besorgt auf die Uhr. 17 Minuten, bis der Bus fuhr.
Von innen kam der Vorschlag, ich solle es doch mal auf meiner Seite mit der Gürtelschnalle probieren.
Dieser Vorschlag bereitete mir großes Unbehagen: Man stelle sich einfach vor, in einem öffentlichen Toilettenhäuschen auf einer kanarischen Insel hantiert ein Kerl mit offenem Gürtel. Das sieht nicht
nur blöd aus, sondern würde automatisch zu falschen Schlüssen führen. Ich bildete mir ein, das Geschreie schon zu hören und sah mich in den Knast wandern. Wenn die Polizei vor dem Lynchen da wäre.
Ich blickte mich vor dem Haus kurz um, niemand im Anmarsch. Also probierte ich es und stellte fest, dass auch meine Schnalle zu groß war. Erleichtert schloss ich den Gürtel und stellte den Normalzustand wieder her.
Kommandozentrale an „Elke 13“:
„Das hat nicht geklappt“ und in Gedanken sortierte ich erst einmal die Seiten in meinem Notfallhandbuch. Etwa 1000 Seiten, alle unbeschrieben. Ich
bekam den Vergleich mit Apollo 13 nicht mehr aus dem Kopf
Ich hatte einen Geistesblitz: Haus, Fenster.
Ich nahm Kontakt zu „Elke 13“ auf. „Siehst Du ein Fenster?“
„Jaaaaa“
„Dann geh hin und versuch es aufzumachen“
Mein inneres Auge sah einen Astronauten zum Bullauge fliegen und aus 35.000 Kilometern auf die Erde sehen. Meine Befürchtung aber war, dass „Elke 13“ konfus war und stolpernd zum Fenster flog. Dabei schlug sie sich die Knie auf und die Rettungsmission könnte sich verschärften. Blutende Knie gibt es auf
Raumschiffen nicht und es gibt ohnehin wenig Filme, in denen Pflaster benötigt wird.
Ich hörte ein sehr gutes Geräusch und einen kurzen Ausruf der Erleichterung.
"Das Fenster ist auf“. In Gedanken entsorgte ich den „Erste Hilfe Koffer für Superhelden“.
14 Minuten bis zur Abfahrt.
Ich raste ums Haus und sah ihren Kopf aus dem Fenster lugen. Zum Glück hatten wir jetzt ausreichend Sauerstoff für die Rettungsaktion von „Elke 13“.
Sie zeigte mir unmissverständlich, dass sie schleunigst aus dieser Lage befreit werden wollte. Ihre Schultern hingen bereits aus dem Fenster aber ich schubste
sie förmlich zurück.
„Frauen und Kinder zuerst“ ist eine tolle Sache. Auf der Titanic aber nicht hier.
Ich wollte sie nicht zuerst retten um dann nachträglich selber ins Haus zu klettern, damit der Rucksack mitkam. Laut Notfallhandbuch (Seite 1) war hier die Reihenfolge falsch.
Kommandozentrale an „Elke 13“: „Spinnst Du? Gib mir doch erst einmal den Rucksack“. Leicht ungläubig aber dann doch verständig rutschte sie zurück in ihr Verlies. Nachdem ich den Rucksack hatte, konnte ich die Rettung starten.
Sie kletterte auf das WC und drückte sich vom Waschbecken ab, das
bedenklich knirschte aber hielt.
Ich brach die Rettungsaktion ab. Wenn sie mit dem Kopf voran aus dem Fenster stieg, würde sie aus der 160 cm hohen Erdumlaufbahn kopfüber auf den Asphalt stürzen. Also drückte ich ihren Kopf erneut zurück.
12 Minuten.
Ich erklärte das Vorgehen: Sie (ich verkniff mir „Elke 13“) sollte versuchen, sich an dem Gitter für Behinderte hochzudrücken, damit das Waschbecken nicht abbrach! Danach sollte sie sich rückwärts aus dem Fenster bewegen, wo ich ihr dann unter die Schultern griff, damit die nicht hinfällt. Auf gut deutsch: Mit dem Hinterteil zuerst aus dem
Fenster. So konnte sie dann auch auf dem Fahrwerk, ihren Beinen, landen.
10 Minuten.
Die Rettungsmission begann und alles funktionierte reibungslos, „Elke13“ war gerettet!
Als Elke endlich sicher stand, toste hinter uns Applaus auf. Ich hatte komplett vergessen, dass wir am Marktplatz waren. Hinter uns waren mindesten sechs Restaurants, von denen etliche Tische besetzt waren und viele unser ungewolltes Entertainment genossen haben.
„Diese Aliens sind auch überall und gaffen“ sagte ich mir still.
Hochrot im Gesicht schnappten wir uns
unsere Rucksäcke und verschwanden in Richtung Bushaltestelle.
8 Minuten. Perfektes Timing.
Im Bus fragte ich mich, wo der echte „Supermann“ heute eigentlich war.