Jugendbücher
Lovely Faces

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"Lovely Faces"
Veröffentlicht am 22. Februar 2017, 116 Seiten
Kategorie Jugendbücher
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Lovely Faces

Lovely Faces

Teil 1
Anfang und Ende

Wenn du einen Menschen richtig kennenlernen willst und etwas über sein innerstes Wesen in Erfahrung bringen willst, so mach dir nicht erst die Mühe zu analysieren, wie er spricht, schweigt, weint oder von hehren Gedanken ergriffen wird. Du brauchst ihn bloß beim Lachen zu beobachten. Hat er ein gutes Lachen, ist er ein guter Mensch. - Fjodor Michailowitsch Dostojewski

I Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Was hatte er nur an sich? Er war weder hübsch, noch in meinem Alter. Doch ich konnte einfach nicht wegsehen. Plötzlich hob er den Kopf. Er sah mir nun direkt in die Augen. Erwischt. Schon wieder. Und wieder einmal sah ich verlegen weg. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er sich abwandte und seine Arbeit fortsetzte. Heute war Samstag. Eigentlich hätte ich frei gehabt. Ich wusste jedoch,

dass das sein letzter Tag sein würde, also bin ich hergekommen. Außerdem war Valentinstag. Ich sah ihn wieder an. Er war nicht groß, vielleicht 1,75m, so wie ich. Er trug keine Markenkleidung, mehr so durchschnittlich und reich war er ganz sicher nicht. Er hatte kurze, dunkelbraune Haare. Eine kleine Strähne hing ihm durch seine Bewegungen in die Stirn. In seinen Ohrläppchen steckten Tunnel. Aber sie waren nicht so groß, als dass sie mich anekelten. Sie passten einfach zu ihm und das gefiel mir. Ich beobachtete ihn nicht zum ersten Mal. Ich beobachtete ihn seit meinem zweiten Tag hier. Aber ich habe

keineswegs grundlos damit angefangen. Er hatte von Anfang an immer hinter mir gestanden, egal was ich tat. Ich spürte seinen Blick vom ersten Moment an auf mir und es war mir noch nicht eine Sekunde unangenehm. Und aus diesem Grund hatte er meine Aufmerksamkeit erregt. Und ich konnte nicht mehr von ihm ablassen. Ein grimmiger Blick von meiner Arbeitgeberin riss mich aus meinen Tagträumen und zeigte mir die Realität auf. Ich fegte weiter den Hundegang des Tierheims. Nach zwei Stunden hatten wir endlich Mittagspause. Alle gingen vor die Tür

und rauchten. Ich hatte nicht vor mitzurauchen. Jedoch wollte ich nicht allein drinnen bleiben, also stellte mich zu den anderen. Plötzlich fühlte ich mich so jung, klein und total fehl am Platz. Alle anderen lachten, redeten und rauchten. „Hast du eigentlich eine Frau zu Hause?“, fragte Nora ihn. Nora war ziemlich schön. Sie war schlank und trug ein braunes Minikleid mit schwarzer Leggins. Ich wusste, dass sie 32 Jahre alt war und schon geschieden war. Außerdem arbeitete sie hier ihre Sozialstunden ab. So wie er. Er stöhnte, führte seine Zigarette an seinen Mund und nahm einen tiefen Zug.

Langsam atmete er eine graue Wolke aus. Dann wandte er sich an Nora: „Joa.“ Ich hasse Raucher. Eigentlich. Aber bei ihm sah es einfach so... perfekt aus. Einfach richtig. Als würde es ihm nicht schaden. Er genoss es. Er sah wunderschön mit der Zigarette aus. Als wäre sie ein Teil von ihm. Für Nora war diese Antwort wohl nicht befriedigend, denn sie hakte weiter nach: „Läuft nicht so super, oder wie?“ Er grinste schief: „Nicht super ist nett ausgedrückt. Sie ist einfach so ein kleines Kind.“ Wow. Ich hätte nie gedacht, dass er so offen vor Fremden über seine Freundin redete. Ich meine, ich kannte ihn doch erst seit wenigen

Tagen. Eigentlich kannte ich ihn gar nicht. „Warum? Was ist los mit euch?“, fragte nun Anna, die ebenfalls ihre Sozialstunden hier abarbeiten musste und mit der ich mich schon einmal unterhalten hatte. „Ja, ich komm einfach abends nach Hause und muss den ganzen Haushalt machen. Die sitzt auf dem Bett und mach nicht einen Finger krumm. Niemals. Ich fühl mich nur wie ihr Vater oder so und nicht wie ihr Freund.“ „Wieso machst du nicht Schluss?“, fragte Nora weiter. „Wieso sollte er?“, fragte er und schaute Nora dabei herausfordernd an. Nora und Anna drückten ihre Zigaretten aus und

machten sich schulterzuckend wieder an die Arbeit. Er starrte auf die Zigarette zwischen seinen Fingern, nahm noch einen Zug und sah mich nun direkt an. Er nickte mit dem Kopf in meine Richtung, während er langsam wieder ausatmete. Mit der Hand, in der er die Zigarette hielt auf mich zeigend, fragte er: „Und du? Auch Sozi-Stunden?“ Er atmete den restlichen Rauch aus. Ich starrte ihn an: „Nein, nein. Ich... äh, mach mein... Praktikum hier.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Wie alt bist'n du, Kleines?“, fragte er. Ich wollte nicht so von ihm genannt werden. Ich war zwar jünger als er, doch er durfte mich doch allein deswegen

nicht „Kleines“ nennen. „15“, meinte ich nur. Er riss die Augen auf, sog scharf die Luft ein und starrte mich einfach nur an. Er gefällt dir, dachte ich. Ich biss mir auf die Unterlippe. Schön und geheimnisvoll. „Und... du?“, fragte ich vorsichtig. Ich schätzte ihn auf Mitte bis Ende 20. Vielleicht auch älter. Er hatte ein wunderschönes Gesicht: braune Augen, leichten Bart und diese perfekten Wangenknochen. Ein perfektes Gesicht, doch irgendetwas war falsch. Er sah alt aus. Müde und kaputt. Er sah kriminell aus. Gefährlich. „21“, sagte er langsam. 6 Jahre älter. Okay, das ging. Außerdem

mussten wir ja nicht gleich heiraten. „Okay, und wie heißt du?“, fragte ich ihn. Das wusste ich wirklich noch nicht. Er grinste, offensichtlich erleichtert, dass ich ihn nicht dafür verurteilte, dass er schon 21 war: „Marcel. Und du?“ „Joyce.“, antwortete ich. Dabei war ich mir wirklich sicher gewesen, dass er meinen Namen schon mindestens hundert Mal im Gespräch gehört haben musste. „Schön“ Er lächelte. Ich sah verlegen weg. Unsere Chefin hatte wohl bemerkt, dass wir noch nicht wieder bei der Arbeit waren und rief uns zu sich. Wie immer hatte sie auch schon eine Aufgabe für uns. Während Marcel die sauberen

Katzenklos auf die Katzenzimmer verteilen sollte, fing ich an, Luftballons aufzublasen. Da ja heute Valentinstag war, sollte eine Art Feier stattfinden, welche aber nur dem Zweck diente, Spenden für das Tierheim zu sammeln. Grinsend kehrte Marcel zu mir zurück: „Na, bist wieder fleißig am Blasen, oder wie?“ Ich verschluckte mich an dem Luftballon, der halb aufgeblasen in meinem Mund hing. Ihn zu knotend konterte ich: „Immer. Kennst mich doch.“ Daraufhin wurde Marcels Grinsen nur noch breiter, er nahm sich jedoch schweigend einen Luftballon und half mir beim Aufblasen. Schließlich mussten wir alle Luftballons

an ein Band binden. Völlig in Gedanken bei den Luftballons reichte ich Marcel den ersten und murmelte: „Kannst du den Nippel so hoch halten?“ Marcel prustete los, doch ich starrte ihn nur an. „Immer, kennst mich doch.“, meinte Marcel. Peinlich berührt fing auch ich an zu lachen. Als wir uns langsam beruhigt hatten, sah mich Marcel mit sanftem Blick an und schüttelte leicht den Kopf. Bevor ich ihn jedoch fragen konnte, was los war, nahm er den Luftballon und hielt den Zipfel wie von mir gewünscht in die Höhe. Ich knotete schweigend mein Band darum und so wiederholten wir es mit allen Luftballons. Nachdem wir diesen Teil der Aufgabe

erledigt hatten, durften wir die Luftballons auf dem Gelände aufhängen. Marcel machte den Vorschlag, einige vor dem Tor aufzuhängen und so gab ich ihm ein Band mit Luftballons und hängte das andere ans Tor. Sobald ich das Band angebracht hatte, kam der kleine Sohn der Chefin auf mich zu, deutete nach oben und fragte: „Was macht denn der da?“ Ich drehte mich irritiert um und sah, dass Marcel inzwischen auf das riesige Straßenschild geklettert war, um die Luftballons in ungefähr zwei Metern Höhe an zu knoten. Ich drehte mich wieder zu dem Jungen, beugte mich runter und erklärte: „Das, was der Marcel macht, darf man

auf keinen Fall nachmachen. Das ist ganz gefährlich.“ Skeptisch beäugte der Junge das Schild mit Marcel: „Ja, das stimmt. Wenn er herunterfällt, landet er sicher auf dem Kopf.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Aber warum macht der das dann?“, fragte der Kleine. Ich überlegte: „Na, weil er nicht nachgedacht hat und ganz sicher nicht so schlau ist wie du.“ „Pah, das hab ich aber gehört.“, sagte Marcel, der in diesem Moment wenige Zentimeter über dem Boden absprang und gekonnt landete. „Aber sie hat wahrscheinlich Recht. Sowas tun Männer. Sie denken nicht nach, wenn sie beeindrucken wollen.“,

meinte Marcel mit gesengter Stimme. Er stand jetzt genau hinter mit, sein Arm streifte leicht meinen Arm. Ein Kribbeln erfasste meinen gesamten Körper. Marcel wollte mich also mit dieser Nummer beeindrucken. „Hey, seid ihr verliiiiiebt?“, fragte der kleine Junge. Ich wich einen Schritt zur Seite, um diesen Körperkontakt, der so verwirrende Gefühle bei mir auslöste, zu beenden. „Und wie. Wir sind sogar verlobt.“, antwortete Marcel ruhig und trat wieder neben mich. Ich grinste breit und drehte mich zu Marcel um. Er lächelte. Abends wurde ich, bevor ich gehen

konnte, von Marcel abgefangen: „Wo musst denn du jetzt lang?“ „Ich laufe jetzt noch in die Stadt. Du?“ Dass ich mich dort mit meiner Mutter treffen würde, musste ich ihm ja nicht unbedingt unter die Nase reiben. „Ich muss in dieselbe Richtung. Lust, zusammen zu gehen?“, grinste er. Ich lächelte und nickte. Schweigend legten wir einen Großteil der Strecke zurück. Ich wusste nichts zu fragen oder zu erzählen. Ich wusste doch schon so viel von ihm: 40 Sozialstunden wegen Sachbeschädigung an einem Auto unter Einfluss von Alkohol. Kriminelle Vergangenheit... und seit heute auch seinen Namen und sein Alter.

„Wann hast du eigentlich Geburtstag?“, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen. Ein erbärmlicher Versuch, aber besser als nichts. Marcel grinste, ging jedoch drauf ein: „28. November und du?“ „25. Februar“, antwortete ich. „Willst du mal ein schreckliches Bild sehen?“, fragte er. Ich zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts, da er schon seinen Personalausweis hervorkramte. Ich musste lachen. Dieser ernste Gesichtsausdruck, kurze Haare und weite Augen. Trotzdem nicht hässlich. „Nein.“, sagte ich. Er sah mich fragend an: „Was nein?“ Ich schüttelte den Kopf: „Es ist nicht schrecklich.“

Marcel grinste verlegen. Plötzlich ließ er den Ausweis fallen. Ich bückte mich sofort danach. Als ich ihn aufhob, fiel mir auf, dass Marcel noch einen Zweitnamen hatte. Lachend gab ich ihm den Ausweis zurück. „Was..?“, fragte er. Dann sah er mich vorwurfsvoll an. „Da war ich nunmal noch etwas fetter, na und?“, sagte er grimmig, doch seine Lippen umspielte ein kleines Grinsen. Ich nickte: Machst du viel Sport?“ „Hat nachgelassen. Aber wenn ich es schaffe, gehe ich gerne ins Fitnessstudio. Und du?“ „Ich mache gerne Sport aber mit meinen 2kg-Hanteln kann ich wohl kaum jemanden beeindrucken.“ Er grinste:

„Süß.“ Ich biss mir auf die Unterlippe, einem seltsamen Impuls folgend. Schweigend erreichten wir die ersten Läden. Marcel deutete auf einen für Lebensmittel: „Hier muss ich kurz rein. Magst du mitkommen?“ Ich nickte und gemeinsam betraten wir den Laden. „Was brauchst du denn?“, fragte ich ihn. Er nahm ein Glas Würstchen in die Hand, seufzte und legte es wieder zurück ins Regal: „Irgendetwas, das ich heute zum Abendbrot essen kann. Sonja kocht sicher nicht.“ Ich schwieg. Sonja. Sonja und Marcel. Ein Paar. Und dann war da noch ich. Joyce. Mir wurde bewusst, wie wenig ich da reinpasste: „Okay, auf was hast du denn Hunger?“ Marcel zog die

Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. Schließlich griff er nach einer Dose mit gemischten Gemüse: „Ich glaub wir haben noch Reis und Fleisch zu Hause.“ Ich nickte. Damit war das also erledigt. „Zur Kasse?“, fragte ich. Marcel nickte und wir setzten uns wieder in Bewegung. An gefühlt jedem Regal blieb er stehen, sah mich an und fragte: „Willst du auch was?“ Ich winkte immer nur dankend ab. „Sicher?“ „Sicher.“ An der Kasse setzte er zu einer erneuten Frage an: „Bist du dir wirklich...?“ „Ja,“, unterbrach ich ihn: „ich bin mir ganz sicher.“ Marcel zuckte mit den Schultern:

„Ich weiß nicht, aber ich mag es nicht, mit so wenigen Sachen zur Kasse zu gehen.“ Er deutete auf die Dose in seiner Hand. Ich kannte das Gefühl, wollte aber auf keinen Fall, dass er Geld für mich ausgab. Als wir den Laden verlassen hatten, wusste ich, dass ich links abbiegen musste. Und ich wusste, dass ich Marcel auf keinen Fall zu meiner Mutter führen durfte. „Wo musst du denn lang?“, fragte Marcel. „Links. Und du?“ „Leider geradeaus.“ Er sah mich entschuldigend an. Wir umarmten uns zum Abschied.

„Bis dann.“, meinte ich. Er lächelte nur, drehte sich um und wollte gehen. Plötzlich fiel mir ein, dass Marcel seine Sozialstunden heute beendet hatte: „Hey, warte! Was heißt hier „bis dann“? Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass man sich wirklich nochmal, rein zufällig trifft?“ Grinsend kramte er sein Handy raus und reichte es mir. Ich tippte meine Nummer ein und gab es ihm zurück: „Vielleicht komme ich ja nochmal. Die Arbeit macht Spaß und im Moment habe ich ansonsten frei.“ „Okay“, ich lächelte: „ich bin noch bis Freitag hier.“ Er grinste mich an: „Na,

danach habe ich ja keinen Grund mehr zu kommen.“ Wir umarmten uns erneut, diesmal länger. Anschließend ging ich links und er geradeaus. * Als ich bei meiner Mutter im Auto saß, vibrierte mein Handy. Neue Nachricht. - Hübsches Profilbild Ich grinste. Marcel. Ich klickte auf sein Profil. Kein Status. Aber ein Profilbild: Der mir sonst schlaksig vorkommende

Marcel präsentierte vor aller Öffentlichkeit ein perfekt definiertes Sixpack. Ich konnte nicht anders, als auf das Bild zu starren. Wow. Ich klickte auf den Chat. - Danke. Deins ist aber auch nicht übel... ich kann ja leider nicht mit einem solchen Bauch prahlen. - Danke :* Kann ich leider nicht beurteilen... - :) Ich legte grinsend das Handy weg. Zu Hause angekommen verzog ich mich sofort in meinem Zimmer. Eine neue

Nachricht. - Was hörst du eigentlich so für Musik? Ich überlegte. Dass ich auch mal gerne schnulzige Liebeslieder hörte, musste ich Marcel ja nicht gleich unter die Nase reiben. - Ziemlich unterschiedlich. Mein Lieblingslied ist 'See you again'. - Sehr schönes Lied! - Danke. Und was hörst du so? - Fast nur Kid Ink. Marcel hatte also einen ähnlichen

Geschmack wie ich. In meiner Playlist war Kid Ink auch sehr häufig vertreten. Neben Eminem und etlichen älteren und neueren Bands. - Magst du Eminem? - Hab ich früher eher mehr gehört, jetzt nicht mehr so. Ich hatte vergessen, dass er schon so alt war. Früher, da war er sicher ungefähr so alt gewesen war, wie ich jetzt. Er nannte das „früher“. Für mich war „früher“, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Mir wurde bewusst, wie schwer es vielleicht werden könnte, mit ihm abzuhängen, wo er so viel zu

erzählen haben würde und ich...? Ich konnte höchstens von der Schule erzählen wie ein kleines Kind gegenüber ihm. Dieser Gedanke deprimierte mich. - Sonst alles klar bei dir? Auf einmal war alles Schlechte verflogen. Er hatte wieder geschrieben. Er sorgte sich um mein Wohlbefinden. Dabei war diese Frage so normal. Ich stellte sie meinen anderen Freunden gefühlt zwanzig Mal am Tag. Dennoch war etwas anders. Ich lächelte. - Ja. Bei dir auch? - Ja, danke

:) Am liebsten hätte ich noch stundenlang mit ihm weitergeschrieben, jedoch sah ich, dass es langsam dämmerte und ich heute noch joggen wollte. Also nahm ich mein Handy ein letztes Mal zur Hand. - Du, ich wollte noch joggen gehen. Wir können ja später nochmal schreiben. - Gut, dass du das sagst. Ich gehe dann auch mal wieder joggen. Viel Spaß, bis später. - Danke, dir auch. Ich zog mich schnell um und lief los, die Musik von Kid Ink in den Ohren, mit den

Gedanken bei Marcel. Schon nach knapp zwanzig Minuten konnte ich nicht mehr. Für das erste Mal seit Monaten war das ganz okay. Ich ließ mir beim Dehnen Zeit und duschte, bevor ich Marcel schrieb. - Fertig. Erst nach einer halben Stunde schrieb dieser dann endlich zurück. - Ich jetzt auch. Angeber, dachte ich nur.

- Ich geh dann mal duschen. Schreib dir danach. - Okay. Ich nutzte die Zeit, mir einen Tee zu machen und mich, in einer Decke eingekuschelt auf mein Bett zu legen und den Fernseher anzumachen. Mein Handy vibrierte. - Fertig. - Cool. Was machst du jetzt? - Überlegen. Du bist 1999 geboren, oder? - Ja, und du?

94? - Ne, 1993. Sag ja, ich bin alt.. - Geht. - Hehe - Wir kommen immerhin aus dem selben Jahrtausend. - Du bist irgendwie sehr interessant :) - Haha, warum das? Er fand mich interessant. Ich wurde rot, grinste über beide Ohren und zog meine Decke bis zu den Augen hoch. - Weiß nicht, finde ich halt so :P Das war so süß, dass ich anfing, wie ein

kleines Mädchen zu quietschen und mit den Beinen zu strampeln. Langsam atmete ich tief ein und aus, um mich wieder zu beruhigen. Ich tippte auf meinem Handy herum und entschied, dass es Zeit war, mein Profilbild zu ändern. Das jetzige zeigte mich vor ungefähr zwei Wochen mit lockigen Haaren an einer Wand gelehnt. Sofort bekam ich eine neue Nachricht von Marcel. - Wow, dein Bild! - Danke :) So sehe ich eigentlich immer nach dem Duschen aus. Hab die Locken von meiner Ma. - Bitte :* Ich finde Locken nicht

schlimm - Davon ab gehe ich eher nach den inneren Werten. - Und ja, es gibt immer noch Kerle, die das tun :D Ich musste noch breiter grinsen. - Wir sind ja auch nur Freunde / oder auf dem besten Weg, welche zu werden und da muss man sich ja auch nicht so hübsch finden. Auch, wenn ich dich nicht hässlich finde... - Eben. :P Ich weiß Sein riesiges Selbstbewusstsein und diese völlige Überschätzung seiner selbst

regte mich so auf... aber ich fand sie anscheinend so gut, dass ich wieder lächeln musste. - Du bist schon ziemlich überzeugt von dir, oder? - Auch wenn es so rüber kommt, bin ich wirklich nicht eingebildet oder so. Bin doch selbst nie zufrieden mit mir. :P Es kommt vielleicht so rüber, weil mein Selbstbewusstsein gerade in alle Richtungen flattert. Ich musste wieder lachen. So etwas konnte doch auch nur von ihm kommen. - Na, dann lass es mal flattern. Haha, es

stört mich wenig und ich finde es eher süß und amüsant. - Amüsant, haha... - Glaubst du, dass du bis Freitag nochmal ins Tierheim kommst? - Wenn ich darf, klar! :P Ich gab die Hoffnung auf, heute nochmal aufzuhören zu lächeln. Da er nichts schrieb, setzte ich den Smalltalk ein wenig fort. - Was machst du eigentlich so, wenn du nicht gerade arbeitest oder Katzenklos sauber machst? - Basketball, joggen, essen & gammeln :P bin halt eher spontan...

und du so? - Das übliche halt... lesen, Musik hören, tanzen und wenn ich länger nachdenke, fallen mir bestimmt noch 1000 Sachen ein, also Themawechsel :P - Haha, dann wechsle mal :P mir fällt nämlich nichts ein. Ich überlegte. Er mochte gerne Hunde. Also sendete ich ihm einfach ein Bild von meinem Hund und hoffte, dass das nicht zu seltsam rüber kommen würde. - Voll süß. Deiner? - Meine. Ist 'ne Lady... - Haha, okay. Ich schick dir auch mal ein

Bild. - Okay...? - Nichts schlimmes! :P Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete ich gespannt auf das Bild. Es lud. - Schuhe?! - Meine Lieblinge :) - Haha - Nein, Air Max :P Lachend schüttelte ich den Kopf. So schön es auch war, mit Marcel zu schreiben, ich musste morgen echt früh raus und war schon sehr müde.

- Du, ich geh dann mal schlafen. Gute Nacht. :) - Gute Nacht. Schlaf gut und träum was feines. :* - Danke, du auch. :* Noch immer ein Lächeln auf den Lippen, legte ich mein Handy beiseite und ging schlafen. Mit offenen Augen träumte ich noch eine Weile vor mich hin. Noch nie hatte ich mich so gut mit einem Jungen verstanden. Ich hoffte, keine Fehler zu machen und ihn nicht zu vergraulen und zu verlieren. Dies könnte doch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden.

II Am Mittwoch, meinem nächsten Arbeitstag, wachte ich bereits vor den Klingeln meines Weckers auf. Mir die Augen reibend nahm ich mein Handy

vom Regal über meinem Bett. Keine neue Nachricht. Seufzend legte ich mein Handy beiseite und streckte mich erst einmal ausgiebig. Langsam machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer, wo ich mir eine lange Dusche gönnte. Während das angenehm warme Wasser über meinen Körper rann, dachte ich an Marcel. Der heutige Tag im Tierheim würde für mich ohne ihn verlaufen. Ohne Blicke im Hundegang und ohne, dass ich ihn einmal näher betrachten konnte. Er hatte für mich bisher nie so gewirkt, als hätte er besonders viele Muskeln. Er kam mir immer so schlaksig vor. Heute hätte ich ihn vielleicht mit anderen Augen gesehen. Aber eigentlich hätte er sich ja

nicht verändert, das Sixpack hatte er sicher schon gestern Morgen gehabt. Ich hatte es nie auch nur vermutet, aber der Gedanke daran gefiel mir. In meinen Bademantel eingewickelt kehrte ich schließlich in mein Zimmer zurück. Schon von weitem sah ich mein Handy aufblinken. Das wurde aber auch Zeit. Ich nahm langsam das Handtuch von meinem Kopf, während ich meine Haare leicht trocken rieb und mich vorsichtig aufs Bett sinken ließ, den Blick nicht von meinem Handy lösend. Schließlich nahm ich mein Handy hoch. Die neue Nachricht war von meiner besten Freundin Mira. Ich biss die Zähne zusammen und spürte die Enttäuschung

meinen Körper durchströmen. Mir wurde schnell klar, wie sehr ich mir gewünscht hatte, dass die Nachricht von Marcel kam. Ohne die Nachricht zu lesen, geschweige denn meiner Freundin zu antworten warf ich mein Handy neben mich auf mein Kissen. So langsam hatte ich gar keine Lust mehr, zu arbeiten. Dennoch betrat ich knapp eine Stunde später das Tierheim, begrüßt von stürmischem Gebell. Ich bekam Kopfschmerzen. Bevor ich mich dazu entschließen konnte, umzukehren und mich krank zu melden, kam meine Chefin schon und teilte mich auf die Station der Katzen ein. Ich hasste Katzen.

Gezwungen lächelnd machte ich mich kurze Zeit später auf den Weg ins Katzenzimmer. Den Tieren gut zuredend öffnete ich den ersten Käfig, griff nach der Katze- und zog die Hand schnell wieder zurück. Grimmig betrachtete ich meine zerkratzten Finger. Ich knurrte. Bein nächsten Mal griff ich schneller zu und erwischte die kampflustige Katze am Nacken. Unter lautem Geschrei ließ sie sich dann doch in die Transportbox setzen und ich konnte endlich ihren Käfig säubern. Für ihre Verhältnisse relativ entspannt ließ sie sich zurück in ihren Käfig setzen, in dem sie schnurrend anfing zu fressen. Ich seufzte, schloss den

gesäuberten Käfig ab und wandte mich den restlichen Katzen zu. Die nächsten sechs Katzen ließen die Reinigung ihrer Käfige problemlos über sich ergehen. Bei der vorletzten Katze des Katzenzimmers fand ich jedoch bloß ein unbenutztes Katzenklo vor. Ich runzelte die Stirn, versuchte aber trotzdem meine Arbeit zu verrichten und setzte die Katze in die Transportbox. Als ich gerade den Käfig ausgeräumt hatte, stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. Ich stöhnte. Auch das noch. So schnell wie möglich stattete ich den Käfig mit Handtüchern und einem Katzenklo aus, um anschließend die Katze aus der Transportbox zu holen, die

inzwischen ausreichend als Toilette genutzt worden war. Schimpfend legte ich die Katze in ihren Käfig zurück und schloss das Gitter. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich der Transportbox widmete. Nach einigen, mir endlos erscheinenden Minuten war die Transportbox sauber und ich gab auch dieser Katze ihren Futternapf. Bei der letzten Katze verlief wieder alles nach Plan. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass der Tag gar nicht schlimmer werden konnte. Endlich hatte ich Mittagspause. Ich stellte mich wie gewöhnlich zu den Rauchern. „Hey, Kleine, wo hast du denn Marcel

gelassen?“, fragte Nora mich plötzlich. Ich starrte sie an. Wieso fragte sie das ausgerechnet mich? Also fragte ich nur: „Wieso denkst du, dass gerade ich das wissen könnte?“ Sie wandte den Kopf ab und atmete eine lange, graue Rauchwolke aus: „Nun, ihr klebt doch förmlich aneinander. Und wie ihr euch anstarrt...“ Diesmal war ich es, die den Kopf abwandte. War das denn so offensichtlich. „Außerdem redet er dauernd von dir.“, fügte Nora noch hinzu. Meine Augen weiteten sich. Nora hatte die letzten Tage immer mit Marcel zusammen gearbeitet, also kannte sie ihn doch mit am besten. „Wirklich? Von mir? Wieso..?“, fragte

ich. „Woher soll ich denn das wissen? Auf jeden Fall höre ich bei der Arbeit immer nur deinen Namen.“, schnaufte Nora. Ich musste einfach grinsen. Marcel redete von mir. Anscheinend nicht zu knapp. Lächelnd ließ ich Nora stehen und ging zu der Garderobe, an der meine Jacke hing. Ich zog mein Handy aus meiner Jackentasche. Marcel hatte geschrieben. Mein chaotischer Tag war gerettet. Meine Laune besserte sich immer mehr und die doofen Katzen hatte ich schon längst vergessen. Jetzt zählte nur noch Marcel. - Guten Morgen :* Wie ist das Tierheim so ohne

mich? Scheiße, dachte ich. Ich überlegte kurz. Dann schrieb ich. - Morgen :) Ganz okay. Wurde von ein paar hungrigen Katzen angefallen :P Nach meiner Schicht im Tierheim sah ich erwartungsvoll auf mein Handy. Doch dieses Mal erwartete mich keine Nachricht von Marcel. Ich seufzte. Er konnte ja nicht von morgens bis abends nur am Handy sein. Ich entschied, zum Fitnessstudio zu gehen. Ich hatte schließlich nichts besseres vor und Sport würde meinem

Körper sicher gut tun. Also powerte ich mich zwei Stunden lang auf verschiedensten Geräten aus. Als ich gerade duschen gehen wollte, fragte eine Trainerin mich, ob ich nicht noch zum Fitnesskurs bleiben wolle. Ich nickte, nahm mir ein Steppbrett und eine Matte und verbrachte eine weitere Stunde schwitzend in Studio. Völlig erschöpft duschte ich und zog mir frische Kleidung an. Auf meinem Fahrrad holte ich mein Handy raus. Ein verpasster Anruf von Marcel. Mein Herz schlug schneller vor Aufregung. Ich hatte noch nie mit einem Jungen telefoniert. Sofort schrieb ich Marcel, dass er mich jetzt nochmal anrufen solle, wenn er

denn wollte. Zwei Minuten später klingelte mein Handy. Ich wartete einige Sekunden bevor ich den Anruf annahm. „Hey.“, begann ich vorsichtig, unsicher, wie ich sonst beginnen sollte. Normalerweise telefonierte ich nur mit meinen Eltern oder meinen besten Freundinnen. „Hey, Kleines.“, kam es nun auch von Marcel. Ich lächelte. „Alles klar bei dir?“, fragte Marcel. Ich nickte. Stille. „Ja, ja, alles klar. Und bei dir?“, sagte ich hastig, nachdem mir eingefallen war, dass er mich ja nicht sehen konnte.

„Schlechten Menschen geht es immer gut, das weißt du doch.“ Ich runzelte die Stirn und schüttelte entschieden den Kopf. „Du bist kein schlechter Mensch.“ Ich hörte ihn leise lachen: „Und du zu nett für diese Welt.“ „Quatsch, nur ehrlich.“, gab ich zurück. „Bist du unterwegs? Man versteht dich so schlecht.“, hörte ich Marcel sagen. „Ähm ja, warte...“, antwortete ich, klemmte mein Hnady zwischen Kinn und Schulter, griff zum Lenker und drosselte das Tempo ein wenig. Eigentlich hatte ich es sowieso nicht so eilig, nach Hause zu kommen: „So

besser?“ „Viel besser.“ „Warum hast du mich angerufen? Wolltest du was bestimmtes?“, fragte ich. „Nein, eigentlich wollte ich nur mal wieder deine Stimme hören.“, antwortete Marcel. Verlegen lächelte ich, wusste jedoch nichts mehr zu sagen. Also schwiegen wir uns eine Weile lang an, sodass ich ihn nur leise atmen hörte und mein Fahrrad zwischendurch quietschte. „Tut mir Leid, aber ich muss leider auflegen. Aber ich komme morgen mit Sicherheit wieder ins Tierheim.“, meldete sich Marcel schließlich zu Wort. „Das muss dir doch nicht Leid tun. Ich

freue mich. Bis dann.“, antwortete ich und grinste breit. „Bis dann... das klingt so, als würden wir uns lange nicht sehen.“, murmelte er. „Oh, ähm... bis morgen, Marcel.“, sagte ich schließlich. „Bis morgen, Joyce.“ Glücklich grinste ich mein Handy an, bevor ich es in meine Jackentasche stopfte, um mich wieder auf die Straße zu konzentrieren. * Zu Hause las ich dann auch endlich die

Nachricht, die ich am Morgen von Mira bekommen hatte. Sie fragte, ob ich mir am Sonntag mit ihr einen neuen Kinofilm ansehen wollte. Sonntag hatte ich noch nichts geplant, sodass ich meiner besten Freundin schnell zusagte. Wir würden uns um 14:00 Uhr vor dem Kino treffen. * Am Abend ging ich mit meiner Familie und Verwandten ins Restaurant. Es handelte sich dabei um den Cousin meines Vaters und seine Frau Karin. Leider wohnten sie weit weg, doch wann

immer sie zu Besuch kamen, war es wirklich sehr nett . Meine Mutter unterhielt sich mit Karin, während mein Vater mit seinem Cousin die neuesten Ereignisse austauschte. Meine Schwester Lila und mein Bruder Daniel stritten sich um die Speisekarte und ich dachte an Marcel. Was er wohl gerade tat? Er war sicher bei seiner Freundin Sonja. Ich fragte mich, ob er auch manchmal an mich dachte. „Und bei dir, Joyce? Alles okay? Irgendwelche Neuigkeiten?“, wandte sich Karin schließlich an mich. „Ach, eher weniger. Eigentlich nichts Neues.“, lächelte ich sie freundlich an. „Joyce macht gerade ein Praktikum im

Tierheim. Erzähl doch mal.“, mischte sich meine Mutter ungefragt ein. Auch das noch, dachte ich. So würde es mir bestimmt niemals gelingen, mal nicht an Marcel zu denken. „Ach, was soll ich da denn groß erzählen?“, winkte ich ab: „Es ist genau so, wie man sich das vorstellt. Viele Tiere, viel Arbeit, viel Lärm und vor allem viel Hektik.“ „Klingt bei dir ja nicht so positiv.“, stellte Stephan fest, der das Gespräch mit meinem Vater inzwischen beendet hatte. „Nein, überhaupt nicht. Es macht ja eigentlich Spaß, auch, wenn es mal anstrengend ist. Außerdem habe ich

keine allzu langen Arbeitszeiten und meine Chefin und die anderen Mitarbeiter sind auch alle total nett und offen.“, erklärte ich und hoffte, dass sich das Thema nun erledigt hatte. Doch ich sah, wie Karin wieder ausholte, gewappnet mit weiteren Fragen, als zu meinem Glück die Kellnerin fragte, ob wir uns schon was ausgesucht hatten und alle ihre Bestellungen aufgaben. Nachdem die Kellnerin gegangen war, wurden meine Geschwister ausgefragt und ich konnte mich entspannt zurücklehnen und wieder an Marcel denken. Wenn ich auch eben gerade noch versucht hatte, diesen Gedanken zu verdrängen, erschien mir dieses

Vorhaben inzwischen total sinnlos. Also ließ ich mich in die Gedanken und Erinnerungen fallen. Vor mir sah ich Marcel. Marcel, wie er rauchend an die Wand gelehnt war. Marcel, wie er mich ansah. Aus seinen braunen Augen, in welchen ich jetzt gern versinken würde. Marcel, wie er mit mir redete. Mit seiner Stimme, die bei mir mit jedem Wort eine Gänsehaut zu verantwortlichen hatte. Ich seufzte. „Joyce?“, fragte meine Mutter. Ich sah sie verdutzt an. „Magst du nicht auch langsam anfangen zu essen?“, fragte sie besorgt. Ich starrte erst sie an und anschließend auf den

Teller auf dem Tisch vor mir. Nickend griff ich zu Messer und Gabel. * Nach diesem leckeren, doch viel zu langen Essen trennten wir uns wieder von unseren Verwandten. Zu Hause verkroch ich mich sofort in mein Zimmer. Schnell streifte ich meine Kleidung ab und schlüpfte stattdessen in meine weite, graue Jogginghose und ein schwarzes Top. Halbherzig band ich meine Haare zu einem lockeren Zopf

nach hinten, damit sie mich nicht beim Schlafen stören konnten Gähnend legte ich mich in mein Bett, löschte das Licht und schloss die Augen. Kurze Zeit später war ich auch schon eingeschlafen.

III Schon kurz nach dem Aufwachen war ich total aufgeregt. Heute würde ich Marcel wiedersehen. Endlich. Pünktlich um 9:00 Uhr erreichte ich das Tierheim. Ich stieg von meinem Fahrrad ab und bückte mich, um es am Fahrradständer anzuschließen, als mir plötzlich jemand von beiden Seiten in die Taille pikste, sodass ich erschrocken zusammenfuhr. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf und sah Marcel an. Mein

Herz machte vor Freude einen Satz. „Warum so schreckhaft?“, grinste Marcel. Ich lachte leise, zog meinen Schlüssel vom Schloss ab und steckte ihn in meine Jackentasche. Anschließend nahm ich meine Tasche aus dem Fahrradkorb, stupste Marcel, der noch immer grinsend hinter mir stand, am Ellenbogen an und ging Richtung Eingang. Marcel folgte mir schweigend. In der Eingangstür erwartete uns schon Nora, die uns jeweils einen Hund in die Hand drückte. Da die Hunde sich gut verstanden, konnten Marcel und ich gemeinsam die morgendliche Rund

drehen. „Hast du mich vermisst?“, fragte Marcel mich. Ich lächelte: „Klar.“ Marcel grinste wieder. Ich sah auf den Boden vor mir. „Kommst du morgen eigentlich auch?“, fragt ich vorsichtig. „Nein, leider kann ich nicht. Sonja ist bei ihrer Familie für zwei Wochen und ich werde sie morgen zur Beerdigung ihrer Oma begleiten müssen. Dabei kannte ich die nicht mal.“, murmelte Marcel. „Bis wann ist sie denn dann noch da?“, fragte ich. „Übernächste Woche Mittwoch. Eigentlich sollte ich auch mitkommen,

hatte aber von Anfang an keine Lust darauf. Jetzt kamen noch die Sozialstunden dazu und ich habe eine Ausrede.“, erklärte Marcel. Tolle Beziehung, dachte ich, wollte mich aber nicht einmischen. „Und was machst du solange so allein?“, fragte ich ihn. Marcel zog die Augenbrauen hoch: „Nur, weil ich mit ihr zusammen bin, heißt das nicht, dass ich keine anderen Freunde oder Hobbys habe.“ „So meinte ich das nicht.“, murmelte ich. Inzwischen hatten wir das Tierheim wieder erreicht. Marcel nahm mir meinen Hund ab und brachte ihn in seinen Zwinger zurück.

Meine Chefin teilte uns auf verschiedene Stationen auf und ich stand wieder einmal allein vor der Arbeit im Katzenzimmer. Wieder wurde ich von meinem Liebling gekratzt, der andere verrichtete sein Geschäft in der Transportbox und ich schimpfte leise vor mich hin. Nach zwei Stunden konnte ich endlich das Katzenzimmer verlassen. Als ich durch den Hundegang gehen wollte, sah ich Marcel vor einem der Zwinger hocken. Langsam ging ich auf ihn zu. „Ist hier noch frei?“, fragte ich vorsichtig. Marcel sah zu mir hoch: „Klar.“ Ich hockte mich neben ihn und

schwankte. Marcel hielt mich am Arm fest und hinderte mich so daran, hinzufallen. Ich lächelte ihn dankbar an. „Sei vorsichtig.“, sagte Marcel, sah mich besorgt an und ließ schließlich meinen Arm los. Ich nickte mit zusammengepressten Lippen. Wie peinlich, doch Marcel hatte echt total süß reagiert. Endlich löste ich meinen Blick von ihm und sah mir den Hund an, welcher in dem Zwinger lag, vor dem wir saßen. Es war ein American-Steffortshire-Terrier. Marcel hatte seine Hände durch die Gitterstäbe gestreckt und kraulte den kleinen Kampfhund hinter den Ohren. Das hätte ich niemals getan. Ich hätte zu

viel Angst um meine Hände gehabt. „Hast du keine Angst, dass der dich beißt?“, fragte ich. „Ach, Quatsch. Ich will auch so einen. Oder einen, wie Cash. Dann wäre das Katzenproblem in meiner Wohnung auch endlich gelöst.“, schmunzelte Marcel. Er hatte mal im Chat erwähnt, dass seine Freundin eine Katze hielt und er sie nicht sonderlich mochte. Cash war der Name eines Rottweilers, der einige Zwinger weiter auf ahnungslose Kinder wartete und, sobald welche in Sichtweite waren, mit aller Kraft gegen die Gitterstäbe sprang. Ich schluckte. „Also stehst du eher auf die ganz Harmlosen?“, bemerkte ich.

Marcel zog langsam seine Hände zurück, woraufhin der Hund anfing zu knurren. Er stütze sich ab und stand auf: „Genau. Aber nur im Bezug auf Hunde. Kommst du mit nach draußen?“ Ich nickte und stand ebenfalls auf. Es war Zeit für die Mittagspause. * Nach meiner Schicht im Tierheim war ich schon etwas traurig, dass ich Marcel vorerst nicht wiedersehen würde. Doch dieser Tag war wirklich noch sehr schön

gewesen. Während ich die Katzenklos sauber gemacht hatte, hatte er daneben gestanden und mir dabei zugesehen. Er hatte Witze gemacht und mich die ganze Zeit zum Lachen gebracht. Ihm waren an diesem Tag noch mehrere meiner Macken und Gewohnheiten aufgefallen. Während ich die Katzenklos in der Dusche gereinigt hatte, hatte ich nämlich unbewusst auf den Zehenspitzen gestanden. Marcel hatte mich schmunzelnd darauf hingewiesen und sich anschließend, als er die andere Hälfte der Katzenklos sauber machte auch auf die Zehenspitzen gestellt.

Beim Verteilen der Katzenklos war ihm dann aufgefallen, dass ich meine Ringfinger immer in einer anderen Farbe lackierte, als die restlichen Fingernägel. Auch das hatte ihn amüsiert. Ich war erstaunt, wie aufmerksam er mich an diesem Tag beobachtet hatte. Kurz vor Ende unserer Schicht, als keine Aufgaben mehr zu erledigen waren, hatten wir noch mit Nora und meiner Chefin im Eingangsbereich gestanden. Nora hatte sich mit unserer Chefin unterhalten. Worüber kann ich nicht sagen, denn Marcel und ich waren zu sehr damit beschäftigt gewesen, uns schweigend anzulächeln. Schließlich

hatte sich unsere Chefin an uns gewandt: „Sagt mal, das mit euch kann man sich auch nicht ansehen.“ Und Nora fügte hinzu: „Romanze zwischen Hund und Katze im Tierheim.“ Marcel und ich hatten uns nur verständnislos angesehen. „Null.“, hatte Marcel die Bemerkungen kommentiert. Dann hatte er mich wieder angegrinste. Ich hatte gelächelt. „Na kommt, dann könnt ihr heute mal früher Schluss machen, bevor noch was passiert. Nehmt bitte noch die Schubkarre mit zu den Mülleimern.“, hatte unsere Chefin gemeint. Marcel und ich hatten uns bedankt und das Tierheim verlassen. Ich hatte die Schubkarre genommen und war in Richtung

Mülleimer gelaufen. Nora und Marcel waren mir gefolgt. „Macht man das nicht als Mann so, dass man der Frau die schweren Sachen abnimmt?“, hatte Nora skeptisch gefragt. „Marcel ist doch aber kein Mann.“, hatte ich zu bedenken gegeben. Sofort hatte ich Marcel von hinten auf mich zukommen sehen. Mit beiden Armen hatte er mich an sich gezogen und gekitzelt: „Was hast du gesagt?“ Ich hatte gelacht und versucht mich zu befreien: „Nichts, alles gut“ Marcel hatte mich losgelassen und wir konnten unseren Weg fortsetzen. Zum Abschied hatte er mich fest umarmt:

„Ciao, Joyce.“ Ich hatte ihn angelächelt und war losgefahren. Als ich mich noch einmal umgedreht hatte, hatte Marcel mir noch immer nachgesehen. * Am Sonntag machte ich mich um 13:00 Uhr auf den Weg in die Stadt. Um nicht wieder einmal stundenlang auf einen der wenigen Busse zu warten, die mich nach Hause hätten fahren können, nahm ich kurzerhand mein Fahrrad. Als ich am Kino ankam, stand Mira

schon wartend davor. Ich lächelte und winkte ihr zu. Sie winkte zurück. Direkt am Kino war ein Fahrradständer, an dem ich mein Fahrrad anschließen konnte. Ich umarmte meine Freundin, bevor wir gemeinsam das Kino betraten. Mit jeweils einer Tüte Popcorn und einer Cola in den Händen setzten wir uns auf unsere Plätze. Ich berichtete ihr von Marcel und sie warf skeptisch ein, dass er ja schon 21 war. Ich wusste, dass, egal wie überzeugend ich ihr erklären würde, dass er anders war, sie mir nicht glauben würde. Außerdem bemängelte sie, dass er eine Freundin hatte. „Vergebene Männer sind tabu.“, erklärte sie. Ich wusste das. Doch Marcel würde

in der Beziehung niemals glücklich werden. Es würde doch sowieso nicht mehr lange halten. Glücklicherweise ging das Licht aus und der Film begann. Somit gab ich Mira keine Chance mehr, mir Vorwürfe zu machen. Nach dem Film sah ich, dass Marcel mir geschrieben hatte. Er fragte, was ich gerade so tat. Ich berichtete ihm, dass ich in der Stadt war. Sofort kam eine Antwort. - Wollen wir uns noch kurz treffen? Überrascht stimmte ich zu. Wieso

eigentlich nicht. Mira bestand darauf, mit mir zu warten, bis Marcel auftauchen würde. Nach 10 Minuten schrieb ich Marcel, wo er denn bleiben würde. - Bin gleich da. Ich kann das Kino schon riechen :P Ich lächelte. Dann konnte es ja nicht mehr lange dauern. Erst weitere 10 Minuten später, ich war kurz davor, ihm erneut zu schreiben, tauchte Marcel endlich auf. Er umarmte mich: „Hey, Kleines.“ Anschließend reichte er Mira die Hand: „Ich bin Marcel.“

„Mira.“, antwortete Mira, während sie Marcel mit zusammengekniffenen Augen musterte. Ich tat es ihr gleich, denn sein Anblick musste verschreckend für jemanden sein, der ihn nicht kannte, wie ich es tat. Mira würde mir sicher noch einen Vortrag halten, wie hässlich, alt und gefährlich er aussah. Doch das störte mich im Moment herzlich wenig. Er trug zum ersten Mal in meiner Anwesenheit sein Septum. Es stand ihm ausgesprochen gut. Ich wusste bereits, dass er normalerweise eins trug. Im Tierheim war Schmuck generell nicht erlaubt. Mira verabschiedete sich und wünschte uns noch viel

Spaß. Ich sah Marcel erwartungsvoll an. „Du kannst anscheinend außergewöhnlich gut riechen.“, stellte ich fest. „Ach, ich dachte, ich wäre schon fast da.“, entschuldigte sich Marcel. Ich winkte ab: „Nicht schlimm. Und jetzt?“ „Was hältst du davon, ein wenig durch die Stadt zu laufen?“, schlug er vor. Ich nickte, nahm mein Fahrrad und lief neben ihm die Straße entlang. Er begann, von sich zu erzählen und er war sehr offen zu mir. Er erzählte von seinen zwei Brüdern, mit dem einen und dessen Freundin Linda habe er sich vorhin getroffen.

„Wusstest du, dass ich eine Ausbildung zum Dachdecker gemacht habe?“, fragte Marcel. Ich schüttelte den Kopf. „Leider musste ich aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Mein Rücken hat das nicht mehr mitgemacht. Eines Tages bin ich einfach auf dem Bau umgekippt. Ein Glück stand ich auf festem Boden und nicht auf irgendwelchen Dächern.“, erklärte er. Jetzt arbeite er bei einer Deinstallationsfirma. Zur Zeit habe er Urlaub, sodass er erst einmal entspannt seine Sozialstunden abarbeiten konnte. Er habe früher viel Mist gebaut. Marcel war mit 15 bei seinen Eltern ausgezogen. Nach einiger Zeit bei seinem großen

Bruder war er schließlich zu Freunden und anschließend auf die Straße gezogen. Jedoch konnte er im Notfall immer irgendwo schlafen, duschen oder essen. Er hatte viele gute Kontakte gehabt. Sie hätten ihn durch diese schwere Zeit gebracht. Besonders seinem Bruder habe er viel zu verdanken. Jetzt, wo er wieder eine feste Adresse hatte, kamen nach und nach die ganzen Briefe und Vorladungen vom Gericht. Er musste noch immer viele Geldstrafen zahlen für seine früheren Geschichten. Marcel musste noch mit vielen Dingen rechnen, wegen Körperverletzungen, Drogenmissbrauchs oder Diebstählen. Doch heute, das beteuerte er, sei er aus

der Sache raus. Er habe seit langer Zeit keinen Mist mehr gemacht und wollte es auch nicht mehr. Er hatte endlich einen Job und eine Wohnung. Er würde noch eine Ausbildung machen, sobald er alle Strafen hinter sich hatte. Er hatte endlich ein Leben. Gegen 19:00 Uhr, wir waren schon viele Male um den Block gelaufen, hatte Marcel Hunger. Er überredete mich in ein türkisches Schnellrestaurant zu gehen und wir teilten uns eine Pizza. Auf unserem Tisch stand eine Schale mit Gewürzen. Marcel nahm sich gleich mehrere Löffel voll und würzte damit

seine Stücke. Ich stockte. „Ist das nicht ein wenig scharf?“, fragte ich, da ich noch nie so etwas probiert hatte. Marcel grinste breit: „Für Anfänger vielleicht. Ich war schon bei Wettbewerben dabei. Ich habe schon viel schärfere Sachen gegessen, das kannst du mir glauben.“ Ich sah ihm dabei zu, wie er das Stück Pizza nach und nach in seinem Mund verschwinden ließ, ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich davon halten sollte, als mir Marcel auch schon die Schale mit der Gewürzmischung rüber schob: „Probier

mal.“ Ich nahm zögern einen halben Teelöffel voll und leerte ihn über einem kleinen Stück Pizza. Marcel nahm sich anschließend vier gehäufte Teelöffel auf sein Stück und grinste mich an. Ich schüttelte den Kopf und biss ab. Ich spürte die Schärfe, schluckte das Stück schnell herunter und meinte lässig: „Geht.“ Ich fing an zu husten. Marcel lachte. Als die Pizza aufgegessen war und wir uns nur noch anstarrten und abwechselnd wegsahen oder lächelte, machte ich schließlich den Vorschlag, das Schnellrestaurant zu verlassen. Marcel stimmte mir zu und zahlte, ohne ein Wort

drüber zu verlieren. Ehrlich gesagt hatte ich auch kaum Geld dabei und im Prinzip war es ja auch Marcels Idee gewesen, etwas essen zu gehen. Letzten Endes hatte ich doch mehr aus Höflichkeit, als aus Hunger drei kleinere Stücke der Pizza gegessen. Wir verließen den Imbiss und ich nahm mein Fahrrad wieder mit, welches ich zuvor vor dem Eingang des Schnellrestaurants abgestellt hatte, erleichtert, dass es in meiner Abwesenheit nicht geklaut worden war, da ich es nicht abgeschlossen hatte. Gemeinsam liefen wir noch ein Stück, doch schon bald bekam ich Gewissensbisse. Es war schon nach 21:00

Uhr und meine Eltern hatten mich schon gegen 17:00 Uhr zu Hause erwartet. „Ich sollte dann langsam mal nach Hause gehen.“, sagte ich. Er nickte: „Ist ja auch schon spät.“ Abwesend rieb ich meine Hände aneinander. Sie waren total kalt geworden und bei dem Gedanken an den langen Heimweg auf dem Fahrrad, welcher mir noch bevorstand, graute es mir. „Alles okay bei dir?“, fragte Marcel besorgt: „Ist dir kalt?“ „Und wie.“, seufzte ich. Marcel streckte mir seine Hände entgegen. „Gib her“, forderte er mich auf. Ich legte meine Hände in seine. Sie waren

angenehm warm.Ich entspannte mich langsam. „Hilft es?“ „Bisschen. Danke.“ Ich lächelte verlegen. „Wenn ich ehrlich sein darf: Meine Hände frieren gerade auch ein wenig.“, meinte Marcel. „Oh, entschuldige.“, murmelte ich und zog die Hände vorsichtig zurück. Schnell winkte Marcel ab: „Das letzte, was ich damit bezwecken wollte, war, dass du dich zurückziehst. Mein Bauch wäre nur noch wärmer, also wenn du willst.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Marcel hob seine Jacke an und zuckte mit den

Schultern. Ich seufzte. Warum eigentlich nicht. Andere Frauen würden sicher Geld dafür geben, ein solches Sixpack berühren zu dürfen. Kurzerhand legte ich meine Hände auf seinen Bauch. Marcel sog scharf die Luft ein. Ich musste grinsen. Unter meinen Fingern spürte ich seinen warmen Bauch und seine Brustmuskeln, die sich durch den Schock der Kälte anspannten. „Wow, du hast ja größere Brüste als ich.“, stellte ich entschieden fest. „Ja, ich hab es zwar noch nicht probiert, aber in B würde ich sicher passen.“, grinste Marcel. Nach einer gefühlten Ewigkeit erklärte

ich: „Ich glaube, ich kann jetzt fahren.“ Ich zog meine Hände unter seiner Jacke hervor und vergrub sie sofort in meinen Jackentaschen. „Okay, man sieht sich. Wir schreiben“, sagte Marcel. Ich nickte: „Wenn du mich anschreibst.“ Er lächelte. Ich machte es ihm nach. „Bis bald, Joyce.“, verabschiedete sich Marcel schließlich. „Bis bald.“, antwortete ich. Zum Schluss umarmten wir uns lange. Dann drehte ich mich um, doch bevor ich auf mein Fahrrad steigen konnte, hörte ich Marcel meinen Namen rufen: „Joyce?“ Ich blieb stehen und wartete, bis mich Marcel eingeholt hatte. Ohne ein Wort zu

sagen, küsste Marcel mich auf die Wange, lächelte mich an, drehte sich um und ging. Zu Hause sah ich eine neue Nachricht auf meinem Handy. - Es war echt schön mit dir heute. :) Ich grinste glücklich. - Das finde ich

auch. * Montag verabredeten wir uns, weil Marcel unbedingt darauf bestand, mich zu sehen. Ich hatte zwischen Schulschluss und Abfahrt meines Busses ungefähr 20 Minuten. Besser als nichts. Das fand auch Marcel und so trafen wir uns vor der Schule. Gemeinsam liefen wir zu meiner Bushaltestelle. Marcel fragte mich nach meinem Tag und ich berichtete ihm von einem durchschnittlich langweiligen Schultag.

Seltsamerweise schien es Marcel nicht sonderlich zu langweilen und ich fühlte mich nicht mehr ganz so uninteressant. Bevor der Bus kam, verabschiedeten wir uns erneut mit einer Umarmung voneinander und Marcel gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. * Da Marcel Dienstag einige Termine hatte, konnten wir uns erst Mittwoch wieder treffen. Auch an diesem Tag hätte Marcel einige Termine gehabt, ich konnte aber mitkommen.

Somit trafen wir uns beim Jobcenter, in dem Marcel einen Termin mit seinem Kollegen Jannis hatte. Anscheinend waren sie noch nicht ganz fertig, also setzte ich mich neben Jannis in den Wartebereich, während Marcel aufgerufen wurde. Jannis war sehr zurückhaltend, Anfang zwanzig und verspürte anscheinend nicht das Bedürfnis danach, mit mir zu reden. Wir wechselten nur wenige Worte, bis Marcel zu uns zurückkehrte und Jannis aufstand. „Setz dich mal zu deiner Frau.“, grinste Jannis Marcel an. Dieser schnaufte nur etwas und setzte sich neben mich.

„Alles klar bei dir?“, fragte er. In seiner Stimme lag etwas zärtliches. Ich nickte und lächelte. „Dauert nicht mehr lange.“, erklärte Marcel, während sich Jannis auf den Weg in den 1. Stock machte. Kurze Zeit später wurden Marcel und ich auch schon von kleinen Papierkügelchen bombardiert. Marcel sah verwundert nach hinten, während ich nur lachte. „Sieht so aus, als hätte dein Jannis ein neues Hobby gefunden.“, grinste ich. Marcel brummte etwas und regte sich dann über seinen Kollegen auf, während er die Papierschnipsel aufsammelte und in den bereitgestellten Mülleimer

warf. „Machst jetzt vor deiner Frau einen auf sozial, oder wie?“, fragte Jannis neckend. „Schnauze, sonst komm ich hoch.“, drohte Marcel scherzhaft. Er wandte sich an mich: „Ich muss kurz hoch. Wartest du hier?“ „Klar.“, antwortete ich. Marcel grinste mich an, lief die Treppe hoch und setzte sich zu Jannis. Ich hörte sie reden und lachen, bis sie aufstanden und in einem Büro verschwanden. Fünf Minuten später kamen sie wieder raus. Noch vor der ersten Treppenstufe verabschiedeten sich voneinander. Marcel kam die Treppe runter auf mich

zu. „Kommst du?“, fragte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Ich habe etwas vergessen. Ich muss nach Hause, Papiere holen und die dann zu meinem Anwalt bringen. Kommst du mit?“, fragte er. Ich nickte und wir machten uns auf den Weg. Vor dem Mehrfamilienhaus blieb ich stehen, während Marcel die Tür aufschloss. „Ich bin gleich wieder da.“, versprach er und verschwand im Haus. Ich sah mich um. In diesem Viertel war ich noch nie gewesen. Marcel und ich waren den ganzen Weg

hierher schweigend nebeneinander her gelaufen. So hatte ich mir den Tag eigentlich nicht vorgestellt. Aber die Hauptsache war doch, dass wir Zeit miteinander verbrachten. Auf einmal öffnete sich ein Fenster ganz oben links im Haus. Marcel lehnte sich raus, einen Kater in den Händen: „Das ist er. Mein unbeliebter Mitbewohner.“ „Toll.“, kommentierte ich, unsicher, was ich sonst hätte sagen sollen. Marcel holte den Kater wieder in die Wohnung und rief mir zu: „Ich komme jetzt runter, warte.“ „Okay.“, rief ich zurück, doch das Fenster hatte sich schon wieder geschlossen.

Wenige Augenblicke später kam Marcel wieder aus dem Haus und wir liefen zurück in die Innenstadt. „Für was ist denn das?“, fragte ich und deutete auf die Papiere in Marcels Hand. „Die Vermieter stressen wegen der Kündigung. Nichts Schlimmes, mein Anwalt kriegt das hin. Endlich bin ich auch mal im Recht.“, schmunzelte er. Vor einem Haus blieb Marcel stehen, drückte gegen die Tür, hielt sie mir auf und wartete, bis ich an ihm vorbeigelaufen war. Gemeinsam betraten wir den Fahrstuhl. Während wir in den 2. Stock fuhren, beobachtete Marcel mich

aufmerksam. Doch bevor ich etwas sagen konnte, hatten wir unser Ziel erreicht und die Türen öffneten sich und wir verließen den Fahrstuhl wieder. „Geht ganz schnell.“, erklärte Marcel, drückte auf die Klingel und gab der Sekretärin anschließend die Unterlagen. „Schon fertig.“, verkündete er und stieg in den Fahrstuhl. Ich folgte ihm. „Und, wohin jetzt?“, fragte er, während er die Taste für das Erdgeschoss drückte. Ich sah auf die Uhr. 17:15 Uhr. „Zum Bahnhof.“, meinte ich. Marcel nickte. Wiedereinmal schweigend liefen wir nebeneinander

her. Am Bahnhof traf Marcel auf einen alten Bekannten. Er ignorierte mich vollkommen und redete nur noch mit diesem Marvin. Ich denke, es ging um Drogen, doch Marcel schien aufrichtig desinteressiert an den Angeboten seines Bekannten. Ich fing an mich zu langweilen. Um halb kam mein Bus. Ich winkte kurz und sagte: „Ciao.“ Dann drehte ich mich um. Im Weggehen hörte ich Marcel sagen: „Sie ist nur beleidigt, weil ich sie nicht genug beachtet habe. Ich hob meinen Arm und zeigte ihm den Mittelfinger.

„Hey, das gibt Rache.“, lachte Marcel. Ich ignorierte ihn. Als ich bereits im Bus saß, sah ich Marcel auf mich zukommen. Er stellte sich auf die andere Seite des Busfensters und streckte mir die Zunge raus. Ich machte es ihm nach und wir beide näherten uns der Scheibe immer mehr. Kurz bevor ich die Scheibe mit der Zunge berührte, lehnte ich mich wieder zurück. „Mach mal die Tür auf.“, sagte Marcel und deutete auf die hintere Tür im Bus, welche direkt vor meinem Platz war. Ich versuchte ihm zu erklären, dass das nicht in meiner Macht stehen würde. Plötzlich

öffnete sich die Tür. „Danke.“, sagte ich zu dem Busfahrer, der nur durch den Rückspiegel lächelte. Marcel betrat den Bus. „Wir schreiben, ja?“, fragte er. Ich musste lachen: „Und dafür sollte ich jetzt die Tür noch einmal öffnen?!“ „Ja, also?“, fragte Marcel. „Klar.“, versprach ich. „Bis später dann.“, verabschiedete er sich. „Ja.“, sagte ich, noch immer grinsend. Mir Kusshände zuwerfend verließ Marcel den Bus und die Türen schlossen sich wieder. Als der Bus abfuhr, blickte sich Marcel noch einmal im Gehen um und lächelte

mir zu. * Leider hatten wir uns am Donnerstag wieder nicht sehen können, was bei mir ein schreckliches Stimmungstief hervorrief. Ich fing an, meine Eltern anzupöbeln, sobald sie sich nicht still und zurückhaltend verhielten. Eigentlich ging mir inzwischen jeder Mensch in meinem sozialen Umfeld auf die Nerven.

* Meine Laune besserte sich jedoch sofort, als ich am Freitag von Marcel angeschrieben wurde. - Morgen, Kleines. :) Wie geht’s dir heute? - Eigentlich ganz gut und dir? - Auch. Was hast du heute so geplant? - Bisher noch nichts. - Wollen wir was

unternehmen? - Klar, kann nur nicht in die Stadt kommen. Habe einen Platten und bekomme mein Rad erst heute Abend wieder. - Soll ich kommen und wir gehen bei dir irgendwo spazieren? - Klar. Nimmst du den nächsten Bus? Fahr einfach bis zum Strand durch. Wir treffen dich da. - Geht klar(Wir?!) :* - :) Also nahm ich eine halbe Stunde später meinen Hund Elli an die Leine und rief meiner Mutter zu, dass ich mit Elli spazieren gehen würde, bevor ich die

Haustür hinter mir schloss und in Richtung Strand lief. Doch schon auf der Hälfte der Strecke, welche ich viel kürzer in Erinnerung hatte, wurde ich von einem Bus überholt. Aus dem hintersten Fenster des Bus winkte mir Marcel grinsend zu. „Och nö!“, stöhnte ich und beschleunigte meine Schritte. Zu meiner Überraschung hielt der Bus an der nächsten Haltestelle, nur wenige hundert Meter vor mir und Marcel stieg aus. Ich zog Elli an der Leine näher an mich heran und hoffte, dass sie sich benehmen würde. Marcel überquerte die Straße. Er stand nun direkt vor mir. Lächelnd beugte er

sich zu Elli runter und kraulte sie leise murmelnd hinter den Ohren. Erst anschließend umarmte er mich: „Hallo, Joyce.“ Ich sah ihn nachtragend an: „Hauptsache du begrüßt erst den Hund.“ „So muss das.“, grinste Marcel. Ich schüttelte lächelnd den Kopf, bevor wir uns auf den Weg zum Strand machten. Kurz nachdem wir in den Wald eingebogen waren, ließ ich Elli von der Leine und Marcel schnappte sich den ersten Ast und warf ihn. Völlig begeistert rannte Elli hinterher und brachte ihn zurück. Marcel wiederholte es und ich sah ihnen zu. Es war wirklich süß, wie sich Marcel um Ellis

Aufmerksamkeit bemühte und sich um sie kümmerte. Von Weitem konnte man den Strand schon sehen. Marcel fragte: „Wollen wir wirklich an den Strand gehen? Der ist ja vollkommen überfüllt.“ Und er hatte Recht. Trotzdem es noch relativ kalt war, tummelten sich schon haufenweise Touristen am Strand. „Muss nicht sein. Ich zeig dir was.“, erklärte ich. Ich zeigte ihm einen Weg, der parallel zum Strand durch den Wald verlief. Verlegen sagte ich ihm, dass ich noch nie mit jemandem an diesem Ort gewesen sei. Er war sichtlich geehrt. Auf einer Anhöhe blieb ich stehen. „Wow!“, entfuhr es Marcel, als er über

die Baumwipfel hinweg auf das Meer starrte. Ich erklärte: „Das hier ist ein Militärbunker, auf dem wir hier stehen. Soweit ich weiß ist der noch aus dem 2. Weltkrieg. Den wunderbaren, weiten Ausblick verdanken wir einer Bombe, welche direkt neben dem Bunker eingeschlagen ist, auf dem wir übrigens gerade stehen.“ „Krasse Story für so einen schönen Platz.“, warf Marcel ein und stellte sich an den Rand des Abgrunds. Er drehte sich zu mir um. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, als könnte ich ihn festhalten, wenn er fallen sollte. Marcel hielt meine Hand bestürzt fest, bevor sie

seine Brust erreichen konnte: „Nicht runter schubsen.“ Ich sah ihn entsetzt an: „Würde ich nie!“ Marcel lächelte mich an, machte noch einen Schritt vom Abgrund weg und ließ mich langsam los. Er nahm eine Colaflasche aus seiner Jackentasche. Ich fragte mich, wie die da rein gepasst hat, als er einen großen Schluck nahm. Meinen Blick bemerkend bot er mir auch was an. Ich lehnte dankend ab und wandte mich nach Elli um. Diese war an einer weniger steilen Stelle den Abgrund hinuntergerannt und kam nun hechelnd wieder rauf. Marcel warf ein, dass er Hunger habe und wir liefen gemeinsam zurück zum

Strand. Leider hatte kein Imbiss oder so geöffnet, sodass wir suchend durch mehrere Straßen irrten. Marcel erzählte mir, dass er aus einer Vorstadt käme. Aus dem Ghetto. Er erzählte, wie er über die Dächer der Großstadt gerannt war, als er jünger gewesen war. Heute war er raus aus dem Ghetto. „Ich lebe nicht mehr im Ghetto -aber das Ghetto lebt in mir.“, scherzte er. Ich musste lachen. Wir erreichten die Bushaltestelle, als sich Marcel auf die dazugehörige Bank setzte. Der nächste Bus würde in einer

dreiviertel Stunde kommen. Wir wussten beide, dass Marcel in diesen Bus einsteigen würde. Es war schon Abend, es wurde immer kälter, der Strand und die Straßen waren wie leergefegt und Marcel hatte Hunger. Ich setzte mich zu ihm und legte meinen Kopf an seine Schulter. Marcel legte den Arm um mich. „Du bist echt, Kleines.“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich lächelte. „Aber erst 15.“, stellte ich fest. Dass eine Zahl zwischen uns stand, ärgerte mich schrecklich. Wäre ich doch nur ein paar Jahre älter... Er sah mich grinsend an. „Wärst du älter, hätte ich dich schon

längst geheiratet.“ Ich starrte ihn an. Bin ich aber nicht, dachte ich verbittert. „Naja, vielleicht noch nicht ganz. Wir kennen uns ja noch nicht allzu lange. Aber du weißt, was ich meine.“, erklärte er. Die Bank vibrierte leicht unter mir bei dem Klang seiner tiefen Stimme. Ich genoss es, ihm zuzuhören. Ich mochte seine Art zu reden. „Vielleicht bin ich als feste Freundin aber ganz anders als als normale Freundin. Vielleicht bin ich ganz unausstehlich.“, gab ich zu bedenken. „Wenn du bleibst wie du bist, bist du perfekt, Kleines.“ „Süß.“, murmelte ich. So etwas nettes

hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Erst recht kein Mann. Geschmeichelt schwieg ich. Als der Bus kam, wollte ich Marcel am liebsten überreden, hier zu bleiben. Doch ich wollte nicht klammern oder kindisch rüber kommen. Ganz fest schloss mich Marcel in die Arme. Ich spürte, wie sich seine Brust hob und senkte, so nah waren wir uns. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Doch bevor ich mich länger mit der Gänsehaut befassen konnte, die ich bekommen hatte, ließ mich Marcel auch schon wieder los. Er sah mir tief in die

Augen. „Wir schreiben, Kleines.“, murmelte er. Ich nickte. Er küsste mich auf die Wange, lächelte mich an, küsste mich erneut auf die Wange, drehte sich um und verschwand im Bus. Er winkte mir, während sich die Türen schlossen. Der Bus fuhr ab.

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Lenaslk

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CarmyllaHughes Hallöchen!
Ach nein, was für eine schöne Geschichte. Ich hab bis zum Schluss gelesen und hoffe, dass es irgendwann weitergeht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie enden wird. Wirklich schön geschrieben und ich kann eigentlich nichts kritisieren, weil es, so wie es ist, einfach perfekt ist. Genau die Art von Geschichte, die ich in Buchläden immer verzweifelt suche. :D Flüssig und bestimmt geschrieben mit einem wunderbaren Marcel als Hauptfigur, den man sofort von der ersten Sekunde an ins Herz schließen muss! :)
Viele Grüße
Carmy *-*
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