Ich bin Lyriker
Lola saß auf der Couch und kratzte sich zwischen den Beinen.
"Alles Scheiße".
Mike ging zu ihr rüber, legte den Arm um sie und zog sie zu sich.
"Alles auch nicht Süße."
Dann schwiegen sie. Nichts im Raum erinnerte an gute Zeiten, nichts roch noch nach Frühling, oder Aufbruchstimmung. Nur der Fernseher füllte den Raum mit Versprechungen.
"Weißt du, Mike, ich glaube ich hab einfach keine Lust mehr", sagte sie ein paar Minuten später, " es ist alles im Arsch, einfach im
Arsch."
Mike stand auf, öffnete das Fenster und ließ einen Moment des Abends herein. Es war August und ein Geruch von Langeweile und Vergangenheit drang ins Zimmer. Irgendwoher kamen leise Musik. [i]In my time of dying[/i].
"Ich bin Lyriker, Schatz. Ich kann sonst nichts. Ich schreibe Gedichte die keiner lesen will. Ich schreibe einfach Sachen. Nichts Bedeutendes, aber ich schreibe Sachen. Für die ganzen idiotischen Leute, die das nicht lesen wolle. Und ich schreib Sachen für dich, die du nicht lesen willst. Ich brenne, aber du sitzt nur rum und jammerst."
Lola machte den Fernseher lauter. Es lief
Shopping Queen. Das Thema lautete "Mach dich schön in apfelgrün". "Wenn ich doch wenigstens mal was erleben würde. So wie die hier. Die kaufen sich schicke Sachen und haben Spaß. Und wir? Wir hängen hier rum. Hat nichts mit Jammern zu tun. Ist einfach nur Scheiße." Dann schaltete sie den Fernseher aus. "Ja, du bist Lyriker. Ein toller, erfolgloser Lyriker. Und ich hab nichts zu essen, nichts anzuziehen und die Miete können wir auch nicht mehr bezahlen. Tolle Kiste, echt tolle Kiste."
Dann ging sie ins Bett. Mike blieb am offenen Fenster stehen, sah hinaus und beobachte zwei Katzen, die sich hinter
den Mülleimern versteckten. Er sah Erwin, wie er die Müllsäcke durchsuchte und Kimmy, die zur Arbeit ging. Zwei drei Freier in einer Nacht. Mehr nicht. Sie war 24 Jahre und hatte das meiste schon hinter sich. Aus irgendeiner Ecke hörte er streitende Männer, wärend der Mond sich hinter dicke Wolken schob.
Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, nahm einen kräftigen Schluck und setzte sich an die Schreibmaschine. So saß er ein paar Stunden. Mit leerem Blick und keiner Idee. Dann ging er auch ins Bett. Lola schlief schon fest und sah aus wie ein gestrandeter Engel. Aber er war kein Retter, kein Messias. Er war noch
nichtmal ein Träumer. Träumer können sich so gut verstecken, hinter ihren Täumen. Er aber war nackt. Im Mittelpunkt aller Defizite.
Er ging zurück ins Wohnzimmer, zurück zu seiner Schreibmaschine.
Wie schon seit vier Jahren. Kein Wort blieb auf Papier zurück, tausend Worte flossen von den Tapeten, mitten hinein in sein empfindliches Leben.