Der Pirat
Es ist Fasching.
Ich bin Mitten drin.
Also, bis jetzt natürlich nur in den Vorbereitungen.
Diesmal habe ich etwas Besonderes vor.
Ich gehe als Pirat, als Herr der sieben Meere. Letztes Jahr war ich nur Pirat der Karibik. Jetzt also gibt es die ultimative Steigerung. Nach fünf Stunden Schminke, Zahnersatz, Augenklappe, segelte ich hart am Wind durch meine zwei Zimmer Wohnung und erschreckte Teddybär Brummel.
Mein Computerbildschirm blieb vor Schreck und mangels Strom schwarz.
Meinem Auftritt stand also nichts mehr im
Wege.
Ein Problem war leider noch nicht gelöst. Wohin?
Wo feiern?
Ich bekam nämlich keine einzige Einladung mehr zu einer Festivität.
Unerklärlich!
Früher gab es ab und an solche Einladungen, aber die wurden immer weniger. Weis der Teufel warum. Dabei habe ich mir alle Mühe gegeben möglichst närrisch aufzutreten.
Ich sprach zum Beispiel eine heiße, knackige Polizistin an, die lange Beine und ein anziehendes Stupsnäschen hatte.
„Hallo Zettel-Schupse, heute haben wir aber schon ordentlich gebotoxed?“ Ursprünglich wollte ich sagen: "Heute schon gemännert?",
aber das habe ich mir distinguiert verkniffen.
Die Hausherrin, das war der feminine Bulle, sorgte dafür, dass ich nicht mehr eingeladen wurde.
Damals hatte ich es auf einer anderen Feier auch mit ultimativen Witzen versucht.
Ich sprach eine heiße Maus an, die schöne Ohren und eine gewichtige Frontpartie zu bieten hatte.
Damals figurierte ich als hinreißender Clown, der normalerweise zu Lachsalven hätte animieren können.
„Ich werde kommen, dich anfallen, dich ins Bett werfen, in dich eindringen. Du wirst frieren, schwitzen, zittern und beben…. Du weißt schon, die freudige Erwartung! Ich bin
nämlich Deine persönliche Grippe.“
Mein Pferdegelächter wurde durch eine Ohrfeige beendet.
Besonders überraschend war, dass mich Simone nie wieder einlud, obwohl wir mal befreundet waren. Sie hatte mich bei der Faschingsfeier ihrem langjährigen Lebensgefährten vorgestellt. "Ich habe schon viel von ihnen gehört", sagte ich höflich. "Haben sie immer noch Schmerzen beim Wasser lassen?"
Es folgten unschöne Höhepunkte.
Leider ging ich letztes Jahr in der Menge unter. Ich jubelte dem Faschingsumzug zu, wie alle anderen auch, und war so stolz, dass ich ein einzelnes Bonbon am Boden auflesen konnte. Ich war raffiniert und blieb gleich auf
allen Vieren, um noch mehr zu ergattern. Mein Outfit spielte bei diesem Vergnügen nur eine untergeordnete Rolle.
Später, in einer Kneipe, in der es hochher ging, hatte ich Bauchweh. Sie wissen schon, die vielen Süßigkeiten, die gratis gewesen waren. Ein Bauchweh kennt ein Pirat nicht, trotzdem war es so.
Neben mir, ich hatte reichlich Platz an der Theke, warf ich der reizenden Biene Maja einen Honigaugenaufschlag zu:
„Wussten sie schon, dass Frauen wie Wirbelstürme sind?“ Sie merkte auf.
„Wenn sie gehen, nehmen sie Häuser und Autos mit.“
Bei der anschließenden Schlägerei kam mein Plastiksäbel kaum zum Einsatz. Danach hatte
ich eine Augenklappe plus ein blaues Auge.
Aber wie gesagt, das war letztes Jahr.
Irgendwie musste ich doch mein aufgepepptes Kostüm zur Geltung bringen, deshalb beschloss ich in meiner Not einen Spaziergang zu machen. Mich öffentlich zu präsentieren.
An einer Hand, das war die super Neuerung, hatte ich einen Enterhaken angeschnallt.
Ich schlenderte mit Matrosen-Wiegegang durch den Park. Einer auf dem Skateboard hatte sich als bunter Indianer verkleidet. „Comanche, oder Irokese“, winkte ich mit dem Enterhaken. Die Rothaut stieg ab und wälzte sich auf mich zu, warf mich in den Rasen. „Hey Alter, komm‘ mir bloß nicht schräg, du
Arsch!“
Es dauerte, bis ich mich wieder aufrappelte, weil sich der Enterhaken in der Grasnarbe verheddert hatte.
Ein Mädchen hatte eine Neon-rote Haare. Ich beglückwünschte sie zur Future-Girl-Aufmachung und ihrer Perücke. Sie konterte:
„Die sind echt, du Witzfigur!“
Am liebsten hätte ich sie geentert, aber mir fehlte das Piratenschiff.
Da kam mir eine Hexe entgegen.
Ihre Schminke war zerlaufen. Sie weinte und schniefte vor sich hin.
Ich sprach sie an.
„Willst du dich von einem echten Piraten überfallen lassen?“
Sie sah auf und gluckste.
„Mach Dich nur über mich lustig!“
Da übermannte mich das Mitleid.
Ich hatte ein solches Erbarmen bei so viel Unglück, dass selbst ein Piratenholzbein zu Gummi geworden wäre.
Wir setzten uns auf eine Parkbank.
„Niemand will mich haben. Ich sei eine Spaßbremse!“
Solche Problematik war mir vollkommen fremd, trotzdem versuchte ich sie zu trösten. „Du bist doch so ein feines Mädchen. Das sage ich dir als erfahrener Pirat und das will was heißen!“
Sie lächelte plötzlich aufgeräumt und musste lachen.
Wir hatten dann gemeinsam den schönsten Fasching, den man sich denken kann. Und niemand bremste uns aus.