Kapitel 2
Das Zimmer in einem der Türme des Bergfrieds war geräumiger als so manches Haus,l auch wenn das Mobiliar sich in Grenzen hielt. Es gab lediglich einen einfachen Schreibtisch, ein Bett, das sicher schon bessere Tage und frischere Laken gesehen hatte und einen großen Kamin, in dem immerhin ein großes Feuer brannte um die Kälte der Nacht fern zu halten. Beroe hatte die Fenster geöffnet, so das frische Luft von draußen herein kam, während er langsam die Briefe und Dokumente, die der
ehemalige Kommandant hinterlassen hatte durchging. Belustigt stellte er fest, dass nicht wenige davon von ihm selbst stammten oder aber von ihm sprachen. Dass man ihn hierher berufen hatte war lange geplant gewesen und eigentlich hätte Quintus ihn hier erwarten sollen. Nun, es würde kaum die einzige böse Überraschung bleiben, da war er sich sicher.
Beroe faltete einen weiteren Brief zusammen und warf ihn dann in die Flammen. Die meisten enthielten weder Wissenswertes noch irgendwelche Informationen über den Clan, den sie aufsuchen wollten.
Das Licht des Kamins und der Kerzen
war sanft genug um seine Augen nicht zum Tränen zu bringen und gleichzeitig hell genug um ohne Probleme lesen zu können. Kalte Nachtluft strömte durch die Fenster herein und brachte die Flammen immer wieder kurz zum Flackern. Draußen konnte Beroe die Sterne am Himmel glitzern sehen. Große Feuer loderten weiter unten in den Höfen der Erdwacht und warfen große Schatten an die Mauern, wann immer jemand an ihnen vorbei ging. Die Steine der Außenmauern waren so gewaltig, dass man sie jedoch selbst im Dunkeln noch erahnen konnte und die Fundamente des Festungsturms in dem er saß, waren mindestens doppelt so stark. Nicht, das
man eine derartige Festung bräuchte um sich vor Gejarn zu schützen. Aber was hinter ihren Wäldern lag… fremde Reiche mit ihren eigenen Ambitionen und ferne Küsten, die bisher nur einige mutige Boten des Kaisers je gesehen hatten.
Die Erdwacht schlief auch nachts nie vollständig. Zumindest nicht mehr, jetzt wo er hier war. Unten im Hof konnte er nach wie vor Bewegungen ausmachen, als die Männer Vorräte heraus brachten und Pferde aufzäumten. Es war kurz vor Morgengrauen. In wenigen Stunden würden sie aufbrechen können. Beinahe meinte er, das Geräusch von Peitschen und das laute Rufen der Leute hören zu
können. Aber hier oben war es ruhig und das einzige Geräusch stammte vom Knarren des Holzbodens, der jedes Mal etwas nachzugeben schien, wenn er den Stuhl etwas verrückte.
Vor ihm auf dem Tisch war der Papierstapel mittlerweile zu Nichts geschwunden und neben den wenigen Briefen, die er als nützlich erachtete, nur zwei Gegenstände zurück geblieben. Das Schwert mit den Perlmutteinlagen im Griff und dem Rubinknauf war ihm vom Kaiser selbst nach seinem ersten Sieg zum Geschenk gemacht worden. Zehn Jahre war das nun fast her. Und doch wäre die Klinge nichts Wert, ohne das Amulett. Der hellblaue Stein schien
zwischen den Silbernen Runen immer noch wahrnehmbar zu glühen, während Beroe es mit einem Finger anstieß. Erneut flackerten die Fingersitze, das weiße Fell, das sie nun überzog verschwand und ließ nur nackte, menschliche Haut zurück. Beroe warf einen Blick zur Tür des Turmzimmers, nur um noch einmal sicherzugehen, dass sie tatsächlich verschlossen war. Ein erleichtertes Seufzten entkam ihm, während er sich auf seinem Stuhl zurück lehnte und die Füße auf den Tisch stellte.
Die Magie war notwendig, erlaubte sie es ihm doch, seinem Herrn ohne dessen Misstrauen zu dienen und schützte ihn
gleichzeitig vor zu vielen Fragen seiner eigenen Untergebenen. Aber manchmal war es eine Last immer mit dem Wissen umher zu ziehen, das alle nur eine Illusion sahen. Eine noch vollkommenere Maske als Alcyons Gewänder. Aber immerhin konnte er sich sicher sein, das es kaum Menschen gab, die sie durchschauen konnten. Solange er vorsichtig war, jedenfalls. Magie konnte ein launisches Ding sein, das hatte er früh gelernt. Und er konnte sie nicht kontrollieren. Also musste er sich selbst beherrschen. Die Zauberer blieben für gewöhnlich unter sich. Selbst unter den Prätorianern des Kaisers gab es kaum ein dutzend und von diesem dutzend war nur
ein einziger Eingeweiht, was Beroes wahre Natur betraf. Der Mann, den sein Vater einst gebeten hatte die Magie zu weben, die nun zu einem Teil seines Lebens geworden war. Selbst wenn es eigentlich nicht möglich war, manchmal meinte er tatsächlich das Gewicht der Illusion die über ihm lag zu spüren. Und genau deshalb nutzt du diesen Moment besser, sagte er sich. Die nächsten Wochen würden Anstrengend werden und er es sich nicht erlauben, ein Risiko einzugehen.
Für die Expedition am nächsten Morgen stand nun fast alles bereit, Pferde, Männer und Verpflegung für mehrere Tage, die man auf ein paar Packesel
verteilen würde. Das einzige was ihm fehlte, dachte Beroe, war ein ortskundiger Führer. Obwohl die Herzlande weniger als einen Steinwurf hinter der Festung begannen, wusste scheinbar niemand hier auch nur das Geringste über deren Geographie. Anfangs hatten sich noch einzelne Späher oder kleinere Gruppen über die große Brücke gewagt, doch nachdem immer weniger von ihnen zurückkehrten, hatte ihre Zahl stetig abgenommen. Und jetzt waren sie blind, dachte Beroe. Es gab kaum Straßen, keine markierten pfade oder Wege. Nur Wald und Wildwechsel, die vielleicht versteckte Trampelpfade waren oder doch nur eine
falsche Spur und verlassene Ruinen unter den Wurzeln der großen Bäume. Niemand konnte ihm auch nur sagen, wo genau sich die Siedlungen der Gejarn befanden. Bis auf das eine, dass der Garnison Schwierigkeiten machte und vielleicht Quintus Verhängnis geworden war. Und selbst dieses schien von Zeit zu Zeit zu verschwinden.
Sie zogen umher, dachte Beroe. Gejarn bevorzugten es, in Bewegung zu bleiben, anstatt sich irgendwo fest niederzulassen, wie die Menschen. Er selber hatte das nie ganz verstehen können. Während den Eroberungszügen in den Gebieten vor der Erdwacht vor einigen Jahren, hatte er mehr als eine
ihrer Siedlungen gesehen… und mehr als eine niedergebrannt, was das anging. Reisig, Flechtwerk und Holz, aus denen ihre Hütten bestanden, waren durch den langen gebrauch oft trocken und entflammbar wie Drachenfeuer.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Vermutlich ein Bote, der ihn stolz darüber informieren würde, das die Garnison in der Lage war einfachste Anweisungen zu befolgen. Und deshalb hätte er lieber seine eigenen Männer mit hierher genommen, dachte er. Aber der Kaiser wollte, dass er den Befehl über diese hier übernahm und mehr Soldaten an eine sichere Grenze zu entsenden als nötig, erschien auch Beroe
wie Verschwendung. Er schloss einen Moment die Augen und hoffte einen winzigen Augenblick lang, wer immer da draußen wäre, würde ihm noch etwas Ruhe gönnen. Noch hatte er keinen wirklichen Plan, wie er die Clans für sich und das Kaiserreich gewinnen wollte. Und ohne einen Plan aufzubrechen… das war närrisch. Und vielleicht wollte er sich auch nur noch ein paar weitere Momente in Freiheit erkaufen. Als es erneut Klopfte, nahm er schweren Herzens das Amulett wieder an sich und schloss die Kette um seinen Hals. Erst dann nahm er die Füße vom Tisch und trat mit eiligen Schritten an die Tür um sie zu entriegeln. Zu seiner
Erleichterung war es jedoch keiner der Gardisten, der ihn über etwas informieren wollte, dass er vom Fenster bereits gut genug sehen konnte. Es war Loken… und er war nicht alleine. Normalerweise hätte Beroe schlicht Alcyon erwartet, doch der seltsame Mann war seit es dunkel geworden war, nirgends mehr zu sehen. Irgendwie war der Gedanke an einen lautlosen Alcyon , der in einer dunklen Festung herum schlich beunruhigender als er sein sollte. Beroe glaubte nicht einen Moment, das er einfach nur schlief. Wenn er es sich genau überlegte, hatte er den Mann noch nie schlafen sehen. Er schüttelte die Gedanken ab, während er Loken herein
bat.
„ Du siehst besorgt aus.“ , meinte sein Ziehvater, als er durch die Tür trat und sich ohne zu Fragen einen Stuhl an den Schreibtisch zog. Der grauhaarige Prätorianer trug immer noch die verunstaltete, schwarze Rüstung seines Standes und hatte den Umhang locker über den Arm gelegt, während er auf eine Antwort wartete.
Beroe ließ sich ohne ein Wort ebenfalls am Schreibtisch nieder und musterte den Begleiter seines Vaters genau. Der Fremde ging geduckt, wie jemand der Angst hätte sich den Kopf zu stoßen. Doch trotz der Ketten, die seine Hände und Arme zusammenbanden, konnte
Beroe keine Furcht in den Augen des Mannes erkennen. Nur Resignation…
„Ein Gejarn ?“
„Er wurde wohl vor einigen Monaten aufgegriffen und seitdem hier festgehalten. Ich dachte du wolltest vielleicht mit ihm sprechen?“
Hatte Loken den gleichen Gedanken gehabt wie er? Beroe wusste es nicht. Aber vielleicht hatte er grade tatsächlich die Lösung für eines seiner Probleme gefunden. Erneut betrachtete er sich den Mann. Würde er nicht so geduckt gehen, würde er Beroe vermutlich um einen guten Kopf überragen
„Du könntest ihm erst einmal die Ketten
abnehmen.“
,, Wenn du meinst, das das etwas ändern würde.“ Sein Ziehvater zuckte mit den Schultern. Während er sich daran machte, die Ketten des Mannes aufzuschließen. Klirrend landeten die schweren Eisen auf dem Steinboden des Raums, trotzdem machte der Gejarn nach wie vor keine Anstalten, sich auch nur aufzurichten, sondern blieb in der gebeugter Haltung stehen, die ihm die Ketten aufgezwungen hatten, sah scheinbar an Beroe vorbei ins nichts.
„Sie haben einen Sklaven aus ihm gemacht….“
Loken schien der Abscheu, der in seiner Stimme mitschwang nicht aufzufallen.
„Aber immerhin haben sie ihm das Schreiben bei gebracht, er muss wohl ein ziemlich heller Bursche sein. Oder war es. Willst du ihn haben?“
Beroe zögerte, während er direkt vor die gebeugte Gestalt trat. Unter dem ganzen Schmutz, der sich im Fell des Mannes verfangen hatte, konnte er nicht einmal wirklich sagen zu welchem Clan er gehören mochte. Su zerlumpt und verfilzt wie er war, konnte Beroe sich nicht mal sicher sein ob Braun-Grau wirklich seiner Fellfarbe entsprach.
Langsam wendete er sich von dem Anblick ab. Es hatte etwas zutiefst beunruhigendes diesem… Ding länger in die Augen zu sehen. Beroes Finger
krochen über den Tisch, umspielten den Griff des Schwerts, das nach wie vor dort lag. Das Imperium wurde von Sklaven getragen. Selbst wenn sie nicht überall so hießen. Die fliegende Stadt selbst wurde von ihnen versorgt, Familien, die keine andere Zukunft hatten als der ewig wandernden Hauptstadt des Reiches zu folgen. Aber immerhin lebten sie in der Illusion frei zu sein, dass sie eines Tages so etwas wie ein Leben haben mochten. Er verzog das Gesicht und wusste, dass der Zauber der seine Züge dabei menschlich wirken ließ, kurz flackerte. Nicht lange genug, dass es irgendjemanden auffallen würde. Außer derjenige wusste bereits, worauf
er achten musste.
„Ich weiß ja was du davon hältst.“, meinte Loken. Nicht viel, dachte Beroe. Man konnte einem Menschen vieles antun, vieles nehmen, auch die Freiheit. Aber er hätte immer noch die Chance sich eines Tages zu beweisen. Ein Gejarn… nicht. Sie ließen sich nicht in Ketten legen wie andere und tat man es doch, suchten sie den Tod und die Rückkehr zur Wiege ihrer Ahnen. Beroe wusste nicht ob er diesen glauben teilen sollte. Aber die wilden Clans waren überzeugt, dass ihre Seelen unsterblich waren und irgendwann den Weg zurück in ein neues Leben finden würden. Um jemanden in Ketten zu legen, der glaubte
dass der Tod ein Ausweg war… musste man ihn brechen.
Geisterwasser nannten es die Clans, eine seltsame Mischung aus Alkohol und Pflanzengiften, die bei den Ritualen ihrer Ältesten Verwendung fand. Seltsam, das genau dieses Gemisch, das doch eigentlich der Kommunikation mit ihren Geistern dienen sollte, den Willen eines Gejarn auch brechen konnte. Beroe hatte das Ritual dazu nur einmal mit angesehen. Je nach Zubereitungsart goldene, hell leuchtende oder bläuliche Tropfen, die, ohne die sorgsame Anleitung eines Ältesten, nur Alpträume und Schrecken brachten und den Geist zerstörten. Und nichts zurück
ließen.
Beroe sah erneut zu dem Gejarn zurück, der gebeugt in der Mitte des Saals stand. Loken hatte derweil die Arme vor der Brust verschränkt und wartete scheinbar, was er tun würde. Er würde einen Führer für die Wälder brauchen… aber nicht dieses gebrochene Ding. Tod, wäre der Mann besser dran. Und so… war er nutzlos für ihn. Manche mochten eine Marionette vorziehen. Aber was er brauchte, war jemand, der dieses Land mit dem Herzen kannte. Nicht wie er. Nicht wie der Fremde, der er war. Beroe zog das Schwert aus der Scheide und drehte sich
um.