Mit fließenden Bewegungen glitt er wenige Meter über die Wiese. Vom Nieselregen kurz davor glänzte diese silbern im Mondlicht. Etwas größere Regentropfen dazwischen vervollständigten das ganze, wodurch es aussah wie ein silbernes Plateau mit Diamantenen Einlässen. seine Arme waren seine Flügel. Wie das Möglich war? Mit genug Phantasie und Wille war in diesem Land, seinem persönlichem, nur für ihn vorbestimmten Land alles
möglich. Hin und wieder stieß er mit den Armen gegen etwas weiches und zugleich festes. Doch das störte ihn nicht, den er war sorgenfrei. Auch wenn es nur hier war, in seiner persönlichen Wunderland zu dem nur er Zutritt hatte. In der Welt in der er aufwuchs hatte jeder so eine Welt. Zumindest am Anfang des Weges des Lebens, der sich unbeirrt, bei manchen lang bei manchen kurz, seinen Weg durch ein unbekanntes Terrain zu bahnen
schien.
Unbeirrt flog auch er weiter seine Bahnen durch diese Landschaft. Stieg auf, sank ab, machte eine Fassrolle, alles unbeschwert. Auch unbeschwert knallte er immer öfter gegen diese seltsame Barriere. Und dann…
Er riss die Augen auf und lag, wie jeder Mensch der gerade aufwachte, in seinem Bett. Ein wundervoller Traum, selbst mit diesem merkwürdigem Ende. Es war seine Angewohnheit etwas im Bett nach dem Aufwachen zu verharren um sich an das Wachsein zu gewöhnen. Doch dieses mal war etwas anders. Den plötzlich begann er zu schweben und deutliche Bilder zu sehen die sich vor seinem inneren Auge so deutlich über das Bild der Realität legte, das es nur
schwer zu unterscheiden war. Dann wurde ihm klar, das er das Gefühl hatte zu schweben, gleichzeitig merkte er aber auch deutlich wie er mittlerweile auf seinen Füßen stand und sich laufend fortbewegte. Dann erkannte er das Bild, welches sich über das Bild der Realität gelegt hatte. Es war das Bild aus dem Traum, den er gerade hatte. Hatte sich der Traum mit der Realität vermischt? Aber wie konnte das sein? Alle Sorglosigkeit war wie abgewaschen. Er musste zur Arbeit, glaubte aber kaum
das er in diesem Zustand in der Lage wäre zu Arbeiten. Er könnte sich krankschreiben lassen. Doch was sollte er dem Mediziner, der ihm die begehrte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, von vielen nur gelber Schein genannt, ausstellen sollte, als Grund dafür nennen. Lügen kam für ihn nicht in Frage. Wenn es aufflog würde er als jemand dastehen der blau machen wollte. Und als folge für das anvertrauen der Wahrheit hatte er noch viel größere Ängste. Er selbst hielt sich nämlich schon für verrückt.
Was sollte da ein Außenstehender über ihn denken, wenn dieser wüsste wie abstrakt verzehrt, im Grunde schon gestört seine Wahrnehmung war?
Und wie würde eine solche Person reagieren, welche die Möglichkeit hatte ihn in eine geschlossene Einrichtung für psychisch Kranke unterzubringen?
Auch gegen seinen Willen.
Mit beiden Füßen fest auf dem Boden, schwebte er die Silbrig glänzende, mit Diamanten besetzte, Straße entlang. Die von der aufgehenden Sonne gelb-rötlich bestrahlt wurde und mit dem sanften silbergrau des Vollmondes eine kaum beschreibbare und sowohl abstoßende als auch magische Farbkomposition bildete. Am Busfahrer vorbei gleitend hatte er zumindest bereits verinnerlicht das er, auch wenn es sich so anfühlte, hier nicht mit Gedankenkraft zahlen
konnte. Seine Hoffnung war die Busfahrt, vielleicht würde sein Gehirn sich in der Zeit, die der Bus für die Strecke zu Arbeit brauchen würde, sich für einen der beiden Zustände, zwischen denen er offensichtlich zu schweben schien, entscheiden. Dabei war es ihm egal in welchen Zustand er fallen würde. Im reinen Wachzustand könnte er normal arbeiten gehen und wenn er plötzlich einschlafen würde könnte er damit zum Arzt gehen. Niemand würde wegen einer körperlichen Symptomatik gegen seinen
Willen irgendwo hin gebracht werden.
Bekräftigt wurde diese Hoffnung dadurch das der Zustand zu schwanken schien. Es war als würde er abwechseln mehr in Richtung des Wachseins rücken um dann wieder, immer tiefer, in Richtung des Traumes gleiten.
Für ihn machte dieser Prozess sich dadurch bemerkbar, das wahlweise die Traumeinblendung schwächer und die Realität intensiver wurde oder wahlweise auch umgekehrt die Realität verblasste und die Traumeinblendung stärker wurde.
Zu seinem Anfänglichem Entsetzen trat bis zu seiner Ankunft bei der Arbeit sein erhofftes Szenario nicht ein. Stattdessen stabilisierte es sich. Jedoch besaß er, was er sich vorher nie zugetraut hätte, ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit. Nach anfänglichen anecken und, durch ihn ausgelöste, Verwunderung bei Kollegen über sein Verhalten. Was er überraschend einfach mit Schlafstörungen erklären konnte, hatte er gelernt Traumrealität und Wachrealität voneinander zu
trennen. Am nächsten Tag, nach einem ausgiebigen Schlaf waren die beiden Phasen dann, zu seiner Erleichterung, auch wieder, wie gewohnt, klar voneinander getrennt. Doch einige Fragen blieben. Wie können zwei in dem Ausmaß gegensätzliche Wahrnehmungen gleichzeitig auftreten? Er war davon ausgegangen Schlafen sei passiv, während Wach sein aktiv sein. Doch dann müsste der aktive Zustand des Wachens den passiven Zustand des
Schlafens doch eigentlich verdrängen. Es mussten beides aktive Zustände sein. Doch wie wäre man denn dann in der Lage um zwischen den beiden unterscheiden zu können? Wie kann man, wenn man das einmal verstanden hatte, noch zwischen Traum ist gleich Phantasie und Wachzustand ist gleich Realität unterscheiden? Nach ausgiebigen, Monatelangen Nachdenkens und mindestens genauso intensiven Gesprächen mit einem Psychotherapeuten kam er schließlich zu seiner persönlichen Antwort in Form
einer Erkenntnis.
Realität sei das was das Individuum als Realität bezeichnete.