Ralley Cross im hinterhof
Für uns drei Kinder gab es zunächst nur ein Fahrrad in der Familie. Das meiner Schwester. Und da es zum Glück nicht rosa war, sondern silbermetallic, konnte es an uns Jungs weitervererbt werden, als meine Schwester ein Klapprad bekam.
Das heißt, offiziell bekam es mein Bruder, da ich mir sehnlichst einen roten Roller mit weißen Reifen wünschte. Zu der Idee dazu kam ich durch eine Geschichte in einem Kinderbuch, in der es um einen roten Roller mit weißen
Reifen ging, der Zauberkräfte besaß. „Roter Roller Kilingeling“, hieß die Geschichte, von der ich aber weder weiß, wer sie geschrieben hat, noch in welchem Buch sie veröffentlicht war.
Aber zurück zum Fahrrad.
Meine Eltern bestanden darauf, dass ich so früh wie möglich Fahrrad fahren lernen sollte und dazu durfte ich dann auch das Fahrrad meines Bruders benutzen.
Ich lernte es auch ziemlich schnell, mich sicher auf diesem kleinen Kinderfahrrad zu bewegen. Auf unseren Exkursionen durch die Stadt wechselten sich mein Bruder und ich auf dem Roller und dem Fahrrad ab.
Es gäbe so einiges zu erzählen über unsere Fahrrad Abenteuer, doch eines blieb mir ganz besonders in Erinnerung. Auch deswegen, weil ich noch heute meinem Schutzengel dankbar bin, dass mir damals nichts ernsthaftes passiert ist.
Auf die Idee kamen mein Bruder und ich durch eine Sendung im Fernsehen, bei der Motorrad Fahrer spektakulär über die verschiedensten Hindernisse fuhren.
Unser Hinterhof war von vier Gebäuden eingerahmt. Der ganze Komplex war im Mittelalter ein Kloster, daher auch unsere damalige Anschrift. Klostergasse.
In diesem Klosterhof befanden sich zwei
große Beete, in denen die Bewohner der Klostergasse etwas anpflanzen konnte, die aber sehr zur Freude von uns Kindern, im wesentlichem der Natur überlassen wurden.
Besonders das erste Beet hatte es uns an getan, in dem sich ein großer Erdhaufen befand. Wieso und warum der da war, weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir auf und um diesem Erdhaufen sher gerne gespielt und nannten ihn unseren Klosterhügel.
Nun war es aber so, dass zu dem Klosterkomplex auch die Karmelitenkirche gehörte und zu dieser der Heizungsraum, der gleichzeitig und praktischerweise auch Waschküche war.
Diese Wachküche hatte nicht nur einen Zugang vom Haus her, sondern auch vom Hof. In Form einer Betongrube, in der rechts Stufen hinab führten und links wieder hinauf.
Der Zwischenraum zwischen unserem Klosterhügel und dieser Betongrube war ziemlich knapp bemessen, weswegen auch immer eine Diele (Holzbrett) über der Grube lag, die diese aber nur halb bedeckte. Man wollte ja schließlich noch runter und rauf gehen können.
Eines Tages sahen wir im Fernsehen also diese Sportsendung, bei der Motorradfahrer querfeldein und über sämtliche Hindernisse fuhren. Mein
Bruder und ich waren uns sofort einig, dass das auch mit Roller und Fahrrad gehen musste.
Gesagt, getan. Am nächsten Tag würden wir unseren eigenen Rallley Cross im Hinterhof veranstalten. Je zwei Runden mit dem Roller und mit dem Fahrrad.
Die Strecke verlief rund um den Klosterhügel, über die kleine Wiese bis zum Betonpfosten, an der die Wäscheleine angebracht war und wieder zurück zum Klosterhügel.
Die Runden mit dem Roller verliefen ganz gut, nur mit dem Fahrrad verlor ich in der ersten Runde etwas an Zeit, die ich in der zweiten unbedingt aufholen musste. Bei der Anfahrt zum
Klosterhügel gab ich ordentlich Gas, umrundete ihn und bekam zum ersten Mal im Leben so richtig zu spüren, was Fliehkraft ist. Ich ging viel zu schnell in die Kurve, Kam auf das Brett über der Betongrube, sah den Abgrund nahen, rutschte von dem Brett ab und stürzte in voller Fahrt in die Grube.
Ob meine Eltern mich damals geschimpft hatten, weiß ich gar nicht mehr. Beichten musste ich es ja, da ich am arm einige Abschürfungen hatte. Am Fahrrad selbst war nur das vordere Schutzblech etwas verbogen, das wir aber selbst wieder hin biegen konnten.
Ich darf gar nicht zurückdenken, was alles hätte passieren könne, ohne
Fahrradhelm und Ellbogen und Knieschützer, die heute so üblich sind, für Kinder.
Aber noch heute, wenn mich mal wieder der Rausch der Geschwindigkeit packt, denke ich ab und zu an dieses Erlebnis und daran, dass ich nie schneller fahren sollte, als mein Schutzengel fliegen kann.