In einer idyllischen Kleinstadt, irgendwo in Deutschland, geht es seit Jahren sehr beschaulich zu. Jeder Einwohner grüßt freundlich seinen Nachbarn, wenn er samstags den Fußweg und die Straße vor dem Haus fegt. Beim Rausstellen der blauen, gelben oder braunen Müllsäcke spricht man übers Wetter,„ Die da oben“ und über Schnäppchen im Supermarkt. Sonntags, nach der Beichte in der Kirche, steht man anschließend gern noch ein wenig beieinander und schaut den Kindern beim Rutschen auf dem Spielplatz zu.
Der Bürgermeister und die Stadträte haben wenig Grund zum Streiten. Wichtiges klären sie bei Geburtstagsfeiern, Firmenjubiläen und manchmal auch gleich
im Sprechzimmer des Zahnarztes. Die Männer des Städtchens treffen sich abends auf ein Bier in der Kneipe und ihre Frauen kochen zu Hause in der Küche was Leckeres zum Abendessen.
Einmal im Monat sitzen die Frauen des Handarbeitvereins “Flotte Nadel“ zusammen und planen das Sommerfest, die Erntedankfeier und den Weihnachtsmarkt.
Die Jugend des Städtchens belegt seit Jahren immer erste Plätze beim Wettkampf der Feuerwehren, trifft sich im Winter hinter dem Geräteschuppen des Stadthofes und in heißen Sommern an der großen Linde mitten auf dem Marktplatz, um fröhliche Lieder zu singen.
Die örtliche Presse berichtet täglich vom Fleiß der heimischen Bauern und Handwerker, über den Fortgang der Straßensanierungen, über Anlagemöglichkeiten bei der Sparkasse, empfiehlt die Stadtwerke als besten Stromanbieter, gibt Ratschläge für ein gesundes Frühstück und informiert über die Öffnungszeiten der Müllkippe und des Arbeitsamtes.
Als der Apotheker im Mai beim Reiten vom Pferd fiel und der Schuldirektor beim Fernschach siegte, waren das die Aufmacher auf Seite eins. Fräulein Meier, aus der Schildergasse, die im vergangenen
Winter Kreismeisterin im Schlittschuhlaufen wurde, knipste der Chefredakteur sogar persönlich mit Krone und Blumenstrauß.
In den drei Zellen des örtlichen Polizeireviers lagert seit Jahren nur „Krims, Krams“ wie Gummiknüppel, Tütchen mit weißem Pulver und Düsen für Wasserschläuche.
Als vergangenes Jahr ein Auswärtiger auf der Straße drei Hühner überfuhr, kochte man in der Stadtsuppenküche Brühe für die Obdachlosen und für die Alten im Seniorenheim Frikassee.
Am Rande dieses idyllischen Städtchens
wohnte bis vor kurzem Herr Lehmann in einem kleinen bescheidenen Häuschen. Er war nicht verheiratet, hatte keine Kinder, jammerte und klagte nicht, grüßte den Bäcker und Apotheker und zog vor dem Bürgermeister und den Stadträten, wenn er sie auf der Straße traf, wie alle anderen den Hut.
Er war ein unscheinbarer, bescheidener Mann, der sein Auskommen hatte.
Niemand wunderte sich als Herr Lehmann vor einiger Zeit eine Kamera kaufte, damit durch die Straßen lief, mit den Leuten sprach und alles, was ihm so vor die Linse kam filmte.
In lauen Sommernächten stand er
stundenlang unter offenen Fenstern, hörte den Vögeln beim Zwitschern zu, filmte wie der Nachbar von der Nachbarin kam, den Bürgermeister mit Auto im Straßengraben und andere wichtige Personen des Kleinstädtchens bei ihren nächtlichen Geschäften.
Vor kurzem geschah etwas Seltsames in der idyllischen kleinen Stadt.
Herr Lehmann ging an einem Montag zum Postamt, kaufte dort Briefmarken, klebte sie auf große Umschläge und gab sie am Schalter ab. Freitags setzte er sich in der Kneipe dann unaufgefordert an den Tisch des Bürgermeisters zu den Stadträten und
gleich danach an den Tisch des Pfarrers. Der spielte gerade Skat mit dem Direktor des Gymnasiums und dem Juniorchef vom Bestattungsunternehmen „Abendfriede“.
Ungehalten und ärgerlich reagierte der Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke und der Chef der Sparkasse als sich Herr Lehnmann auch fünf Minuten zu ihnen setzte. Regelrecht peinlich war es dem Apotheker, der gerade mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden des großen Chemiekonzerns auf den unterzeichneten Vertrag anstieß, weil Herr Lehmann sich mit einem Glas Sekt ohne zu zögern zu ihnen gesellte. Nur der Polizeipräsident bemühte sich
persönlich um einen extra Stuhl, stellte ihn seinen Gästen, dem Amtsrichter, dem Staatsanwalt und dem Tierarzt vor und lud ihn zum Essen ein. Herr Lehmann lehnte dankend ab, nahm auch von ihm den Briefumschlag in Empfang, legte ihn in seine Tasche zu den anderen, schaute sich nochmal um und sagte freundlich: “Auf Wiedersehen meine Herren.“
Gestern sah man vor dem kleinen bescheidenen Häuschen von Herrn Lehmann einen Möbelwagen stehen. Nicht viel nahmer mit in seine große neue Villa in Berlin. Schon lange munkelte man im idyllischen Städtchen über das riesige
Grundstück mit den sieben Schlafzimmern, drei Bädern und den angeblich goldenen Wasserhähnen. Auch über wilde Partys im Swimmingpool und über die drei großen scharfen Wachhunde wusste der ein oder andere Bescheid. Vor den Männer in den schwarzen Anzügen, die nur albanisch und russisch sprechen und am Eingangstor alle Gäste kontrollieren, fürchtet man sich im Städtchen jetzt sogar ein kleines bisschen.
Herr Lehmann hat die erste Nacht in seinem neuen Haus gut geschlafen. Ausgeruht steht er, mit einen Glas Rotwein, am Fenster als sein Handy klingelt. Nur kurz schaut er aufs Display, dann hebt er ab, meldet sich und
unterbricht die Sprecherin nach zwei Minuten ärgerlich mit den Worten:
„Du hast genau drei Tage Zeit für den Deal liebe Angela, wenn am Montag der Seibert nicht mit den unterschriebenen Verträgen erscheint und du nicht endlich das Geld für Waffen locker machst, dann wird Wladimir oder Donald dir den Gabriel und die von der Leyen in kleinen Häppchen ins Kanzleramt schicken und du kannst schon mal Probesitzen im Zweitrollstuhl deines Finanzministers machen“
(C) Martina Wiemers
Buchcover: kostenloses Bild
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