Vorbemerkung
Suffrage heißt übersetzt:
Wahlrecht.
Diese Recherche stellte ich aus aktuellem Anlass ein. Am 8.3.2023 ist internationaler Weltfrauentag.
Hier gehe ich nur auf einen Aspekt ein, nämlichen den entscheidenden Schritt, dass Frauen genauso wählen dürfen, wie Männer. Das war nicht immer selbstverständlich.
Dass Frauen auch in unserer Gesellschaft benachteiligt werden, ist eine Tatsache.
Ich habe allgemeine Widerlichkeiten gegen Frauen weltweit (Beschneidungen, Steinigung
u.ä.) hier heraus gelassen, weil es sonst den angesprochenen Fokus zu sehr ausweiten würde.
Aber auch diese hier erzählten Ereignisse zeigen auf, wie sehr sich die Männergesellschaft ins Abseits zu stellen wusste.
Es gibt heute in der Welt glücklicher Weise kaum noch Länder, die den Frauen das Wahlrecht verweigern.
In Buthan hat jede Familie nur eine Stimme, also das Familienoberhaupt, natürlich männlich.
Brunai kennt kein Frauenwahlrecht!
In Saudi Arabien dürfen Frauen nicht wählen.
Sie dürfen normaler Weise auch keinen Führerschein machen, weil sie die Wüste gefährden würden, äh? (wie sich da wohl Frau Merkel macht?).
Seit 2015 dürfen Frauen auf kommunaler Ebene ihre Stimme abgeben (Papierkorb?)
Im Vatikanstaat ist für Frauengeschwätz natürlich kein Platz, geschweige denn eine Wahlberechtigung!
Das Wahlrecht, der erste Schritt zur Gleichberechtigung, musste aber schwer erkämpft werden.
In Deutschland werden Frauen im Job noch immer nicht gleichwertig bezahlt und belegen überproportional Teilzeitarbeit und schlecht
bezahlte Tätigkeiten.
(gut bebildert und aus aktuellem Anlass neu eingestellt 07.03.2023)
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: G.v.Tetzeli
Suffrage
Am 4.Juni 1913 war sämtliche Hautevolee versammelt. Es begann das hochdotierte Pferderennen in Surrey, England. Das Traditionelle Derby in Epsom. Epsom ist heute ein Vorort von London. Es findet immer noch am ersten Mittwoch im Juni statt.
Jawohl, selbst der König war damals dabei (Georg V.). Ein Auflauf, wie bei einem Formel eins Rennen heutzutage.
Sehen und gesehen werden dürfte ähnlich gewesen sein, wie noch heute das Ereignis in Ascot, ebenfalls ein Pferderennen, bei dem sich die Queen sehen lässt.
Kurz und gut, auch der König hatte ein tolles
Pferd gemeldet. Es ging los. Eine Strecke von ca. 2423 Metern waren zu absolvieren, also vier Runden.
(Jean Luis Theodore Gericault (1821), Epsom)
Die Führenden bogen gerade zum letzten Mal in die sogenannte Tattham-Kurve ein, als sich eine Frau unter die Absperrung hindurch
schlängelte.
Es war Emily Davison, 41 Jahre alt. Mit ihrem Schirm in der Hand stellte sie sich den Pferden entgegen. Sie blieb einfach mitten im Geläuf stehen. Der heranstürmende Gaul hatte keine Chance auszuweichen. Es war ausgerechnet das Pferd des Königs. Der Hengst hieß Ammer.
Das Pferd war in vollem Lauf in sie hinein gerannt. Ein spitzer Aufschrei: „Suffrage“, dann brach ihr Schädel.
Im Torf blieb der gestürzte Jockey liegen. Das königliche Pferd Ammer hatte sich überschlagen.
Was für ein Pech!
Georg V. hatte mit seinem Pferd gute Aussicht auf einen der Plätze gehabt.
(Zufällige Momentaufnahme "The Guardian". Links: Emily Davison; der gestürzte Jockey Herbert Jones und Ammer)
So erkundigte sich der König am Tag darauf, wie es dem Pferd denn ginge.
Gottlob wohlauf!
Höflicher Weise wurde sich auch noch kurz
nach dem Befinden des Jockeys erkundigt, der diesen betrüblichen Zwischenfall mit nur leichten Blessuren überstanden hatte.
Was natürlich keinen der noblen Herren interessierte, war das Schicksal von Emily Davison. Ihr Aufschrei „Wahlrecht“ selbstverständlich auch nicht.
Am 8.Juni 1913, also erst vier Tage später, verstarb sie an ihren schweren, inneren Verletzungen und an ihrem Schädelbruch.
Tausende begleiteten ihren Sarg bis zur Bahnstation. Von dort wurde sie in die Heimatstadt ihrer Familie gebracht, nämlich nach Morpeth in Northumberland.
100 Jahre später wird ihr als Märtyrerin gedacht. Beim Epsom Derby wurde an der Tattham-Corner eine Tafel zu Ihrem Gedenken aufgestellt.
Auch ihr Grabstein ziert eine Aufschrift:
Deeds, not words (Taten, nicht Worte).
Einige zweifeln daran, dass sie Selbstmord begehen wollte.
Sie hätte vielleicht nur eine Fahne anheften wollen. Sie hätte außerdem eine Rückfahrkarte besessen.
Dass sie ihr Leben riskierte, muss ihr aber bewusst gewesen sein.
(Jockey Herbert Jones)
Auch wird erörtert, warum Ammer nicht nach seinem Instinkt wenigstens versucht hätte
auszuweichen. Hatte der Jockey vielleicht absichtlich darauf zugehalten?
Wie dem auch sei, Emily Davison war eine Kämpferin für das Frauenwahlrecht gewesen und nicht zimperlich in ihren Mitteln.
Worum ging es eigentlich?
In England galt die Frau nichts. Ja, man konnte die holde Weiblichkeit heiraten, wenn sie zum Beispiel viel Geld in die Ehe brachte.
Nur Männer waren erbberechtigt und nur der Besitz Grund und Boden sorgte für die Möglichkeit der politischen Betätigung. Und über jegliche Geldmittel bestimmte der Herr im Haus. Männersache eben.
Und so gab es Frauen, die auch für Ihre öffentlichen Rechte kämpften. Das war circa
zwischen 1903 und 1928. Da sie vor allem für ihre Wahlrechte eintraten, nannte man sie schlicht aus dem Wort suffrage (Wahlrecht) heraus - Suffragetten.
Je mehr das Etablisment sie ignorierte, sie als Spinner-Chicksen verachtete, desto mehr radikalisierten sie sich. Sie schlugen Schaufenster ein und machten mit ungewöhnlichen Aktionen auf sich aufmerksam. Unter der Führung von Emmeline Pankhurst hatten sie sich unter der WSPU formiert (Women's Social and Political Union), die sich längst nicht mehr nur damit zufrieden gaben mit ein paar Plakaten zu winken. Zudem mobilisierte Pankhurst bis zu einer halben Million Frauen für Demonstrationen. Jetzt waren es nicht mehr
nur irre Weiber. Die Behörden griffen ein, weil man sie inzwischen als Bedrohung wahr nahm.
(Emily Davison, Sie wurde mehrfach verhaftet und auch Zwangsernährt).
Am sogenannten „black Friday“ (18.11.1910) knüppelten Polizisten die Frauen zusammen.
Es gab sogar Schwerverletzte. Außerdem wurden die Aufrührerinnen immer öfters eingesperrt.
(Emily Wilding Davison, 1872 in Blackheath, London geboren, war seit 1906 Anhängerin der WSPU).
Acht mal landete sie im Gefängnis. Und dort
trat sie in den Hungerstreik, wie auch schon die Pankhurst und viele andere Gesinnungsgenossinen. Sie wurden durch einen Nasenschlauch zwangsernährt. Bilder über diese Tortur tauchten auf. Das gefiel wiederum der Bevölkerung nicht mehr.
(Zwangsernährung)
Die Leute waren schockiert.
Jedenfalls hatte Davison Einiges hinter sich.
Sie war hochbegabt gewesen und schloss ihr Studium in Biologie, Chemie und Literatur in Oxford mit Auszeichnung ab. Theoretisch, denn der akademische Grad war Frauen verwehrt.
Ab 1909 fiel sie richtig auf.
Im März wollte sie Premierminister Asquith eine Petition zum Frauenwahlrecht überreichen. Daher folgte ein Monat Gefängnis wegen öffentlicher Ruhestörung. Zwei Monate bekam sie, weil sie die Kutsche von Kanzler David Lloyd George mit Steinen bewarf. Bei der Volkszählung gelangt ihr ein Clou. Sie versteckte sich in einem Schrank im Palace of Westminster. Dann gabt sie
wahrheitsgemäß an, dass ihr Wohnort das „House of Commons“ sei. Dort hatte sie sich ja zum Zeitpunkt der Volkszählung aufgehalten.
Sie hatte Scheiben eingeschlagen und Briefkästen angezündet.
Wieder im Gefängnis, verbarrikadierte sie sich in ihrer Zelle. Niemand sollte sie Zwangsernähren. Die perfide Praxis war ursprünglich so gewesen, dass man die störrischen Suffragetten hungern ließ, bis sie zusammenbrachen. Dann ließ man sie frei. Hatten sie sich wieder erholt, wurden sie wieder eingekerkert, usw.
Dieses Gesetz gab es nicht mehr, aber erst nach Protesten aus der Bevölkerung. Also steckte ein Wächter einen Schlauch oben durch die Türklappe und ließ die Zelle mit
Wasser volllaufen. Emily konnte gerade noch gerettet werden.
Erneut in Haft, stürzt sich Emily Davison von einer Gefängnis-Galerie, um gegen die unmenschlichen Haftbedingungen der Suffragetten zu protestieren. Sie überlebte, allerdings mit schweren Rückenverletzungen.
Noch vor dem tragischen Rennen hatte sie einer Freundin anvertraut, dass erst ein Menschenopfer vielleicht die Herren aus der Lethargie reißen könnte.
Die Führerin der WSPU, die Emmeline Pankhurst schmetterte eine Rede im November 1913, also 4 Monate nach dem Tod von Emily: “Freiheit oder Tod“.
Darin meinte sie, dass es nicht mehr um das
Wahlrecht ginge, sondern um einen Bürgerkrieg der Frauen.
Am 19. Februar 1913 explodierte ein Sprengsatz am neugebauten Haus des Schatzkanzlers und späteren Premierministers David Lloyd George.
Der erste Weltkrieg kam dazwischen und die Pankhurst reagierte nicht so, wie gedacht. Sie organisierte sogar die WSPU zur Unterstützung der Kriegsproduktion durch die Frauen.
Endlich im Jahr 1918 erreichten die Frauen in England das eingeschränkte Wahlrecht (ab 30 Jahren und mit Grundbesitzrecht).
Erst 1928 wurde das allgemeine Wahlrecht in England eingeführt.