Beschreibung
Wenn ein simpler Schaumfestigereinkauf Schicksal spielt...
Er wusste nicht, was mit seiner Entscheidung alles in seiner Hand lag. Dabei war es eigentlich gar nicht so schwer – Schaumfestiger „starker halt“ oder „extra starker halt“. Angenommen er würde sich für den Schaumfestiger mit extra starkem Halt entscheiden, so würde die nächste Kundin gezwungen sein, sich für den starken Halt zu entscheiden, da es vom extra starkem Halt nur mehr ein Exemplar gab. Das wäre ja nicht weiter schlimm, doch sie würde sich aufregen (was zusätzlich ihrem sowieso schon zu hohem Blutdruck nicht gut tun würde) und die nächstbeste Bipaangestellte fragen, wann sie denn wieder neue Schaumfestiger bekommen. Und durch all dieses Fragen und Aufregen würde sie Zeit verlieren (Zeit, die sie sowieso nicht hatte, da sie die Kinder in der Mittagspause vom Kindergarten Zur Tagesmutter bringen musste) und durch diesen Zeitverlust würde sie den Bus verpassen (noch ein zusätzlicher Minuspunkt für das Herz).
Sie würde sich lautstark darüber aufregen, dass die Busse ja eigentlich nicht nach Zeitplan sondern zu früh abfuhren, was die Aufmerksamkeit von ein paar eisschleckenden Touristen auf sich zeihen würde (und der kleine Justin wäre so beeindruckt von diesem Gefühlsausbruch, dass er vergessen würde sein Eis zu schlecken, sodass sein Himbeer-Schoko-Vanilleeis in großen Tropfen auf sein eben gekauftes Hilfiger T-shirt tropfen würde; (abgesehen vom bekleckerten Marken T-shirt sah er dabei aus wie ein Pudel nach einer fehlgeschlagenen Rosafärbung des Fells; die anschließende Predigt der Mutter, dass man fremden Leuten nicht hinterher schauen soll, sondern sich um seinen eigenen Kram zu kümmern hatte, wäre teilweise verständlich)).
Doch nun wieder zu der Bipakundin, die den Bus verpassen würde (wenn sich denn der Kunde von vorhin für das extra starke Schaumfestiger Modell entscheiden würde), die von der ganzen Eisgeschichte nichts mitbekommen hätte, und sich nun (sauer auf den Busfahrer) an der Bushaltestelle eine Gratiszeitung nehmen würde und dort auf den nächsten Bus warten würde. Sie wäre zwar immer noch leicht verärgert, wenn sie in den nächsten Bus steigen würde, doch die Tatsache, dass es anderen Menschen auch nicht immer prächtig ging (was nicht alles in einer Gratiszeitung drinnen steht…), würde ihre Stimmung verbessern. Ihr restlicher Tag würde keine Pannen mehr beinhalten, die Kinder würden zur Tagesmutter gebracht werden, der neue wunderschöne Pullover, den sie sich schon vor 3 Wochen hatte kaufen wollen, würde endlich verbilligt werden, die neue InTouch würde auch ausgelesen werden und die neuen Kondome, die seit einem halben Monat unberührt in der Nachttischschublade liegen, würden auch diese Nacht dort drinnen bleiben, denn sie würde sich sicher sein, dass sie an dem Tag nicht schwanger werden würde (ein Fehler, den sie spätestens neun Monate später bemerken würde).
Dies alles würde so passieren, wenn sich er erste Bipakunde für das Modell „extra starker Halt“ entscheiden würde, doch was würde geschehen, wenn er sich um entscheiden würde? Wenn sich die Hand des Kunden zum „starken Halt“ hinbewegen würde? Nun, gut, dass der Kunde nichts von den Folgen seines Schaumfestigerkaufs weiß, denn es würde ihm die Wahl vielleicht erleichtern. Er würde sich nämlich (mit dem starken Halt in der Hand) zum Ausgang der Bipafiliale begeben, um das Haarprodukt zu kaufen. Er würde nichtsahnend zur Kassa gehen und sich den Kopf darüber zerschlagen, wie denn die Dinger heißen, die die Ware des Kunden von der Ware des anderen Kunden trennen. Doch anstatt sich mit unsinnigen Sachen zu beschäftigen, wäre es besser gewesen, wenn er darauf aufgepasst hätte, wo er hintreten würde, denn er würde dem kleinen Dackel der alten Dame auf das hintere rechte Bein steigen.
Das Tier (welches im dem Moment nicht wissen würde wie ihm geschah), würde kreischend (sofern Dackel kreischen können) aufheulen und sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Der Kunde mit dem Schaumfestiger würde Reue empfinden und sich dafür entschuldigen, er würde dem Tier eine Packung Leckerlies kaufen, doch die alte Frau (arm - weil sie ihr ganzes Geld verspielt hatte - , verbittert - weil ihr Mann vor zwei Wochen eine 20 Jahre jüngere geheiratet hatte - und hässlich - dafür konnte sie nichts - ) würde die Entschuldigungen nicht annehmen und schleunigst das Geschäft verlassen. Sie würde mit den Leckerlies nach dem Schaumfestigerkunden werfen (ihr Hund, der solche Leckerbissen noch nie in seinem armen Hundeleben gerochen hatte, würde versuchen sich auf sie stürzen, doch ein Dackel ist nun mal nicht besonders groß und auch nicht besonders kräftig und so würde er sich wohl oder übel von seinem Frauchen zum Ausgang schleifen lassen).
Die ganze Straße würde sich nach der schreienden, verrückten Frau mit dem Dackel (der sich noch immer schleifen lassen würde) umsehen. Sie würde bei Rot über die Ampel gehen, Fußgänger, die ein Fahrrad neben sich her schieben würden von ihr beschimpft werden, was sie denn mit einem Fahrrad in der Fußgängerzone zu suchen hatten, und sie würde der ganze Welt zeigen, dass sie schlecht drauf war. Der Dackel würde währenddessen wie ein trotziges Kind aussehen, denn er würde immer noch keine Anstalten machen zu gehen, er würde sich die ganze Zeit schleifen lassen, und nicht genug Kraft haben um die alte Frau anzuhalten.
Doch irgendwann, nach zweiunddreißig beschimpften Fahrradschiebern, siebzehn bei Rot überquerten Ampeln und einhundert dreiundsiebzig schräg kassierten Blicken, würde der Dackel all seine Dackelkraft zusammennehmen und sich mitten auf einem Zebrastreifen so schwer machen, dass sein Frauchen stehen bleiben würde. Er würde sich nicht mehr von der Stelle bewegen und die Frau, die dieses Mal keine Ausnahme bei den Ampeln machen würde, würde das kommende Auto mit schrecken erweiterten Augen ansehen und den Hund panisch schreiend alleine auf dem Zebrastreifen lassen. Sie würde zum Gehsteig laufen, sich in Sicherheit bringen wollen, doch da würde der Fahrer des sich annähernden Autos schon ausweichen und direkt auf dem Gehsteig landen.
Die alte Frau würde zwei Sekunden später tot unter dem Auto liegen.
Dem Dackel würde nichts passieren.
Die Gratiszeitung von der Bushaltestelle würde die ganze Sache als eine tragische Unfallstory umschreiben und von einer alten Frau berichten, die für ihren Hund gestorben sei.
Der Bipakunde würde davon nichts mitbekommen, er würde im Moment des Unfalls den neuen Schaumfestiger ausprobieren und sich darüber ärgern, dass der Kerl von der Wettervorhersage für die nächste Woche Regen predigen würde. Regen, Regen und noch mehr regen. Da würde selbst kein ultra starker extremer Halt helfen.
Doch davon wusste der Mann nichts, er stand immer noch vor den Haarpflegeprodukten im Bipa; „starker Halt“ in der rechten Hand und „extra starker Halt“ in der linken. Eine Entscheidung, die für einen Menschen das Ende bedeutete und für einen anderen Nachwuchs. Und so stand er da, den Blick vom einen Produkt zum anderen schwenkend, nicht wissend, dass er den Tod in der einen und das Leben in der anderen Hand hielt.