3
Wenn man eine schwere, aber monotone Arbeit tut, ist man beschäftigt, aber der Kopf ist frei. Und wenn man etwas findet, was einem in irgendwelcher Form betrifft, Erinnerungen weckt, dann kann es zu einem sehr angenehmen, berauschenden und begeisterten Zustand führen. So was es Mitte der Neunziger, als ich in einem großem Bücherladen arbeitete. Es war das Weihnachtsgeschäft - Arbeit, Hektik, Aufregung, Erwartungen - alles ohne Ende. In den
Schaufenstern waren alte Büfetts mit nostalgischen Puppen und Teddybären aufgebaut. Bis dahin haben Antiquitäten mich nie interessiert, aber jetzt war ich froh gewesen, als ob ich alte Bekannte getroffen hätte. Vielleicht war es die Isolation, das Befremden dort, weswegen ich etwas Vertrautes, Heimisches suchte.
Die Büfetts sahen viel besser aus als der im Elternhaus. Das Büfett bei uns zu Hause wurde jedes Jahr neu gestrichen, es war eine hässliche salatgrüne Farbe, die auch nicht hielte. Diese Büfetts waren nur mit Lasur oder Lack behandelt worden, dadurch kam die Holzmaserung zur Geltung, es sah edel und gediegen aus. Das Büfett zuhause bestand aus
einem Unterschrank, geteilt durch einen Boden und einem Oberschrank mit klaren Sprossenfenstern. Da stand das ganze Geschirr: Gläser, verschiedene Teller. Der Oberschrank war mit einer Hinterwand aus Holz mit dem Unterschrank verbunden. Vorne wurde er auf zwei Holzbeinen gehalten. In diesem offenen Teil standen meistens ein paar Marmeladengläsern und lag ein Brotlaib. Im Unterschrank befanden sich verschiedene Tüten und Packungen mit Getreide, Zucker, Bohnen und Erbsen.
Die Anrichte war sehr schön, mit verschiedenen Schnitzereien verziert. Der Oberschrank hatte eine verschnörkelte Oberkante, die auch eine
Ablagemöglichkeit darbot: dort lag meistens verschiedener Kram.
Das Geschirr im Büfett war einfach und für alle Angelegenheiten geeignet. Die Teller waren alle verschieden: viele - mit Goldkanten verziert und hatten entweder Blümchen- oder Tiermuster, was ich sehr toll fand. Daher konnte ich das mühsame Spülen in ein Spiel verwandeln. Wir hatten auch Teller aus einem dunkel getönten Glas, mit wellenartig geschwungenen Kanten. Es war das Festtaggeschirr.
Ein anderes Mal, beim Putzen einer alten Kneipe, sah ich dort die blumigen 70ger-Jahren-Gardinen. Zuerst kommt das Gefühl, irgendwo habe ich das schon
gesehen, es ist mir sehr bekannt und heimelig. Es kommt aus einer ganz anderen Zeit, die mit der Heutigen ziemlich wenig am Hut hatte. Die Neunziger sind farblos und blass, die naturverbundene Einrichtung ist blassgelb und beige. In den Achtzigern sind es die Pastellfarben, besonders Rosa, Lila, Flieder. Die Siebziger haben Kraft, Mut zur Farbe und Muster. Es war auch eine sehr dynamische, schillernde Zeit und die Farben, natürlich, ähnlich.
Diese Gardinen hatten einen unmöglichen (für Heute) starken Grünton mit großen roten Blumen. Es hat mich an meine Kindheit auf dem Lande erinnert. Dieses Muster hatte so viel Wärme und
Geborgenheit in sich, dass ich mich, praktisch, wie in einer Meditation befand. Ich war auf der Zeitreise in meine Kindheit.
Die Erinnerungen sind etwas sehr Kostbares, etwas sehr Persönliches. Es ist das was bleibt, wenn Jahrzehnte vergehen, Dörfer untergehen und Heimaten gewechselt werden.
Und doch bleibt die Frage: Wieso ist es einem so wichtig welche Stoffe jeweils getragen wurden, oder welche Möbel man besaß? Und auch nicht alles Vergangene ist einem so teuer. Ist es nur mit der Kindheit so, oder hängt es mit dem Gefühl der Heimat zusammen?