bernhard
Wie jeden Tag biege ich um die letzte Straßenecke und freue mich schon auf daheim.
Freue mich auf meine aufgeräumte Wohnung, in der alles seinen Platz hat, und freue mich auf meinen lieben und treuen Bernhard.
Bernhard ist ein ruhiger Geselle.
Er schwätzt nicht viel rum und macht auch sonst nicht viel Aufhebens wegen seiner Person.
In seiner Gesellschaft lasse ich gern meine Seele baumeln.
Er ist anschmiegsam und sanft, doch wenn ich meine Ruhe brauche, hält er sich höflich zurück.
Das schätze ich an ihm sehr.
Ganz anders als diese selbstverliebten Gesellen, die mir früher meine Nerven geraubt haben!
Aufgeblasene Wichtigtuer … immer nur zwei Dinge im Sinn!
Fleisch und Sex. Sex und Fleisch.
Nervig! Echt.
Ich bin glücklich, dass ich meinen Bernhard gefunden habe.
So ganz anders – wie er eben ist.
Besser als alle anderen.
Über diesem Gedanken schmunzele ich und
danke nochmals meinem Schicksal für diese wunderbare Fügung.
Bei einem guten Gläschen Wein werde ich ihm gleich beichten, was ich mir, über den Tag verteilt, vor Wut und Zorn, wiedermal in den Rachen geschmissen habe.
Brauche mich wirklich nicht wundern, wie ich auseinandergehe …
Stressbewältigung geht bei mir durch den Magen.
Und ärztlich wurde mir bestätigt: ich bin kein Einzelfall.
Bernhard hat das nötige Verständnis!
Sein sanftes Lächeln und diese wunderbaren tiefgründigen Augen. In Gedanken schmelze ich dahin.
Meine Augen streifen die Schaufenster, an denen ich vorbeihusche.
Also nicht die Auslagen, sondern meine Person.
Also im fließenden Vorüberflug meiner Gestalt. Ich wirke auf mich wie ein Prachtschwein: Prall und rosig.
Mal unter die Lupe genommen – also genauer betrachtet, kostet unsere Fresserei echt ein Vermögen!
Manchmal weiß ich kaum, wie ich das alles ranschaffen soll …
Und auch an diesem wundervollen Abend machen mir die Einkaufstüten den Aufstieg schwer. Bernhard und ich wohnen im fünften Stock!
Doch die Vorfreude auf ein feines Essen und auch auf meinen treuen Freund helfen mir über die letzten Stufen hinweg.
Und schon suche ich, ein wenig aus der Puste und mit zittrigen Fingern die für den Schlüssel vorgesehene Aushöhlung, um die Tür zu öffnen.
Beim Eintreten trällere ich einen gutgelaunten Gruß über den Flur. Weiß ich doch, dass Bernhard garantiert in seinem Sessel sitzt und aus dem Fenster schaut. Sozusagen, den Verkehr von weit oben überwacht.
In dieser Hinsicht ist auf ihn Verlass.
Mein Bernhard hat die Ruhe weg und rührt sich keinen Zentimeter.
Derweil packe ich die Einkaufstüten aus.
Alles, was ich für unser Abendmahl benötige, bleibt auf dem großen blankgescheuerten Holztisch liegen.
Raus aus den Klamotten und ran an die Messer.
Schon wird alles von mir kleingeschnippelt, um dann in zerlassener Butter angebraten zu werden. Noch ordentlich Sahne zum Abrunden und schon ist mein leckeres Gemüse fertig.
Bernhard wird sicher etwas brummen, weil es schon wieder nur Grünzeug gibt, aber ich habe gelesen, dass zu viel Fleischkonsum nicht gesund sein soll …
Ich werde es ihm einfach nochmal erklären.
Oder?
Ein Blick in den Kühlschrank. Ich lege ihm diesen riesigen Kringel Fleischwurst mit auf seinen Teller.
Ach, da wird sich jemand freuen.
Den Pott Senf klemme ich mir unter den Arm und balanciere unsere Speisen gekonnt ins Wohnzimmer, wo Bernhard schon auf mich wartet.
„Na, mein Liebster. Sieh nur, was ich dir mitgebracht habe.“
Bernhard lässt sich gar nicht stören – beim Aus-dem-Fenster-schauen.
Ich zünde die Kerze an. Stelle mir ein Gläschen Wein zurecht. Versuche, es nicht persönlich zu nehmen.
Doch wenn er mich so völlig ignoriert …
Es regt mich schon ein wenig auf.
Ich gehe zu ihm hin und schiebe den Sessel, mitsamt Bernhard, an den Tisch.
Was soll ich machen, wenn sich dieser Kerl nicht bewegt!
Wir wünschen uns einen guten Appetit und schon lasse ich mir mein Gemüse schmecken. Insgeheim denke ich, dass ich das mal wieder richtig lecker hinbekommen habe.
Gern würde ich das ja auch von ihm hören. Doch er rührt seinen Teller nicht an.
Ich frage ihn, ob ihm die Wurst nicht gefällt. Nun, dann könnte ich sie ja für ihn essen.
Eigentlich ist mein Magen inzwischen gut gefüllt, aber es kommt nichts weg!
Deswegen greife ich kurzerhand über die
Tischplatte hinweg und kralle mir den Fleischwurstkringel.
Und den Senf!
Sonst kriege ich so viel Wurst nicht runter.
Und so stopfe ich mir das Zeug in den Rachen und esse gegen das Völlegefühl an.
Bernhard lächelt mild. Er sagt keinen Ton. Lächelt und lächelt.
Sehr mild.
Mir bricht langsam der Schweiß aus, weil mein guter Freund auch das Gemüse nicht anrührt. Ich tausche kurzerhand übellaunig die Teller, und esse und esse, damit beide Teller leer werden.
Meine Mageninnenwand drückt und mein Freund lächelt mich höhnisch an, als wollte er sagen, ich sei selbst schuld, dass ich so prall und drall bin, wie ich es immer beklage.
Aber er sagt nichts.
Kann er auch lassen, ich weiß sowieso, was in seinem Hinterstübchen abgeht!
Dieses haarige Ungetüm, das den ganzen Tag nichts weiter tut, als den Verkehr zu überwachen, die Skyline zu genießen, den Horizont zu erweitern!
Und ich arbeite und schufte, damit wir was auf dem Tisch haben! Lasse mir die Gemeinheiten der Kollegen gefallen …
Und der Herr macht mir am Abend das Leben echt schwer, verweigert die von mir zubereiteten Leckereien!
Soll wohl sein, dass ich mir seinen Teller schnappe!
Der kleine Teufel in mir macht es sich auf meiner Schulter bequem, um nichts von dem bevorstehenden Schauspiel zu verpassen. Und ich werde ihn nicht enttäuschen.
So viel ist mir in diesem Moment ebenfalls klar.
„Mein lieber Freund“, zische ich in gedrosseltem Tonfall, „wenn du mich weiter so überheblich angrinst, dann kannst du mich kennenlernen!“
Ich beuge mich bedrohlich zu ihm rüber.
Und dann räume ich den Tisch ab.
Angesäuert lasse ich das Geschirr in dem Waschbecken klirren.
Der Herr rührt sich nicht!
Heute überspannt er den Bogen.
Ich fühle die Wutrauchfontänen, die Ohren und Nase entweichen.
Ausgelöst durch die aufsteigende Hitze, die meinen Körper erfüllt.
Ausgelöst durch die Wut, die mir durch die Adern rauscht.
Im Spülwasser bringe ich das scharfe Messer auf Hochglanz.
Lange überlege ich nicht mehr.
Langsam ziehe ich die Klinge durch das Handtuch.
Mit diesem scharfen Gerät muss besonnen
umgegangen werden.
Ich stoße mich von der Spüle ab und ziehe in den Kampf.
Ich hatte ihn gewarnt, doch er lächelte nur überheblich. Gleich wird er mich für voll nehmen, da bin ich mir sicher!
Ganz sicher!
Mit vorgestrecktem Messer gehe ich auf ihn zu.
„Wenn du noch einen Wunsch hast, dann sag es jetzt“, drohe ich ihm, „du bist fällig, mein lieber Bernhard.“
Wie ein Zombie stehe ich vor ihm, die Klinge kreist vor seinem Gesicht.
Doch der Herr sagt nichts.
Er lächelt.
Seine treuen Augen …
Kurz tut es mir um sie leid.
Doch sie können Bernhard nicht retten.
Ich stoße zu.
Bittersüße Wut.
Diese Wut schenkt mir unermessliche Kraft.
Fühle mich stark und unbesiegbar.
Stoße zu.
Nicht einmal, nicht zweimal.
Hunderte Mal!
Vor mir liegt nur noch ein Haufen Dreck.
Mehr war er nicht.
Dreckhaufen er!
Wieder die Gewissheit: sie sind es alle nicht wert!
Zur Sicherheit hacke ich noch ein paar Mal auf ihn ein.
Kein Fünkchen Leben soll fortbestehen.
Dann lehne ich mich zurück.
Betrachte durch das flackernde Licht der Kerze, die Überreste.
Bis morgen früh sollte ich sie beseitigt haben, denke ich mir und spüle mit dem Wein nach.
Kurz funkele ich dem teuflischen Freund auf meiner Schulter zu.
Er nickt bestätigend.
Ich genieße die Ruhe.
Den Abend.
Die Nacht.
Bade in Vollkommenheit.
Ehe ich zu Bett gehe, schmeiße ich den ganzen Haufen Dreck in den Mülleimer. Beseitige mit der Fusselbürste die Reste vom Sessel.
Dann tapse ich zum Schrank.
Öffne ihn sachte.
Die Holztür knarzt.
Ich suche mir einen neuen Teddy aus.
Er soll mein neuer Freund sein.
Ich hebe ihn hoch.
Schaue in seine tiefbraunen Augen.
„Wie heißt du denn, mein Kleiner?“
Er lächelt mild.
„Bernhard“, flüstert er mir kaum hörbar zu …