Journalismus & Glosse
Sentinel

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"Einsam!"
Veröffentlicht am 24. April 2017, 18 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich versuche mit guten Geschichten zu unterhalten. Hoffentlich glückt es. Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren. Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert. Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.
Einsam!

Sentinel

Vorbemerkung

In meinem Buch "Das Motorrad"

(hier auf MyStorys veröffentlicht)

habe ich eine fiktive Geschichte erzählt, wie eine Urbevölkerung reagiert, wenn es auf eine Zivilisation stieße. Und das mit kritischen Untertönen.

Hier reiche ich den tatsächliche, realen Hintergrund nach:

Sentinel Island!


Copyright: G.v.Tetzeli

Cover: G.v.Tetzeli

www.welpenweste.de

Sentinel

Wo finde ich diese winzige Insel? Sie gehört zu der Inselgruppe der Nikobaren und der Andamanen, genauer gesagt der Nord Andamanen. Eine Inselgruppe im indischen Ozean. Die Andamanen bestehen aus 204 Inseln und Inselchen.

Sentinel Island ist nur ca. 60 Quadratkilometer groß und beherbergt wahrscheinlich 39 Einwohner, Ureinwohner, nämlich Sentinelesen. Da diese Insel völlig isoliert ist, könnten es durchaus auch 250 Einwohner sein.

Die Insel ist dicht bewaldet und die höchste Erhebung liegt 99 Meter über dem Wasserspiegel. Sie ist von gefährlichen Riffen umgeben und es gibt tatsächlich nur eine Möglichkeit dort anzulanden.

Offiziell gilt North Sentinel seit 1947 als souveräner Teil der Andamanen und Nikobaren Union Territory unter dem Schutz Indiens. Politisch also eine autonome Region, als souveräne Person unter indischem Schutz.

Und Indien hat inzwischen erlassen, dass die Sentinelesen völlig in Ruhe gelassen werden.

(Satellitenfoto von dem Satellit mit gleichem Namen "Sentinel" [Wächter] der ESA)

Der Zutritt zu der Insel ist streng verboten und wird auch von der indischen Marine überwacht.

Man nimmt an, dass die Sentinelesen direkte Nachfahren der afrikanischen Urbevölkerung sind, die vor ca. 55.000 Jahren die Inselgruppe erreichten. Es wird vermutet, dass der Lebensstil der Ureinwohner bis heute praktisch gleich geblieben ist. Eine indigne Bevölkerungsgruppe. Die einzige weltweit, die sich bis heute völlig isoliert erhalten hat.


Ihr Erfolg ist die unbändige Aggression mit der dieses Urvolk seine insel gegen jedermann verteidigt. Alle anderen Urvölker der Inselgruppe sind ausgestorben (Jarawa,

Jangil, Onge). Deshalb ein kleiner Exkurs in die Geschichte. Keine Angst, es wird nicht langweilig.

(Bild: preußisches Staatsarchiv – 1895 bei Jagd auf Fische und Schildkröten.)


Schon Marco Polo schilderte unverblümt, eher metaphorisch (vor über 700 Jahren):

„Die dortigen Ureinwohner der Andamanen seien mit Augen, Ohren und Zähnen wie Hunde ausgestattet.“

Fraglich ist überhaupt, ob er sie je zu Gesicht bekommen hatte, denn eine Begegnung mit diesen Herrschaften pflegten schlichtweg tödlich zu enden.


Zum ersten Mal wurde die Insel 1771 offiziell erwähnt. Es war das hydrographische Forschungsschiff Diligent unter der Führung von John Ritchi, der vermutete, dass die Insel bewohnt sein müsste, weil er in der Nacht auf See zahlreiche Lichter (Feuerstellen) gesehen hätte. Es gab keinen Landgang.


Die erste Beschreibung erhalten wir von

Maurice Vidal Portman, der 1879 und 1880 die Insel betreten hatte. Er fand Bullet-Wood Bäume und auch Exemplare des roten Seidenwollbaumes vor, der über 8 Meter lange Brettwurzeln austrieb. Es gäbe reichlich Wasser für Kokospalmen. Die sind aber bis heute auf der Insel unbekannt.


Außerdem wurde ein älteres Pärchen eingefangen und deren vier Kinder. Sie wurden gewaltsam nach Port Blair verschleppt. Allerdings verstarben die Eltern innerhalb kürzester Zeit. Sie waren gegen die Krankheitserreger der Zivilisation einfach nicht gewappnet. Die vier Kinder wurden mit ein paar Kokosnüssen als "Entschädigung" wieder zurück gebracht.

Erst fast einhundert Jahre später machte die Insel von sich reden, nämlich 1867.

Zur Monsunzeit strandete das indische Handelsschiff Nineveh am Riff. Die 86 Passagiere und 20 Besatzungsmitglieder konnten sich mit einem Rettungsboot auf den Strand retten. Als sie ein schmales, behelfsmäßiges Frühstück einnehmen wollten, begann der Angriff mit Lanzen, Pfeil und Bogen.

Der Kapitän sprang ins Boot und floh auf das offene Meer. Er wurde später von einem Handelsschiff, das auf dem Weg nach Mulmain war, zufällig aufgegriffen. Die Sentinelesen, die Wilden, wären völlig nackt und mit roten Nasen und Haaren bemalt gewesen. Zu dieser Zeit waren die

Andamanen britische Strafkolonie und so machte sich ein Dampfschiff der Royal Navy zur Rettung auf den Weg. Die Gestrandeten wurden gerettet. Sie hatten sich mit Stöcken und Steinen zur Wehr gesetzt und die Wilden hätten sich dann wieder in den Urwald zurück gezogen. Es ist nicht ganz klar, aber es soll mindestens vier Tote und zahlreiche Verletzte bei den Schiffsbrüchigen gegeben haben. Der damalige, führende Ethnologe vor Ort, Vihwajit Pandya berichtet allerdings nicht von Verlusten, war aber auch nicht selbst dabei.


1897, also genau 30 Jahre später, gelang einem Sträfling die Flucht aus dem Gefangenen-Anlage von Fort Blair. Er hatte sich auf der Flucht ein Behelfsfloß zusammen

gepfriemelt und landete schließlich nach 25 Seemeilen auf Sentinel Island. Bald darauf erreichten auch die Sträflingsverfolger den Strand. Sie fanden den Ausreißer von Pfeilen durchbohrt. Seine Kehle war durchschnitten.


1970 filmte Heinrich Harrer das Eiland nur aus der Ferne, während es 1974 gelang einen spektakulären Film auf Sentinel zu drehen (Man in search of Man - you tube). Dabei war auch Raghubir Singh, der im Auftrag von National Geographic einzigartige Bilder schoss.


Und als im Jahr 1981 ein Frachter vor der Insel kenterte, war es wohl nur dem Taifun zu verdanken, dass die 33 Mann der „Primrose“

überlebten: Denn wegen der hohen Wellen konnten die Eingeborenen nicht mit ihren Kanus zum Schiff herüber rudern und von ihren Waffen Gebrauch machen. Die Matrosen berichteten, dass die Insulaner bereits alles zur Invasion vorbereitet hätten. Ständige Wachen wurden eingeteilt. Und so konnte die Besatzung nach und nach per Helikopter ohne Verluste aus dem Sperrgebiet ausgeflogen werden.

An eine Bergung des Schiffs war nicht zu denken.

2004 flog ein Helikopter über die Insel, um nachzusehen, ob das Urvolk den Tsunami gut überstanden hatte. Sie hatten! Sie hatten die Vorzeichen, den Rückzug des Wassers, offensichtlich richtig interpretiert. Weniger

begeistert waren sie von dem Blechvogel mit seinem Höllenlärm. Der Hubschrauber wurde mit Pfeil und Bogen angegriffen.


2006 gab es das letzte, bekannte Vorkommnis. Zwei Fischer, Sunder Raj, 48, und Pandit Tiwari, 52, wollten im Norden der Insel die unberührte Unterwasserwelt um begehrliche Mangrovenkrabben erleichtern. Natürlich handelten sie illegal. Sentinel war ja absolutes Sperrgebiet. Sie vertäuten ihr Boot und waren wahrscheinlich recht erfolgreich. So stießen sie mit viel Alkohol auf ihren Erfolg an. Dann waren sie in der Nacht auf den 25. Juli eingeschlafen und ab da verschwunden. Natürlich auch die Krabben.

Das offene Boot wurde noch von einem

Helikopter gesichtet, weil Verwandte Alarm geschlagen hatten, das war es dann aber auch schon.

(nur das Boot blieb übrig)

Auch dieser Hubschrauber wurde mit Pfeil und Bogen beschossen.

Da es keinen Zugang zu den Inselbewohnern gibt, sind sie natürlich auch nicht erforscht.

Sie können vielleicht nur bis zwei zählen, vermutet man und ihre Lanzen sind zum Teil angeblich mit Eisenspitzen bewehrt. Man erklärt sich das insofern, weil sie Wracks, wie die Pimrose ausgeplündert haben. Auch denkt man, dass sie selbst nicht Feuer machen können, sondern nur Feuerstellen bewahren, die durch Blitzschlag einmal entfacht wurden. Besonders auffällig fanden die Wissenschaftler, dass die Pfeile der Bögen keine Feder hatten, um den Flug zu stabilisieren. Noch nicht erfunden? Auch Federschmuck wurde nicht gesichtet. Sind Vögel heilig? Alles nur Vermutungen!

Bis jetzt haben sich die Sentinelesen als

einziges Urvolk auf der Welt bis heute unverfälscht erhalten. Spätestens mit zukünftigem Anstieg des Meeresspiegels dürfte auch dieses Kapitel für immer geschlossen werden.


(Angriff auf den Hubschrauber)

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welpenweste
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Hoffentlich glückt es.
Ich bin Jahrgang 1958, in München geboren.
Seit meiner Kindheit schreibe ich, habe aber nie eine Profession daraus gemacht. Meine zarten Versuche mal eine meiner Geschichten bei einem Verlag zu veröffentlichen sind gescheitert.

Hier gibt es eine Auswahl von Kurzgeschichten aller Art. Sie sind in ihrer Kürze dem Internet und e-pub Medium angepasst.

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Herbsttag Leider komme ich jetzt erst dazu, diese interessanten Zeilen zu lesen. Das ist doch mal was anderes wie "Herzschmerz". Ira
Vor langer Zeit - Antworten
pepe50 Ein Blick auf die Naturvölker, so wie Du es getan hast, die aber i.d.R. nur midleidig belächelt werden, ist ein Zeugnis darür, inwieweit der Fortschtschritt der sogenannten zivilisierten Welt, ein Rückschritt ist.
Es stört sie nicht, wenn der Gashahn abgestellt wird oder der Strom ausfällt, aber es könnte sie storen, wenn die Polkappen weiter abgeschmolzen werden.
Meine Kindheit, bis 13 Jahre, hatte noch viel Ähnlichkeit mit Naturvölkern, doch danach gings, im Bezug auf Freiheit und Lebensfreude, immer mehr bergab. - LG Fred
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste vielen Dank Pepe,
bedenke: Diese paar Leutchen haben es auf 60 qKm geschafft ihr Bevölkerungswachstum in den Griff zu kriegen, die Umwelt nicht auszubeuten, das Gewässer nicht zu zerstören, unter sich in Frieden zu leben. Wahrscheinlich, so nimmt man an, sind sie in kleinen Familienclans organisiert. Und nicht zuletzt, sie bekämpfen als Gemeinschaft jeden Habgierigen, der ihre schöne Welt erobern, oder zerstören will.
Beispielhaft, wie ich finde
Gruß
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
pepe50 Das ist in der Tat beiespielhaft, aber das könnte sich schnell ändern, wenn man unter dem Idyll Bodenschätze finden würde. - LG
Vor langer Zeit - Antworten
CHM3663 Wie kommst Du nur immer wieder auf Deine wahnsinnig faszinierenden Themen?!
Ich finde die Vorstellung unglaublich toll, dass es heute auf diesem Planeten tatsächlich noch ein Urvolk gibt, das sich seine Insel und seine Lebensweise bewahren konnte! Jetzt drücke ich ihnen ganz, ganz fest beide Daumen, damit es noch recht lange so bleibt und der Meeresspiegel nicht zu schnell ansteigt!
Vielen herzlichen Dank für das erneute Füllen einer echten Wissenslücke - und das auch noch total fundiert und unterhaltsam!
Viele liebe Grüße,
Chrissie
Vor langer Zeit - Antworten
Pfauenfeder Ja, ich habe auch davon gelesen. Brachte eben "Sentinel" aber in einen etwas anderen Zusammenhang: https://www.youtube.com/watch?v=ocQZuuRc2ag
:D
Vielen Dank für die Geschichte!
+ Lieben Gruß!
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste Aus Mike Oldfields - Tubular bells - Album - super!
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
Pfauenfeder Ja, und ich brauchte ewig, um Dein "Das Motorrad" (http://www.mystorys.de/b90601-Kurzgeschichte-Das-Motorrad.htm ) zu finden - Du hast ja tausend Bücher geschrieben!!
Die Story darin ist erschreckend realistisch, bedenkt man all dem Wissen,über diese Insulaner, sind es keine "staunende Kinder", sondern knallharte Naturburschen, für die das Überleben eine Religion zu sein scheint.
Du hast einen Faible für Fakten und ganz klare, präzise Formulierungen ihrer selbst. Das gefällt mir sehr!
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste Vielen, vielen Dank! Einfach stöbern! Das freut Einen riesig, vor allem, wenn es gefällt.
Günter
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