Forumbattle 60
Unser Thema lautet: "Schlaflos"
Vorgaben:
Schatten
streben
diffus
Socke
Kapaun
Unterrock
Polenta
abpumpen
unheimlich
Fingerspitzen
getrübt
schwingen
Endlich
Endlich wollten, durften, konnten wir mal wieder ein ganz normales Paar sein.
Nach genau 212 Tagen im absoluten Babyglück hatten wir festgestellt, dass uns etwas fehlte. Jede Nacht schlaflos mit Babygeschrei - unser erstes Exemplar besaß vom ersten Tag an sehr ausgeprägte Stimmbänder - Milchflecken an den unmöglichsten und möglichsten Stellen, Müdigkeit, die uns an den Rand der Narkolepsie brachte und all die anderen Erscheinungen, die so ein neuer Erdenbürger im Gepäck trug, hatte unser Liebesleben doch etwas getrübt. Es fiel unheimlich schwer, uns an die Entstehungsgeschichte diese unseres
schönen Babys zu erinnern und wir beschlossen, dass es so nicht weitergehen durfte. Schließlich hatten wir mit der Geburt nicht unser Dasein als Liebespaar gegen das von Nur-Eltern getauscht.
Die Ur-Oma wurde bestellt und schwebte seit Stunden wie auf Schwingen mit dem Baby von Zimmer zu Zimmer, sang dabei Kinderlieder, die wohl noch älter waren, als sie und verschwendetet ihre komplette Zuneigung an das winzige Persönchen in ihrem Arm. Irgendwie sah sie aus, wie einem Filmklassiker entsprungen. Ihr Unterrock schaute etwas zu lang unter dem noch längerem Rock hervor, über die Strumpfhosen trug sie dicke Wollsocken, die vorsintflutliche
Brille mit den breiten Rändern rutschte immer etwas auf ihrem Nasenrücken nach unten und nur die nagelneue Strickjacke bewies, dass Oma noch von dieser Welt war. Sie war alt - die Oma - aber wir vertrauten ihr ohne Bedenken. Schon bei ihren anderen sechs Urenkeln hatte sie unter Beweis gestellt, dass ihr schlaflose Nächte nichts ausmachten und alles zur Zufriedenheit der Eltern, vor allem aber zu der der Babys ablief.
Ich hatte die erstbesten Konzertkarten in unserem ehemaligen Lieblingsclub in der Stadt gekauft. Die Band „Kapaun“ kannten wir beide nicht, aber das störte uns wenig, denn dort würden wir uns sowieso nicht lange aufhalten. Wir hatten auch die folgende Nacht
in einem kleinen Hotel ein Zimmer gebucht. Wenn schon, denn schon! So mussten wir in der Dunkelheit nicht mehr fahren und außerdem … Ja, außerdem eben. Zum Frühstück wollten wir zurück sein, denn länger würde der Vorrat an abgepumpter Muttermilch fürs Baby und der, vorgekochter Polenta für Oma nicht ausreichen.
Wir waren herrlich aufgeregt. Schon beim Umziehen wanderten immer wieder die Fingerspitzen meines Lieblings-Mannes über meine Haut und hinterließen eine aufregend kribbelnde Spur. Nur noch wenige Stunden trennten uns von der Zweisamkeit, an die wir uns langsam zu erinnern schienen. Wie magisch voneinander angezogen strebten wir
immer wieder aufeinander zu. Ich nahm meinen Mann endlich wieder als meinen Mann wahr und freute mich über dieses diffuse Gefühl in der Magengegend.Dort waren tatsächlich nach vielen Wochen Schmetterlinge gelandet und ich überlegte, die Eintrittskarten für das Konzert kurzfristig einem Schattendasein in der Papiertonne zu übergeben. Auch meine bessere Hälfte hatte offensichtlich ähnliche Pläne, aber Vorfreude war und blieb die schönste Freude.
Von der Musik bekamen wir nicht viel mit. Zu sehr genossen wir unsere Nähe, hatten es nicht verlernt, Augen und Hände sprechen zu lassen. Unsere selbstauferlegte Konzert-Pflicht beendeten wir spontan nach einer
Stunde. Ein verstehender Blick hatte genügt, ein Kuss, ein Nicken und „Kapaun“ musste ohne uns weiter spielen.
Ab diesem Moment hielt uns nichts mehr auf, wir wussten beide zu genau, was das Einzige war, das wir unbedingt wollten. Mein Schmetterlingslandeplatz war zum Hubschrauberflughafen geworden, die Augen die mich anschauten erzählten Bände, Worte waren nicht notwendig. Da war es wieder das Gefühl, das fast vergessenen Gefühl. Wie sehr hatten wir doch diese Sehnsucht vermisst.
Die zärtlichsten Lippen küssten meine und vergessen war die Welt um uns herum. Den Sommerregen spürten wir nicht, dass der Weg zum Hotel weit war, bemerkten wir auch nicht,
aber die leise gesprochenen drei Worte hörte ich ganz genau.
„Ich liebe dich“, flüsterte die Liebe meines Lebens unheimlich sanft in mein Ohr.
Ob die folgende Nacht schlaflos verlief und neun Monate später das nächste Babyglück in unser Leben purzelte, oder ob wir die Nacht nutzen, um endlich einmal wieder richtig durch-und auszuschlafen, wird für immer ein Geheimnis bleiben …
© Memory (April 2017)