Kurzgeschichte
Eine tierische Köpenickiade - Autorenchallenge 17

0
"von Amtsschimmeln, Nacktfröschen und anderem Getier"
Veröffentlicht am 19. März 2017, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: gemeinfrei Wikipedia Hauptmann von Köpenick
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin alt wie ein Baum, wild wie der Wind und neugierig wie ein Kind. Ich schreibe und lese, solange ich mich zurückerinnern kann. Einst beruflich als Fernsehautorin. Nun solls als Hobby in die Belletristik gehen. Ich lebe wieder in Deutschland, in Stralsund. Ungarn ist Vergangenheit
von Amtsschimmeln, Nacktfröschen und anderem Getier

Eine tierische Köpenickiade - Autorenchallenge 17

Eine Tierische Köpenickiade

Bernhardine Blauwal kam völlig abgehetzt im Altstadtcafé Cöpenick an, wo sie sich mit ihrer Freundin Marilu Katzenpfote verabredet hatte. Vor Empörung zitterte sie, Tränen des Zorns flossen ihr über die noch vor Kurzem makellos geschminkten Wangen. Ihre Wimperntusche verlief in schwarzen Pfaden Richtung Mundwinkel. Ihr weiter schwarzer Mantel flog hinter ihr her, der rote Schal hatte Mühe noch durch die Tür zu schweben, durch die sich die attraktive junge Frau gerade mit Schwung Zugang zum Altstadtcafé Cöpenick verschaffte. „Berni, was ist Dir geschehen?“, rief Marilu

ihrer Freundin zu, die gerade den Kaffeegarten betrat. Sie stand auf und eilte der Freundin ein paar Schritte entgegen. Wollte sie auffangen, beschützen. Bernhardine sah fürchterlich aus, war sie überfallen worden? „Diese hinterhältigen dummen Kulturbanausen! Diese prüde Gewitterziege! Schon wieder machen sie Stress mit der Fotoausstellung. Wie schon im vergangenen Jahr. Zensur, Dummheit! Feigheit! Lügengespinste! Eine Köpenickiade!“ Die Worte explodierte förmlich aus ihr heraus. An diesem frühen Vormittag war das beliebte Kaffeehaus noch nicht so stark besucht, dennoch verursachte ihr temperamentvoller Auftritt Unruhe. Gäste

schauten erschrocken, teils belustigt, teils empört auf die Störende. Eine junge Servicekraft kam ihr entgegen und lächelte ihre Stammgästin an: „Liebste Frau Blauwal, darf ich Ihnen eine heiße Schokolade bringen und ein Glas Wasser? Sicher hilft das, etwas zur Ruhe zu kommen. Ich lasse auch gleich Decken in den Garten kommen.“ Bernhardine schaute erschrocken auf, spürte die Blicke, die auf sie gerichtet waren und nickte der Kellnerin dankend zu. „Ja, Sophia, danke. Und bitte ein Stück Teufelsbraten- ja diese Buttercreme-Schokotorte mit Himbeeren obendrauf, mir ist so recht nach Kalorien. Und nach einem kräftigen Pharisäer."

Bernhardine ließ sich in einen der Korbsessel fallen und wandte ihr Gesicht der wärmenden Märzsonne zu. Dann hüllte sie sich in eine der kuscheligen Wolldecken, die gerade vom Lehrling gebracht wurden. Umständlich und in Gedanken versunken holte sie aus ihrer Handtasche eine silberne Puderdose und klappte den Spiegel auf. „Siehst Du, das hat diese falsche Schlange auf dem Gewissen“, sagte sie zu Merilu und wies auf ihr arg verrutschtes Makeup. Nach einigem Suchen fand sie ein Papiertaschentusch in der Tasche, tauchte es in das Glas Wasser, das Sophie ihr gerade hingestellt hatte und begann die Spuren der Wimperntusche von ihren Wangen zu tilgen. Mit einem Schwämmchen

ergänzte sie den nun fehlenden Puder, mit einem zweiten das verwischte Rouge und kramte dann noch eine Wimpernspirale aus ihrem Schminktäschchen, um ihren Augen den verführerischen und glänzenden Aufschlag wieder zu schenken, den sie kurzzeitig samt ihrer Contenance verloren hatte. Merilu Katzenpfote verfolgte die Rückverwandlung des wütend heulenden Elends in ihre amazonenhafte Freundin mit einem amüsierten Lächeln und stach sich mit der Kuchengabel inzwischen von ihrer Lieblingstorte, dem „Grünschnabel“, einer Komposition aus Marzipan, Pistazie und Nougat, ein zierliches Stück ab und transportierte es in ihren Mund.

„Lecker, immer wieder lecker“, stöhnte sie beim Kauen und wartete auf eine Erklärung von Bernhardine. „Also, Du weißt doch, dass der Bezirksstadtrat Vogel von der CDU bei der jährlichen Fotoausstellung der „Gesellschaft für Fotografie“ im vergangenen Jahr und auch vorher schon seinem Amtsschimmel die Sporen gegeben hat wegen zwei fotografischer Nacktfrösche. Übrigens zwei zauberhaften ästhetischen Fotografien, die zunächst ihren Platz fanden, nach drei Wochen jedoch abgehängt wurden. Irgendwer hatte sich wohl daran gestoßen. Jedenfalls erklärte dieser Vogel damals: Muslimische Mitbürger hätten sich beschwert. Jedoch ergab eine

Untersuchung, dass die Begründung erfunden war.“ Marilu rührte ihren Kaffee um, während sich Bernhardine nun ihrem Pharisäer widmete und über den Tassenrand die Freundin beobachtete. Marilu grinste zurück und meinte: „Ja, ich erinnere mich noch an diesen Aktenhengst. Da hatte man wohl den Bock zum Gärtner gemacht. Am lustigsten war seine Aussage: als gelernter Kfz-Schlosser maße er sich kein Urteil über Kunst an. Und sowas ist Bezirksstadtrat für Kultur und Bildung. Stand übrigens alles in der Berliner Zeitung.“ Bernhardine ergänzte: “Man unterstellte ihm auch Zensur, weil die Bilder abgehängt wurden. Fadenscheinig das Ganze. Und er

antwortete, wie ich las „Wer mir vorwirft, ich würde Zensur betreiben und damit gegen Artikel Fünf des Grundgesetzes verstoßen, antworte ich mit Artikel Eins – die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und dann zitierte die Berliner Zeitung ihn weiter: Dies gelte auch für die Würde der Mitarbeiter des Rathauses, die nicht gezwungen werden dürften, Aktbilder anzusehen. Man stelle sich vor: "gezwungen werden dürfen". Sie dehnte die Worte.

"Und das bei zwei zauberhaften Aktfotos. Zwei!!“ Sie schüttelte schon wieder, in Erregung geratend, ihre Locken. „Ja, aber das ist doch alles Vergangenheit“, meinte Merilu nun, beugte sich zu ihr und

legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Doch Bernhardine schüttelte den Kopf und widersprach: „Im Gegenteil, die neue Kulturstadträtin, eine Schuldirektorin im Brotberuf, zäumte den Amtsschimmel sofort aufs Neue auf und wollte diesmal die Mitarbeiter der Behörde fragen, welche Bilder gezeigt werden dürften. Was ist denn das!?! Werden die Kunstausstellungen jetzt von Verwaltungsangestellten entschieden? Wo ist hier die Freiheit der Kunst? Das ist doch wieder diese eklige Zensur.“ Sie schaute empört und erwartungsvoll ihre Freundin an. Die blickte zurück und lachte dann hellauf.

„Und wie viele Aktfotos wollten sie diesmal

aussortieren?“ Bernhardine musste grinsen, denn wie sie ihrer Freundin nun haarklein erläuterte, waren gar keine geplant. Aber diese Cornelia Flader, getrieben von vorauseilendem Gehorsam, Angst und Unsicherheit hatte bereits einige Fotos aussortiert und schaffte vollendete Tatsachen, bevor noch der Bürgermeister Oliver Igel sich einschalten konnte. Die aussortierten Fotos waren Landschaftsbilder und sehr kräftige Porträts. „Und stell Dir vor, in ihrer Pressemitteilung schrieb sie: Das Amt hätte gern auf die Ausstellung von Aktfotos, Gewaltdarstellung und Schockwerbung verzichtet. Dabei hatten die Künstler die Ausstellung abgesagt.“ Bernhardine erinnerte sich an die Fotos, die

sie im Internet gesehen hatte. Nichts davon war wahr. Die Fotos waren einfach nur gut. „Und was machen nun die Künstler mit ihrer Ausstellung?“ fragte Merilu.

„Ich habe sie immer gern angeschaut, wenn ich im Rathaus was zu tun hatte. Doch diesmal bekam ich von alledem nix mit. Bin ja gestern erst wieder in Berlin gelandet.“ Bernhardine erklärte: „Ich weiß nicht. Es war auch schon am 12. Februar entschieden, als nach diesem Streit die „Fotografische Gesellschaft“ alle Ausstellungen abgesagt hatten. Zu dieser Zeit war aber der Rest der Bezirksversammlung auf einer Tagung, wo man beschloss, eventuelle Aktfotos zwar aufzuhängen, aber nicht im Bereich der Hauptgeschäftswege. Wie ich las, hatte der

Bezirksbürgermeister Oliver Igel persönlich nichts gegen Aktfotos im Rathaus.“ Marilu ließ den Rest ihres „Grünschnabel-Tortenstücks“ in ihrem Mund verschwinden und fragte nun, nachdem sie mit Kaffee nachgespült hatte: „Aber nun verrat mir bitte, liebste Bernhardine, was hat Dich so in Zorn und Tränen aufgelöst? Das ist doch nun auch schon wieder fast drei Wochen her.“ Bernhardine schaute sie nachdrücklich an. "Heute ist mir die Stadträtin über den Weg gelaufen, bei einer Pressekonferenz und sagte zu mir: „Ich habe mir diese Aktfotos vom letzten Mal genau angeschaut, Frau Blauwal. Denken Sie etwa, ich hätte sie nicht erkannt als Aktmodell? Dass Sie sich nicht schämen!" Merilu hatte wohl noch

einen Krümel Kuchen im Mund und hustete jetzt krampfhaft auf.

Dann schaute sie ihre Freundin an mit lachenden Augen an: „Was, auch Du?“ Bernhardine brauchte einen Moment, um diesen Satz ihrer Freundin Marilu Katzenpfote zu verstehen. Das letzte Stück Teufelsbraten zerging ihr schokoschwarz und teuflisch süß auf der Zunge. Mit einem Schluck Pharisäer beendete sie ihre Überlegungen, schaute ihre hübsche Freundin an, so hatte sie sie noch nicht gesehen. „Ja, auch ich“, antwortete sie dann und warf ihr einen verschwörerischen Bick zu.


0

Hörbuch

Über den Autor

Tintenklecks
Ich bin alt wie ein Baum, wild wie der Wind und neugierig wie ein Kind.
Ich schreibe und lese, solange ich mich zurückerinnern kann.
Einst beruflich als Fernsehautorin. Nun solls als Hobby in die Belletristik gehen.

Ich lebe wieder in Deutschland, in Stralsund. Ungarn ist Vergangenheit

Leser-Statistik
29

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Tintenklecks aus aktuellem Anlass:
Berlin -

Die Bilder der Gesellschaft für Fotografie e.V. können nun doch bestaunt werden. Nachdem die Ausstellung mit insgesamt fast 400 Bildern, darunter auch Aktfotos, aufgrund eines Streits zwischen den Künstlern und der Bezirksstadträtin Cornelia Flader (CDU) in diesem Jahr im Rathaus Treptow-Köpenick abgesagt wurde, hat sich ein Berliner Politiker der Sache angenommen.

Linken-Politiker Gregor Gysi wird eine Auswahl von 36 Fotos in seinem Wahlkreisbüro in der Brückenstraße 28 in Treptow zeigen. Mehr ist aus Platzgründen nicht möglich. Wie André Schubert, Mitarbeiter des Büros, der Berliner Zeitung sagt, stamme die Idee hierfür von Gysi selbst. Es werden auch auf ausdrücklichen Wunsch des Politikers vier Aktfotos gezeigt. Das Thema Nacktheit war schließlich der Stein des Anstoßes.

– Quelle: http://www.berliner-kurier.de/26269498 ©2017
http://www.berliner-kurier.de/berlin/kiez---stadt/koepenicker-foto-streit-nacktbilder-werden-doch-gezeigt---in-gysis-buero-26269498?dmcid=sm_fb_p
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift grinst laut*
Ha, da muss tatsächlich erst ein promminenter Linker
auf den Plan treten und diesen verknöcherten,
kleinkarierten Pinseln zeigen, wie es geht...
Das Köpenicker Rathaus kommt also auch
im 21. Jahrhundert noch immer nicht aus den
Schlagzeilen. Offensichtlich ist ihnen ein
Preußischer Hauptmann eben nicht genug Skandal...
Beste Grüße also an das 19. Jahrhundert,
in welchem diese Herrschaften geistig noch immer verweilen...
Jetzt kann ich Dir für diese super Glosse wenigstens
noch einen draufsetzen... ...smile*
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks Danke für die Talerchen, aber die gehörten nun nach Berlin, samt Lob :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Andyhank Anfangs dachte ich jaaa ... und emm ..., aber wenn man in die Materie erstmal richtig eintaucht, geht einem ein süffisantes Lichtlein auf, was sich zu Heiterem, Amüsantem ausweitet.
Um es mal klar auszudrücken - du hast mir da eine bezaubernde Geschichte dargeboten! Vor allem der Schluss ist einfach guuuut, grins!
Paar fehlende Kommas hab ich entdeckt, die doppelte Nennung des Cafenamens anfangs stört bisschen (lass die zweite Nennung einfach weg).
Aber sonst - einfach toll! :)
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks Ja, danke,
Kommas sind nicht Meins, ich weiß die Regeln nicht und setze sie nach Gefühl. Das mit dem kaffee war mir auch aufgefallen, aber da war es veröffentlicht und ich wollte nicht "schummeln" :-)
Danke für Deine Lesezeit und deinen Kommentar.
Und für den Favo
LG vom Klecks
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen So viel Lob hast du bekommen . . .
Ich muss für mich gestehen: es fiel mir schwer. Es fiel mir schwer, bei der Stange zu bleiben - mich auf deinen Text zu konzentrieren.
In zwei Anläufen habe ich mich durchgefriemelt. Wäre es nicht die Challenge gewesen, hätte ich nach der ersten Seite zugeklappt.
Es war mir zu - - - keine Ahnung - - - du hast mich nicht abholen können.
Oh je, oh je - - - wie komme ich aus der Nummer raus???
Liegt sicher an mir - mit Hochglanzprospekten und Glämmer habe ich nicht gern zu tun.
Klatsch und Tratsch sind mir völlig Latte ...
Ich vermute, daran liegt es.
Nichts für ungut - - - und bitte nicht böse sein.
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks bin ich dir nicht,
aber genau um die Themen Hochglanz und Glämmer, wie Du schreibst, ging es ja auch nicht, es ging um Zensur und Demokratie und eine Gruppe von Fotografen, die immer im Rathaus Köpenick ausgestellt haben und nur, weil zwei Aktfotos dabei waren, gab es einen Eklat. Und ein Jahr später nochmal das selbe.
Tja, die Wahrheit liegt immer woanders :-D
Danke für Deine Lesezeit
Oder was auch immer ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
Frettschen Hey - die Kurzfassung gefällt mir :D
Bin auch schonmal einer Zensur zum Opfer gefallen - - - meine Bilder eigneten sich nicht für einen Krankenhausflur, weil dort Menschen unterwegs waren oder immer noch sind, die nervlich angeschlagen waren - da gingen nur Blumen ...
Die konnte ich nicht liefern ;)
Vor langer Zeit - Antworten
Tintenklecks genau so. Die eigentliche Köpenickiade beginnt ja erst, wenn die Bernhardine das erzählt, und die Pointe? na das ist dann die Krönung ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Da ist dir diesmal ein toller Wurf gelungen, lieber Klecks. So temperamentvoll wie deine Protagonistin Bernhardine, so kommt auch diese kurzweilige Geschichte daher. Man lässt sich mitreißen und möchte dann auch die realen Hintergründe des Geschehens wissen..... Habe alles im Netz nachrecherchiert, was da los war.....
Eine Kleinigkeit am Rande: Ich glaube, wütend-heulend.... wird ohne Bindestrich geschrieben (siehe S. 5, Mitte)
Ein Lesevergnügen!
Liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
26
0
Senden

151431
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung