Prolog
„BFF“ – diese drei Buchstaben zieren momentan sämtliche Schulhefte, Notizblöckchen, Radiergummis, und Körperteile (!) meiner Achtjährigen.
Interessiert – und ein bisschen genervt - frage ich sie, was es damit auf sich hat.
„Mama“,sie schüttelt verständnislos den Kopf. „Das weiß doch jeeeeder! Best friends forever!“
Ich lächle in mich hinein.
Haben wir alle doch diese Phase durchlebt. Und was war sie spannend und tragisch zugleich! Verhaltensregeln gab es keine: Heute beste Freundin, morgen
vorbei, übermorgen auf Ewigkeit verbunden!
Wir waren jung, unzertrennlich und hoffnungslos dramatisch. Unsere Mütter brauchten so manche Nerven, um uns auf dieser Achterbahn der Gefühle und Launen zu begleiten.
Einige Jahre später zeichneten sich unsere Freundschaften meist durch die unermüdliche Suche nach der Liebe unseres Lebens aus. Wir Freundinnen bildeten DAS Netzwerk hierzu und standen uns gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite.
Wir waren noch immer jung, unzertrennlich, niemals müde übrigens und noch immer hoffnungslos
dramatisch.
Und es gab einen Verhaltenskodex.
„Ist heute nicht dein Obst-Tag?“ Bine schaute mich angriffslustig an. Rhona, die bis grade eben noch damit beschäftigt war, ein rehäugiges Gesicht für den Typen am Tresen schräg gegenüber aufzusetzen, rückte begeistert näher: „Ein Obst-Tag? Sag bloß du bist auf Diät“. Mit Adleraugen studierte sie mein Aussehen. Ihr Blick blieb oberhalb meines Gürtels hängen. Mein T-Shirt begann erst eine Handbreit darüber und ließ den Blick frei auf eine nicht unauffällige Speckfalte. Mist! Unwillkürlich zog ich den Bauch ein. „Davon hast du uns ja gar nichts erzählt.“ Beleidigt verzog sie den Mund.
Die Preisgabe eines Diätvorhabens
gehörte zu unserem Freundschafts-Codex. Sie war sozusagen der Vertrauensbeweis. Sich der Schmach bewusst zu werden, dass die Waage mal wieder viel zu viel anzeigte, war die eine Sache. Diese unabänderliche Wahrheit jedoch vor den anderen preiszugeben kam der katholischen Beichte gleich.
„Erzähl schon!“ Rhona kniff mir in die Rippen. „Wieviel sind´s denn dieses Mal?“ Ich warf Bine einen wütenden Blick zu und verfluchte den Tag, an dem ich ihr mein Herz ausgeschüttet hatte. Also natürlich nicht mein ganzes Herz. Wenn es einer von uns schlecht ging, dann machten wir das so: Wir riefen unsere Freundin noch auf der Arbeit an
und sagten ihr, dass wir sie brauchen. SOFORT. Das „Süße-du-weißt-dass-mein-Chef- ein Arschloch- ist-und-mich-nicht-früher-gehen-lässt“ quittierten wir mit einem leidvoll gehauchten „Ich-weiß-ich-muss-alleine-klar-kommen“. Was so viel hieß, wie: DU warst mein letzter Kontakt zur Außenwelt, bevor ich mich zu Romeo auf die Pritsche legte und den Apotheker-Cocktail einnahm! Unsere Freundin nahm sich dann natürlich doch sofort die Zeit und erfand eine plausible Ausrede für den Chef. Vielleicht erinnerte sie ihn einfach nur höflich daran, dass er ohne sie schließlich schon mehrmals die Einschulungsfeier der Jüngsten/das
Fußballspiel des Ältesten/den Hochzeitstag der Liebsten vergessen hätte. Keine zehn Minuten nach unserem Anruf stand die Freundin dann vor der Tür. Sie bekam einen Tee und einen Schokokeks und wir begannen schniefend zu erzählen, ohne Punkt und ohne Komma. Aus dem Tee wurde ein Glas Wein, aus dem Keks eine Auftau-Pizza und zum Abschied lagen wir uns in den Armen und schwörten uns ewige Treue. Einen Tag später liefen dann die Drähte heiß, am Telefon bedankten wir uns unter Tränen für den edlen Freundschaftsdienst der anderen, rühmten und lobten die treue Freundin fürs Zuhören und beteuerten, dass wir natürlich maßlos
übertrieben hatten. Was aber angesichts der dramatischen Lage, in welche wir so unvermittelt reingerutscht waren, vollkommen natürlich gewesen sei. Wir relativierten die Lage und baten die Freundin, das gestern Gesagte als das Brutto zu sehen, von welchem natürlich ein gehöriges Maß abzuziehen sei. Dann gaben wir einen möglichst sachlichen Überblick über das tatsächliche Sorgen-Netto.
Ich überlegte krampfhaft, ob ich nun Bine anfahren sollte, in Zukunft beim Telefonieren etwas besser aufzupassen, oder ob ich der Einfachheit halber eine Diät-Absicht kreieren sollte.
Meine beiden Freundinnen hatten
augenblicklich jegliches Interesse an Cocktails, Typen oder sonstigem verloren und nagelten mich mit ihren Blicken fest....
Nachwort
Rückblickend muss ich sagen, dass auch damals nicht alles besser war und uns unserer Regeln nicht immer zum erwünschten Erfolg geführt haben... weder was die Aufrechterhaltung der Freundschaft noch die Suche nach dem Märchenprinzen anging.
Doch unsere Freundschaften waren ganz echt, in Farbe und zum Anfassen.
Wir wurden nicht „geliked“ – sondern gemocht!
Es gab keinen „Shitstorm“, wenn wir es vermasselt hatten - wir mussten intuitiv und zum richtigen Zeitpunkt die kompliziert verstrickten Synapsen
unserer Freundin entwirren und sie VERSTEHEN.
Und wir haben die Freundschaft auch nicht per Knopfdruck beendet.
BFF – Best Friends Forever.
Ich weiß, es ist nicht immer einfach.