der Koffer
"Schaaaaatz, können wir los? fragte Elke, seine Freundin.
Andreas Blutdruck stieg schlagartig um 100 Punkte. Genau dieses "Schaaaatz, können wir los?" bedeutete, dass sie endlich bemerkt hatte, dass der Bus in Kürze fuhr.
Für Andreas bedeutete das Stress pur. Die zwei Koffer mussten aus dem dritten Stock nach unten getragen werden und sie schafften es nie, N I E die richtigen 20 Kilo pro Person zu packen. Also los. Er wuchtete den Rucksack auf seinen
Rücken und begann den Abstieg mit den mindestens 45 Kilo. Nach der dritten Stufe schlug er das erste Mal an das Treppengeländer - "Sorry liebe Nachbarn, es ist eilig".
Unten angekommen, zog er den Koffergriff hoch. Jetzt durfte Elke den Koffer ungefähr 60 Meter bis zur Straße ziehen, dann kamen die nächsten Treppen. 15 Stufen, danach war Elke 150 Meter bis zur Bushaltestelle dran.
"Puuh, geschafft". Andreas atmetet tief durch.
Als der Bus kam, schlenderte Elke zum
Busfahrer, hielt ihm die Fahrkarte unter die Nase und bat ihn, doch dem lieben Freund die Tür hinten zu öffnen.
Wie Freihanteln hob Andreas die Koffer in den Bus, in die Nähe von Elke, die selbstverständlich bereits saß. Andreas hatte einen Standplatz. Nun ja. So konnte er darauf achten, dass die Koffer in den fünf Minuten bis zur S-Bahn-Station nicht umfielen. Gleichzeitig musste Andreas darauf achten, sich mit dem schweren Rucksack nicht zu schnell zu drehen, damit kein Umstehender von seiner Kraft (und Wucht) in den Orbit geschleudert wurde.
Nach endlosen fünf Minuten mit dem Jonglieren der Koffer kam der Bus an der S-Bahn Station an. Andreas wusste genau, was auf ihn zukommt.
Zuerst zweimal 18 Stufen die Treppe hinunter (der Fahrstuhl ist 80 Meter entfernt und funktionierte genau wie die Rolltreppe meist nicht). Anschließend kam eine 15 Meter Etappe für Elke, um dann eigens wieder in das Training einzusteigen. Zweimal 23 Stufen.
Die Stufen waren für Andreas Routine. Täglicher Arbeitsweg. Endlich auf dem Bahnsteig angekommen, sah ihn Elke mit einem unzufriedenen Blick an.
Die zwei Scheiben Brot, die er ihr während ihres 30 minütigen Badezimmeraufenthaltes geschmiert hatte, drückten und zogen ihren Rucksack nach hinten. Kurz bevor die Bahn kam, hatte er die Stullen dann auch in seinen Rucksack reingepresst.
Die Bahn fuhr ein. Andreas freute sich. 15 Minuten Pause bis zum Hauptbahnhof. Schweißgebadet setzte er sich zu Elke. die schon Platz genommen hatte. Andreas lehnte sich erschöpft auf die beiden Koffer.die auf dem Gang standen und zu Unmut bei einigen Fahrgästen führten.
Endlich am Hauptbahnhof angekommen, ließ er alle Fahrgäste zuerst durch. Es war ihm klar, dass auch hier die Rolltreppen nicht funktionierten. Er wollte keinen Rückstau auf der Treppe erzeugen. Wer weiß, wie viele S-Bahnen dadurch vielleicht verzögert wurden. Gut erholt und fast durchtrainiert hievte er die Koffer hoch.
Endlich oben auf dem Steg angekommen, waren es nur noch 70 Meter für Elke bis sie endlich am Abfahrgleis 13 angekommen waren.
Andreas blickte vom Steg den Abgrund hinunter. Das sah wirklich gefährlich
aus. Mindestens drei mal 20 Stufen und keine anderen Gäste, bei denen man sich bei einem Sturz einhaken konnte.
Nun, Luis Trenker hat auch Höhenmeter geschafft. Er schnappte sich die Koffer und startete den Abstieg zur Fernbahn. Endlich waren sie unten angekommen. Das war jetzt eine Mutprobe ohne Gleichen. Vom Gipfel ins Tal.
Der Zug kam, die Türen gingen auf. Beidarmig flogen die Koffer in den Waggon. Als Andreas den zweiten Koffer an die reservierten Sitzplätze brachte, hatte Elke es sich bereits bequem gemacht. "Schatzi", mit großen Augen
sah Elke ihn an, "ich bin von der vielen Schlepperei total erschöpft". Elke hatte ihre Jacke bereits an einen Haken gehängt und saß ermattet am Fenster.
Andreas bot seine letzten Kräfte auf und wuchtete die Koffer in die Ablage. Dann sackte er genau so erschöpft wie Elke auf seinen Platz. "Reisen strengt immer so furchtbar an", seufzte Elke und sah ihren Freund an. Andreas konnte nur nach Luft schnappen.
"Schaaaatz, können wir los?", sagte Elke seine Freundin. Andreas kam in die Realität zurück und erschauerte. Er hatte einen Albtraum, bevor die Reise
überhaupt losging. Kurzfristig überlegte er, ob er die Koffervom Balkon werfen sollte. Im Treppenhaus abseilen, wäre auch noch eine Alternative.
Andreas wuchtete sich den Rucksack auf den Rücken und nahm die Koffer. Die Reise konnte tatsächlich losgehen.