Der Winter
Das war eines der wundervollsten Gefühle: den ersten Schnee zu sehen. Er bedeckte das Schwarz und Grau, und gab dem Winter die Farbe zurück. Die prächtige weiße Schneedecke war von Anfang sehr locker als ob sie die Erde zärtlich umarmte. Der Schnee hielte nicht lange, er schmolz und verwandelte sich in eine ungemütliche Drecksbrühe.
So war es im Oktober, dem Übergangsmonat in Sibirien (jedenfalls im Altai).
Mit dem November kamen die Feiertage und Ferien. Der Schnee entschied sich zu
bleiben bis zum Anfang April. Jetzt fiel er viel trockener und sicherer zur Erde, als ob er die endgültige Entscheidung getroffen hat. Die Menschen trafen auch ihre Entscheidung und wechselten die Herbstbekleidung auf schwere Winterpelze und Mäntel, und warme hohe Stiefeln aus Filz oder Leder oder einfach aus einem warmen Textil, die hießen Burki.
Der Winter hielt Einzug. Aus allen Schornsteinen kam steiler Rauch, es wurde immer kälter und kälter. Am stärksten waren die Fröste im Januar, die Weihnachtsfröste, so nannte man sie. Es wurde bis zur 40 Grad, und manchmal
auch mehr, kalt. Man bekam weiße Wangen, taube Ohrläppchen und merkte das nicht. Deshalb war der Frost aus so heimtückisch. Danach musste man sehr behutsam die gefrorene Stelle massieren, bis sie wieder Farbe bekam. Am schlimmsten war es mit den Händen. Die musste man im Wasser, das die Zimmertemperatur hatte, oder sogar noch kälter war, aufwärmen. Das erste Gefühl war der Schmerz, es pikste in allen Fingergliedern bis die wieder lebendig wurden. Ein schlimmer Fehler war es die Finger ins warme Wasser zu halten. Stechende Schmerzen, die lange andauerten und die Kinder zum Weinen brachten, war das Resultat.
Überhaupt, die Plage unserer Kindheit waren nasse Socken und nasse Handschuhe, die uns den Winterspaß verdarben. Man brauchte wirklich sehr gute Wintersachen, und eine Menge davon, um den Winter nur von der guten Seite erleben.
Danach kamen die Februarstürme. Ich liebte sie. Am Anfang und auf dem eigenen Hof, waren sie ungefährlich. Ich drehte mich zusammen mit dem Sturm, Buran nannten wir ihm. Man begab sich dem Schneewind und kreiste, genauso wie er, im
Strudel.
Das Dorf und die Umgebung sah man nicht mehr, überall nur weiße Winde, die sich mit zornig pfeifendem Geheul, wie Minitornados, um seine Achse drehten und solche Stärke hatten, dass Erwachsene sich kaum auf den Beinen halten konnten. Das Schlimmste war aber, dass sie die Sicht nahmen, deshalb verloren viele die Orientierung und manche erfroren sogar, unterwegs zum anderen nahegelegenen Dorf. Nicht nur weil man nichts sehen konnte, auch weil der peitschende Wind zwang die Augen zuzumachen und das Geheul war wie ein Wiegelied, ein Todeslied in diesem Fall.
Man versteckte sich irgendwo von dem Wind, schlief ein und erfror.
Im März hatte man von dem Winter genug. Es war schön, man hatte viele sonnige Tage, wo einem die Unternehmungslust überkam, und wir spazierten die Dorfstraße entlang.
Danach wurde es immer trüber und trister, der Schnee bekam eine eklige dreckige Farbe, wurde zunehmend morscher. Die Tage wurden länger, die schlimmsten Fröste und Schneestürme waren vorbei. Das Thermometer zeige meist so um die 20 Grad Kälte an.
Am Ende März feierten wir das Ende des
Winters. Es sah zwar noch nicht so aus, aber die Menschen verjagten rituell den Winter, er solle sich beeilen und dem Frühling den Platz überlassen. Der Frühling kam im April. Der Schnee verwandelte sich in Wassermassen und später in Matsch, der allmählich zum Ende April trocknete.