Verräterische Gräusche
Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
Mühsam versuche ich die Augen zu öffnen, was mir nicht richtig gelingt. Aus dem Tiefschlaf geweckt, weiß ich weder, wie spät es ist, noch kann ich realisieren, was gerade passiert. In meinem Schlafzimmer, welches tiefschwarz dunkel ist und in dem normalerweise kein Geräusch an meine Ohren dringt, unterhalten sich zwei Personen. Ich versuche, dem aufgeregten Dialog zu folgen, aber der Schlaf vernebelt noch immer meine Sinne. Ob es wirklich dunkel ist oder ich es einfach nicht schaffe, die Augen zu öffnen, kann ich nicht einmal sagen.. Zu gern möchte ich wieder hinab sinken, in den tiefen Schlaf,
der mein Gedankenkarussell wenigstens für ein paar wenige Stunden zum Stillstand bringt. Möchte die erholsame Ruhe spüren, aber erneut setzen die Stimmen ein. Angestrengt lausche ich und die Wortfetzen, die in mein Gehirn dringen, lassen mich zunehmend unruhig werden.
Sie sprechen über einen Mord, der gerade eben passiert ist. Eine Frau redet sich hysterisch um Kopf und Kragen, während ein Mann permanent Fragen stellt.
In meinem Schlafzimmer? Es ist wohl nur ein Traum - versuche ich mir selbst zu erklären und drehe mich tief einatmend zur Seite.
Meine Müdigkeit kämpft gegen die Stimmen an, vielleicht schlafe ich auch einige Minuten. Ein markerschütternder Schrei weckt mich
jedoch erneut.
Nein, irgendetwas stimmt hier wirklich nicht.
Es war offensichtlich die Frau, die gerade geschrien hat, denn nun höre ich nur noch den Mann. Wenn ich doch genug Kraft hätte, das Licht einzuschalten. Ich fühle mich, wie in der Aufwachphase nach einer Narkose. Die Sinne kehren langsam zurück, der Körper versagt jedoch noch komplett seinen Dienst. Warum darf ich nicht weiterschlafen? Ich möchte diese Stimmen nicht hören. Betrifft dass Gerede mich? Wieder versuche ich mich zu konzentrieren. Mit mir hat das alles scheinbar nichts zu tun, aber das Gespräch ist trotzdem nicht beruhigend. Warum verlassen die Zwei nicht endlich mein Schlafzimmer?
„Der Mörder ist noch hier!“, kreischt erneut die
weibliche Stimme.
Ein Mörder? Noch hier? Und wenn nun doch? Hier bei mir, in meinem Schlafzimmer? Spüre ich kühle Luft auf meiner Haut? Mit bleischweren Händen versuche ich, die schützenden Decke über mich zu ziehen. Schon als Kind habe ich mich unter meiner Bettdecke verkrochen, um gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen. An das Motto - wenn ich nichts sehe, kann auch ich nicht gesehen werden - scheint sich mein Unterbewusstsein zu erinnern, denn wirklich wach bin ich noch immer nicht. Erneut zieht mich der Tiefschlaf für kurze Zeit mit seinen Fängen in ruhiges Gewässer …
bis abermals die Stimmen laut werden.
Jetzt schreit die Frau auch noch um Hilfe, vor
der Tür bellt laut ein Hund, die Rollläden klappern vom aufkommenden Sturm und ich beginne meine Gelassenheit zu verlieren und Überlebensinstinkte zu aktivieren. Langsam wird mir das alles zu viel. Ich fröstele, habe die schützende Decke offensichtlich zur Seite geschoben, denn ich spüre die Kälte wieder ganz deutlich. Der Dialog und das Gekreische sind momentan verstummt, dafür nehmen meine Ohren eilige Schritte wahr. Es scheint jemand verfolgt zu werden, denn mit den lauter werdenden Schritten höre ich nun auch noch hektisches Atmen. Richtige Angst verspüre ich noch nicht, weil ich - warum auch immer - weiß, dass mich das alles nicht betrifft. Und doch empfinde ich die Situation als äußerst unangenehm. Die Geräusche
sollen aufhören. Bitte! Sofort!
Aber sie hören nicht auf. Im Gegenteil, denn nun stehen auch die beiden Personen wieder neben meinem Bett und streiten erneut, während ich immer munterer und verärgerter werde.
In einem letzten Versuch, dem zu entkommen, werfe ich mich auf die Seite, nehme die Bettdecke mit und spüre schlagartig, wie sich ein Seil um meinen Hals schlingt.
Das ist der Moment, der mich hellwach aufschrecken lässt. Also bin ich doch Teil des Ganzen und fühle mich plötzlich sehr bedroht. Ruckartig setze ich mich auf, greife zum Lichtschalter und beleuchte mit meiner schummrigen Nachtischlampe den Tatort. Natürlich ist mein Zimmer leer und ich allein.
Im Grunde hatte ich auch nichts anderes erwartet. Die Stimmen höre ich jedoch immer noch …
Wahrscheinlich sollte ich doch endlich damit aufhören, mit Ohrstöpseln im Ohr, beim Einschlafen Hörbücher zu hören.
© Memory (Jan. 2017)