Biografien & Erinnerungen
Das Leben nimmt

0
"Das Leben nimmt"
Veröffentlicht am 04. Mai 2017, 246 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: rangizzz - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Das Leben nimmt

Das Leben nimmt

Rückblickend fühlt sich alles falsch an. Rückblickend war alles ein Fehler. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Ich hätte nie so alt werden dürfen. Hätte nie bis hier hinkommen sollen. Ich hätte aufgeben müssen, als es so weit war, statt erneut aus dem Dreck aufzustehen und weiter zu machen. Manchmal ist es besser liegen zu bleiben und Dreck zu fressen. Aber manchmal ist es wichtig, sich den Staub aus dem Gesicht zu wischen und erneut zu stehen, zu gehen und voran zu kommen. Egal ob mit festem Blick und klarem Ziel oder ängstlich und zögernd. Ich bin häufig gefallen, lag lange Zeit still und habe es doch immer wieder geschafft aufzustehen

und weiter zu machen. Nicht selten habe ich mir in die Augen gesehen und unter bitteren Tränen mir selbst diese eine Frage gestellt. Warum. Warum machst du weiter. Warum stehst du. Warum kämpfst du. Für was kämpfst du. Ich bin um Himmelswillen keine Kämpfernatur. Ich habe nur irgendwie gelernt aus dem Schatten zu treten und am Rande des Lichtes zu gehen. In das Licht selbst wage ich mich nicht, wer häufig fiel sollte nicht zu große Schritte wagen. So schreibe ich diese Zeilen nieder und befreie meinen Kopf, welcher über die Jahre immer mehr aufnehmen musste. Meine schmalen Schultern tragen eine arg schwere Last. Es gab eine Zeit, da

hätte ich allen Frust in mich gefressen, wortwörtlich. Ich hätte mich mit Süßkram vollgestopft und mich dann gehasst. Aber heute, heute mit fast 30 Jahren möchte ich erwachsener, weiser entscheiden und mich befreien. All den Dämonen, die in meinem Kopf lauern und sich eingenistet haben den Mietvertrag kündigen. Und so schreibe ich meine Biografie und entledige mich all der ungeliebten Untermieter.

Die Gedanken der Gegenwart

Haben Sie schon einmal in Ihre Augen gesehen und sich gefragt, wer Sie sind. Haben das berühmte Leuchten gesucht, dass den Blick eines Menschen ausmacht und sich dann enttäuscht in der Realität wiedergefunden? Es ist Routine, sich selbst anzusehen und sich nicht mehr zu realisieren, sich nur noch als einen Schatten mit alternden Gesichtszügen wahrzunehmen, ohne jede Kontur. Vielleicht sehen wir die ein oder andere Veränderung: graues Haar, Krähenfüße, Pickel oder diese unschönen Marionettenfalten um die Mundwinkel.

Aber wer sieht sich schon so genau an, dass er sein Gesicht beschreiben kann.

Ich hasse den Blick am Morgen. Diese einfallende, alte, faltige, aufgeschwemmte Fratze, mit diesen widerlich blaugrünen Augen und dem wilden roten Haar, dass sich nur unter größter Anstrengung kämmen lässt. Ich sehe aus, wie das Leben mich geformt hat. Alt, Müde Kaputt. 28 Jahre jung und die Augen einer alten Frau ohne jede Kraft, ohne jedes Leuchten, ohne jede Freude.

Ich wurde 1989, am 1. Februar geboren. Ein 7-Monats-Kind. Nichts

Besonderes. Ein weiteres, hässliches Leben, auf einer viel zu überfüllten Welt. Ein weiterer nerviger Schreihals. Ein weiterer Mensch, der Fressen Scheißen und Ficken würde. Nichts, was ihn außergewöhnlich macht. Nichts, was nicht Milliarden andere schon täten. Eben nichts Besonderes. Doch für meine Mutter war ich besonders. Nicht etwa, weil ich so ein wunderschönes, tolles Kind war, oder weil ich so früh zur Welt kam, sondern weil ich aussah, wie ich nicht hätte aussehen sollen.

Ich habe rotes Haar. Helle,

Sommersprossen überfüllte Haut, blaugrüne, manchmal graue, Augen. Nun fragt man sich - und, was ist so toll daran. Nichts. Nichts ist toll, wenn du aussiehst, wie die Affäre, die deine Mutter vor der Ehe hatte. Nichts ist toll daran, wenn du aussiehst, wie der Typ, der deine Mutter gebumst hat, kurz bevor sie den anderen Typen geheiratet hat. Nichts ist toll daran, wenn exakt dieser Typ dich in den Arm nimmt und feststellt, dass du nicht sein Kind sein kannst.

Ich wünschte manchmal, man könnte sich an die Momente nach der eigenen Geburt erinnern. Das Gesicht dieses Schweins

sehen, als es das Kind in den Armen gehalten hat, dass er nicht gezeugt hat. Die Fratze des Mannes sehen, der diese Alte, dumme, naive Frau geheiratet hat, die ihm ein Kind untergejubelt hat, um dann festzustellen, dass dieses Balg nicht seins ist.

Das ist der Punkt wo ich sage, ich verstehe ihn. Ich verstehe, dass er mich gehasst hat. Ich verstehe, dass er mich so behandelt hat, ich verstehe, dass er so ist wie er ist. Ich verstehe nur nicht, warum er so gehandelt hat. Ich hätte damals, in diesem Februar sterben

müssen. Vieles wäre besser gewesen, hätte man dem Leben seinen Kreislauf gelassen. Die Schwachen müssen gehen, die Starken sollen stehen. Ich vertrug die Muttermilch nicht. Kotzte jeden Schluck wieder aus und war binnen Tagen unterernährt. Ein Neugeborenes mit 1200 Gramm Lebendgewicht kann nicht überleben. Man hätte auf die Ärzte hören sollen. Sagt bye bye und lass mich ziehen. Man nahm mich mit heim, wollte mich in den Armen halten, wenn ich von dannen wanke. Doch aus einem mir unbekannten Grund, begann man zu kämpfen um das ungeliebte, ungewollte

Kind, dass nur so in die Welt schrie, welchen Fehler die Mutter begangen hatte. Und so mischte er Grießbrei unter die Muttermilch und ich nahm zu. Das Kind des anderen, fremden Mannes überlebte. Es gibt Tage. Viel zu Viele, nebenher gesagt, wo ich mich frage, ob es Gefälligkeit von ihm war mir zu helfen. Ich will ehrlich sein. Würde ich das Kind eines anderen in die Arme gestopft bekommen und man würde mir sagen, dass es sterben würde, ich würde das Loch ausheben. Nicht mehr. Nicht mal die Schaufel würde ich wegräumen. Aber er sorgte dafür, dass das Kind bleiben würde. Er half seiner Frau, die ihn

betrogen hatte und ihn nun zum Vater krönte. Vielleicht half er mir aus Verantwortung und Schuldgefühlen vor sich selbst. Ich glaube nicht, dass es Liebe war.


Er war zuvor schon einmal verheiratet. Wie lange zuvor weiß ich nicht. Aber er hatte drei Kinder, drei Söhne mit seiner ersten Frau. Die Ehe hielt nicht, Gründe gibt es bestimmt, doch kannte ich sie lange Zeit nicht. Ich weiß nur, dass von den drei Söhnen, einer gestorben ist. Er war mit seinem Sohn im Zug unterwegs. Das Kind lehnte sich aus dem Fenster und fiel aus dem fahrenden Zug. Er

reagierte zu spät und konnte nur noch zu sehen, wie sein Sohn in den Tod stürzte. Vielleicht war das Grund für sein Handeln mir gegenüber. Das Leben nimmt, das Leben gibt. Doch nie ohne Gegenleistung






>> Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran. Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann. <<

Bettina Wegner, 1978

Lass uns Kinder sein

Ich habe eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Meine Schwester ist aus einer alten Beziehung, vor der Ehe entstanden. Mein Bruder innerhalb der Ehe. Der ganze Stolz der beiden. Das eigene Kind. Ich war häufig eifersüchtig auf ihn. Es gab Tage da habe ich, in meiner kindlichen Standard-Blödheit meinem kleinen, zerbrechlichen Bruder die Pest an den Hals gewünscht. Er war das Goldstück, der Inbegriff purer elterlicher Liebe. Etwas, was ich bis heute nicht kenne. Wenn ich morgens in den Spiegel sehe und dieses Gesicht sehe, dann hasse ich es, mehr alles

andere auf diesem Planeten. Ich sehe aus wie sie. Je älter ich werde, desto mehr ähnle ich meiner Mutter. Ganz schlimm ist es, wenn ich meine Brille trage. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Mutter, sie ist eine wunderbare Frau, so voller Leben, voller Liebe, voller Stolz und Kraft aber eben nur für sich. Sie hat uns Kinder immer geliebt, immer mit mütterlichem Instinkt geschützt und fürsorglich umworben. Doch hat sie Abstriche gemacht. Wenn du einen Partner hast, der die Kinder bewertet, dann folgst du irgendwann. Und so wurde das Küken natürlich mehr geliebt, als die anderen beiden. Es war immer

komisch, diese Form der Wertung zu fühlen. Noch dazu, wenn man das Sandwich-Kind ist. Sie verstehen, der Mittelstreifen auf der Fahrbahn. Es heißt, dass Eltern ihr erstes und letztes Kind mehr hüten und bemuttern als das mittlere - und ja, es stimmt. So kann ich ihr fast keinen Vorwurf machen, dass sich meine Kindheit wie ein arg schlechtes B-Movie angefühlt hat. Und doch ist sie in meinen Augen Schuld daran. Hättest du nur einmal, nur ein einziges Mal hingesehen, statt in deiner dummen Traumwelt zu versinken, dann hätten wir nicht so leiden müssen, aber du musstest ja nur an dich denken, musstest ja nur in irgendwelchen

Fantasien stecken und die Welt um dich ausblenden. Nie hast du etwas hören oder sehen wollen, angeblich hättest du es nicht mitbekommen. Doch wie kann man als Mutter nicht sehen, das die Töchter, die man unter seinem Herzen getragen und unter Schmerzen zur Welt gebracht haben, misshandelt werden? Vielleicht war es die Liebe die Blind gemacht hat, die Überarbeitung die Müde gestimmt hat oder schlicht der Egoismus der leise is das Ohr flüstert, man solle sich doch ein paar Minuten gönnen.


Es gab bei uns eine Regel, die nie gebrochen werden durfte, brach man sie, wurde man bestraft. Nach 21 Uhr durfte

nicht mehr gesprochen werden. Man musste ins Bett, es war Schlafenszeit. Sprach man dennoch, so begannen die Minuten der Angst.

Ich weiß nicht mehr ob es Träume waren, oder Realität, die sich mit den Jahren des älter werdens in meine Träume geschummelt hat. Ich war 5 mickrige Jahre alt und habe kaum mehr klare Erinnerungen aus dieser Zeit und doch sind es Träume, Fetzen aus einem längst vergangenen Leben, die mich aufschrecken lassen und mir die kalte Angst in die Adern jagen. In diesen Momenten kann ich ihn hören. Die schweren Schritte auf dem altem Holzfußboden, das Klacken der

Türklinke, die heftig herunter gedrückt wird, die Tür, die er schnell hinter sich verschließt und dann die Bettdecke, welche absolut keinen Schutz vor Monstern birgt. Er reißt sie vom Bett, legt die schmalen, zarten Mädchenkörper frei und greift sich das Bein, welches am nächsten ist. Dann zieht er den kleinen Körper zu sich, ignoriert das Weinen, das Strampeln der kleinen Beine und schlägt immer und immer wieder auf die zerbrechlichen Körper ein. Mit geballter Faust und schäumender Wut lebt er sich aus. Reagiert all den Frust des Tages an den Kindern aus um sich dann zu den zitternden Leibern zu beugen und zu flüstern. Es sind Worte die brennen sich

in das Gehirn ein und bleiben da. Ich wette wenn ich irgendwann im Sterben liege, dann sehe ich nicht mein Leben oder geliebte Menschen vor mir, sondern höre nur diese gezischten Laute in meinem Bewusstsein. Wenn ihr nochmal redet und ich nochmal kommen muss, dann knallt es richtig, dann hilft auch heulen nicht mehr. Und dann schmeißt jemand, genau wie damals, eine Decke auf mich und meine weinende Schwester nimmt mein kleines, von Tränen nasses Gesicht in die Arme und flüstert leise in mein Ohr. Du darfst nicht weinen, Kathi, wenn er dich hört geht es von vorne los. Und dann schlafe ich ein, geschüttelt von Angst, Kälte und Schmerzen und

fürchte mich vor der Dunkelheit und den Träumen, in denen die Schmerzen niemals aufhören.

Es gibt einen Grund warum ich all diese Worte niederschreibe. Warum ich an meinem Laptop sitze und statt sinnvoller Dinge diese Zeilen aufsetzte. Es ist ganz einfach zu erklären, ohne viel Tam-Tam. Ich zerbreche. Ich zerbreche an den Schmerzen in meinem Herzen. Zerbreche an der Trauer, an dem ständigen Kloß im Hals, an der Wut im Bauch, an dem Hass, den Vorwürfen, den Gedanken, an der Verantwortung. An meinem Leben. Ich frage mich Tag für Tag für Tag.

Wieso machst du weiter. Du bist einsam, du bist verzweifelt, du bist leer. Ja du atmest, dein Herz schlägt, dein Blut pumpt aber du bist tot. Nichts an dir lebt mehr. Du fühlst nichts mehr. Und mit jedem gottverdammten Jahr auf der Uhr zerfällst du mehr. Warum stehst du also immer noch morgen für morgen auf und fällst in die ernüchternde Routine des Lebens, während du bei jedem scheiß Geräusch zusammenzuckst. Wieso lebst du noch? Ich möchte Ihnen von meiner ersten, wirklichen Kindheitserinnerung erzählen. Ich war, glaube ich 6 Jahre alt. Mein Bruder knappe 4. Wir Kinder - oh Wunder- malten für unser Leben gern.

Ich hatte blöderweise auch noch Talent dabei. Und so kam mein Bruder an einem wunderbar warmen Sommerabend, voller Stolz in das gemeinsame Zimmer meiner Schwester und mir und zeigte ein typisches Kinderbild hoch. Irgendein undefinierbarer Dinosaurier und andere Kritzeleien. Nichts Spektakuläres. Jedoch gab es da diesen Umstand, der diesen Abend in mein Gehirn eingebrannt hat. Ich lachte. Nicht weil das Bild aussah, wie ein Kinderbild eben aussieht, oder weil ich nicht wusste was es darstellen sollte, sondern weil meine Schwester und ich vorab über irgendetwas, mir fällt ums Verrecken nicht mehr ein was, gelacht hatten. Und

so lachte ich weiter. Und mein Bruder begann zu heulen. So ein typisches Kinderheulen, mit allen Höhen und Tiefen, perfekter Theatralik laut und mit Rotzblasen an der Nase. Sabber der aus dem Mund läuft, einem knallroten Schädel und tränennassen Wangen. Und in diesem Zustand stapfte dieses kleine Schweinchen in die Stube und flennte dort in all seinen Fassetten weiter, während meine Schwester mich verzweifelt versuchte zu beruhigen. Ohne Erfolg. Wir hörten noch die schweren Schritte und dann begann ich vor Panik zu zittern. Doch noch bevor ich mich verstecken konnte, zog Papa die Tür auf,

griff mich an den Haaren und riss mich in die Luft. Es vergingen nur wenige Sekunden, doch umhüllte mich die plötzliche Stille, wie eine Schneedecke. Eiskalt, ohne jede Form der Liebe. Die Glieder beginnen taub zu werden und der Überlebensinstinkt übt seine letzten Zaubertricks aus. Man hört besser, riecht besser, sieht besser. Ich roch den Schweiß meines Vaters, sah seinen hasserfüllten, wütenden Blick und hörte den schweren Atem. Keine Schreie, kein Weinen, nur er und ich, gefangen in einem Tunnel aus Dunkelheit. Dann ließen meine Haarwurzeln mich im Stich. Mit einem Knacken fiel ich zu Boden. Keine Schmerzen, nur Taubheit.

Ich war bis zum Schopf im Schnee versunken. Dann fühle ich die klebrige Feuchtigkeit meinen Kopf herunterlaufen, roch das Magnesium und konnte das Blut förmlich schmecken. Ich griff mich an den Kopf, doch noch bevor ich die blutige, Haarlose Stelle berühren konnte, ergriff er die erhobene Hand und riss mich erneut hoch, kugelte mir die Schulter aus und prügelte auf mich ein. Der Schmerz traf mich wie seine Fausthiebe, doch erschreckte er mich nicht so sehr wie die plötzlichen Schreie meiner Schwester, welche wimmerte und weinte. Dann drang der scheußliche Schmerz meiner Schulter in mein Bewusstsein und mit einem Mal war der

Tunnel verschwunden und ich sah meinen Bruder grinsend in der Tür stehen, während er auf seinem Gummi-Brontosaurier herum kaute. Noch während ich realisierte, dass auch ich weinte und wohl auch wimmerte fiel ich erneut auf den harten Boden und blieb liegen. Ich weiß nicht mehr was danach passiert ist. Ich erinnere mich nur noch an diese Schmerzen und an diesen ekelig braunen langen Hals des Spielzeugs, welcher voller Sabber war. Noch heute habe ich Probleme mit der rechten Schulter. Jede Überlastung wird mit einem heißen Stich gesühnt und ich habe diesen Blick von diesem Kind vor meinen Augen. Diesen glücklichen Blick.


Mein Bruder schien damals sehr froh darüber zu sein, was mit mir passierte.

Wenn Sie sich jetzt sagen oh Gott, wie kann man so etwas mit seinen Kindern anstellen. Das war noch harmlos. Ich weiß, dass ich auch schöne Momente hatte. Es existieren Kinderfotos auf denen ich ausgelassen lache. Aber erinnern tue ich mich nur an die schwarzen Tage. Ich bin psychisch krank. Ich brauche keinen Arzt der mir sagt, dass ich es bin. Ich weiß es. Ich kann nicht in einem geschlossenen Raum sein. Habe Angst vor der Stille der Dunkelheit und kann meinem „Vater“

nicht entgegentreten. Ich habe Depressionen. Seit Jahren. Habe mehrfach über Selbstmord nachgedacht. Es mehr als einmal versucht und bin gescheitert. Der Grund ist einfach. Meine Schwester. Sie war es, die mich immer beschützt hat, sie war es, die mir immer geholfen hat und sie war es, die mich allein gelassen hat. Meine Mutter lebt in einer eigenen Welt. Schon immer tat sie das. Vor, ich glaube drei Jahren, schoss sie den Vogel ab, als sie meinte, Papa hätte uns immer gut behandelt und nie angefasst. Ich dachte ich falle vom Glauben ab. Ich meine, diese Frau war nebenan, als er die

Scheiße aus uns Mädchen rausprügelte, war dabei, wenn er mich mal wieder verbal so klein gemacht hat, dass ich in aller Öffentlichkeit anfing zu heulen, war dabei als er sagte, ziehs doch einfach durch, schlitz dir die Arme auf, dich braucht eh niemand. Und dann dieser Satz. „Papa war doch immer gut zu euch.“ Papa war ein Stück Scheiße. Papa ist ein Stück Scheiße. Ein Stück Scheiße das immer noch atmet, dass immer noch lebt und anderen das Leben kaputt macht. Nur mal so als Randnotiz. Dieser atmende Misthaufen hatte eine Mutter die über 90 Jahre alt wurde und die war

noch schlimmer als er und mein Großvater mütterlicher Seite war ein Engel und ist am Magenkrebs regelrecht krepiert. Aber diese Monster leben und leben und leben. Die haben Krankheiten die keiner überleben würde, aber die niesen einmal und bums - gesund. Da fragt man sich doch wirklich, wie manch einer da noch an irgendeinen Gott glauben kann.

Ich habe mich als Kind gefürchtet vor diesem Menschen. Habe in dessen Nähe nie den Mund aufbekommen. Und heute? Heute verrecke ich bald vor Hass. Ich werde diesen Dämon nicht los. Dieser Mann, der es gewagt hat mich zum

Überleben zu zwingen um mich dann zu zerstören, geht nicht aus meinem Kopf. Ich habe diesen Teufel in meinen Gedanken und kann ihn nicht verbannen. Und das obwohl ich keinen Kontakt mehr zu ihm habe. Seit 2013 bin ich raus aus dem Elternhaus. Weg von ihm und er verfolgt mich immer noch. Irgendwann einmal, da bin ich mir sicher, wird er vor mir stehen und dann wird alles wieder da sein. Ich hoffe das ich dann den Mut habe etwas zu sagen, oder einfach zuzuhauen. Mitten ins Gesicht. Und dann will ich ihn ansehen und lachen, mich zu ihm beugen und ihm klar sagen, dass er für mich vor langer Zeit gestorben ist. Ein Mensch, der

keine Liebe oder Träne verdient hat. Nichts als ein stinkender Körper, der Platz weg nimmt.






>> Wie soll ich das wohl getan haben«, erwiderte das Lamm, »ich war da ja noch gar nicht geboren. << Der Wolf und das Lamm, Theodor Fontane

Das Dorf

Ich bin auf einem Dorf groß geworden. Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum zieht Papa mit uns allen in das Haus seiner Mutter, zu seiner Mutter. Papa erzählte uns immer, wie grausam sie zu ihm war, wie schrecklich sie ihn verprügelt und misshandelt hatte, wie häufig er um sein Leben fürchten musste. Und dann 1995 zogen wir bei Nacht und Nebel in dieses widerliche Haus ein. Seine Mutter war ein Messie. Sie sammelte irgendwie alles. Ich weiß noch, dass wir kein Badezimmer hatten. In dem Haus gab es ein riesiges Bad, mit einer gigantischen Messingbadewanne.

Die Sorte Badewanne die man sich vorstellt, wenn man an Venedig denkt, an vergangene Tage voll Romantik und Schönheit. Diese Badewanne war voll mit stinkendem, alten, verwesendem Müll und toten Ratten. Überall lagen Zeitungen, halb gegessene Lebensmittel, aufgerissene Müllsäcke, Kleidungsstücke. Es stank nach süßlich, bitterer Verwesung und überall waren Mäuse, Ratten und Maden.


Und dort in diesem Haus, sollten wir leben. Von Anfang an mit der Frage im Kopf: Warum hier? Es gab dort nichts. Ich habe damals viel über das Leben gelernt,

besonders über seine Schattenseiten. Und auch habe ich mir die Frage beantwortet, warum dort. Warum hat Papa uns dahin gebracht. Es ist einfach zu erklären, wenn man den Teufel in Person kennt. Er ist dort groß geworden. Ist dort aufgewachsen, kannte jeden und jeder kannte ihn. Niemand stellte Fragen. Ein solches Dorf ist perfekt. Alles was hinter deinem Tor geschieht ist deine Sache. Da kannst du machen was du willst. Der perfekte Ort für einen Psychopaten um sich auszutoben. Niemand kam in das Haus, weil selbst auf dem Dorf Grenzen existieren. Allein der Gestank im unteren Bereich, hat

Menschen abgeschreckt. Papa hatte für uns den Dachboden ausgebaut. Eine Art Dachgeschosswohnung im Stil anno 1800. Man gelangte über eine schmale Massivsteintreppe auf den Dachboden. Dort war dann gleich unsere Küchenzeile, klein übersichtlich. In den Winkel des Dachs, gegenüber der Küche standen Kartons voll mit verschiedenen Dingen. Weihnachtssachen, Konserven, alte Kleidung, Spielzeug und und und. Eng an eng gelagert. Ging man links entlang kam man an zwei Türen. Geradezu war der Zugang zum Wohnzimmer, welches als Kinderzimmer

für meinen Bruder und als Schlafzimmer für meine Eltern diente. Dies war der einzige Raum, der geheizt werden konnte. Rechts war die Tür zum Zimmer meiner Schwester und mir, wo auch die gesamte Kleidung der Familie lagerte und wir Kinder eine große Holzkiste voll unserer aktuellen Spielsachen hatten, sowie eine kleine Ecke mit einem Tisch zum Malen, Basteln und Hausaufgaben machen. Ein einfaches Bett diente uns beiden Mädchen. Im Flur neben den Unmengen an Kisten und gegenüber unserer Zimmertür stand der Eimer, der als Klo diente. Ein einfacher Messingeimer mit Henkel dran. Fließendes Wasser gab es

keines. Gebadet oder besser gesagt gewaschen wurde sich in einer Babywanne. Unten wohnte meine Oma. Sie hatte an sich den perfekten Ort zum Leben. Ein gigantisches Wohnzimmer, eine große geräumige Küche, das besagte große Badezimmer und ein Schlafzimmer, welches ich ehrlich niemals betreten habe, weil aus diesem Raum ein ganz übler Gestank rauskam. Es gab noch einen Keller, aber ich war ein kleines Kind und hatte wahnsinnige Angst davor, in diesen zu gehen. Gegenüber des Hauses stand eine zur

Hälfte eingefallene Scheune, in der ehemals Kühe gestanden hatten. Die noch existierende Hälfte der Ruine wurde für Hühner und Kaninchen genutzt. Damals hatte ich gelernt, dass Tiere uns ernähren. Es war Standard früh um 5 Uhr den Hühnern die Eier zu mopsen und diese zu Mutti zum Braten zu bringen. Genauso war es normal, die Tiere zu schlachten und zu essen. Hinter der Scheune gab es einen schmalen Gang in den Garten. Die rechte Hälfte war übersät mit dichten, wildwachsenden Hecken. Die rechte Seite beherbergte das Plumpsklo. Ein scheußlicher Ort. Ich weiß noch, dass wir Kinder es vorzogen uns

einzumachen, als dort hinein zu gehen. Es wurde nie gelehrt, geschweige denn gesäubert. Es stank nach menschlichen, verwesenden Exkrementen und war überflutet mit Spinnen aller Größen. Der Garten selbst wuchs, wie er wuchs. Mama hatte zwar ein wenig für Ordnung gesorgt, um Gemüse anpflanzen zu können, doch hielt dies nicht lange an. Es gab dort einen gigantischen Süßkirschenbaum, welcher Jahr für Jahr voll großer reifer roter Köstlichkeiten hing. So lange, bis das Plumpsklo eines schönen Tages überlief und die ganze Scheiße den Boden für immer versauen sollte. Das war dann das Ende der süßen

Früchte. Keine Süßkirschen, keine Brombeeren, keine Himbeeren mehr. Nur noch Tod. Eine unheimlich seltsame Ironie, gemessen daran, dass in diesem Garten, an diesem Ort, der Tod der häufigste Besucher war. Wir ernährten uns selbst. Gemüse gab es je nach Erntezeit. Mal Kartoffeln, mal Kohlrabi, mal Möhren. Für den Winter wurde eingelagert. Im Dorf gab es alles was man brauchte. Jeder baute etwas Anderes an, jeder hütete andere Tiere. Wolltest du Schwein essen musstest du zum Schweinebauern und dir dein Wunschferkel aussuchen, es fett und groß füttern und mit dem Bolzenschussgerät erlegen, ausbluten

lassen, zerlegen und zu Fleisch- und Wurstwaren verarbeiten. Keine Tränen, kein Geheule, zwecks Veggi oder Tierrechten. Fressen und gefressen werden. Natur pur. Jeden Herbst zogen wir in die Wälder. Sammelten Pilze und Beeren. Wir lernten schnell was man essen und was man nicht essen konnte. Meistens durch pure Blödheit und Gier. Ich weiß wirklich nicht wie häufig wir uns giftige Beeren in den Mund gesteckt haben und man uns zusammengeschissen hat, diese auszuspucken. Oder wir die leckeren Pfifferlinge, Braunkappen oder Steinpilze aus dem Korb geschmissen haben um die, ach so hübschen,

Fliegenpilze mit zu nehmen. Fakt ist, wir steckten uns alles in den Mund, was nur irgendwie danach aussah, als könnte man es essen. Ich habe das Dorf auf eine gewisse Art geliebt. Man war frei, weg aller materieller Dinge, kein WLAN, kein Facebook, kein Computer, kein Fernsehen. Wenn man Langeweile hatte ist man mit dem Fahrrad durch das Dorf gefahren, Angeln gegangen, hat sich, entgegen aller Warnungen, an angeblich verfluchte Ort begeben, um dann festzustellen, dass alles nur ein Ammenmärchen war, oder ist mit Freunden einfach so umhergezogen. Man hatte viel mehr Achtung vor der Natur.

Wusste wo das Essen herkam, wusste um die eigene Verletzlichkeit und war nicht mal annähernd so dumm und blind, wie es die Kinder von heute sind.


Es gibt da diese eine Erinnerung. Meine beiden Eltern hatten Arbeit und so kam es nicht selten vor, dass unsere Oma für uns Kinder sorgen musste, was sie absolut nicht gern tat. Sie war Rumänin, eine Frau die vor dem Krieg nach Deutschland kam um sich dann in diesem schönen Staate schwängern zu lassen. Sie kochte viel mit Fett. Viel Schwein, viel Speck, viel Protein. Sie kochte immer, als würde der nächste Winter unser letzter sein, wenn wir nicht zulegten.

Und so gab es Gerichte wie Milchreis mit Bratwurst und Schweinefett oder Erbsensuppe mit Schweinefüßen. Gerichte die Kinder natürlich nicht lieben. Eines schönen Tages gab es Salzkartoffeln mit Spinat und Brühwurst, dazu ein Spiegelei. Alles war wie ein abartiger, matschiger Brei. Es schmeckte scheußlich und sah noch schlimmer aus als es sich anhört. Und so saßen meine Schwester und ich da und wollten diese Matsche nicht essen. So taten wir Spinat auf die Gabeln und sobald sich Oma umdrehte und uns nicht sah, feuerten wir die Matsche mit Schwung an die Küchenschränke. Die Teller wurden leerer, die Schränke voller

und Lachen war natürlich verboten. Oma selbst bekam es nicht mit und war ganz stolz, dass sich die Teller leerten.

Unser Hund war unter dem Küchentisch und verschlang mit Freuden die restlichen Inhalte des Tellers. Und so lieferten wir blitzeblanke Teller ab und gingen belustigt, aber hungrig in unser Zimmer um dann dort in Gelächter auszubrechen. Als Oma dann ihren nunmehr grünen Schrank entdeckte kochte sie vor Wut und hetzte des Abends unseren Vater auf uns, der den Grund der Prügel dankend annahm.

Ich liebte das Dorf wirklich. Und doch war man am Arsch. Denn wie schon

erwähnt. Niemand interessiert sich für das, was hinter verschlossenen Türen passiert. Das ist heute so, dass war damals so und das wird immer so sein. Der eigene Rücken, ist der einzige, den wir uns freihalten und schützen. In jeden anderen treten wir. Mir hat mal jemand gesagt, was du im Augenwinkel siehst ist die Wahrheit, was du mit den Augen siehst die Lüge. Und ich weiß das diese Aussage stimmt. Viele haben uns angesehen, haben gesehen, dass etwas nicht stimmte und doch nichts getan. Es waren die frühen Neunziger, kein Mensch hat sich für das Jugendamt oder Kindeswohl interessiert. Vielleicht tat man dies in Städten, aber

auf einem Dorf, mit nicht mal 6.000 Einwohnern, wo Fuchs und Hase sich `Gute Nacht´ sagen, schert sich kein Schwein darum, ob es den Kindern von irgend so einem ehemaligen Raufburschen gut oder schlecht geht. Der Typ war wieder da, machte wieder Stunk, wohnte wieder bei seiner Mami und Ende der Geschichte. Ob der Muttis Erbe aufrecht erhält und die ungeliebten von dem geliebten Kind trennt, interessierte nicht. Man wusste dort wie der tickt und hat weggesehen. Meine Mutter hat mal gesagt, dass Dorf, war das schlimmste, was ihr je passiert ist. Sie kam aus Rostock, einer 200.000

Einwohner großen Stadt. Anonym, touristisch überlaufen, überflutet von Arbeitslosigkeit. Rostock ist eine wunderschöne Stadt an der Ostsee. Oder drücken wir es anders aus. Rostock hat einen wunderschönen Stadtkern an der Warnow und einen herrlichen Stadtteil, namens Warnemünde, an der Ostsee. Der Rest ist abartig, hässliche DDR. Grau, runtergekommen, zerfallen, lieblos, unattraktiv. Eine Stadt wie jede andere auch. Außen hui innen pfui. In Rostock hatte sie ihre Freunde, ihre Familie, ihren Schutz. Dann lernte sie 1988 diesen Vollpfosten kennen, ließ sich auf ein Stell-Dich-Ein ein und vögelte ihn fortan jedes

Wochenende. Bis zu dem Tag als sie morgens regelmäßig kotzen musste. Wo wir wieder am Anfang, dieser hübschen, kleinen Lebensgeschichte wären. Mein Vater war Baufacharbeiter, besser bezeichnet als Maurer. Wie der Typ Häuser aufbauen konnte, ist mir wirklich ein Rätsel. Ich meine Handwerklich begabt ist und war er, nur hat der mehr Schaden angerichtet, als zu beseitigen. Wir sind der Arbeit nachgezogen. Wo wir alles gewohnt haben weiß ich nicht. Als Kleinkind merkt man sich ganz schlecht Dinge. Jedenfalls ging es von Mecklenburg-Vorpommern nach Schleswig-Holstein, wo wir in unbekannten Städten oder Dörfern

lebten. Überall maximal ein Jahr. Das ging fünf Jahre so. Mein Bruder wurde an der Nordsee in der Kleinstadt Norden geboren. Kreativ ich weiß. Eine Stadt im Norden mit dem passenden Namen dazu. Ostfriesen eben. Wir blieben wohl eine Zeitlang in diesem Provinzkaff um dann nach Schermen, bei Magdeburg zu ziehen. Zu Papas Mutter. Hier begannen dann die Jahre der Hässlichkeit für meine arme arme Mutti. Aber nicht etwa, weil Papa seine geballte Wut an seinen Töchtern ausließ, sie täglich so schlimm verprügelte, dass wir vor Schmerzen nicht mehr atmen konnten, nein. Mama hat diese Zeit gehasst, weil sie keiner leiden

konnte. Sie war die verwöhnte Großstadtschickse. Die Tusse die mit einem super Haarschnitt, einer scheiß teuren Brille und Hippen Klamotten durch ein Dorf hopste, wo die Kittelschürze mit Gummistiefeln täglich ihren Jahrestag feierte. Sie stach heraus aus der Masse und das sorgte für Gesprächsstoff. Sie ging mit ihren Kindern zum Friseur, kaufte im Dorfladen, trank Coca-Cola, aß Thekenwurst und lackierte sich die Fingernägel. Dinge die man auf einem Dorf nicht tat. Vielleicht hat meine Mutter deshalb einen psychischen Knacks wegbekommen. Sie begann zu fliehen.

Saß regungslos da und starrte ins Leere, während in ihrem Kopf wahrscheinlich eine fette Party gefeiert wurde. Und so erhielt mein Vater nicht nur von außen den Vorteil des Desinteresses, sondern auch von Innen. Er konnte machen was er wollte und ließ sich darin auch nicht aufhalten.


Ich dachte lange Zeit, schlimmer kann es nicht werden. Wir Mädchen bekamen immer etwas geschenkt, wenn Papa sich ausgetobt hatte. Er erkaufte sich dadurch unser Schweigen. Man fragte uns zwar häufig in der Schule, wo all die blauen Flecken herkamen, doch blieben wir

stumm. Eigene Blödheit, fremde Blindheit. Wir hatten damals einen Hund. Bobbi war ein alter, treuer, liebevoller Dackelrüde, der wie erwähnt auf Brühwurst stand. Er war lieb und wahnsinnig verschmust. Aber er war eben nicht mehr der Jüngste und begann zu muffeln. Und so wünschten wir uns einen neuen Hund, welchen wir nach beliebigen Prügelattacken auch bekamen. 1997 kam Bella zu uns. Eine Terrier-Mischung mit krausem Haar. Sie war so unsagbar niedlich. Ich dachte immer ich hätte es schwer gehabt. Aber diese kleine Hündin sollte so dermaßen leiden. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass

Papa noch unmenschlicher sein könnte. Aber wie so oft im Leben irrt man in seinen Ansichten. Bella hatte buntes Fell. Große braune Augen. Wenn sie hechelte sah es aus, als würde sie lächeln. Ihre schwarze Nase wurde von weißem Fell umrahmt. Ihre Augen waren von einem dunklen braun umkreist, das rechte Schlappohr braun, das linke schwarz. Zwischen den Augen begann ein weißer streifen, welcher den ganzen Kopf einnahm und in den Rücken überging. Ihr rechter Hinterlauf war braun, der linke bis zum Knie schwarz. Auf der linken Körperseite hatte sie einen großen braunen Fleck. Wenn sie sich freute quietschte sie und begann

wild zu hecheln. Sie war wie ein Monchichi, dass man den ganzen Tag knuffen wollte. Wir bekamen sie als sie ein Baby war und trugen sie die ganze Zeit herum. Jede Puppe war Vergangenheit, als Bella kam. Wir kämmten ihr Fell, banden ihr Zöpfchen und ließen sie in unserem Bett schlafen. Alles war rosig und schön. Niemand schlug uns oder schrie uns an. Als Bella ein Welpe war, hatte ich eine echte Kindheit. Sie wuchs schnell. Mein Vater verdiente gut, meine Mutter ebenso und so geschah es, dass wir 1998 in eine Reihenhaus Hälfte, am anderen Ende des Dorfes zogen. Ein eigenes Zimmer. Eine

Badewanne. Ein Wasserklo. Luxus pur. Damals fing es an, dass Papa Bella erziehen wollte. Anfänglich durfte sie alles und er war lieb zu ihr und dann, als würde ein Gewitter aufziehen, veränderte er sich und begann sie zu schlagen. Anfänglich um ihr das Klettern auf das Sofa abzugewöhnen. Dann aus purer Lust. Ich war ein Kind, aber weder doof noch blind. Geschweige denn taub. Ich kannte die Geräusche die Mama und Papa nachts machten. Wusste was das Gequietsche des Bettes bedeutete. Und ich hörte das es nachließ, als wir in das Haus zogen. Je seltener die nächtlichen Geräusche zu hören waren, desto aggressiver wurde

Papa. Einmal, ich glaube im selben Jahr, kamen Mamas Eltern zu uns zu Besuch. Gott habe ich meinen Opa geliebt. Dieser Mann war wie ein Heiliger. Glauben Sie mir, er war keiner, er hatte Fehler, rauchte, trank auch mal einen, aber er stand zu seinem Mist und sah ein, wenn er Fehler machte. Und er sah, wenn andere dies nicht taten. Papa ist so ein Mensch, der nicht zu dem steht, was er tut. Er baut Luftschlösser und sieht nicht, dass sie zu Ruinen verfallen. Und so gerieten Opa und Papa aneinander. Den Grund des Streits kenne ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass als Opa und Oma wieder abfuhren, Papa mit

geballten Fäusten auf Bella einschlug und erst abließ als sie nicht mehr atmete. Wir befinden uns wieder am Anfang dieser scheußlich hässlichen Geschichte. Manchmal ist es besser liegen zu bleiben. Bella hatte sich totgestellt. Sie lebte noch und aus Instinkt spielte sie ihren Tod vor, was dazu führte, dass er von ihr abließ.


Diese Spiel musste unsere Kleine mehr als einmal spielen. Ihm schien es zu gefallen, ein Opfer gefunden zu haben, da nicht petzen konnte und so wurde es zum Sport seinerseits unsere Hündin zu treten, zu schlagen und ohne Vorwarnung

durch den Raum zu schleudern, dass sie bewusstlos zusammen sank. Dann glänzten seine Augen vor Freude und er lächelte. Andere Väter lächeln wenn die Kinder mit guten Noten heim kam, er freute sich, wenn Bella mit Schmerzen versuchte in ihre kleine Ecke zu kriechen, wenn sie schon nicht mehr laufen konnte und nur noch ihren Instinkten folgte. Dann blühte er auf und wartete nur darauf, dass der Hund Zähne zeigte, knurrte oder aus purer Verzweiflung zu hapste. Dann begann er von vorn und prügelte ohne Unterlass darauf los. Sagten wir Kinder etwas, schrie er uns an, sagte Mama etwas beleidigte er sie. So sagte irgendwann

niemand mehr etwas, so dass er tun konnte, was er wollte.


Wir gaben ihm die Zügel in die Hand und sahen vor lauter Angst um den eigenen Hals nicht, dass wir einem Monster den Weg ebneten.


1998 lief uns eine Katze zu. Püppi tauften wir sie. Nacht für Nacht schlenderte die Mieze vor dem Fenster meiner Schwester umher, bis sie die Katze herein holte und sie heimlich fütterte. Das heimlich ging so lange, bis es irgendwann auffiel, dass Wurst fehlte und wir Mädchen unsere neueste Errungenschaft schüchtern präsentierten.

Mutti war gar nicht begeistert, Papa schon. Ich glaube wir alle dachten das selbe. Bitte schlag die Katze nicht auch noch. Wir hatten einen Arsch voll Tieren. Zwei Hunde, zwei Aras, drei Wellensittiche und ein großes Aquarium voll mit bunten Fischen. Nun noch eine Katze. Anfänglich schlief Püppi nur bei uns, doch mehr und mehr wurde sie zum Stubentiger. Irgendwann in diesem Jahr wurde unsere Katze Rollig und ging auf Herrensuche. Wir wussten nicht was es hieß, wenn eine Katze Heiß ist und dachten uns auch nichts dabei, als Püppi an Umfang zu nahm. Und so hegten und pflegten wir unsere dicker werdende Katze und dankten allen Umständen

dafür, dass Papa sie mit Prügel verschonte.






>> Ich weiß nicht, wie es kam aber ich wurde gleich beim ersten Anblick dieser Mauern von einem unerträglich trüben Gefühl befallen.<< Der Untergang des Hauses Usher, E.A. Poe

Alles wird älter

Wir wohnten nicht lange in dem Haus. Wie ich heute weiß, hat mein Väterchen ein kleines Bezahl-Problem. Insbesondere wenn es um das zahlen von Miete geht. Irgendwie steht er nicht auf Obdach. Vielleicht mag er die Wärme, den Schutz oder die damit verbundene Gemütlichkeit nicht. Jedenfalls prellte er die Zahlungen und wir wurden rausgeschmissen. Aber wie so oft, landet der Teufel auf den Füßen. Wir kamen in einer abgewrackten Wohnung in der nächsten Stadt unter. Es war kalt, zugig, schimmelte und alles in

allem der Anfang vom Ende. Ich habe von dieser Wohnung bis heute schreckliche Alpträume. Jahrelang hatte ich das Gefühl dort gefangen zu sein. Egal wo ich danach wohnte, wo ich war oder was ich machte. Mein Kopf, meine Seele, meine Angst war dort gefangen. Diese Wohnung hatte etwas an sich, als würden dort die miesesten Dämonen hausen und sich an der kindlichen Naivität laben. Man fühlte sich permanent beobachtet. Doch was am meisten auffiel war, dass Papa jähzornig wurde. Er schlief nur noch getrennt von Mama. Damals begann seine Arbeitslosigkeit. Er schien alles zu verlieren. Mama nahm

einen Job als Putzfrau an und machte sich mehr und mehr kaputt. Meine Schwester drohte die Schule abzubrechen, mein Bruder kam an eine neue Schule, wie auch ich, nur schien er damit klar zu kommen. Ich nabelte mich ab von der Welt. Papa legte immer großen Wert darauf, dass wir aufaßen was er kochte. Er prügelte unsere Köpfe auf den Tisch, wenn wir nicht aßen und so schlangen wir aus Angst alles in uns hinein. Meine Schwester hatte ein Stoffwechselproblem und nahm nicht zu. Ich hingegen war so stark übergewichtig, dass ich mit 9 Jahren einen BH benötigte. Es war kein früher Busen, es war reines Fett, dort

angesammelt wo fünf Jahre später die eigentliche Brust entstand. Ich war 13 Jahre als ich an die neue Schule kam und wir in dieses scheußliche Haus einzogen. Ich denke bei diesem Haus immer an eine Geschichte von Edgar Allen Poe, Der Untergang des Haues Usher. „Die toten, wie leere Augenhöhlen starrenden Fenster, die paar Büschel dürrer Binsen, die weißschimmernden Stümpfe abgestorbener Bäume“. So fühlte man sich bei diesem Haus. Unwohl. Dieser neue Umstand, die neue Bleibe, die neue Schule, das neue Umfeld alles zerbrach mich noch mehr. Durch die Prügel und die Misshandlungen war ich schon übersäht

von Rissen. Wie eine alte Porzellanpuppe, welche bei der nächsten Berührung zerbrechen würde. Doch diese Stadt gab mir den Rest. Ich hatte nur wenige Freunde im Dorf gehabt. Doch riss die Verbindung mit dem Umzug mit einem heftigen Riss ab und ich war allein. Meine Schwester war zwar noch da, doch war sie fast 16 Jahre alt und hatte ganz andere Sorgen, als ihre kleine depressive Schwester zu hüten. Und so kam es, dass ich immer mehr vereinsamte. Das einzige was mir damals blieb war Bella und unsere Katzen.

Püppi hatte 3 gesunde Jungen zur Welt gebracht, wovon wir zwei behielten.

Einen kleinen Kater - Pummeluf und eine kleine Katze - Fauchi. Ich liebte diese Tiere. Ich weinte zu dieser Zeit wahnsinnig viel. Die einzigen die dann an meiner Seite waren, waren die Tiere. Und anscheinend regte das Papa auf. Ich weiß es nicht, was ihn dazu trieb, alles zu zerstören, was mich glücklich machte.


Kurz vor Pummels Kastration bestieg er noch seine kleine Schwester und zeugte 4 Kätzchen. Als diese zur Welt kamen, mussten alle vier wiederbelebt werden. Es waren typische Inzucht Kätzchen. Sie waren gebrechlich, geistig nicht ganz da und sehr sehr klein.

Eines Tages kam er ins Kinderzimmer,

griff sich die Kitten und stopfte sie in einen Sack. Er wollte sie erschlagen gehen. Glauben Sie mir, ich flehte, ich schrie, ich heulte und nichts geschah. Er sah mich an und ich sah erneut diesen Blick voll purem Hass.

Dieser Mann hat ganz klare blaue Augen, wie das Meer nach einem Sturm. Und als er mich damals ansah, sah ich wie dieser Augen dunkel wurden. Sie wurden fast grau und er grinste. Er grinste mich an, während ich ihn anflehte die Kätzchen nicht zu töten. Es gefiel ihm mir weh zu tun. Zu dem Glück der Kätzchen heulte mein Bruder drauf los. Und nur, weil dieser, sein geliebter Sohn, weinte gab er die

Kitten zurück. Er war wie ein Schlag ins Gesicht.


Eines Tages aber, waren die Kätzchen einfach weg. Meine Schwester hatte ein Kätzchen behalten, aber die anderen drei waren verschwunden. Nun würde ich nur zu gern wissen, was mit ihnen passiert ist.

Ich begann damals ernste psychische Störungen aufzuweisen. Ich hoffe gerade inständig, dass niemand aus meiner Familie das hier lesen wird. Denn wenn diese bisher vielleicht noch wissend nicken mochten, so kommt jetzt ein

Geständnis. Ich erschuf eine eigene Welt in meinem Kopf. Alles was ich in der Realität besaß, erlebte, durchlebte, war Hass, Angst und Trauer. Ich wollte nicht mehr leben. Ich versuchte mich mit 13 Jahren in der Badewanne zu ertränken. Dies wurde nur verhindert, weil der Grund für meinen Suizid gegen die Bad Tür hämmerte und schrie er müsse pinkeln und ich solle hinmachen. An diesem Abend begann ich etwas zu erfinden. Ich erschuf eine eigene Welt in meinem Kopf. Ein anderes, besseres Leben. Ich hieß anders, sah anders aus, war beliebt, schön und, hatte keinen

Vater. Ich ließ ihn sterben. Genauso wie meinen Bruder. Diese Welt ließ ich geschlagene sieben Jahre in meinem Kopf existieren. Es war zwischendurch so schlimm, dass ich still vor mich her murmelte und den kompletten Hang zur wirklichen Welt verlor. Ich vertauschte Namen von fiktiven und realen Personen und war irgendwann nur noch in dieser Welt. Nichts was wirklich war konnte mich mehr glücklich machen. Aus einem mir unbekannten Grund merkten meine Eltern, dass etwas nicht stimmte und scheuchten mich zu einem Kinderpsychologen. Man wunderte sich aber nicht etwa, wieso ich mich immer

mehr zurückzog oder andauernd heulte. Man wunderte sich nur, dass ich keine Freunde fand. Es war ein Hobby meiner Eltern, mich und meinen Bruder zu vergleichen. Warum bist du nicht wie er, wieso machst du das nicht wie er, wieso hier, weshalb dort. Man hatte drei Kinder und sah nur das eine. Die anderen Beiden waren wie ungeliebte Fußnoten oder Sternchen über Worten, die eine gesonderte Erklärung benötigen und man diese erst erfahren würde, wenn man die Seite vor dem Epilog und den Danksagungen gefunden hatte, wo dann alle Begriffe erklärt wurden. Und so wurde ich zu einem solchen

Sternchen. Nur blätterte niemand nach, weil es niemanden interessierte. Wir wohnten nicht sehr lange in dem gruseligen Haus. Zum Glück. Wir hatten damals nichts. Papa hatte Sozialhilfe. Ich weiß gar nicht ob er da schon Harz IV bekommen hatte. Egal. Uns blieben zum Leben die vielleicht 900 € von Mutti. Davon musste alles bezahlt werden. Es reichte nie den vollen Monat. Die Wohnung musste über einen Ofen im Keller geheizt werden. Damals waren die Winter lang und kalt. Der Herbst setzte früh ein und der Frühling war kühler als man heute annehmen würde. Das hieß, dass man Material benötigte um gut 8 Monate heizen zu können. Und Briketts,

Kohle und Holz sind teuer. Im Hof des alten Hauses stand ein alter Schuppen, dieser musste zu aller erst weichen. Papa riss ihn ab um heizen zu können. Dann fuhren wir die Wälder ab, nahmen Holz mit und trockneten es. Sammelten raus geschmissene Weihnachtsbäume, Sperrholz und verbrannten zum Schluss alles aus der Wohnung und dem Keller was wir nicht benötigten um die große, offene, zugige Wohnung irgendwie, Jahr für Jahr zu heizen. Als der Mann über uns verstarb hielt Papa nichts mehr auf. Er inspizierte den Dachboden, schuf in den Keller was sich verbrennen ließ und gelang schlussendlich in die Wohnung des Verstorbenen. Dieser war seit Jahren

nicht mehr aus seiner Wohnung gekommen und hatte Unmengen Zeitungen in seinen vier Wänden, die ihren Weg in den Ofen fanden. Als Papa dann die Kellerabteile des Toten aufbrach und Bergeweise eingemachtes Gemüse und Obst fand, waren die Nahrungsmittelnöte zum Teil besiegt. Es ging uns finanziell wirklich extrem schlecht. Wie immer zog Papa es auch in dieser Wohnung vor umsonst zu wohnen und nicht zu kapieren, dass dies nicht geht. Also flogen wir nach gut 2 Jahren raus und bekamen eine andere Wohnung. Es hat Vorteile, wenn man schulpflichtige

Kinder hat. Diese neue Wohnung war der Sprung in ein Becken ohne Wasser. Und wir wurden hinein gestoßen. Unser Hund Bobbi starb in der vorherigen Wohnung. Mama und Papa lebten sich mehr und mehr auseinander, meine Schwester hielt es daheim nicht mehr aus und ich durfte beim Mackendoktor nichts Anderes tun außer Bilchen malen und anderen Kindern beim Uno spielen zu gucken. Scheiße, wenn man ein Talent hat und deine Mutter jedem Arsch davon erzählt. Ich begab mich im Traum häufig zurück in die alte Wohnung. Durchquerte die Zimmer und blieb immer im Bad stehen, wo ich auf die gefüllte Badewanne

starrte. Es war immer derselbe Traum. Immer ohne Ende. Damals, als ich auf die 10. Klasse zusteuerte, eine unauffällige, gute und fleißige Schülerin war, die von jedem Schüler gehasst wurde, habe ich mein eigenes zweites Talent gefunden. Ich passe in keine Schublade. So lernte ich Nadine kennen. Ein Mädchen meines Alters, mollig, unattraktiv, anders. Sie war Gothik, trug wahnsinnig viel Make-Up, konnte mit Worten umgehen und genoss es zu zeichnen. Ich liebte sie. In ihrer Nähe fühlte ich mich wohl, verstanden und geborgen. Wir tauschten

Gedanken aus, trafen uns nach der Schule, wenn Schulstunden ausfielen und meine Eltern nicht wussten wo ich war. Denn hier wird es paradox. Ich wurde zum Psychologen geschickt, weil ich keine Freunde fand und Papa verbot mir Freunde zu finden. Logik wo bist du. Nadine und ich sahen uns auf dem Schulhof, verkrochen uns in eine stille Ecke und schrieben Gedichte. Wir zeichneten, unterhielten uns über Träume und über unser Leben. Wir waren wie das Spiegelbild der anderen. Ich erfuhr, dass ihre Mutter sie in ein Heim gegeben hatte, nachdem ihr Vater sie vergewaltigt hatte. Ihre Mutter war eifersüchtig statt besorgt und gab das Kind weg. Doch

faszinierender als ihr Leben war ihre Gegenwart. Sie war wie ich 15 und sprach wie eine alte Frau. Sie wusste alles. Und dann zeigte sie mir eines Tages ihr Zimmer im Heim. Es war schwarz und roch nach Lavendel. Sie spielte mir Klavier vor, wir hörten Musik von Bands wie Blutengel oder Unheilig und tauschten Gedanken aus. Sie brachte mir viel über den eigenen Körper, die eigenen Gelüste und das eigene Wollen bei. Und auch erzählte sie mir alte Sagen. Sie interessierte sich für viel und das machte sie interessant. Sie erzählte mir einmal von einer Geschichte. Eine Geschichte über einem Dämon, welcher die Seele eines Mannes

besetzt und ihn zu seinem Sklaven macht. Durch den Dämonen wird der Mann bösartig, schlägt und wütet und treibt sein Wesen so lange in den Wahnsinn, bis der Mann tötet. Dann geht der Dämon aus dem Mann heraus und der Mann wird krank und leidet fortan, bis er einsam stirbt. Am selben Tag sagte sie zu mir, sie spüre einen Dämon an meiner Seite, welcher mir die Luft zum Atmen raubt. Er verlangt nach Blut. Damals lernte ich, dass Dämonen sich von Angst ernähren. Ich wusste aber nicht, dass die Gruselfiguren aus Horrorfilmen keine Geister sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.


Es war im September 2004. Ich weiß nicht was der Auslöser war, aber auf einmal schrie Bella auf. Meine Schwester und ich machten Hausaufgaben, meine Bruder spielte lauthals mit seinen Beast-Wars und war, zum Glück, in seiner eigenen Welt. Papa war allein in der Wohnstube, wo er irgendetwas im Fernsehen sah. Und dann erfolgte dieser Schrei. Laut, kurz, spitz. Ein Geräusch, nur wenige Sekunden lang und doch überfüllt mit Panik. Meine Schwester sprang auf, hastete auf die verschlossene Zimmertür zu, und da erfolgte das nächste

Geräusch. Sie jaulte, fiepte, knurrte, kläffte. Alles in einem, alles auf einmal. Ich sah wie ihre Hand über der Türklinke schwebte, die Knie zitterten und ihre Brust sich heftig hob und senkte. Meine Schwester hatte Angst. Es war Totenstill geworden. Kein Geräusch, dass auf weitere Schläge schließen ließ und dann kratzte es an der Tür. Meine Schwester öffnete zaghaft die Tür und die Katzen drängten sich an ihren Beinen vorbei in das sichere Zimmer. Dies war wie ein Startschuss. Mit heftigen Schreien unterstrich unsere Hündin ihre Schmerzen. Wir hörten ihre Krallen an der Wand schaben, wussten,

dass sie sich versuchte zu befreien, aus dem klammernden Griff, welcher sie hielt wie ein Schraubstock. Wussten, dass dieser Griff sich erst löste, wenn alle Wut abgebaut sein würde. Meine Schwester ging in den Flur, um die Ecke um zu sehen was geschehen war. Ich war dicht hinter ihr, beide voll Angst, beide wissend, dass es schlauer war, sich nicht einzumischen. Und dann sah Bella uns. Panisch weit aufgerissene Augen starrten uns an. Die Glieder verkrampft, gegen den Feind gestemmt, die Zunge hing erschöpft aus dem Maul und die Zähne blitzten weiß hervor. Sie sah uns direkt an. Und ihr Blick leitete Seinen. Er dreht sich

langsam zu uns, sah uns gelangweilt an und präsentierte uns erneut seine hasserfüllten Augen. Dann spannte er die Schultern an, zog den rechten Arm zurück, ballte die Faust und schlug zu, direkt in das Gesicht des Hundes. Sie biss sich auf die Zunge. Biss sie fast ab. Blut quoll dick aus der offenen Wunde und fiel schwer zu Boden. Ihre Augen waren aufgerissen, erschrocken, schockiert, schmerzerfüllt. Dann ließ er sie los. Sie fiel und rührte sich nicht. Kein typisches Fiepen, kein Versuch die verletzte Stelle mit der Pfote zu betasten, kein Versuch sich zu lecken. Ihre Nase stand seltsam nach oben und Zähne fielen aus dem offen hängenden

Maul. Ihre Nase war gebrochen, der Unterkiefer steif vor Angst. Ihr kleiner sanfter Körper lag in einer Pfütze aus Blut und Urin und sie tat nichts um sich zu verstecken, als er verächtlich schnaubte und sich daran machte auf sie einzutreten. Meine Schwester schnellte vor, zog ihn barsch zur Seite und schlug ihm fest ins Gesicht. Ihre Wangen waren nass von den Tränen. Ihr Kopf rot vor Wut. Sie traf ihn mit der Faust neben der Nase, nicht fest genug um ihm ernsthaft Schaden zuzufügen, aber fest genug um ihn von unserer Hündin abzubringen. Er taumelte nach hinten, hielt sich die Wange und starrte sie wortlos

an. Es vergingen viele, viele Sekunden, eher er anfing zu schreien. Er hatte keine Schmerzen oder ähnliches, er hatte einen Gegner gefunden und das passte nicht in seine Welt. Und so schrie er sie an, sie solle sich verpissen, sein Haus verlassen und nie wiederkommen. Sie hörte auf ihn. In diesem Jahr hatte sie ihren ersten Freund gefunden und zog an diesem Abend zu ihm. Als meine Mutter von der Arbeit heimkam und Bella vor fand erzählte er ihr, Steffi habe ihn so lange gereizt, dass er sich nicht mehr beherrschen könne, da habe er sie rausgeschmissen. Sie glaubte ihm und fragte nie nach der

Wahrheit. Tage später musste ich noch mehr an die Geschichte von Nadine denken, denn Papa fiel in einen Zuckerschock. Bella wurde vom Tierarzt behandelt. Ein Arzt der keine Fragen stellte. Als sie heim kam tat sie etwas Seltsames. Papa war auf der Couch eingeschlafen und sie jaulte laut, ohne Unterlass. Kläffte, jaulte und rannte hin und her. Es dauerte bis wir reagierten. Er lag leblos auf der Couch. Atmete kaum mehr und niemand hatte großartig Interesse einen Arzt zu rufen. Doch tat Mutti ihm diesen Gefallen, der ihr nie gedankt werden sollte. So kam er ins Krankenhaus Diagnose Diabetes. Beide Typen. Wir

hatten zwei Wochen Ruhe, ehe der Teufel zurück in sein Nest kroch. Der Alltag holte uns schnell wieder ein.

Mutti sprach mittendrin die Scheidung aus, zog sie aber zurück, nachdem viele Krokodilstränen flossen. Wir wechselten zum neuen Jahr die Wohnung, doch statt in ein neues Heim, kamen wir in ein Obdachlosenasyl. Man hatte die Schnauze voll von dem Mietpreller und seiner Sippe. Zu diesem Zeitpunkt, nach alledem, schockierte mich nichts mehr. Meine Schwester war zurückgekommen, mit ihrem Freund hatte es nicht geklappt, aber sie und Papa sollten nie wieder mit einander reden.

Gleich am ersten Abend im Asyl fackelte

man unser Kellerabteil ab. Irgendwelche Assis zettelten Streit mit Papa an und wir verbrachten den Jahreswechsel ohne einen wirklichen Plan wie es weiter gehen sollte. So standen wir da, alle fünf, sahen das Feuerwerk fremder Menschen an und weinten wohl alle still vor uns hin.


Wir wohnten zwei Monate im Heim. Klauten Gemüse fremder Bauern um uns und die Tiere im Garten zu ernähren. Regelmäßig schlachtete Papa Hühner und Kaninchen aus dem Garten. Regelmäßig klaute Mama Klopapier, Seife und anderes aus der Schule, wo sie putzte. Regelmäßig gingen wir mit schweren

Schritten außer Haus, wissend, dass jeder Bescheid wusste wo wir wohnten.

Mein bester Freund erzählte mir, in was für einer Ecke ich da gelandet war und es traf mich lediglich mit nüchterner Unruhe.

Im Februar zogen wir dann in eine neue Wohnung. Eine wunderschöne, große Dachgeschosswohnung. Papa musste unbedingt den Garten behalten. So ließ er dort seinem Messie-Gen freien Lauf. Wir hielten dort besagte Hühner, Enten, Kaninchen und eine Ziege. Es machte ihm Spaß Bella an eine kurze Leine zu binden und die Ziege auf den Hund los zu lassen, dass diese der kleinen Hündin die Rippen brach. Wir

hatten gelernt weg zu sehen und den Mund zu halten. Seine Tobsuchtsanfälle ließ er längst nicht mehr nur an der Hündin aus. Er kannte keine Grenzen. Irgendwann entschloss er Bella Tag und Nacht im Garten zu lassen. Sie nachts in die Laube zu sperren und Tagsüber an eine kurze Schnur zu binden, wo sie Mutterseelenallein ausharren sollte. Ich danke demjenigen der sie da heraus geholt hat. Irgendein Mensch hat sie befreit. Ist wohl über den Zaun geklettert und hat sie mitgenommen. Er hat noch eine Notiz hinterlassen und wir haben unsere Kleine nie wiedergesehen. Ich hoffe, dass es ihr gut ergangen ist.


2005 ging meine Schulzeit zu Ende. Ich quälte mich durch die Prüfungen. Der viele Stress zuvor ließ ein vernünftiges Lernen kaum zu. Zu meiner Abschlussfeier lief es wie bei meiner Jugendweihe ab. Mutti erhielt von meinem Psychiater einen Gutschein zum Kauf von Kleidung. Zu meiner Jugendweihe kaufte sie davon einen BH, eine helle beige-farbene Hose und ein helles Shirt. Oma machte mir die Haare und ich durfte Make-Up tragen. Ich machte mich richtig hübsch und jeder war stolz. Zu meinem Abschluss lief es ähnlich. Ich erhielt einen knöchellangen schwarzen Rock, ein ärmelloses grünen Rollkragenshirt und eine mit Pailletten

übersäte schwarze Jacke. Dazu hohe schwarze Sandalen. Meine damals Po-langen roten Haare band ich zu einem strengen Dutt und ließ eine Strähne frei. Dazu ein nettes Make-Up. Mit meinen damals zarten 150 kg verteilt auf 1,69 m sah ich alles in allem so richtig scheiße aus. So ging es in die Stadthalle der Kleinstadt Burg, in der Nähe von Magdeburg, wo wir Schüler, aufgereiht wie Perlen an einer Kette, mit unseren Zeugnissen konfrontiert wurden. Danach folgte ein dummes, langweiliges Programm und dann ging es an das Buffet.

Ich hasste meine Mitschüler. Jeder von ihnen ging mir einfach auf die Nerven.

Es gab einen Bengel an meiner Schule der es lustig fand, mich zu begrapschen, zu bespucken und zu quälen. Man beleidigte mich von Schulbeginn bis Schulende. Sah man mich auf der Straße rief man mir hinterher, warf Steine nach mir oder fand es toll mir meine Sachen zu klauen.So ist es nur verständlich, dass ich mich entfernte, als alle sich auf das Buffet stürzten. Meine Eltern fraßen sich die Wänste voll und wie durch Telepathie trafen Nadine und ich uns vor der Halle. Wir schlenderten durch die Stadt, aßen Eis und genossen die Entfernung zu dem Rest der Meute. Irgendwann kamen wir zurück, wo man stinksauer auf uns war. Man musste

vorab Geld zahlen, dass die Kinder ihr Zeugnis erhalten konnten, unglaubliche 19 € und ich hatte meine ins Wasser geworfen.







>> …und uns gegenseitig wieder weh tun…. << Claudia Malzahn

Das Leben nimmt

Wenige Wochen vor meiner Abschlussfeier fand die typische Abschlussfahrt statt. Italien. Ein Null Sterne Hotel ohne Alles, mit Gruppenbetten, beknackten Ausflügen und überarbeiteten Lehrkräften. Ich war gerade von der Abschlussfahrt, welche anbei scheußlich war, zurückgekommen, als meine Mutter mich mit Tränen in den Augen ansah. Ich erfuhr wie mit einem Hammer geschlagen, dass mein Opa in der einen Woche meiner Abwesenheit, seinem Krebsleiden entwichen war. Die Krankheit hatte gewonnen. Mit der berühmten Taubheit in den Adern, die

man spürt, wenn man eine schlechte, herzzerreißende Nachricht verarbeiten muss, erlebte ich die Wochen, die daraufhin an mir vorbeizogen. Der schulische Druck stieg um die Prüfungszeit und half ungemein beim Verdrängen. Ich beendete die 10 Jahre der Gefangenschaft mit einem guten Realschulabschluss und konnte nun, in meine absolut nicht vorbereitete Zukunft starten. Trotz reichhaltig geschriebener Bewerbungen, erhielt ich keine Ausbildung und durfte noch ein Jahr an einer Berufsschule verplempern, wo man zwei „Bildungsgänge“ darbot. Hauswirtschaft und Metallverarbeitung.

Mich stopfte man in die Hauswirtschaft. 12 Monate können so unsagbar lang sein.


Meine Freundschaft zu Tobias und Nadine hielt an. Ihn lernte ich während der 7. Klasse kennen. Er brauchte ein gemaltes Bild von einer Anime-Figur und hatte über acht Ecken erfahren, dass ich zeichnen konnte. So begann die Freundschaft und ich bin noch heute sehr dankbar für ihn. Er offenbarte mir 2005, dass er schwul war, sie traf mich vor den Kopf mit ihrer Verlobung. Beide hatten ihr Leben, beide ihre Abenteuer, beiden gönnte ich es. Tobias und ich entdeckten an jedem Wochenende eine andere deutsche Stadt. Wir fuhren umher,

machten Sightseeings und erfreuten uns an der gefühlten Freiheit. Alles schien federleicht zu sein und doch lastete jede Freude schwer auf meinen Schultern. Die Depressionen waren zu einer schweren bipolaren Störung herangewachsen und drängten mich immer mehr ins Aus. Meine Schwester sah ich nur noch selten. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, in meinem kleinen, fast leeren Zimmer eingeschlossen zu sein und Musik zu hören. Lieder über Sehnsucht, Liebe, Schmerz und Tod. Gothik war wie ein Netz, dass mich auffing. Die vielen Jahre zuvor hatten mich kaputt gespielt. Ich fühlte mich unendlich einsam und leer. So schrieb

ich meiner geliebten Nadine eines schönen Tages, dass ich bereit war zu gehen. Ich konnte nicht mehr. Es war so einfach aufzustehen, die Tür zu verschließen, die Musik anzumachen und sich zu setzen. Es gab nicht viel in dem weißen, lieblosen Raum. Ein schmaler, knapp 90 cm hoher Kleiderschrank beherbergte all meine Sachen, ein schmales, unbequemes Couchbett erfüllte seinen Dienst und ein Schreibtisch mit Stuhl gab meiner Nachttischlampe und dem Radio Halt. Mein Zimmer gab nichts wieder. Keine Persönlichkeit, kein Indiz auf die Person die ich war und noch weniger auf den Menschen, der ich sein

wollte. So nahm ich die Klinge zur Hand und schnitt tief in die Kniekehlen. Für meine Handgelenke oder den Hals fehlte mir die Kraft. Ich wollte die offene Wunde, geschweige denn das Blut nicht sehen. Ich wollte die Wärme spüren, die aus meinen Adern drang, dass sanfte Pochen genießen, welches der Puls erzeugte und hoffen, dass ich in einen Dämmerschlaf übergehen würde, aus welchem ich nie wieder aufstehen mochte. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Ich sah den dicken Tropfen bei ihrem Weg zu meinen Füßen gelangweilt zu. Langsam und zähflüssig quoll das Blut aus meinen

Adern. Scherzhaft brannte der tiefe Schnitt. Unsicher die korrekte Stelle getroffen zu haben, krempelte ich das zweite Hosenbein hoch und wollte einen weiteren Schnitt anwenden, als es schwer an der Tür hämmerte. Ohne meine Antwort abzuwarten wurde die Tür eingetreten. Ich hatte zum Glück kaum Blut verloren und so sah niemand die roten Flecken und doch starrten mich die Uniformierten zögernd an. Sie betraten den Raum nicht, sahen sich nur zweifelnd um und wandten sich zum gehen. Ich hörte meinen Vater reden, wie er fragte was nun sei und sie antworteten dumpf, dass ich bloß Musik hören würde nichts weiter. Dann traten sie die Treppe

hinab und schlossen die Haustür hinter sich. Ich hatte die Hose heruntergekrempelt, die Klinge versteckt und die Musik leiser gedreht, als er zurückkam und mich ansah als wäre ich Dreck unter dem Fingernagel. Er murmelte etwas von „die hätten dich mitnehmen sollen“ und knallte die Tür hinter sich zu, welche nicht mehr schloss. Die Blutung hatte sich gelegt, ich hatte nicht tief und dazu auch noch falsch geschnitten. Es sollte weitergehen und ich hätte nicht erwartet, dass das Leben neue Wege des Irrsinns bereithielt.







>> Wovor willst du dich verstecken In den Schränken, unter Betten? Niemand kommt, um uns zu retten. << Wer hat Angst vorm schwarzen Mann, Megaherz

Schwarz ist auch nur eine Farbe

Das Mehrfamilienhaus, in welchem wir in der Dachgeschosswohnung lebten hatte eigenartige Menschen in seinen Wohnungen aufgenommen. Ein Renterpaar bildete die Basis. Beide waren gebrechlich und auf Hilfe angewiesen. Sie blind und fast taub, er von Alzheimer geplagt. Beide wussten nicht wo sie waren, wann sie waren und wer all die Leute waren. Es waren zwei traurige, einsame und doch gemeinsame Seelen, welche sehnsüchtig auf Erlösung warteten, während sie täglich dieselben Fragen stellten. In der ersten Etage, die man über eine

Wendeltreppe erreichte wohnten zwei Familien. Eine fünfköpfige afrikanische Evangelisten Familie und ein typisch deutsches Ehepaar, ohne Kinder, dafür mit einem kleinen Hund. Die einen sammelten Fahrräder, die anderen Kuckucksuhren. Beide waren auf ihre Art seltsam. Wir waren die letzten Bewohner des alten Gebäudes. Es war um 1920 herum erbaut worden und hatte massive Schäden während des zweiten Weltkriegs erlitten. Risse in den Wänden zeugten auch 60 Jahre danach noch von den Bombeneinschlägen. Auch die Isolierung des Hauses schien auf dem Stand von 1945 zu sein, da man es vor Kälte während des Winters kaum

aushielt. Und doch war es eine schöne Wohnung. Ich hatte die Berufsschule beendet und eine Ausbildung gefunden. Jeden Tag ging es für mich nach Haldensleben, ein Städtchen in der Nähe von Magdeburg. Dort absolvierte ich meine erste Grundausbildung zur Grafik/Design Assistentin. Ich musste jeden Arbeitstag um 4 Uhr aufstehen um dann um 5.30 Uhr mit dem Zug fast 2 Stunden zu fahren. Die Verbindungen von meinem Wohnort zu meiner Ausbildungsstätte waren katastrophal. Genauso verhielt es sich andersrum, wenn es heimging. Ich war nie vor 21 Uhr daheim. An diesen Tagen war es unmöglich irgendetwas zu

schaffen. Meine Ausbildung war rein schulischer Natur, mit einem 3-monatigen Praktikum zwischendurch und einer 1-wöchigen Studienreise nach Florenz als Kirsche auf der Sahne. Sie war spannend, lehrreich und eine gelungene Abwechslung. Es störte mich nie, dass ich im Dunklen das Haus verließ und im Dunklen heimkam. Ich war weg von daheim, weg vom Trott und konnte meinem Kopf etwas Anderes zu fressen geben als ewige trübe Gedanken. Und doch hat auch die Dunkelheit ihre Krallen immer ausgefahren und wartet nur auf ihren Moment. Ich war eine starkübergewichtige 16-jährige. Ein junges Mädchen, dass kaum in der Lage

war die täglichen Treppen zu steigen. Geringste Anstrengung ließ mich schwitzen, als würde ich in einer finnischen Sauna sitzen. Knapp 150 kg brachte ich auf die Waage, verteilt auf 169 cm Körpergröße. Keine meiner Hosen lebte länger als 2 Wochen. Ich rieb sie binnen Tagen zwischen den Schenkeln auf und lief mir dadurch regelmäßig einen Wolf. Mein Gang glich dem eines Pinguins. Das damals lange rote Haar war nie so rot wie mein Kopf, wenn ich morgens oder abends die Stufen in unserem Wohnhaus erklomm. Regelmäßig traf ich meinen Nachbarn im Treppenhaus. Er war damals 46 Jahre alt. Ein kleingewachsener Mann mit

krausen kurzen Haaren, schwarz wie die Nacht. Sein 3-Tage Bart war kaum zu erkennen auf der dunklen Haut. Er war freundlich, zuvorkommend, schüchtern und doch immer auf der Lauer. Mit seinem gebrochenen Deutsch erzählte er mir fast alles über sich und seine Kinder. Nie über seine Frau. Ich erfuhr das er evangelischer Pfarrer war, aus Nigeria kam und die schwarze Gemeinde leitete. Seine drei Kinder waren in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er sammelte Fahrräder, Möbel, Schuhe und Hosen und verschickte jeden Monat größere Mengen in seine Heimat um damit Waisenhäuser zu unterstützen. An sich ein herzensguter Mann, doch leider hatte er ein Auge auf

mich geworfen. Immer wieder merkte er an, wie schön ich sei, welch wunderbaren Körper ich hätte und dass ich viel zu alt wäre um noch keinen Mann zu haben. Er berührte mich am Rücken, streichelte meine Arme, strich mit den Fingern durch mein Haar. Und ich hatte keine Ahnung, dass er flirtete. Ich war nie zuvor von einem männlichen Wesen positiv angesehen worden. Jungs und Männer sahen mich als Abscheulichkeit an und pflegten es mir weh zu tun. So genoss ich die Aufmerksamkeit und ließ es zu. Im Herbst 2006 geschah dann, was jeder Mensch mit einem bisschen Grips hätte vorausgeahnt, nur ich sah es nicht

kommen.

Ich kam von der Ausbildung heim. Beim drücken des Lichtschalters bemerkte ich, dass das Licht nicht ging. So kramte ich mein Telefon hervor und machte mir mit dem Display die Sicht minimal leichter. Damals gab es noch keine Apps oder Tachenlampenfunktionen auf den Handys. So musste das hagere Licht aushalten. Ich schritt die Treppe in den ersten Stock hoch und hielt mich am Geländer fest, um Luft zu schnappen. Da erfasste sie mich, die Hand aus der Dunkelheit. Seine Hautfarbe hatte ihn perfekt getarnt. Er trug schwarz und war so

kaum mehr zu sehen, nur die strahlend weißen Zähne blitzten hervor. Ich erschrak schrecklich und er beruhigte mich. Erzählte etwas von, Licht ausgefallen, ich solle ruhig bleiben, er würde mir helfen und wieder fiel ich darauf rein. Ich ließ mich von ihm zu meiner Wohnungstür leiten und vergaß, dass rechts dahinter seine zweite Eingangstür war. Er griff mich fest unter dem Arm, tat mir weh und stieß mich in seine Wohnung. Ich stieß gegen eines der unzähligen Fahrräder und stürzte längs hin. Mein Handgelenk knackte gruselig laut und der Schmerz zog mir bis in die Zähne. Es war stockdunkel. Ich sah weder wo ich war,

noch was um mich herum war, geschweige denn wo er war. Dann wurde ich ruckartig auf den Rücken gedreht. Er griff nach meiner Hose, wehrte meine Hände ab und zog sie herunter. Ich trat nach ihm, doch seine Augen schienen die Dunkelheit zu ignorieren. Immer traf ich nur die Luft. Dann griff eine Hand in meinen Schritt und begann sich unter die Unterwäsche zu graben. Schmerzhaft stieß er zwei Finger in mich hinein und ich verkrampfte mich. Dann hörte ich wie Stoff herunter gezogen wurde und spürte wie in Trance die Last auf meinem Körper. Er stieß in mich, bewegte sich gekonnt auf und ab, glitt rein und raus und ich spürte nichts.

Keinen Schmerz, keine Angst, kein Nichts. Ich hörte ihn, als wäre er Kilometerweit entfernt atmen, vernahm laut und deutlich meinen Herzschlag, spürte eine Träne über meine Wange rollen und konzentrierte mich auf das dumpfe Pochen meines Blutes, welches durch meine Adern floss. Es endete wie es begann ruckartig. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass ich mich nicht wehrte. Er ließ von mir, stöhnte erschöpft ein „geh weg“ hervor und schloss die Tür hinter mir zu. Ich zog meine Kleidung an, öffnete meine Wohnungstür und ging nach oben. Vielleicht sah ich verstört aus, aber meine Mutter und meine Schwester

reagierten sofort. Ich nahm sie kaum wahr. Erzählte ihnen, dass das Licht im Flur nicht ginge und unser Nachbar mich erschrocken hatte. Alles andere ließ ich weg. So verzichtete ich auf mein Abendessen und ging zu Bett. Erst als ich meine Augen schloss um zu schlafen stiegen die Schmerzen auf und umfassten meinen gesamten Körper. Ich weinte leise und konnte mich kaum noch daran erinnern was wahr und was Fiktion war, da sich alles anfühlte, wie ein schlechter Traum. So vergingen Tage und Wochen in Angst vor der Dunkelheit, doch er kam nicht wieder. Mein Vater und mein Bruder machten Witze, dass mein Schatz nicht

auftauchte oder mir bewusst aus dem Weg ging und ich ließ alles Kommentarlos. Meine gesamte Freude an der Zeit, die ich täglich in Haldensleben verbringen konnte, ging zum Abend hin in pure Panik über. Ich fing häufig unkontrolliert zu weinen an, wenn ich wusste, dass ich gleich daheim sein würde. Bekam Angstzustände, wenn das Flurlicht ausging und zuckte zusammen, wenn eine Tür im Haus geöffnet wurde. Ich verkroch mich mehr als sonst, doch niemand bemerkte es. Es schien keinen zu interessieren, dass ich erneut einen depressiven Schub erlitt, nachdem sich Wochenlang der Nebel gelegt hatte. Eines schönen Tages fing er dann an,

meine Mutter anzubaggern, welche seinem Unterfangen ein jähes Ende setzte, indem sie ihm eine knallte, als er sie anfassen wollte. Fortan sahen wir unsere Nachbarn kaum mehr. Ein Umstand, dem ich dankend entgegensah. Im Sommer 2008 kam vieles zum Guten. Ich beende meine erste Ausbildung und durfte mich fortan Gestaltungstechnische Assistentin für Grafik und Design nennen. Man kommentierte dies beim Jobcenter mit den Worten „Glückwunsch, jetzt dürfen Sie hübschen Kaffee kochen“. So suchte ich mir eine weitere Ausbildung und wurde in meiner Heimatstadt Rostock fündig. Der wohl erste Umstand für den mein Vater mir

dankbar war. So zogen wir mit einem Schwung im August 2008 zurück an die Küste und ich fühle mich das allererste Mal frei, geborgen und glücklich. Ich begann zu leben, lernte neue Menschen kennen, noch heute sehr gute Freunde und liebte es mit meinen Mädels einen drauf zu machen. Rostock veränderte so vieles.







>> Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. << Franz Kafka

Rostock, meine Perle

Meine Ausbildung zur Mediengestalterin war turbulent. Ich war eine der wenigen, die ernsthaft erwarteten, dass kreative Arbeit von Nöten war und war bitter enttäuscht als ich 8 Stunden täglich an einem Röhrenmonitor saß um Gestaltungsprogramme zu lernen. Und doch war ich froh über diesen Bildungsweg. Ich lernte drei ganz zauberhafte Frauen kennen. Wir alle lasen für unser Leben gern und verbrachten unsere Pausen mit guten Büchern, Tratsch und chinesischem Essen. Man nannte uns liebevoll, die vier Damen vom Grill oder der

Rostocker Buchclub. Jede von uns liebte ein anderes Genre, nie lasen wir das gleiche und doch unterhielten wir uns wild durcheinander über unsere gebundenen Zeitgenossen. Wir halfen uns aber auch gegenseitig, wenn uns Themen, innerhalb der Ausbildung, zu schwierig wurden und schmachteten über dieselben Dinge. Das erste Ausbildungsjahr war schnell geschafft. Es war eine schulische Ausbildung, welche Schulgeld verlangte und zum Ende des ersten Lehrjahres nahm man mich zur Seite um mir zu sagen, dass viele der ersten 10 Monate nicht bezahlt wurden. Man schenkte mir reinen Wein und offenbarte mir, dass

man mich aus der Ausbildung nehmen müsste, würde ich weiterhin kein Schulgeld zahlen. Natürlich war hierfür mein geliebter Vater verantwortlich, welcher zuvor noch geprahlt hatte, dass er alles Finanzielle erledigen würde. Man traue nie einer Klapperschlange. So ging ich am selben Tag zur Bank und räumte mein Konto leer. 126 € hatte ich noch und diese übergab ich komplett der Schulleitung. Ich hatte diese Euros für mich auf dem Konto. Für Kleidung, Essen und Mädelsabende. So verzichtete ich auf alles um meine Ausbildung weiter machen zu können und nahm ein Schreiben mit heim, welches um ein Gespräch mit meinen Eltern bat, da diese

als Gläubiger sich hatten eintragen lassen. Es endete in viel Geschrei und schlussendlich in der Einigung weiterhin artig zu zahlen. Ich verzichtete fortan komplett auf mein BAföG und mein Kindergeld und verwendete beides für die Schule um meine Eltern zu entlasten. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass er dennoch Schulden machte und mich fast meine Ausbildung kostete. Nun denn, zurück zum Thema. Das zweite Lehrjahr lief an und wir bekamen einen neuen Dozenten. Andreas war das, was ich mir immer unter einem Mann vorgestellt hatte. Sein langes, dunkles, gelocktes Haar, die braunen Augen, der Bart alles an ihm zog mich an. Er war

groß, ca. 1,85 m und etwas korpulenter. Seine Brille und der lässige Kleidungsstil taten ihr Übriges. Er war der „Man next door“ und ich war über beide Ohren verliebt. Doch er sah mich nicht und wenn dann als Schülerin und wahrscheinlich unattraktive Frau. Ich wog damals 126 kg, kleidete mich in praktischer Kleidung, war nie auffällig oder gar schick gemacht. Ich war da und nahm Platz weg. Zu dieser Zeit meiner ersten Verliebtheit muss ich mich wirklich bescheuert aufgeführt haben. Ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen. Jedenfalls tat ich alles um aufzufallen. Was natürlich nichts brachte. Er sah

mich nicht, ich verfolgte ihn auf jeglichen Internetseiten, wie Facebook oder MySpace. Anbei danke Andreas, dank dir komme ich nicht mehr von Facebook weg. -_- Ich war eben wie ein verliebter Mensch ist - bekloppt. So fing ich zum Ende des Jahres an mich zu verändern. Bewusst zu verändern. Ich trieb Sport, jeden Tag, mindestens eine Stunde. Damals hatte ich die Zeit noch. Ich aß weniger, trank mehr Wasser und nahm ab. Wenn auch arg ungesund. Nach 9 Monaten des Abspeckens war ich 56 kg leichter und fühlte mich sauwohl. Ich trug tief ausgeschnittene Oberteile, Kleider, Absatzschuhe und achtete

Haargenau auf mein Äußeres. Aber Andreas sah mich nicht. Anfangs war ich enttäuscht. Ich lernte sogar aktiv Männer kennen, die ihm ähnlich sahen aber es half nichts. Kein Funke sprang über. So blieb ich noch eine ganze Weile in dem Taumel der dummen Verliebtheit stecken um mich dann endlich zu befreien. Ich wurde mir bewusst was ich erreicht hatte, welchen Körper ich erarbeitet hatte und machte weiter. Leider änderte sich auch mein Charakter. Ich wurde eingebildet. Stunden vergingen, dass ich vor dem Spiegel stand um mich auf zu schmücken. Luden meine Mädels mal wieder zur fröhlichen Frauenrunde, kam ich aufgebrezelt um die Ecke und genoss

die Blicke. Ich hatte einen bombastischen Körper. Von außen. Ohne Kleidung sah ich schrecklich aus. Meine Haut hing, ich hatte Gräben von Cellulite auf den Beinen und dem Po, einen hängenden Busen und tiefe Furchen überzogen jeden Hautlappen. So war ich sehr froh über die Erfindung der „Shape-Wear“. Ich besorgte mir Korsagen, Stützstrumpfhosen und Bauchwegunterwäsche und schummelte was das Zeug hielt. So wurde ich schnell zu einer Art Sexbombe, die sich dessen auch bewusst war. Ich kleidete mich aktiv in kurzen Kleidern, beugte mich gern zu weit runter und ließ mein rotes langes Haar in

Wellen auf meine Schultern fallen um dann die lüsternen Blicke zu empfangen. Männer sahen mich an, wie ein Stück Fleisch. Ich hatte einen Doppel-D Busen, eine schmale Taille und dank der Schummel-Klamotten einen Wahnsinns Hintern. Jeder wollte mich und ich ließ jeden abblitzen. Mein Spielplatz war das Internet. Ich lernte über das Portal Jappy regelmäßig Männer kennen. Es war wie ein Rausch. Wenn Männer mich mit ihren Blicken beäugten, sich vor der Kamera entblößten und nur durch einen kurzen Blick auf meinen Busen kamen, fühlte ich mich unbesiegbar. Man bestätigte mir, was ich wusste ich war extrem

sexy. Und eines schönen Tages lernte ich dann einen Mann kennen, der sich weigerte mich via Webcam zu sehen. Er wollte schreiben mehr nicht. Und das reizte mich. Wir schrieben bis spät nachts und ich spürte die berühmten Schmetterlinge aufkommen. Nichts interessierte mich mehr als zu wissen wie sein Tag war. All die anderen Typen waren gestorben. Ich wollte nur ihn. Und so trafen wir uns. Er wohnte um die Ecke. Als er auf mich zu kam, kam ich nicht ohnehin mich zu fragen, was mit mir nicht stimmte. Er war klein, mager, ungepflegt und roch grässlich nach Zigaretten und Alkohol. Aber er hatte

diese Augen, die einen entwaffnen und mitten in deine Seele schauen. Wir verbrachten die gesamte Nacht damit zu reden. Und so trafen wir uns regelmäßig. Meine Eltern hassten ihn, obwohl sie ihn nicht kannten und so kam es, dass ich mit 21 Jahren in die berühmte rebellische Phase hineinrutschte. Wir tranken beide viel zu viel, waren fast ständig im Rausch und hatten unsagbar guten und heißen Sex. Er war wie eine Droge. Ich bekam nie genug von ihm und begann alles andere zu vernachlässigen. Alles ging mir am Arsch vorbei. Ich wollte nur ihn und er wollte nur mich. Er war die Abwechslung die ich brauchte. Und ich

war sein Rettungsanker. Ich rutschte nach und nach in die Abhängigkeit ab, bis ich irgendwann merkte, dass ich ohne Alkohol am Morgen nicht mehr klar kam. Ich brauchte meinen Pegel und rutschte stetig weiter ab. Ich merkte viel zu spät, wie so häufig, dass etwas nicht stimmte. Nicht dass mich der Fall in die Alkoholkrankheit störte um Himmels willen ich genoss es sogar. Endlich fühlte ich mich so, wie ich jahrelang behandelt wurde. Doch weckten mich die Bauchkrämpfe im Februar 2011 nun regelmäßig. Ich hatte Schmerzen, Fieber, Erbrechen. Anfangs dachte ich es käme von den

Mengen an Alkohol doch dann blieben die Monatsblutungen aus. Und noch ehe ich zu meinem Arzt konnte passierte, was in meinem Leben zur Normalität gehörte: es ging schief. Ich schaffte es gerade noch so auf die Toilette, als die Blutungen einsetzten. Wahnsinnig viel Blut von jetzt auf gleich. Es lief meine Beine herunter und ich sah zu. Ich hatte diesen Morgen getrunken, wie so häufig. Doch hatte sich in meinem Leben etwas geändert. Ich hatte einen dumm-naiven Arzt gefunden, den es nicht juckte, ob seine Patienten sich an nichts hielten oder gar mit ihrem Leben jonglierten, als wäre es nur ein Spaß. Dieser Arzt behandelte

mich ohne jede Form der Untersuchung auf meine, nun schon wochenlang anhaltenden Unterleibsschmerzen mit den variabelsten Schmerzmitteln. Ein Besuch bei ihm, ein paar Tränen und ich bekam was ich wollte. Ibuprofen 800, Tilidin, Diclofenac alles Tabletten die man um Himmels Willen nicht mit Alkohol kombinieren sollte. Aber ich sagte mir, was den Doktor nicht schert, ist die Info nicht wert. Und er war froh, wenn er seine Patienten los war. Parallel dazu nahm ich die Pille. AIDA war neu auf dem Markt. Die beste Pille die ihr Körper erhalten kann. Arm an künstlichen Hormonen, sanft zum Körper, keine

Nebenwirkungen. Werbung ist der Wahnsinn. Man hüllt alles in hübsche rosa Wellen, malt ein paar Blümchen dazu und ehe man sich versieht, schaut alles aus, wie ein Regenbogen-Einhorn-Paradies für kleine dumme Mädchen, die zu blöde sind ein Gummi über den Lümmel ihres Liebsten zu ziehen. Also schluckte ich jeden Tag eine der niedlich pinken Pillchen und freute mich auf Kuschelmomente mit meinem Hasi, wo wir unbeschwert vor uns hin vögeln konnten ohne auch nur eine Sekunde daran zu verschwenden, dass so ein Kondom mehr abhält als nur Nachwuchs. Naja - ich melde mich mal kurz

schüchtern und gestehe, ich war im Regenbogen-Einhorn-Paradies und hab den Mist geglaubt der auf der Packung stand. Und nur mal so anbei. Wo „keine Nebenwirkungen“ draufsteht, sind scheiß viele Nebenwirkungen drin. Ich nahm also die Pille, Schmerztabletten und trank artig, täglich 3 Liter - nur eben kein Wasser. Aber die Schmerzen gingen natürlich nicht weg. Als ich dann begann Blut zu urinieren und mal wieder bei meinem Arzt aufkreuzte, erzählte er mir, dass er aufhöre und mir einen anderen Arzt empfehlen würde. Vorab erhielt ich noch ein Rezept für Antibiotika. Neue Situationen erfordern neue Wege.

Ich holte mir das Antibiotika und wusste nicht, dass dieses die Wirkung der Pille aufheben würde. So war ich an diesem Morgen unter Krämpfen auf dem Klo zusammengesunken, hielt heulend meinen Bauch und dachte sterben zu müssen. Die nächste Schmerzwehe ließ mich fast von der Toilette rutschen. Ich hatte keine Unterwäsche an, nur ein T-Shirt zur Nacht. Urin löste sich und dann hörte ich es. Es ploppte, als etwas in die Toilette fiel. Erst dachte ich an einen feuchten Furz, gelöst durch die Krämpfe, doch dann setzte diese grässliche Hitze ein. Wie ein

Fieberschub, der plötzlich kommt und die Welt zum schwanken bringt. Mir wurde schlecht, ich schwitzte stark, fühlte mein Herz rasen und realisierte wie in Zeitlupe, dass die Hitze ihren Ursprung zwischen meinen Schenkeln fand. Wie ein kleines Kind, dass sein Geschlecht das erste Mal wirklich war nimmt, spreizte ich die Beine, zog den Bauch ein um meine Madam zu sehen und sah nichts außer Blut. Der Schamhügel war blutig rot, die Schamlippen tropften förmlich und eine Art Faden hing mir zwischen den Lippen. Ich berührte den Blutfaden vorsichtig

und sah wohin er führte. Im Wasser der Toilette schwamm ein kleiner Haufen Fleisch.


An einem Fötus ist nichts Menschliches zu erkennen. Er ist Hautfarben, überzogen von extrem feinen Äderchen. Man erkennt nicht wirklich wo oben und wo unten ist. Er sieht eher aus wie ein kleiner Frosch. Eine kleine Kaulquappe, welche in der Gebärmutter lümmelt und 9 lange Monate, wohl behütet unter dem Herzen der Frau heranwächst, um dann von Liebe überschüttet älter zu werden. Mein „Mutterglück“ hielt laut dem neuen Arzt keine 3 Monate an. Der Fötus hatte

den Giftcocktail nicht ausgehalten, den ich mir angetan hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass ich schwanger war. Man hatte mir nicht gesagt, dass all das zusammen Pille, Antibiotika, Schmerzmittel und Alkohol nicht funktioniert. Ich war so dumm zu glauben, nicht schwanger werden zu können, wenn man die Pille nahm und der Mann kurz vorm Orgasmus seinen kleinen Schwengel herauszog. Aufklärung war die Aufgabe der eigenen Eltern, nur waren meine zu sehr damit beschäftigt sich auseinander zu leben. So saß ich also da, auf dem Gynäkologenstuhl. Ich fühlte mich anfänglich beschissen. Nicht etwa durch

die Fehlgeburt. Ich war ehrlich erleichtert kein Kind zu bekommen. Zwischen meinem Freund und mir lief es nicht gut. Meine Ausbildung schleifte, ich war kurz vor den Abschlussprüfungen und hing durch. Da ein Kind noch als Topping und ich hätte mich von einer Brücke gestürzt. Es waren die Krämpfe die mir Sorgen machten. Sie kamen regelmäßig. Jeden Tag, fast 20 Stunden lang Schmerzen. Nichts half. Ich hatte seit der Fehlgeburt keinen Schluck mehr getrunken und war in einer Art Dunst gefangen. Alles fühlte sich taub an. Nur das Pochen, knapp rechts neben der Gebärmutter war da. Ein Gefühl wie ein Puls, welcher nach

großer Anstrengung stärker schlägt. Es pumpte förmlich. Mir hat mal ein Arzt ich mag diese Typen, das werden Sie noch lesen, gesagt, dass ein Mensch nicht in der Lage ist rudimentäre Organe, wie die Milz, die Bauchspeicheldrüse oder die Gebärmutter zu spüren, da diese Organe keine eigenen Nervenbahnen haben. Heute, 6 Jahre nach diesem scheußlichen Jahr, möchte ich diesem Mann immer noch ins Gesicht lachen und fragen, ob er sich diese Aussage nicht nochmal überlegen möchte. Der Februar 2011 war der Start für die nächste Achterbahnfahrt.






>> Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. << Arthur Schopenhauer

Der Feind in meinem Bauch

Niemand wusste was mit mir nicht stimmte. Ich hörte von mir aus auf zu trinken, stürzte mich Kopfüber in den Entzug und gewann. Meinen Freund kotzte das natürlich an. Er zog immer häufiger auf Partys, während ich allein im Bett lag und hoffte, dass die Krämpfe aufhörten. Meist schlief ich vor Erschöpfung ein und erwachte komplett Kraftlos. Es war ein Hamsterrad ohne Möglichkeit auszusteigen. Ich absolvierte meine Ausbildung mit dem halben Arsch und verbrachte die meiste Zeit beim Arzt, welcher mich zu variablen „Experten“ scheuchte. Man

vermutete so viel, doch nichts stimmte. Sie behandelten mich mit Hormonen. Progesteron, Gestagen, Testosteron…. nichts half. Ich nahm zu. Anfänglich unmerklich, dann immer mehr. Durch den Alkohol war ich auf 53 kg runter und war froh über die neuen Pfunde. Ehe ich mich versah überschritt ich die 65 kg Marke binnen einem Monat. Man erzählte mir, ich solle auf meine Ernährung achten, weniger Süß - weniger Herzhaft. Ich verriet niemandem, dass ich die meiste Zeit mit Durchfall und Erbrechen auf Toilette saß und am Tag vielleicht 2 Scheiben Toastbrot runter bekam. Es war paradox. Ich hätte dürrer werden

müssen, aber nahm zu. Es war Mai geworden und ich war über 80kg schwer, hatte Wassereinlagerungen in den Beinen und konnte mich kaum mehr bewegen. Man ignorierte mich. Ärzte … es gibt oder gab, was weiß ich, einen Trend, sich den Anus bleachen zu lassen. Für alle Unwissenden. Das heißt, das Arschloch heller machen zu lassen. Dann dackelt man mit einem hübscheren Poloch durch die Gegend. Niemand sieht das dein Darmausgang im Dunkeln leuchten kann, aber du grinst über alle Maßen und fühlst dich unschlagbar. So in etwa werden Ärzte erfunden. Arschlöcher, denen man einen weißen Kittel überstreift und sie glauben dann,

sie seien strahlende Helden und würden über alle Maßen heilen und helfen. Die Realität ist aber folgende: Ärzte sind genauso blöde, wie jeder andere. Sie machen Fehler. Nur stehen die meisten zu ihren Fehlern. Macht ein Halbgott in Weiß einen Fehler bist du der Arsch. Man überwies mich im Mai 2011 an einen Psychiater. Die Schmerzen die ich hatte waren nicht zu erklären, also hieß es fortan, ich bilde mir alles ein. Auch mein Übergewicht käme nicht von den Tabletten, sondern von unkontrollierten Fressattaken, die ich, aufgrund meiner psychischen Störung, nicht mehr mitbekommen würde. Artig wie ich war, ging - oder besser:

schleppte ich mich zu dem Psychiater, vergeudete wertvolle Zeit mit diesem Mann, welcher mich nach mehreren Sitzungen für geistig stabil erklärte und zu dem Schluss kam, die Schmerzen wären gynäkologischem Ursprungs. Sehr zur Enttäuschung meines Frauenarztes stand ich so wieder vor seiner Tür. Ich erhielt allerlei Diagnosen. Darmkrebs, Zysten, Überarbeitung der Gebärmutter aufgrund von zu viel Sex, zu viel Stress, eine Eileiterschwangerschaft war zum Schluss der Favorit aller Ärzte, die mich unter ihren Fittichen hatten. Also ging die Tabletten-Fresserei von vorn los und der Teufelskreis nahm kein Ende.

Ich hatte im August 2011 die 100kg knapp geknackt. Mein Freund wollte kaum mehr etwas von mir wissen. Sex war undenkbar und meine Hauptbeschäftigung war heulen. Ich hatte meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, war staatlich geprüfte Mediengestalterin und keine Sau interessierte es. Für meinen Bruder, welcher in derselben Zeit wie ich eine Ausbildung gemacht hatte, wurde eine riesen Grillparty geschmissen und meine Anwesenheit war zwar gewünscht, aber es wäre allen lieber gewesen, wenn ich ferngeblieben wäre. So saßen wir im Garten meiner Großmutter, tranken,

aßen, sprachen. Jeder jubelte über meinen Bruder, wie hervorragend er sei und was er nicht alles erreichen würde. Er war nun Einzelhandelskaufmann. Kein Kunststück. Ich fühlte mich Eifersüchtig und kniff mir in den Arsch, dass ich gekommen war. Nachdem die Lobpreisungen über den perfektesten Menschen der Welt vorbei waren, lobte man die Grill- und Kochkünste meines Vaters. Jubelte über dies und jenes und kritisierte ohne Unterlass mein Äußeres. „Du lässt dich gehen“ „Hast du das Normgewicht wieder satt“ „Dünn hast du mir besser gefallen“. Ich pfiff äußerlich drauf, innerlich

schrie ich. Als ich das Gespräch dann dahin wagte zu lenken, dass auch ich meine Ausbildung erfolgreich beendet hatte, kehrte eisiges Schweigen ein und man tauschte sorgenvolle Blicke. Wahrscheinlich hatte eine gewisse Person exakt das Gegenteil erwähnt. Und so lehnte ich mich zurück, verzichtete auf jede Form von Ernährung und trank still Wasser, während ich einen unsichtbaren Punkt zu meinen Füßen fixierte. Aus Langeweile und um mich abzulenken griff ich nach meinem Handy und begann meine Krankheitssymptome zu googeln. Ich weiß, blöde Idee. Aber dieses eine Mal in der Geschichte der Menschheit brachte das wirklich mal

etwas. Das war der erste Tag, dass ich etwas von Endometriose las. Es passte alles. Der Verlauf, die Schmerzen, die Auswirkungen. Einfach alles. Und so ging ich am nächsten Tag, mit meinem neu gelernten Wort zum Arzt, welcher mich dermaßen fragend ansah und dann meinte, diese Krankheit gebe es nicht. Sie erinnern sich an die gebleachten Arschlöcher? Den hier hatte man einmal zu häufig behandelt. Nun ja. Nach der, wie immer, sehr liebevollen Behandlung quälte ich mich nach Hause. Nur mal so, für etwaig männliche Leser. Wir Frauen sind die

mit Abstand ärmsten Schweine die rumrennen. Sie kennen doch die leckere Weihnachtsgans, durch deren Rektalöffnung man die Füllung hereinquetscht und das, zum Glück, tote Vieh damit restlos ausfüllt, um dann die Füllung beim tranchieren wieder heraus zu holen. Nun, ich wünsche viel Spaß mit der Vorstellung, wie Sie sich jetzt, ihre Frau, Freundin, Geliebte, sonstewas vorstellen, wie jemand eine Füllung in sie rein prügelt. Dann wissen Sie wie Frauen sich beim Gynäkologen fühlen. So brach ich unter den Schmerzen, auf dem Heimweg, zusammen und begann mal wieder zu bluten. Ich quälte mich zurück zu meinem geliebten Doktor,

welcher mich augenrollend ins Krankenhaus überwies, in welches ich selbstständig fahren durfte. Man leitete eine Not-OP ein. Es war der 14. September 2011 als eine kleingewachsene Frau, Mitte 40 an dem Bett von mir stand, mir die rechte Hand streichelte, während ich aufwachte und müde lächelte. Sie umrundete das Krankenbett und setzte sich zu meiner linken auf einen Stuhl, nah an meinen Kopf, um leise sprechen zu können, so dass die anderen Patientinnen sich nicht gestört fühlen würden. Man hatte mich ausgehöhlt. Endometriose. Ich möchte es mal mit der generellen Erklärung versuchen um dann

die Übersetzung anzugehen, die diese Krankheit verdient hat. Eine geschlechtsreife, fruchtbare Frau blutet einmal im Monat. Die Abstände vom ersten Tag der Blutung bis zum ersten Tag der nächsten Blutung nennt man Zyklus. Dieser Zyklus beträgt im Schnitt 21 Tage. Circa 10 Tage nach dem letzten Tag der Blutung findet der Eisprung statt. Dieser hält 24 Stunden an. Vor dem Eisprung baut sich die Gebärmutterschleimhaut auf, welche der Eizelle als Kissen dient, sollte diese befruchtet werden. Wird die Eizelle nicht befruchtet, nistet sich diese dennoch in die Schleimhaut ein und sondert Stoffe ab, die der

Hirnanhangdrüse mitteilt, dass keine Schwangerschaft vorliegt. Die Gebärmutterschleimhaut wird abgestoßen und über die Periode ausgeschieden. Es setzten die typischen Blutungen ein, welche im Durchschnitt 5 bis 7 Tage anhalten. Es gibt Umstände, die eine solche Periode verändern können. Diese Umstände können sein: Stress, Depressionen, häufig wechselnde Geschlechtspartner, Gewichtsschwankungen, Krankheiten, erfolglose Schwangerschaften. Umstände wie diese können die Periode verschieben oder dazu führen, dass diese ausbleibt. Fällt die Periode einen Monat

aus, scheidet die Frau im Folgemonat über einen minimal längeren Zeitraum Blut aus, welches streng riecht. Bleibt die Periode für länger als 3 Monate aus, passiert etwas sehr Faszinierendes. Die angesammelte, alte Gebärmutterschleimhaut wächst durch die Gebärmutterwand und sammelt sich innerhalb des Bauchraums, an der Gebärmutter an. Hier wird diese als Fremdkörper angesehen. Das Immunsystem reagiert und tötet die Schleimhaut ab. Dieses tote Gewebe wird in winzig kleine Bestandteile aufgelöst und über den Darm ausgeschieden. Das ist der normale Weg, den eine gesunde Frau ab und zu mal ertragen

muss. Bei einer endometriotischen Erkrankung erfolgt folgendes: Die angesammelte Gebärmutterschleimhaut wächst durch die Gebärmutter in den Bauchraum und sammelt sich an der Außenwand des Organs an. Das Immunsystem reagiert und beginnt das Gewebe abzutragen. Es reicht nur ein kleiner Zipfel Gewebe, welches in der Nähe der Eileiter an Östrogen gelangt und das Gewebe beginnt sich zu verändern. Es sammelt sich Monat für Monat neues Gewebe im Bauchraum an. Monat für Monat bekämpft das Immunsystem das Fremdgewebe, welches sich aber an dem

ehemaligen kleinen Zipfel hängt und wächst. Es modifiziert und wird nach circa. 3 Monaten nicht mehr als Fremdkörper erkannt. Ab diesem Punkt kann es ungehindert wachsen. Das endometriotische Gewebe ist winzig klein und kann nicht über eine normale Untersuchung gesehen werden. Es verbreitet sich Spinnennetzartig und siedelt sich an stark durchblutete Orte, wie der Gebärmutter, den Eileitern, der Blase, dem Darm oder der Muskulatur an. Es benötigt Östrogen zum Wachsen, welches es aus den Eileitern abzapft und diese bei seinem Wachstum zusetzt, beziehungsweise verklebt. Es gelangen keine Eilzellen mehr in die Gebärmutter

und die Frau wird unfruchtbar. Es ist nur über eine Bauchspiegelung zu erkennen und zu entfernen. In extremen Fällen müssen die betroffenen Organe vollständig oder zum Teil entfernt werden. Betroffene Frauen werden häufig mit hochdosierten Hormonen behandelt oder aus Unwissenheit seitens des Arztes zu einer Entfernung der inneren Geschlechtsorgane genötigt. Endometriose ist eine extrem schmerzhafte aber „harmlose“ Krankheit. Sie wächst wie Krebsmetastasen durch den Körper und nimmt der Betroffenen jede Form von Lebensgefühl. Ein Leben ohne Schmerzmittel oder OPs ist

unmöglich. Beziehungen gehen hierdurch kaputt, Kinderwünsche werden zerstört, Jobs gekündigt, Freundschaften getrennt. Man ist irgendwann allein mit den Schmerzen und muss immer wieder gegen ignorante Ärzte ankämpfen, welche meinen sie wüssten alles besser. Endometriose kennt keine Gewichts- oder Altersgrenze. Sie kann bei jeder Frau auftreten, egal ob 60 oder 150 kg, egal ob 13 oder 45 Jahre. Und das kapieren Ärzte nicht. Es wird in jeder scheiß Praxis zur 3-Monatsspritze gedrängt, Pillenwerbung gemacht, die Impfung vor Unterleibskrebs angepriesen, aber nirgendwo liegt ein Zettel oder ein Heftchen über

Endometriose. Man muss auf allen vieren um eine OP betteln, während man glaubt, die Schmerzen würden einen zerreißen und erst dann wacht man auf und wird müde und unendlich traurig angelächelt, während eine überarbeitete Fremde deine Hand streichelt um dir zu sagen, dass du ein besonders schwerer Fall bist und kurz vorm krepieren warst. Es war quasi alles betroffen. Die Endometriose hatte sich über die Bauchmuskulatur bis zu meinem Zwerchfell gefressen, über den Darm verteilt und den Magen, sowie die Leber angegriffen. Die Schmerzen der letzten Monate hatten einen Namen und einen Ursprung. Der blutige Urin, die

ausbleibenden Perioden, der blutige Stuhl … alles hatte ein Gesicht bekommen und gleichzeitig mir das Leben mit einem einzigen Blick zerstört. Ich war 22 und bekam gerade die Nachricht, dass ich niemals Kinder haben würde. Meine Fehlgeburt, welche ich eiskalt die Toilette herunter gespült hatte und über die ich froh war, dass diese nie ein lebendes Baby geworden war, war meine erste und letzte Chance gewesen, jemals Mutter zu werden.






>> Wenn der Weg unendlich scheint und plötzlich nichts mehr gehen will, gerade dann darfst du nicht zaudern. << Dag Hammarskjöld

8 Wochen

Ich kam schwierig wieder auf die Beine. Jeder Schritt, jede Bewegung, jede noch so kleine Anstrengung zog enorme Schmerzen mit sich. Die Narben waren winzig, aber sie zogen an der Haut, als würden Gewichte an mir hängen. Mein Freund holte mich vom Krankenhaus aus ab. Sein Schwager fuhr uns und ich quälte mich geräuschvoll in den Wagen um dann auf der Rückbank weinend zu liegen. Es waren die inneren Verletzungen die mich leiden ließen. Man hatte mir die schrägen Bauchmuskeln der rechten Seite an mehreren Stellen leicht durchtrennen

müssen. Wie Muskelfaserrisse durchzogen die kleinen Verletzungen mein Gewebe und sorgten dafür, dass ich das rechte Bein kaum benutzen konnte. Wir fuhren zur Wohnung meiner Eltern, wo mein Freund mich bei meiner Mutter abgab. Ich hatte vorab viel Streit mit meinem Vater gehabt und so fand ich mein Zimmer vor, ohne Couch oder Bett. Meine Eltern hatten sich eine neue Wohnzimmergarnitur geleistet und mir das Eckstück der alten Couch ins Zimmer gestellt. Ein hässlich grünes, kaum 1,50 m langes Stück Sitzfläche, auf welchem ich mich nun auskurieren sollte. Nun, liegen war eine Herausforderung, ins besonders, wenn

man sich nicht normal bewegen konnte und zu groß war für die Liegefläche. Ich hatte gerade eine annähernd angenehme Position gefunden um zu „liegen“, als meine Mutter ankam um mir zu beichten, dass sie nicht einkaufen konnte, weil alles Geld alle war. Sie hatte nichts mehr im Haus und kam nun um die Ecke, mit „ein Esser mehr“. Ich fühlte mich schuldig, geradezu räudig und verstand auch das Argument ihrerseits, auch wenn ich kein wirkliches Interesse an Essen hatte. Ich wollte nur schlafen um den Schmerz verdrängen, der meinen Körper durchzog. So kämpfte ich mich zu meiner Tasche und kramte meine Geldkarte hervor. Doch meine Mutter

wollte nicht. Sie hatte zu viel Angst erwischt zu werden. So sah sich mich an, mit ihren großen traurigen Augen und ich gab nach. Es war scheußlich sich in die Jogginghose zu quälen, deren Bund direkt auf die Narben drückte. Doch mehr war es quälend die 4 Etagen herunter zu laufen. Ich brauchte ewig die vielen Stufen und noch länger benötigte das Ausruhen. Etage für Etage Mein Bruder kam mit uns. Meine Mutter diete als Stütze für mich. Ich spürte wie mein Kreislauf andauernd absackte, wie heißes Blut durch meine Adern rauschte und wie ich immer wieder im Schwindel gefangen dastand. Sie kauften großzügig ein. Es war alles,

was ein normaler Haushalt benötigt aufgebraucht und so füllte sich der Einkaufswagen schnell und unaufhörlich. Sie packten fünf Einkaufstüten voll und taten noch zwei 6er Getränke dazu. So schleppten wir all die schweren Einkäufe die wenigen Meter zurück. Ich selbst trug eine Tüte und hatte das Gefühl zu verrecken. Es ging die endlosen 4 Etagen wieder herauf und ich fiel ohne viel zu überlegen auf mein „Bett“. So ging es 8 Wochen lang. Ich brauchte bei allem Hilfe. Man hatte mir in der OP die Blase gestützt, was zu erbärmlichen Schmerzen beim pinkeln führte. Doch schlimmer war das große Geschäft. Ich

aß viel Joghurt und hoffte mir so einen Gefallen zu tun. Doch saß ich am Morgen danach fast eine Stunde auf der Toilette und heulte Rotz und Wasser, weil ich drücken musste. Man belächelte mich. Nannte mich Weichei und Memme, während ich beim kleinsten Anflug eines Hustens zusammenzuckte. Für meine Familie war ich spürbar eine Last. Doch die größere Last waren meine Gefühle.


Ich kommunizierte mit meinem Freund nur via Handy und spürte von Woche zu Woche wie wenig er mir bedeutete. Ich wusste nicht was in mir, mir sagte, dass ich ihn leid war, doch als wir uns endlich wieder sahen fühlte ich mehr als

deutlich, dass nichts mehr da war. Er war angetrunken, schwankte vor mir von links nach rechts und hatte diesen glasigen Blick. Seine rot unterlaufenen Augen sahen durch mich durch, der Atem stank nach altem Bier und er roch nach Mensch. Es ekelte mich an, ihm nahe zu kommen und doch war ich froh aus dem elterlichen Heim zu entkommen. Ich hatte die gesamte Genesungsphase hindurch nur Stress und Streit mit meinem Vater und war heilfroh gehen zu dürfen. Und doch befand ich mich auf dem falschen Weg. Er begleitete mich zum Fäden ziehen, half mir wo er konnte und doch war er mir fremd. Er trank mehr als sonst, ging zunehmend mit

seinen Kumpels aus und lies mich allein. Als er dann mit einer Katze ankam, wusste ich nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Hannibal war ein kleiner Kater von gerade einmal 8 Wochen. Er musste in dieser verquarzten, dreckigen 24 qm Wohnung sein armes, kleines Katzenleben verbringen und es brach mir das Herz. Mein Freund quälte ihn, wenn er besoffen war, quatschte was von abhärten und Mann werden. Der kleine Kater wurde zunehmend aggressiver, er biss und kratze wo es nur ging. War permanent auf Angriff geeicht und baute keinerlei Vertrauen auf. Ich ging jedes Mal dazwischen, wenn er die Katze

wieder am Brustkorb griff und zu drückte, ärgerte mich jedes Mal, dass ich nicht mehr tun konnte und vermied mehr und mehr den Kontakt zu ihm. Es war der 31. Dezember, der mir den Rest gab. Frühshoppen ist ein Begriff, den ich damals nicht kannte. Ich dachte es würde etwas mit einkaufen zu tun haben, doch dem war nicht so. Statt Kaffee gab es Wodka-Cola zum Frühstück. Dazu eine Scheibe trockenes Weißbrot. Anschließend Rum pur. Er hatte eingekauft. Massig Alkohol, keine Lebensmittel. Er schenkte mir immer nach, was ich nicht trank stürzte er weg. Mittags waren wir zu betrunken um stehen zu können. Er entschied, dass wir

den Nachmittag und Abend in Warnemünde verbringen würden und nutzte meinen angetrunkenen Verstand aus. So schleppte er mich von Bar zu Bar und füllte mich mehr und mehr ab. Ich wollte und konnte nicht mehr und weiß noch, wie ich mit einem Mix aus Übelkeit und Müdigkeit zu kämpfen hatte. Kurz nach Mitternacht schlief er in einer Bar ein, nachdem er puren Stroh 80 getrunken hatte. Man verwies uns darauf hin der Bar und ich taumelte mit ihm durch die Straßen. Es war mir peinlich so herum zu eiern und entscheid in dieser Nacht, dass es Zeit war Schluss zu machen. Wir fuhren heim, schliefen sofort ein

und als wir mittags zu uns kamen war mir nur noch schlecht. Er hingegen soff weiter und ich entschied zu gehen. Ich suchte mehr als einmal das Gespräch mit seiner großen Schwester, welche mir immer wieder sagte, dass es ihn zerbrechen würde, wenn ich gehe, doch die Silvester Nacht hatte mir gezeigt, dass er sich nicht für mich und meine Entscheidungen interessierte. Und so sprach ich mit ihm und wir trennten uns. Es war kurz und schmerzvoll. Viele Tränen flossen und ich ging geknickt zurück in mein Elternhaus, wo man mich nicht mehr sehen wollte. Ich glaube, wäre meine Mutter nicht gewesen, wäre ich auf der Straße gelandet.

Es folgte der Versuch der Normalität. Meine Mutti besorgte mir ein Vorarbeiten bei ihrem Arbeitgeber und ich dachte nicht lange nach. Es war ein Job in der Gebäudereinigung. Knochenarbeit, schwer, ungeachtet und scheiße bezahlt, aber es war ein Job und man war allein. Keine nervigen Menschen, die blöde Fragen stellen. Zeit für sich und sich selbst. Und für die eigenen Gedanken. Ich glaube es war dieser Job, der mich dazu anregte mich auf eine Affäre mit meinem Ex-Freund einzulassen. Wir trafen uns einmal die Woche für Sex. Mehr nicht. Ich war Gefühlstot. Er vögelte mich und ich ließ

es zu. Doch er interpretierte mehr hinein als notwendig. Und kam früher als nötig um die Ecke mit Liebesbekundungen. Als er mich dann mehrfach nachts im stocktrunkenen Zustand anrief um mir zusammenhanglose Dinge ins Ohr zu babbeln wurde es mir zu blöde. Wir trennten uns erneut. Und diesmal wirklich. Ich heulte viel aber es wurde mit jedem Tag besser. Auch der Fakt, dass ich durch den Job wieder Gewicht verlor und nach und nach wieder attraktiver wurde begünstigte, dass ich mich wohler fühlte. Die Komplimente der Männer taten ihr Übriges. Ich genoss das Single-Dasein. Ohne einen Mann, ohne dumme Gefühle. Es

war wie eine Wiedergeburt. Das familiäre Verhältnis war zwar zerstörter als je zuvor aber auch das ließ sich nachts, bei der Arbeit verdrängen. Das einzige was litt, waren Freundschaften. Ich arbeitete häufig von 18 Uhr bis 6.30 Uhr und schlief dann bis 15 Uhr. Es war für nichts mehr Zeit. Freie Tage wurden für Mädels-Tage genutzt. Mein Verdienst nutzte ich für Kleidung und Möbel. ich richtete mir mein Zimmer ein, gestaltete es, wie ich es wollte und genoss es zunehmend, mich neu zu entdecken. Ich trug Kleider, Absatzschuhe, Make-Up. Ging einmal im Monat zum Friseur und tat viel für mich selbst. Etwas was ich heute wirklich

vermisse. Nicht das ich mich nicht pflegen würde, aber die Zeit für mich selbst vermisse ich sehr. Nun denn ich arbeitete viel, sorgte mich um mich selbst und lernte über das Internet wahnsinnig viele Männer kennen. Skype war mein neuer bester Freund und ich entdeckte die schmutzige Seite meinerseits. Jappy war wieder da. Die wunderbare Webseite, wo man sagen könnte, hier treffen sich Leute um Personen zum vögeln zu finden. Und so tat ich es auch. Ich lud bewusst attraktive Bilder von mir hoch, suchte Kontakt zu leichten Männern und hatte jeden Abend mit einem anderen via Skype ein

Techtelmechtel. Einige von Ihnen durften mehrmals Zaungast sein. Wir masturbierten und onanierten voreinander, schickten Nacktbilder hin und her und schrieben uns erotische Nachrichten. Es gefiel mir und widerte mich gleichzeitig an. Als dann Männer kamen mit Beziehungsanfragen stellte ich auf taub. Im September hatte ich dann das erste Mal wieder ein Date. Er lud mich zu einem Fußballspiel von Hansa Rostock ein und wir saßen bei Sprühregen und ekelig kalten 12 Grad im Stadion und sahen den unmotivierten Spielern zu, welche ohne jede Freude von A nach B latschten und haushoch verloren. Nach

dem Spiel gingen wir essen. Currywurst und Pommes. Ich zahlte selbst und er fragte mich ob er mir etwas zeigen könne. So fuhren wir zu seinem Arbeitsplatz. Er stellte Windräder her und so standen wir da und sahen durch den Maschendrahtzaun auf das Gelände der riesigen Hallen. Er selbst baute die meter großen Rotorblätter und erzählte mir über diese. Ich hörte zu, gespannt, fasziniert, angeregt. Dann beugte er sich zu mir und küsste mich. Es war ein unangenehmer Kuss, direkt mit Zunge. Es fühlte sich an, als würde er mir das Gesicht ablecken. Ich spielte zwar mit aber brach ab. Es war alles andere als angenehm. Wir fuhren zurück und er

parkte vor meiner Wohnung. Wir fummelten, knutschten und entschlossen nach Warnemünde zu fahren um es dort im Auto zu treiben. Als wir angekommen waren, merkte ich, dass ich mir mal wieder einen Idioten angelacht hatte. Er war selbstverliebt, von sich maßlos überzeugt und widerlich arrogant. Er präsentierte mir seinen winzigen, krummen Penis und redete mir etwas vor von, riesiger, mega-harter, geiler Schwanz, der mich aufspießen würde und machte dann einen Rückzieher, da er keine Gummis bei hatte und viel zu schnell kam. Er „befriedigte“ mich oral und rammte mir dann so stark seine Hand in den Schritt, dass ich zu bluten

anfing. Als er in meinem Mund kam und das Blut bemerkte war die „Romanze“ dahin. Wir fuhren schweigend zurück, er ließ mich raus und ich ging heim. Ich hatte noch Tage später Schmerzen im Schritt und bekam täglich SMS und MMS von ihm. Abends rief er mich an, ignorierte es, wenn ich auf Arbeit war und nicht konnte. Sein einziger Grund mich anzurufen war, um Telefonsex zu haben. Als er mir dann Anfang Oktober mitteilte, dass er wieder etwas mit seiner Ex hatte aber mit mir weiter am Telefon Spaß haben wollte, schoss ich ihn ab. Kurz darauf lernte ich einen weiteren Herrn kennen, mit dem ich heute fast 4,5 Jahre zusammen bin.


An dieser Stelle: Danke Sebastian, du hast mir das Leben gerettet.






>> Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst Du im Heute von Neuem beginnen << Buddha

Aufbruch

Es war im November, als wir uns das erste Mal trafen. Wir hatten uns übers Web kennengelernt, schrieben viel, nie über Sex und genau das war es was mich anzog. Er sexualisierte mich nicht und das gefiel mir. Ich fuhr nach Berlin, meine erste große Reise allein. Ich war aufgeregt wie ein kleines Mädchen und störte mich kein wenig daran, dass er vollkommen gelangweilt am Bahnhof wartete. Ich küsste ihn zur Begrüßung und brach so das Eis. Er wohnte in einer WG, mit zwei anderen Männern, was sehr zum Geruch in der Wohnung beitrug. Er zeigte mir Berlin, ging mit

mir auf ein Konzert und stellte mir seine Freunde vor. Ich hatte ein vollkommen neues Gefühl von Freiheit und er gab es mir ohne etwas dafür zu tun. Als wir das erste Mal miteinander schliefen störte es mich nicht, dass es kein guter Sex war, ich genoss die Nähe und die Zuneigung die er mir spendete. Er behandelte mich liebevoll und voll Respekt und genau das brauchte ich. Ich blieb eine Woche in Berlin und war tottraurig als ich zurück nach Rostock fuhr. Wir telefonierten täglich und ich lud ihn zum Weihnachtsfest zu mir ein. Es war ein Kampf meine Eltern, oder besser gesagt meinen Vater zu überreden mir diesen Besuch zuzulassen. Ich war

24 Jahre jung und durfte keinen Besuch empfangen. Niemand durfte zu mir kommen, keine Freunde nichts. Mein Vater behandelte mich weiterhin wie ein kleines Kind, dass zu doof war geradeaus zu gehen. Ich widersetzte mich und nutzte mein eigenes Geld um meinen Freund und mich zu verpflegen, was die dummen Regeln meines Vaters brach. Und so zählten wir die Tage bis es zu unserem Wiedersehen kam. Ich holte ihn vom Hauptbahnhof ab und wir fuhren zu mir. Wir tauschten quasi die Rollen des ersten Treffens. Wir waren kaum daheim. Ich zeigte ihm Rostock, wir gingen über den Weihnachtsmarkt, sahen „Ralph reichts“

im Kino und genossen gemeinsam den ersten Schnee. Als wir abends heimkamen, fielen wir zusammen ins Bett, liebten uns leidenschaftlich und schliefen Arm in Arm ein. Es war wunderbar und gleichzeitig erschreckend intim. Wir erzählten uns alles, verheimlichten nichts und ich beschloss mit ihm zu Silvester nach Berlin zu fahren. Doch der Beschluss ging weiter. Ich entschloss in Berlin zu bleiben, weg zu gehen, ohne viel Gerede. Die Freiheit die ich in Berlin verspürt hatte, zog mich an und ich wollte sie auskosten. So war es ein kurzer Abschied vom Elternhaus und eine lange Fahrt in die Hauptstadt, die mein neues Heim werden

sollte.

Es war ein schwerer Start. Man versprach mir Arbeit, die ich nicht bekam, man versprach mir Harz IV, dass ich ebenfalls nicht bekam und so schrieb ich von daheim aus Werbetexte für Firmen und verdiente so im Monat knapp 200 €. Im Februar begann ich dann ein Praktikum in einem Kleinverlag in Berlin-Marzahn, welches 4 Wochen lang ging. Danach stellte man mich auf 250 € Provision ein, was mein erster Grafiker Job wurde. Im März darauf fand ich den nächsten Job in Berlin-Zehlendorf, als freie Mitarbeiterin in einer Werbewerkstatt. So hatte ich drei Jobs

von jetzt auf gleich, verdiente fast 2000 € netto und ließ es mir gut gehen. Ich war von 5 Uhr früh bis 23 Uhr auf den Beinen. Arbeitete von 9 bis 18 Uhr in Zehlendorf. Danach ging es häufig noch nach arzahn oder zum Texte schreiben. Am Wochenende ging es nur nach Marzahn. Von 11 Uhr bis 5 Uhr früh schuftete ich unter viel Kaffee und 5-Minuten Terrinen. Es war kein schönes arbeiten, zumal man mich seitens Marzahn mehr als unregelmäßig bezahlte. Auch von Zehlendorf aus wurden die Stunden immer weniger. Als dann der Schreiberjob gekündigt wurde vielen die beiden andren Jobs auch ins Wasser. Der Inhaber der Werbewerkstatt

entließ mich aus Kostengründen im Juni und der Heini vom Kleinverlag meldete im selben Monat Privatinsolvenz an. Von jetzt auf gleich war ich arbeitslos und musste zum Jobcenter, welches mir jede Zahlung anfänglich verweigerte, weil ich ohne mich abzumelden aus Rostock abgehauen war. Mein Freund war ebenfalls arbeitslos und so war Geld immer unser ewiger Feind. Ich fechtete die ausstehenden Zahlungen seitens Marzahn an, doch geschah nichts. Man gab mir ab und an mal 20 oder 50 € aber mehr passierte nicht. Zum September hin meldete sich der Chef der Werbefirma wieder und bat mir den alten Job an, den ich gierig annahm. So kam wieder Geld

in die Kasse. Mein zweiter Feind war, neben dem Geld, mein Vater, der mich mit Zahlungsaufforderungen bedrohte. Er verlangte stetig das Geld zurück, was ich ihm „schuldete“. Er stellte mir alles in Rechnung was ich ihm gekostet hatte, über die letzten Jahre hinweg. Gleichzeitig bekam ich unendlich viel Post von Gläubigern, von denen ich zuvor nie etwas gehört hatte. Jeder verlangte Geld von mir. Wie sich herausstellte, kaufte mein Papi artig Dinge auf meinen Namen und bezahlte nichts. Er gab überall meinen Namen an und schaukelte sich dann die Eier. So bekam ich stetig Post und heulte mich

Nacht für Nacht in den Schlaf. Doch alle guten Dinge sind drei. Und so tat das Leben sein Übriges. Unser Mitbewohner entschied sich eines schönen Tages dazu Vegetarier zu werden. Nicht etwa um der Umwelt und der Tierwelt zu frönen, sondern, weil Vegetarierinnen sehr einfach zu kriegen sind. Und so schleppte er eine nach der nächsten an. Eine jünger wie die andere. Angeblich waren alle 18. Doch waren alle auch unsagbar dumm. So plauderten sie munter aus dem Nähkästchen. Wir erfuhren von ihnen ihr Alter. So hatte unser 25-jähriger Mitbewohner regelmäßig Sex mit 13 bis 16-jährigen und dachte sich nichts dabei. Zu seinem

Spleen Minderjährige flachlegen zu müssen, kam der Gedanke „Bitcoin-Mining“ dazu. Eine eigentlich rentable Sache, wenn man weiß wie es geht. Er wusste es nicht aber das wussten seine „Kunden“ ebenfalls nicht. So überredete er meinen Freund dazu mit zu machen und sich als Partner eintragen zu lassen. Sie fanden zwei Typen die 15.000 € in das angeblich rentable Geschäft, investierten und legten eine Bauchlandung hin. Unser Mitbewohner kaufte von dem Geld groß ein und war von einem Tag auf den nächsten mit seiner Freundin verschwunden. Die Kunden seinerseits wurden immer aggressiver, da diesen Gewinn

versprochen wurde, diese aber keinen Cent sahen. Wir taten alles um unseren Mitbewohner wieder zu finden, doch er wahr vom Erdboden verschwunden. Dann kamen die Briefe. Vermietung, Strom Anbieter, Gläubiger. Sie alle verlangten Geld. Und sie alle wollten es von uns. Der Vermieter wandte sich direkt an die Hauptmieter und mein Freund war einer davon. Es waren 6 Monate Teilmiete offen. Unser Mitbewohner hatte nirgendwo einen Cent gelassen. Und so standen wir da. Die Kündigung der Wohnung war so gut wie fix, den Strom wollte man uns abdrehen und ein Gerichtsvollzieher nach dem nächsten verlangte nach unserem

Mitbewohner. Und niemand wusste wo er war. Wir suchten mit jedem das Gespräch, versuchten die Wellen zu glätten. Viele kamen uns entgegen, viele ließen uns gegen eine Wand rennen. Wir standen in der Mitte und wussten nicht ob links oder rechts. Wir entschieden ihn aus dem Mietvertrag zu schmeißen und die Vermietung stimmte dankend zu. Es war Oktober. Es gibt Tage die vergisst man nicht. Ich weiß dieses Buch ist voll mit solchen Tagen, aber der ein oder andere ist auf ewig im Gehirn eingebrannt. Es war der 2. Oktober als wir von einem Konzert aus Potsdam zurückkamen. Ich

glaube es war 3 Uhr früh, als wir die Haustür aufschlossen und laute Musik im Wohnhaus zu hören war. Wir fragten uns noch wer so asozial ist um diese Uhrzeit so laute Musik zu hören. Die Antwort kam uns mit jeder Stufe entgegen. Als wir dann vor unserer Wohnungstür standen, kochte die Wut in meinen Adern. Wir schlossen die Tür auf und der Flur war voller Schuhen. Ich wäre am liebsten geplatzt. Die Wohnstubentür war zu, aber die lauten Geräusche waren nicht zu überhören. Neben den Schuhen lagen Jacken, Schals und Taschen kreuz und quer umher. Ich wartete nicht bis mein Freund seine Jacke und Schuhe abgelegt hatte, sondern riss die

Stubentür auf, schaltete das Licht an und überschrie mich quasi, als ich fragte ob er noch ganz richtig ticke. Ich sprang ihm förmlich ins Gesicht. Es kostete mir extrem viel Überzeugung ihm keine zu scheuern. Mein Blut kochte, ich war stinksauer, niemand sagte etwas, nur mein Mitbewohner grinste mir blöde ins Gesicht und kostete seine Überlegenheit aus. Er verkündete stolz, dass er die Mietschulden beglichen hatte und feierte einfach weiter, als wäre er nicht 5 ½ Monate verschwunden gewesen. Als hätten wir uns 5 ½ Monate nicht mit seinen Schulden herumschlagen müssen. Er tat als wäre die Welt in Ordnung und ruhte sich darauf aus. Ich konnte

tagelang nicht schlafen, war unentwegt wütend. Am nächsten Tag begann ich die Wohnstube auszuräumen. Sein Auszug stand fest und ich wollte nicht warten, bis er seinen faulen Arsch bewegte. So schmiss ich alles zusammen ohne Rücksicht auf Verluste. Zum ersten November zog er dann aus. Ich hatte am selben Tag ein Treffen mit meinem Hausmeister, welcher das Wohnungstürschloss austauschte. Dieser erzählte mir dann, dass mein Mitbewohner ein Mädchen aus dem Haus sexuell bedrängt hätte und versucht haben soll, sie zu vergewaltigen. Nie wieder habe ich einen Menschen so sehr gehasst. Dieser Typ war wie mein

Vater. Aalglatt. Immer fiel er weich und immer wurde er aufgefangen. Er bekam alles was er wollte und tat nie etwas dafür. Als dieser Mensch endlich fort war, war das erste was ich tat aufzuräumen. Ich wollte abschließen mit diesem Abschnitt des Lebens. Danach ging es langweilig fort. Mein Freund bekam einen Job aber die Geldprobleme blieben. Im Frühling 2016 bekamen wir dann den ersten großen Magenhieb. Wie sich herausstellte wurden nicht alle Mietschulden beglichen. Auch wir hatten mit der Zahlung geschludert und unsere Vermietung kündigte uns. Wir konnten aber alles retten. Seither ging es normal

weiter. Ich arbeitete 2014 und 2015 von daheim aus als freischaffende Grafikerin und bekam 2015 dann einen Job in einem Motel als Gestalterin, welchen ich dankbar annahm. 2016 kam dann im August der nächste Job dazu. Das Leben nahm seinen gewohnten Gang. Es wurde widerlich langweilig.






>> Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. << Friedrich Nietsche

Immer auf die Kleinen

Es gab nicht viele Ereignisse die erwähnenswert wären. Meine Mutter hatte endlich meinen Vater sitzen lassen und war ausgezogen. Seit April 2016 war sie allein wohnend, was dazu führte, dass ich unentwegt WhatsApp Nachrichten über ihr Sexleben bekam, was mich wirklich anwiderte. Mutti, falls du das hier liest. Nein, sowas macht man nicht! Mein Papa hingegen hatte ein neues Opfer gefunden. Er ließ all seinen Scheiss an meinem Bruder aus. Und mein Bruder war das perfekte Opfer. Der arme verlassene alte Mann konnte einem aber auch leid tun. Die Töchter, die er

jahrelang misshandelt hatte, hatten den Kontakt abgebrochen. Die dumme, hörige Frau war aufgewacht und gegangen. Und zu allem Überfluss bemerkte er, dass man, um sich Dinge leisten zu können, arbeiten musste. Doch auch diese Einsicht hielt nicht allzu lang an. Er tat meinem Bruder leid und dieser wollte seinem Vati Halt geben, welcher das wiederum gewissenlos ausnutze. So überredete er ihn zu einem Telefonvertrag, einem neuen Auto, einem neuen Internetanbieter und vieles mehr. Mein Bruder nahm einen Kredit auf und kaufte was Vati wollte und Vati spielte sich am Schnuller. Als dann herauskam, dass Papi all sein Geld

verwendete, dass er verdiente um seine neue Freundin zu verwöhnen und keinen Cent Miete oder Strom oder sonst was zahlte, krachte die Realität auf meinen Bruder ein. Von jetzt auf gleich stand er ohne Hosen da. Papa hatte ihn ausgenommen und ihn mit 30.000 € in die Schuldenfalle gesteuert um sich dann zu seiner neuen Freundin zu verpissen, ohne ein Wort zu sagen. Nebenher hetzte er seinem Sohn die Polizei auf den Hals, da dieser es sich wagte auszuziehen und seine Sachen mitzunehmen. Und das akzeptierte Papi nicht, da dieser Mensch alles besitzen wollte, egal ob Objekt oder Mensch.

Meinem Bruder hat es das Genick gebrochen. Er wusste nicht mehr wo unten und oben ist. Wusste nicht mehr was er tun sollte. Er war und ist, bis zu den Schultern in Schulden versunken, bekam täglich gelbe Briefe, täglich Anrufe und die Schulden wurden mehr und mehr. Für unseren verhassten Vater ist dies ein Opfer gewesen, dass er dankend annahm, da dieser Typ keine Skrupel hat. Diesem Menschen ist alles egal. Er geht über Leichen und ihm ist es egal, wen er dabei tötet. Seiner neuen Uschi erzählte er, dass er ein Mensch der Ruhe sei, er liebe die Symphonie der Stille. Er könne nicht

laut sprechen, da seine Stimme nur die Ruhe kenne. Als ich das hörte musste ich lachen. Ein Mensch der jeden anschreit, der bei jedem Rotz ausrastet und tagelang bockt, wenn jemand nicht das macht, was er will. Ein Typ der unseren Hund fast getötet hätte, der seine Kinder, ob leiblich oder nicht, so verstört hat, mit seinem Geprügel und Gebrülle. Dieses Vieh, dieses Monster von Mensch soll wieder weich fallen, soll wieder Glück haben und wieder auf den Beinen landen, ohne Konsequenz, wieder jemanden finden der ihm die Hand hinstreckt, soll wieder den ganzen Arm nehmen. Dieser Mensch hat locker 120.000 €

Schulden, Geld das er auf den Rücken anderer angehäuft hat. Gelder worüber er sich keinen Kopf macht. Er hat Autos auf den Namen meiner Mutti gekauft, hat sich immer wieder Dinge gekauft. Was ich allein an Schulden abgebaut habe, die er auf meinen Namen gemacht hat. Er hat einen Telefonvertrag auf meinen Namen erstellt, kaum dass ich 18 war und nie einen Cent bezahlt. Stattdessen habe ich die Schulden an den Hals bekommen, habe Jahrelang nicht einen Brief bekommen und durfte dann 2010 zum Anwalt und eine Eidesstaatliche Versicherung unterschreiben und wusste nie für was. Erst 2015 habe ich Post erhalten, habe die Summe von über 1100

€ Telefonschulden gesehen und ihn verpflichtet das Geld zu zahlen. Doch damit noch lange nicht genug. Er hat auf meinen Namen einen PayPal Account eröffnet und darüber Gartengeräte gekauft, für einen Garten den er nie besucht. 600 € hat er damit veruntreut und nur zu gern hätte ich sein bescheuertes Gesicht gesehen, als die Bullen vor seiner scheiß Tür standen und ihn darauf angesprochen haben und man ihm dann die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Hätte er nicht bezahlt wäre er im Knast gelandet. Und nun?! Nun spielt er dieses Spiel mit seinem Sohn. Den Menschen wo ich immer dachte, dass dieser den Standpunkt eines

Heiligen hätte, in den Augen seines Papas. Aber ich habe mich geirrt, da es für dieses Schwein keine Grenzen gibt. Stattdessen erfahre ich von seinen Söhnen aus erster Ehe, dass er eben diese Scheiße schon einmal abgezogen hatte. Dass er im Knast war, zwecks Staatsverrates in der DDR, dass er seine Frau angeschrien hatte und auch hier massig Geld angehäuft hatte, nur eben wieder im Minusbereich. Gejuckt hat es ihn wohl nie. Und nun die nächste Frau die unter diesem Affen leiden soll. Die nächste die Geld verlieren wird und damit ihren Lebenswillen. Die nächste arme Seele, die diesem Dämonen alles Opfern wird.

Ich habe Mitleid mit ihr, mit dieser Fremden, die mich eigentlich nicht interessieren sollte, aber sie tut es. Sie tut mir leid. Ich bin heute 28 Jahre alt. Ich habe seit ich 12 Jahre alt bin Depressionen. Die kurze Therapie hat nichts gebracht. Ich leide heute noch unter all den Jahren die ich mit diesem Menschen verbracht habe. Ich habe im Elternhaus gewohnt, bis ich 23 war. Habe all diese Jahre damit zugebracht mir die Angst, die Verzweiflung, die Trauer und die Wut nicht anmerken zu lassen. Habe viel zu viele Nächte damit zugebracht zu heulen, habe zu wenige Tage unbeschwert gelacht, zu viele Tage

im Schatten gestanden, statt auch nur einmal auf den Sonnenschein zu zugehen. In der Zwischenzeit ist mir irgendwie alles egal geworden. Ich glaube Berlin hat mich kantig gemacht. Ich leide noch immer unter depressiven Phasen, aber ich habe sie besser unter Kontrolle. Das Leben wird nie einfach. Wer weiß was noch alles kommen wird. Wie häufig das Leben noch nehmen und wie selten es geben wird. Fakt ist, ich werde kämpfen. Denn nichts nimmt mir mehr meine Errungenschaften. Ich habe gegen Riesen gekämpft und gesiegt. Und egal was kommen wird, ich habe beschlossen nie wieder im Dreck liegen zu bleiben. Ich bin zu häufig

aufgestanden um mich schlussendlich zu ergeben. So sage ich hiermit meinem Papi ganz klar: Du kannst mich nicht brechen. Du bist nichts weiter als ein armseliger, alter, verlogener Mann, der nichts hat, außer Scherben, die er als sein Leben bezeichnet. Du hättest 2015 an deiner Blutvergiftung verrecken sollen. Einsam, ohne jemanden der deine Hand hält. Aber du hast überlebt. Ich wünsche dir Leid. Ich wünsche dir unendliches Leid. Du bist der Mensch, der Grund für all diese Zeilen. Der Grund für all meine Alpträume. Du hast mich in dieser Welt gelassen um mich dann zu brechen. Stattdessen hast du mich stark gemacht.

Und diese Stärke will und werde ich niemals abgeben.


Ich habe mir ein tolles Leben erarbeitet. Habe zwei wunderbare Katzen, die ich hüte wie meine Kinder. Habe einen tollen Mann an meiner Seite, der mich unterstützt und mir auch mal in den Arsch tritt. Ich habe in den letzten Jahren viele Menschen kennen gelernt, die mir einen Weg gezeigt haben. Ich gehe meinen. Und ganz egal ob Regen oder Sonnenschein, ich werden nicht wieder im Dreck landen. Die Zeiten des liegenbleibens sind vorbei.

Schlusssatz

Ich möchte mich zum Schluss entschuldigen, bei meiner Schwester, meinem Bruder und meiner Mutter. Ich habe viel in mich hinein gefressen und häufig geschwiegen. Das ihr so erfahren müsst was alles geschehen ist, ist bestimmt nicht einfach. Aber reden war ja bekanntlich nie meine Stärke. Ihr sollt wissen das ich euch wirklich lieb habe und dankbar bin für jeden von euch.


Und damit Sebastian ruhig schlafen kann: Ja, du bist mein strahlender Held, du doofer Vogel ;) Aber das weißt du ja.

0

Hörbuch

Über den Autor

KathaGro

Leser-Statistik
36

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Bleistift 
"Das Leben nimmt..."
Bereits nach den ersten sieben Seiten ahnte ich,
dass Du eigentlich Bobbeles Tochter sein musstest... LOL
Und im Übrigen schreibt man "Fressen", "Scheißen" und
"Ficken" in diesem Fall nur klein... ...smile*
Hab ich Dir schon gesagt,
dass ich rothaarige Frauen
mit wild wuscheligen Haar mag? ...grinst*
Kannst Du ja später alles bei mir nachlesen... grinst*
Deine Story muss ich nachher gleich erst einmal zu Ende
lesen, wenn ich wieder zurück bin...
Dir noch einen schönen Sonntag...
LG
Louis :-)


Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
1
0
Senden

152320
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung