Humor & Satire
Der Kapaun - FB 60 Randbeitrag

Der Kapaun

Die Hühnerschar hatte es sich an diesem warmen Nachmittag im diffusen Schatten der alten Kastanie gemütlich gemacht, als man aus dem Hühnerstall das Gackern der Henne Kiki vernahm. “Ruhe! Man kriegt ja hier kein Auge zu“, schrie der Hahn Rikki die Hennen an, während er sich auf einen Holzklotz schwang und sein Gefieder aufplusterte wie einen farbenfrohen Unterrock.
„Wisst ihr, wie ihr mich mit eurem ewigen Gegackere nervt, und das ständig nur wegen einem einzelnen Ei! Das zeugt doch nur von eurer Eitelkeit und dem Streben nach ständiger Beachtung! Ihr solltet mal drüber nachdenken, dass es durchaus reicht, erst dann zu gackern, wenn der Eierkorb voll ist!“ “Was soll das denn, du blöder, fetter Kapaun! Willst du hier neue Sitten einführen?“, regte sich Nicoletta

auf, die hübscheste der jungen Hennen. „Oder hat man dir bei deiner Operation etwa auch das Gehirn abgepumpt?“ Rikki schnappte nach Luft und erblasste vor Wut bis in den Schnabel. “Ich muss doch sehr um etwas mehr Respekt und Fingerspitzengefühl bitten!“, krächzte er mit heiserer Stimme. “Du hast uns um gar nichts zu bitten, du eingebildeter Gockel“, zischte die aufmüpfige Polenta, die so gern Maisbrei fraß, ihm direkt ins Gesicht. „Kommt neu hierher und hält sich für so unheimlich schlau, dass sofort das ganze Einvernehmen unter uns getrübt ist. Als ob wir alle dumme Socken sind! Außerdem kann er bei Nacht schlafen, wie wir alle, basta!“, sprang ihr die Henne Ricarda bei.

Inzwischen war heimlich der Fuchs Roman herangeschlichen und wartete auf eine günstige Gelegenheit …

© fleur 2017