Vorgabewörter:
- tätowieren
- Vulkanlandschaft
- unseriös
- unerlaubt
- qualvoll
- Morgentau
- Chipkarte
- Zeitung
- Rezeption
- inflagranti
- Deckentäfelung
- Toilettenpapierhalter
Ein neuer Tag bricht an. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Ritzen der Bretterwand. Ich spüre die Wärme, öffne langsam die Augen und betrachte das Schauspiel der tanzenden Staubkörner. Mein knurrender Magen treibt mich an und noch ziemlich verschlafen mache ich mich auf den Weg. Um zur Küche zu gelangen, muss ich mich an der Rezeption des Hotels vorbeischleichen.
Am Dienstboteneingang wird es heikel. Die hübsche Marie, eine der vielen Zimmermädchen, scheint gerade Dienstbeginn zu haben. Auf ihren Schuhen glänzt noch der Morgentau. Das arme Ding, kaum Geld für ihre bescheidene Wohnung, geschweige denn um ihr Kind zu ernähren,
aber immer ein Lächeln im Gesicht. Oft genug habe ich ihr leises Weinen, beim Herrichten der Zimmer, durch die Deckentäfelung gehört. Zum Glück hat sie mich nicht gesehen. Den Trubel, den meine Anwesenheit verursachen würde, kann heute keiner gebrauchen. Weiß ich doch genau, welch besonderer Gast hier erwartet wird, alle Zeitungen sind voll davon.
Still und unbemerkt erreiche ich mein Ziel, das Küchenparadies. Während die beiden Köche in eine Diskussion, über tätowieren lassen oder nicht, vertieft sind, bietet sich mir die Gelegenheit, mir unerlaubt den Bauch vollzuschlagen. Gesättigt und überaus zufrieden, setze ich meinen Streifzug fort. Schon seit geraumer Zeit überlege ich, wie ich
Marie nur helfen könnte, bisher blieb allerdings die erhoffte Erleuchtung aus.
Die rege Betriebsamkeit im Hotel bietet mir heute ausreichend Gelegenheit, mich unauffällig überall hin zu bewegen. So kommt es, dass ich in der Suite des besonderen Gastes gelandet bin. Vor lauter Staunen fehlen mir die Worte, es gibt sogar einen goldenen Toilettenpapierhalter. Soviel unnötiger Firlefanz für einen ziemlich unseriös wirkenden Superreichen, schießt es mir durch den Kopf.
Der nächste Morgen läuft ähnlich ab. Gesättigt beobachte ich die Ankunft des Gastes. Mit spitzen Fingern nimmt dieser die Chipkarte in Empfang. Sehr darauf bedacht,
möglichst wenige Berührungspunkte mit dem, in seinen Augen, niederen Volk zu haben. Angewidert von dieser Arroganz, begebe ich mich auf meinen üblichen Streifzug. Qualvolles Wimmern reißt mich aus meiner Routine. Ich halte inne, spitze die Ohren und folge dem Weinen. Meine Augen erblicken Marie, die tränenüberströmt in einer Vulkanlandschaft aus dreckiger Wäsche sitzt. In ihren Händen hält sie einen 500 Euro Schein. Maries leise Worte, wie sehr ihr dieser Schein das Leben erleichtern würde, während eine andere Person ihn achtlos in seiner Schmutzwäsche vergisst, dringen an meine Ohren. Ich sehe den Zwiespalt, der in ihr tobt. Dennoch steckt sie das kostbare Gut zurück in die Innentasche des Jacketts, wischt
ihre Tränen fort und geht wieder ihrer Arbeit nach.
Zur Feierabendzeit beobachte ich eine überaus überraschte Marie. Wie jeden Tag geht ihr prüfender Griff, nach dem Wohnungsschlüssel, in ihre Jackentasche. Doch dieses Mal befindet sich darin nicht nur der gewohnte Schlüssel, sondern auch eine kleine Überraschung, die ihre Augen ungläubig zum Strahlen bringt.
In meinem Versteck atme ich froh und erleichtert aus. Fast hätte Marie mich inflagranti dabei erwischt, wie ich den 500 Euro Schein in ihrer Tasche versteckt habe. In letzter Sekunde konnte ich aus ihrer Jackentasche krabbeln und das Geheimnis ihres Gönners wahren.
© M.Rethorn 20.05.2017