Immer wieder ließ er seinen Blick an sich herunter schweifen. Das Symbol war wie eine Tätowierung auf seinen Bauch gedruckt. So mystisch, wie es aussah, konnte es nur von einer anderen Zeit stammen. Hierzulande mit dem neuem Anführer und den immer weniger werdenden alten Geschichten, konnte nichts Neues entstehen. Cero war sich sicher, dass auch nichts Neues entstehen brauchte. Die Magie, die Schauermärchen, die Erzählungen von hinter der verbotenen Mauer, waren alle wahr und das Geheimnis würde er sicher eines Tages lüften. Diese Mädchen. Dieses Blondhaarige, verwittere Mädchen, könnte ihm vielleicht
eines Tages, wenn die Zeit dazu bestimmt war, auch noch helfen. Und so wie sie gesagt hatte, ihre Begegnung mit ihm fand zu früh statt, so wusste Cero, dass er die Suche nach seiner Schwester nicht aufgeben sollte. Er hatte die Nacht noch einmal in der Hütte verbracht, da er wusste, dass die Streunerin sicher nicht ein weiteres Mal auftauchen würde. Jedoch gleich als die Sonne die Erde berührte, verließ er seine Schlafstätte und machte sich weiter auf nach Ruscìa. Ruscìa war so etwas wie eine Verzweigungstadt zu wichtigen anderen Städten. So musste man durch Ruscìa durch, wenn man zu der Königsburg und nach Kenshì wollte oder seinen Weg nach Jahulì einschlägt oder wenn man die Wasserstadt Sheymòn
erkundete oder zum verbotenen Wald und der Großstadt Olhìon und dem Dorf, wo Cero bis vor ein paar Tagen gelebt hatte, wollte. Ruscìa war eine Stadt, die nur so von verschiedenen Völkern wimmelte. Hier traf sich alles zum Handel und Austausch. Hier wurden die wildesten Geschäfte abgeschlossen und die übelsten Wetten eingegangen. Die Zahl der Überfälle und Gewaltdrohungen war hier am höchsten und so hatte Cero und seine Schwester eigentlich immer einen großen Bogen um diese Stadt gemacht. Doch heute suchte er nach etwas. Und er musste unbedingt erfahren, ob die Reiter des Königs durchmarschiert waren. So unauffällig als möglich schlich er durch die Gassen, der Stadt, die überall mit
Pflastersteinen ausgelegt war. Es wirkte alles ziemlich kalt und trostlos. Überall sah man nur grau in grau. Die Menschen oder vor allem Frauen schlenderten nie alleine herum. Zu hoch war die Gefahr von einem Taschendieb angefallen und ausgeraubt zu werden. Der Ort war nicht arm, obwohl er natürlich ein Viertel beherberte, wo die Menschen nicht sonderlich viel zu essen und anziehen hatten, geschweige denn ein Dach über den Kopf. Auf der Reise der Geschwister, hatte Cero schon öfters auf Leute getroffen, die Ruscìa wegen der Ausbeutung der Armen verlassen hatten. Einige waren auch einfach zu dumm, wie Cero fand. Die Reichen hatten das Sagen, stellten Diener und Knechte zu ihrer Belustigung ein,
versprachen ihnen Geld und Lebensmittel und bekamen jugendlich einen Tritt in den Hintern, wenn sie wieder hinausgeschmissen wurden. Auch wenn es nicht richtig sein sollte, aber der Blondhaarige bemitleidete diese Menschen nicht. In seinen Augen waren sie selbst so töricht, zu glauben, dass diese Privilegierten ihnen ein neues schönes Leben schenken würden. Er würde es genauso mit ihnen machen, wenn er reich wäre. Seine Schwester würde ihm einen schmerzhaften Seitenhieb verabreichen, wenn sie von diesen Gedanken Bescheid wissen würde. Allerdings war Cara nicht hier, sondern irgendwo bei den Reitern. Im selben Augenblick erblickte er einen von diesen vor einem Wirtshaus in der Seitengasse. Er
konnte ihn durch das Gewand erkennen. Auf der Brust und auf der rechten Seite des Ärmels der Bekleidung des Reiters schillerte das Symbol des Königs. Sein Pferd hatte er vor dem Gasthaus an eine Halterung gebunden und wollte diese mit großen Bemühungen wieder entfernen. Anscheinend hatte er seine Zechtour beendet und wollte nach Hause reiten. Ihm war die Schlagseite des Rausches, den er sich wahrscheinlich im Wirtshaus eingefangen hatte, sichtlich im Weg. Eine Gelegenheit für Cero unerkannt und vielleicht ohne viel Aufwand ein paar Informationen aus dem Krieger heraus zu bekommen. Ohne viel nachzudenken schritt er auf die Person, die deutlich Schwierigkeiten hatte auf
den Beinen zu bleiben, zu. Er hatte nicht sonderlich viel Angst vor einer Person, die so betrunken war, dass sie ihn sowieso dreifach sehen musste. „Na, einen über den Durst getrunken?“, wollte der jüngere der Geschwister von dem älteren Mann wissen. „Waschhh.. geht esch… dischh.. an“, brachte der Betrunkene nur schwer heraus. Der Besoffene blickte mit zusammengekniffenen Augen auf Cero. Dieser konnte sich nur schwer Vorstellen, dass er auch nur irgendetwas erkennen oder sogar zuordnen konnte, woher er stammen könnte. Er stand ein paar Sicherheitsmeter vor ihm, das Pferd in Griffweite, doch Waffen konnte er keine an dem Mann
erkennen. „Ich war auf der Suche nach dir, wir anderen Reiter wollen jetzt los!“, log der Blondhaarige wie gedruckt. Er hoffte, dass sein Plan aufging und dass der Soldat wirklich so viel getrunken hatte, dass er den Unterschied zwischen ihm und einen Reiter nicht bemerkte. „Wir schhind doch er.. eerrst gekommm.. hmm.. men!“, antwortete der Mann schwerfällig. Wie konnte das sein? Sie müsste doch eigentlich schon Tage voraus sein? Cero spann den Bogen noch etwas fester. „Das Mädchen wird unruhig. Wir wollen sofort los.“ Cero hoffte mit dieser Aussage wenigstens
heraus zu finden, ob Cara noch lebte. Der Reiter brauchte ewig, um das Gesagte, des Jungen aufzunehmen. Immer wieder hielt er sich an der Mauer des Wirtshauses fest, um nicht umzufallen. Hin und wieder erwischte er auch das Pferd, das schnaubend zur Seite wich. Er machte zu viel Aufsehen, auch wenn sie sich in einer Seitengasse befanden. Der Blondhaarige wusste, dass es sich nur mehr um Sekunden handeln konnte, bis jemand neuer in die Straße einbog. „Was ist jetzt!“, machte Cero Druck. „Iscchh.. überlege die ganschee.. Zeit, waschh du da von einem Mädsch..chen redesccht. Wir schhind do..schh auf den Weg na..na..nasch…“, doch er konnte den Satz nicht beenden, denn hinter Cero tauchte, wie
geahnt jemand neuer auf. „Was willst du von ihm, Bursche?“, fragte eine tiefe feste Stimme. Sofort drehte sich Cero um. Hinter ihm stand ein weiterer Reiter, der wahrscheinlich wirklich den Betrunkenen abholen wollte. Dieser jedoch hatte sicherlich keinen Tropfen getrunken. Stark und stolz stand er vor dem Blondhaarigen und wenn er nicht sofort was sagte, machte er ihm so schnell als möglich die Hölle heiß. Der Soldat hatte seine Rüstung an und wirkte dadurch noch imposanter. Auf dem Bauch strahlte das Symbol des Königs. „Ich wollte in das Wirtshaus und er ließ mich nicht hinein!“, log Cero ein weiteres Mal, als hätte er nie etwas anderes gewollt. „Lüg nicht!“, schnauzte ihn der Reiter an, „Du
bist nicht einmal 18 Jahre alt!“ Der jüngere der Geschwister bekam es schon langsam mit der Angst zu tun. Alleine gegen einen ausgebildeten Soldaten hatte er keine Chance. Das hatte er ja bei dem geheimnisvollen Mädchen gesehen, wie viel er sich wehren konnte, obwohl er noch immer glaubte, dass das Ganze nicht mit rechten Dingen vor sich gegangen war. Er hatte nur zwei Möglichkeiten. Sich aus der ganzen Sache doch irgendwie wieder hinaus zu reden oder zu flüchten. Cero wusste, dass er schnell auf den Beinen war und der Reiter mit seiner schweren Rüstung nicht wirklich nachkommen würde. Doch einen Versuch, ohne viel Kraftaufwendung zu gebrauchen, um aus dem Spiel heraus zu kommen, machte er
noch einmal. „Wenn man hier in Ruscìa ist, sollte man schon früh mit dem Trinken anfangen, um dieses Gesippe hier auszuhalten“, veräppelte Cero den Reiter weiter. Er sah an sich herunter. Diese Lüge war sehr gewagt, denn er wusste, dass er sich dort wo er jetzt war, in einem Viertel befand, wo sich sonst keine Straßenkinder aushielten. Vielleicht hatte er diese Schwindelei nicht ganz durchdacht und hätte lieber etwas anderes sagen sollen. Doch jetzt war es zu spät. Das Gesagte war gesagt und so wie er den Krieger eindringlich in die Augen schaute, hatte er die Unwahrheit schon herausgefunden. Langsam schritt der Reiter auf ihn zu. „Du bist nicht von hier“, fing er während des
Gehens an zu sprechen, „Ich sehe es in deinen Augen, da ist viel zu viel Lebensmut darin. Außerdem hab ich dich von einem Mädchen sprechen gehört. Du solltest mir auf der Stelle sagen, wo sie ist, sonst muss ich dich höchstwahrscheinlich umbringen.“ Cero stolperte rückwärts. Was sprach er da von, er sollte ihm sagen, wo sie ist? Der Blondhaarige glaubte doch, dass die Reiter sie entführt haben und nicht, dass sie nach ihr suchten. Meinten sie überhaupt die gleiche Person? Der Betrunkene hatte doch von einem Mädchen gar nichts gewusst oder war dieser wirklich schon so besoffen, dass er sich gar nichts mehr auskannte? Der Platz zwischen den zwei Reitern und ihm wurde immer geringer. Der Krieger, der aus
dem Wirtshaus gekommen war, hatte die Situation auch schon überzuckert und stellte sich für einen Kampf auf. Jedoch war das bei ihm eher nur ein böses Gewackel. „Was ist nun los? Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragte der Soldat. Er befand sich nun nur mehr einen Meter von Cero entfernt. Der Blondhaarige wusste im ersten Moment gar nicht was er tun sollte und so blieb er einfach stumm. Langsam zählte er im Inneren bis 10 und dann wollte er los sprinten. Genau in dem Moment als er bei 7 angekommen war, packte ihn der betrunkene Reiter von hinten und hielt in fest umschlungen. Cero wurde fast schlecht bei der Fahne, die ihm entgegen
kam. „Sehr gut, Zahon. Halt ihn schön fest, dass ich ihm die Birne weichprügeln kann!“ Cero wehrte sich vehement gegen den Griff des Besoffenen, doch auch wenn dieser ein Glas zu viel hatte, war er noch immer so kräftig, dass alles in allem nichts nutze. Er bekam es mit der Angst zu tun. Sonst wich er diesen Situationen immer aus. Rannte weg oder seiner Schwester war etwas noch besseres eingefallen und half ihm aus dem Schlamassel. Aber jetzt war keiner da, der ihm half. Er war alleine und in den nächsten Sekunden würde er den Aufprall der Faust des Reiters in seinem Gesicht spüren. Das blonde Mädchen hatte Recht. Er war zu schwach, um sich gegen die Soldaten zu
wehren.