Kurzgeschichte
Fragebogen - Engel im Auftrag

Ich hasse es, Fragebögen auszufüllen. Ich hasse es wirklich. Doch warum habe ich dann zugestimmt, diesen bescheuerten Fragebogen über die Bahn zu machen?

Waren es die himmlisch Augen des Mannes, der mich gefragt hat, ob ich bei einer Umfrage mitmachen will? Oder war es doch sein Charme? Seine Art wie er mir den Fragebogen gegeben hat? Seine unglaublich langen Wimpern, für die so manch einer morden würde? Sein enges T-shirt, dass ahnen ließ, dass sich darunter der Traumkörper eines jeden Fitnesscenterbesuchers befand? Oder war es doch sein leicht Englischer Akzent der mich zum dahin schmelzen brachte?

Ich weiß nicht, was es war, vielleicht auch eine Mischung all dieser Faktoren, die mich in einem Anflug von Extase „Ja, ich will“ sagen ließ.

Doch nun saß ich in dieser uralten Bahn (deren Zusammenhalt mehr oder weniger nur mehr der Kaugummis zu verdanken war, die sich im Laufe der Zeit hier angesammelt hatten) vor meinem Fragebogen und fünf Reihen hinter mir der Traum meiner schlaflosen Nächte, sich mit einer alten Dame über das Wetter unterhaltend.

Ich hätte ihn auch etwas über das Wetter fragen sollen. Verdammt. Darüber reden Engländer doch den ganzen Tag, oder? Das Wetter. Doch ich wollte nicht gemein sein, ja ich konnte nicht gemein sein, nicht zu meinem Engel. Ich hätte ihn irgendetwas fragen sollen. Warum hatte ich es nicht getan?

Stattdessen sitze ich nun da, nicht wissend, ob ich bei Frage Nummer fünfundzwanzig (Wie empfinden Sie die Optik der Bahn?) d) schlecht, oder e) sehr schlecht ankreuzen soll. Ich entscheide mich schließlich für e), womit ich schließlich neunzehnmal e) angekreuzt habe und schaue wieder verstohlen zu meinem Traumprinzen hinüber, als er plötzlich den Kopf hebt und mir zunickt. Schnell schaute ich in eine andere Richtung, ich wollte es nicht riskieren, dass mich mein Engel mit tomatenroter Schamesröte im Gesicht sieht. Ich widme mich wieder meinem Fragebogen (mit den Gedanken aber immer noch bei meinem Prinzen) und kreuze ohne die Fragen zu lesen bei der ganzen restlichen Seite a) sehr gut an.
Doch ich kann der Versuchung nicht wiederstehen und blicke wieder zu meinem Engel auf Erden – genau in dem Moment, als er aufsteht und sich auf mich zubewegt. Mein erster Gedanke war: Oh, mein Gott! Was soll ich tun, was soll ich besser bleiben lassen? Was, wenn er mich für total verrückt hält? Wenn er mich anspricht? WAS VERDAMMT SOLL ICH MACHEN?

Ein Glück, dass es für solche Fälle immer noch das normale Schnipsen gibt. Schnips – und schon steht die Zeit still. Mitten in seiner Bewegung blieb mein Engelchen in der Bahn stehen, die Hand nach mir ausgestreckt – was für ein schönes Bild (okee, in Wirklichkeit hatte er die Hand nach einem Haltgriff ausgestreckt, aber egal).

Eigentlich war ich ein Engel. Aber leider war er keiner. Kein richtiger Engel jedenfalls. Keiner mit Engelsflügeln. Er war ein Engelsgesichtengel. Nur leider gab es einen kleinen Unterschied zwischen den beiden Engelssorten. Die Engelsgesichtengel waren sterbliche, die Engelsflügelengel waren da nicht mehr so lebendig. Was heißt da nicht mehr so – sie waren tot. Mausetot. Sarg-tot. Also ganz absolut tot.

Drei Mal dürft ihr raten zu welcher Engelskategorie ich zählte.