Schreiben ist ...
Schreiben ist Träume und Gedanken in bunte Luftballons packen und sie fliegen lassen.
Sie lag in einem frisch bezogenem Bett und starrte auf die Türe. Wann wird sie aufgehen und Mama kommt herein? Julia wartete schon sehnsüchtig. Ungeduldig zupfte sie an der zart gelb karierten Bettdecke und sah sich minutenlang im Zimmer um. In dem weiß getünchten, kahlen Krankenhauszimmer, in dem es trotz großem Blumenstrauß und offenem Fenster nach Medizin und Doktor roch, nach Krankenschwestern in blau-weißen Kitteln. Sie waren alle lieb zu ihr.
Ja, gewiss, sie waren sehr lieb und versuchten, ihr Mut zuzusprechen und über diese schwere Zeit zu helfen. Immer lächelten sie, machten Scherze oder brachten ihr etwas zum Lesen oder eine Extraportion Nachtisch.
Julia seufzte. Wird sie je wieder gehen können? Laufen? Springen? Tanzen?
Ihr Körper spannte sich und sie tat einen tiefen Atemzug, um das Bild vor ihrem inneren Auge zu verdrängen. Den Augenblick, als sie vom Kirschenbaum gefallen war. Hoch oben war sie gesessen und hatte sich den Bauch mit den süßen Früchten vollgeschlagen. Sie hatte sich gestreckt, um noch rotere Kirschen zu erreichen und dabei den Halt verloren.
Als sie mit dem Rücken auf dem Boden aufschlug, wurde ihr schwarz vor den Augen, die Brust presste sich zusammen und sie bekam keine Luft.....
Julia schloss die Augen. Nein! Sie wollte diesen Moment nicht wieder, nicht immer wieder in ihrer Erinnerung erleben. Auch nicht jenen, als der Arzt ihr behutsam mitteilte, dass sie eine Rückenmarksverletzung habe und ab der Hüfte gelähmt sei.
Ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich werde wieder gesund!“ sagte sie und atmete abermals tief durch, „ich werde wieder gehen und laufen können!“
In diesem Moment öffnete sich die Türe
und Mama kam lächelnd auf sie zu. „Hallo, mein Schatz, ich bringe dir heute liebe Grüße von deinen Schulfreundinnen. Und schau mal, was sie dir da schicken ....“
Julia nahm das Päckchen entgegen, löste aufgeregt das rosa Band und das Geschenkpapier. Ein dickes Heft mit einem bunten, steifen Einband und eine kleine, ebenfalls bunte Schachtel kamen zum Vorschein. Sie sah Mama erwartungsvoll an und öffnete neugierig die Schachtel.
Sie war gefüllt mit Luftballons und Farbstiften. „Wow!“ flüsterte sie und betrachtete das bunte Durcheinander. Dann schlug sie das Heft auf. Ein Billet
fiel heraus.
„Liebe Julia“, stand darin, „liebe Julia, schreibe deine Träume und Gedanken in dieses Heft,
packe sie in bunte Luftballons und lasse sie fliegen! Sie tragen dich in die Welt hinaus, lassen dich Abenteuer erleben .... und du wirst sehen, sie kehren zu dir zurück, denn all deine Träume werden eines Tages Wirklichkeit werden! Alles Liebe .. deine Freundinnen“
Julia las die Zeilen noch einmal, noch einmal und noch einmal, dann schaute sie lächelnd auf und fragte ihre Mutter: „Mit welcher Farbe soll ich beginnen?“