Brent Spar
Am 27. Zum 28. April 1995 legte ein Schiff mit einem Kampfauftrag ab. Es galt eine Ölplattform zu erobern. Das Schiff hieß Altair und pflügte im Auftrag von Greenpeace ihrer Bestimmung entgegen.
Über 860 Registertonnen waren auf dem Weg. Die Fracht war ungewöhnlich. Es waren nicht die üblichen Güter. Der ehemalige Lotsenkutter mit der Kennung PCOF von ca. 60 Meter Länge und einer Breite von ungefähr 10 Metern beherbergte Schlauchboote, Kletternetze, Seilwinden und 18 Seeräuber. Sie nannten sich Greenpeace Aktivisten. Zur Tarnung des Überfalls dienten Container als Behausung.
Das Ziel der Reise lag in der kalten Nordsee, 190 Seemeilen nordöstlich der Shetland-Inseln.
Die Brent Spar Ölplattform sollte erstürmt werden.
Sie war eine Ölplattform des Weltkonzerns Shell, die ausrangiert werden sollte. Seit eine Pipeline existierte, war sie als Zwischenlager überflüssig geworden. Shell wollte das ausgediente Wrack los werden. So billig, wie möglich, so schnell, wie möglich.
Leider beherbergte das marode Stahlmonster Einiges an unangenehmen Abfällen. 100 Tonnen Ölschlamm, der mit Schwermetall versetzt war und rund 30 Tonnen radioaktiver Salzkruste.
Die Planung von Shell Oil war einfach und effizient, vor allem aber die billigste Lösung. Man schleppe das Ungetüm einfach aus der Nordsee heraus in den Atlantik und versenke dann den Umweltdreck in 2300 Meter Tiefe. Da würde es Niemanden stören und Schluss.
Greenpeace wusste, dass Eile geboten war. Schon Mitte Mai wollte Shell die Sache umsetzen.
Die Altair vertäute am 30. April 1995 an der Plattform. Sie sah wie ein Versorgungsschiff aus. Den Aktivisten gelang der Überfall. Die 18 Kämpfer für die Umwelt erstiegen über eine rostige Leiter die 135 Meter hohe Plattform.
Es begann ein Seekrieg, der wochenlang
andauerte und den Ruf des Weltkonzerns Shell stark beschädigte.
Jedenfalls fanden die Greenpeace-Aktivisten eine Messie-Plattform vor. Überall war es versifft, es stank und alles war verdreckt.
Mühsam hievten die Eroberer die überlebenswichtigen Materialien nach oben. Die 18 Besetzer wollten sogar monatelang ausharren. So schrubbte ein französischer Koch die verklebte Küche und räumte Verpflegung ein. Trinkwasser wurde gebunkert und ein Stromgenerator ermöglichte eine rudimentäre Handlungsfähigkeit. Planken wurden ersetzt, um nicht abzustürzen. Zu der Inbetriebnahme einer Dusche reichte es nicht und man musste sich auch mit einem Plumpsklo
abfinden. Kalt, klamm, unwirtlich war die besetzte Burg.
Diese ganze Aktion wäre natürlich hinfällig und sinnlos, wenn nicht die Öffentlichkeit informiert worden wäre. So hatten die Aktivisten ein eigenes Fernsehteam, eine Fotografin namens Vielmo dabei und verfügten über eine Satellitenverbindung. Ein Reporter des „Focus“ und des NDR sollten berichten.
Was war das Ergebnis?
Null! Keine Sau interessierte sich dafür, was da in der Nordsee auf einer Schrott-Plattform passierte.
Der Holländer Gijs Thieme, der diese Idee des Kaperns entwickelt hatte, war verzweifelt.
„Ein Alptraum!“ Monatelang hatte er in ganz Europa versucht die Greenpeace Büros von diesem Handstreich zu überzeugen, wobei er sich vor allem bei der deutschen Sektion besonders schwer getan hatte. Die Aktion verlangte mindestens zwei Millionen Euro Einsatz, nach heutiger Währung.
Und nun? Nichts? Alles für die Katz? Wer kennt schon einen Müllhaufen mit Namen Brent Spar?
Dabei war doch der Aufhänger so wunderbar. Kurz vor der internationalen Umweltkonferenz will der riesige Ölkonzern Shell Oil eine verseuchte Öl-Tonne lautlos im Meer versenken. Was gäbe es Schöneres.
Allein, die Reaktion blieb aus.
Da halfen die überheblichen, bornierten
Manager von Shell. Sie erwirkten durch ihre sündteuren Anwälte die gerichtlich verfügte Räumung der Plattform. Aber leider ist es schwierig eine besetzte Ölplattform zurück zu erobern. Deshalb setzte Shell auf Konfrontation, weil das Belagerungswerkzeug bereits auf dem Weg war, nämlich die Arbeitsplattform Stadive. Schon vor Monaten war dieses Ungetüm angeheuert worden, um die Brent Spar endgültig leer zu räumen. Nun sah es eben ganz so aus, als ob es sich um einen Kriegseinsatz handeln würde. Und tatsächlich, die Greenpeace Aktivisten wurden vertrieben. Allerdings wurde die Rückeroberung gefilmt.
Jetzt war die Aufmerksamkeit da!
Und Greenpeace schob nach. Die Brent Spar
würde 7000 Tonnen vergifteten Klärschlamm beherbergen, behaupteten sie nun.
Danach versuchte Greenpeace, sogar mit Erfolg, über Hubschrauber die Plattform wieder einzunehmen. Das Abseilen der Aktivisten, der Beschuss auf die Hubschrauber, Einsatz von Wasserwerfern, das Alles war Hollywood reif. Schöner konnte es gar nicht sein.
Schließlich gingen noch drei Menschen in der kalten Nordsee über Bord (überlebten), als ein Schlauchboot von Greenpeace absichtlich gerammt wurde.
Nun wusste die Öffentlichkeit von der Brant Spar Bescheid. Man war entsetzt.
Die britische Regierung und der Mutterkonzern Shell Oil blieben verbohrt. Es handle sich bei der Empörung lediglich um einen „kontinentalen Ausraster“.
Überheblicher und verblödeter kann man kaum sein.
Die Folgen waren dramatisch.
Shell Tankstellen wurden boykottiert, der Umsatz fiel dramatisch.
Da frage ich mich, wie Manager rechnen. Hätte man die ganze Sache ruhen lassen, es einfach ignoriert, dann wäre die Sache buchstäblich im Nordseesand verlaufen. Wie viel Geld hätte man sich sparen können!
So zahlte Shell Oil drauf, und das nicht zu knapp.
Plötzlich war jeder ein Greenpeace-Fan,
Gewerkschaften, Kirchen, die "Bild"-Zeitung. Auch die damalige Umweltministerin Angela Merkel und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle ("Verbrechen an der Umwelt") schlugen sich in heute ungewohnter Eintracht auf die Seite der Öko-Bewegung.
Frau Merkel war damals schon eine Propaganda Spezialistin. Denn Eines wurde völlig übersehen.
Shell hatte richtige Zahlen über die Schadstoffe veröffentlicht, Shell hatte mehrere Gutachten erstellen lassen, welche die Verklappung in der Tiefsee als die Umwelt-schonendste Möglichkeit bestätigt hatten. Zudem hatte Greenpeace mit Horrorzahlen gelogen und musste sich später dafür auf gerichtliche Anweisung hin öffentlich
entschuldigen.
In der damalig aufgeheizten Stimmung klang natürlich so etwas, wie „kein Kind wirft eine Blechdose in den Dorfteich, doch Shell versenkt radioaktiven Müll einfach so.“ viel eindringlicher. Außerdem seien die Gutachten gekauft worden und der Brent Spar würden dann noch weitere 400 ausrangierte Plattformen folgen.
Höchst lächerlich wirkte die gleichzeitige Werbekampagne von Shell. „Das wollen wir ändern!“ Darin gibt sich der Konzern als Öko-Kämpfer aus. Die Werbung war bereits losgetreten, da man noch nicht ahnen konnte, was sich auf der Brent Spar ereignet hatte.
Das Ende vom Lied.
Am 20. Juni lenkte Shell endlich ein und veranlasst die Entsorgung an Land, die leider erheblich teurer war.
Im Nachhinein wissen wir, dass dies in allerletzter Sekunde geschah, denn die Brent Spar war nur noch 24 Stunden vom Versenkungsort entfernt und die Sprengladungen bereits angebracht.
Die Verschrottungskosten betrugen damals umgerechnet 35 Millionen Euro. Der Prestigeverlust, der Umsatzverlust wog weit schwerer.
Auch die Glaubwürdigkeit von Greenpeace erhielt Risse, denn die alarmierenden Zahlen waren schlichtweg falsch gewesen.
Im Juli 1998 beschlossen die 15 Teilnehmerstaaten der OSPAR-Konferenz ein Versenkungsverbot für Ölplattformen im Nordatlantik.