Der Fluch
Die Party war privat. Erwin Kampe, der alte Schwerenöter hatte mich eingeladen. Schon wegen der guten, alten Zeiten.
Von wegen!
Erwampe, die gewichtige Knallerbse, hatte während der Schulzeit keine Gelegenheit ausgelassen, mich zu ärgern, mich zu mobben. Ich hasste damals den dicken Kerl und verpasste ihm den Spitznamen Erwampe, der sich aus Erwin, Kampe und Wampe zusammensetzte.
Aber da ich mir im Augenblick, nach meiner gescheiterten Ehe, ziemlich allein gelassen vorkam, nahm ich an. Besser, als daheim herum zu hocken. Erwampe war mir zufällig
über den Weg gelaufen und ich wunderte mich schon ein wenig, wieso er mich überhaupt bei seiner Party dabei haben wollte.
Ich ging also hin.
Er begrüßte mich auch überschwänglich und meinte, ich könne mich gleich in den Trubel werfen. Von wegen Trubel!
Ultramodernes Gesäusel untermalte die gelangweilt herumstehenden Gäste. Ich nehme an, es war ein musikalisches Verbrechen von Paul Kuhn.
Immerhin, ich war mit einem guten Drink versorgt. Von den Leutchen kannte ich niemanden. Allgemeiner Small Talk. Ich war isoliert und amüsierte mich so haltlos, wie eine Zigarre im Wassereimer.
Eine Weibsgestalt schnürte auf mich zu.
„Was für ein hübsches, neues Gesicht“, lächelte Sie.
Das hübsche Gesicht übertrieb genauso.
„Sie sind auch nicht ohne.“ Sie kicherte affektiert und wir stießen an.
„Zum Wohl!“
Wir plauderten. Eigentlich war es ganz angenehm. Ich plapperte und ich erkannte, dass sie außerdem ganz adrett aussah. Wieso war mir das nicht von Anfang an aufgefallen? Erwampe sprang herbei und störte.
„Alles in Ordnung mit euch beiden Turteltäubchen“, zwinkerte er.
Die Turteltäubchen lächelten um die Wette. „Erwin, mein Guter, wenn man Gespür hat,
dann subtrahiert man sich bei einer Liebesanbahnung.“
„Verstanden, liebe Karina! Auf gute Erleuchtung!“
Nach einer Weile fragte ich bei der sympathischen Karina nach.
„Was meinte er denn mit Erleuchtung?“ „Weißt du“, wir waren längst vertraulich geworden, „man sagt mir nach, ich hätte das zweite Gesicht.“
Ich staunte.
„Wirklich?“
„Ich habe schon vielen geholfen“, sinnierte sie, „auch bekannten Persönlichkeiten.“ „Wem denn“, war ich neugierig geworden. Sie sah mich entrüstet an.
„Diskretion, mein lieber Hans, Diskretion.“
Ich nickte.
„Komm, setzen wir uns mal draußen auf die Veranda."
Ich folgte ihr hinaus. Nein, ich war nicht liebeskrank, aber ein angenehmes Prickeln, gepaart mit Neugier hatte mich bemächtigt. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr erlebt.
Wir saßen auf den gemütlichen Gartenstühlen, fast nebeneinander.
„Wollen sie auch mal bei mir schnüffeln?“
"Du hatten wir vereinbart, oder?"
Ich zuckte.
"Willst du es mal bei mir versuchen? Ich meine nur so, unverbindlich."
Sie lachte und ich merkte wie unbeholfen ich mich benahm. Dann wurde sie ernst. „Wirklich?“
„Wirklich“, bestätigte ich fest.
„Geben Sie mir mal die Handfläche.“
Ich gab, sie las.
Plötzlich wurde sie weiß, wie die Wand.
„So schlimm?“
„Ein Fluch“, röchelte sie.
Ich erschrak.
Das Ende vom Lied war, dass ich dringend einer „Reinigung“ bedurfte. Das Scheitern meiner Ehe wäre nur die Spitze des Eisbergs. Ich hatte bei der Unterhaltung mit ihr aus meinem Nähkästchen nicht nur geplaudert, sondern gleich das ganze, riesige Körbchen ausgeschüttet.
Bei diesem Fluch wäre das Scheitern auf der ganzen Linie normal. Sie könne mich kaum erlösen.
Erwampe gesellte sich zu uns, erkannte die Tragik sofort und bejammerte mich.
„Schlimm, schlimm“, sagte er ein ums andere Mal.
Karina torkelte entsetzt von dannen.
„Mal sehen, ob ich etwas für Dich tun kann.“
Der Tausendsassa Erwin konnte.
Karina hätte sich schweren Herzens überreden lassen zu helfen. Sie sähe eine geringe Chance dem Fluch entgegen treten zu können.
Zu meiner Rettung verabredete ich mich am nächsten Tag wieder in der Wohnung von Erwin Kampe.
Karina war natürlich auch da.
Sie hatte etwas Hexenhaftes an sich, weil an
den Ohren Klunker hingen, ein großer Diamantring ihren Finger zierte. Ich erkannte sofort, dass er extrem edel war.
Kein Wunder bei der noblen Kundschaft. Sie verdiente offensichtlich nicht schlecht und ihr Glitzerumhang war natürlich quasi ihre Berufsbekleidung.
Erwin führte uns in ein dämmriges Nebenzimmer.
Ich gab ihm die vereinbarte Summe zu meiner Erleuchtung.
5.000 € waren kein Pappenstil, aber Erwin versicherte mir, dass er Karina immerhin erheblich herunter gehandelt hätte. Nur für mich hätte er sich überhaupt bei seiner wohl geschätzten Freundin so ins Zeug gelegt.
Sie hätte eben sonst nur hochgestellte
Persönlichkeiten als Kunden.Er meinte ganz jovial. "du musst mir nicht danken."
Das Geld war natürlich vorab fällig und er würde es bis nach der Sitzung verwalten. Geld dürfe sich nämlich bei der „Austreibung“ nicht im Zimmer befinden, genauso wenig, wie irgendwelche, sonstige Metalle.
Einen Metall Scanner hatten sie nicht, aber ich lieferte freiwillig das Taschenmesser aus der Schweiz ab und ebenso meinen Schlüsselbund. Mein Portmonaire behielt ich. War inzwischen sowieso absolut leer. Auch Ausweise führte ich niemals mit mir.
Ich trat also ein und saß Karina gegenüber. Ich hoffte, ich bangte, dass es klappen würde. Sie versetzte mich in Trance, mehr weiß ich nicht.
Ich wachte auf und war so diffus beieinander, dass ich vom Stuhl stürzte und Karina gleich mitriss.
Es dauerte, bis wir uns wieder in dem Dämmerlicht sortiert hatten.
„Hast du dir etwas getan“, fragte ich besorgt. Sie machte überraschender Weise ein glückliches Gesicht.
„Das muss ein ganz unheimlicher Fluch gewesen sein“, strahlte sie.
„So eine unglaubliche Reaktion habe ich noch nicht erlebt! Er hat dich praktisch mit Getöse verlassen. Ein Beben ging durch das Gefüge.“
Ich lachte jetzt auch erleichtert.
„Das hat dem Schweinehund bestimmt nicht gepasst, wie er da von dir vertrieben wurde."
Wir gingen wieder zu Erwampe ins Wohnzimmer. Er sprang auf
„Und?“
„Es hat geklappt“, lächelten wir.
Karina nahm das verwahrte Geld entgegen und sah mich entschuldigend an.
„Ist schon in Ordnung“, winkte ich überglücklich ab.
„Jetzt geht es mit mir wieder aufwärts. Ich fühle mich auch richtig erleichtert, als ob man mir einen Amboss von der Brust genommen hätte.“
Karina wirkte plötzlich erschöpft.
„Es hat mich doch mehr mitgenommen, als ich dachte“, presste sie hervor und sank in die Couch.
„Sie braucht jetzt Ruhe, du verstehst?“
Kampe schob mich hinaus und ich bedankte mich noch einmal überschwänglich.
Er schloss die Türe und ich ging eine halbe Treppe nach unten.
Dann aber schlich ich zurück und lauschte.
Irres Gelächter klang durch die Türfüllung. „Hansi war schon immer ein Vollpfosten, wie er im Buche steht! Ich brauchte das dumme Schwein bloß ein wenig zu ködern“, knallte er mit dem Sektkorken.
„Du warst übrigens auch nicht schlecht.“
„Guck dir das an“, schrie sie, „5.000 €! Der hat wirklich nicht alle Tassen im Schrank. Und wie er mich angeglupscht hat, der fade Langweiler.“ Sie lachte aus vollem Hals.
Ich schlich wieder nach unten.
Auf der Straße überlegte ich. Irgendwie hatte Karina schon Recht gehabt. Mein Beruf war der Grund der Scheidung gewesen. Ich beschloss mich nicht weiter zu grämen.
Ich war endlich das blöde Falschgeld los geworden. Ich hatte es schon wegwerfen wollen, oder verbrennen, aber so war es besser.
Und morgen würde ich sehen, welchen Preis ich für Karinas Diamantring im Leihhaus erzielen würde.
Ein Trickbetrüger zu sein, hatte auch seine Vorteile.