Wieder einmal kehren wir zurück nach Ghaleon. Diese kleine Reise führt uns zum Volk der Nyhn, welche ihre Stadt Bryhngard in den Baumkronen der Urwälder errichtet haben.
Vorangestellt aber eine kleine Zusammen-fassung, was bisher geschah. Der Einfachheit halber habe ich diese Passage "roter Faden" getauft. Wer mehr wissen möchte, dem verlinke ich die beiden Bände zusättlich noch in den Kommentaren.
Auch hier noch einen Herzlichen Dank an den Youtuber Gronkh, auf dessen Lets-Play diese Geschichten basieren. Zwar muss man es nicht gesehen haben, um sie zu verstehen, aber schaden kann es auch nicht.
Viel Spaß, Jon.
Für all diejenigen, welche selbst in den Chroniken noch nach einem ´Roten Faden` suchen, nach durchgehenden Handlungssträngen und ausgefeilten Wendungen, sei hier noch eine kurze Zusammenfassung der ersten zwei Teile voran gestellt. Wir befinden uns im Land Grisholm, etwa fünfzig Jahre bevor es auf mysteriöse Weise von der Weltkarte verschwand. Genauer gesagt im östlichen Teil davon, Ghaleon, gekennzeichnet durch weite, teils verschneite Ebenen, lauschige Haine und dichte Urwälder. Dort lebten damals vergleichsweise wenige Menschen, was es uns möglich macht, sie namentlich auseinander zu halten und ihre Schicksale einzeln zu betrachten. Jughelm Drusslich zum Beispiel, Fischer von
Beruf und seit dessen Ankunft leidenschaftlich verfeindet mit Liedharf Vagemund. Dieser hatte sich der Thaumatologie verschrieben, war also eine Art Magieforscher. Kein einfacher Geselle, aber zumindest zog er die Einsamkeit vor und lies die anderen Mitbürger meist in Ruhe. Aus dem nahen Dorf Silbringen lernten wir vorerst nur den Schmied Graloff kennen, welcher regen Handel mit der Weißen Frau Pheli Andorya trieb und auch sonst im Ort über eine gewichtige Stimme verfügte. Die Weiße Frau wiederum war auch nicht ganz zufällig in Ghaleon. Sie hatte ein gleichsam wachsames wie argwöhnisches Auge auf Liedharf geworfen und sorgte sich erheblich um diesen Landstrich, da sie in ihm eine Gefahr sah, die noch niemand anders auszumachen schien. Daher führte sie ihr Weg immer wieder zum Fischer, denn dieser wusste mehr über seinen Widersacher als irgend jemand anders.
Außer die Nyhn vielleicht, jenes sagenumrankte Baumvolk aus den dichten Urwäldern im Nordosten, neugieriger und mutiger als alle anderen Bewohner Ghaleons. Sie scheuten den Thaumatologen nur wenig, durchstreiften ungefragt dessen Ländereien, erforschten sein Treiben und beobachteten ihn, wenn er mal wieder mit magischen Wesen experimentierte. Unter ihnen war die junge Velin eine treibende Kraft, wenn es um die Bespitzelung Liedharfs ging und auf der anderen Seite ganz besonders am Fischer Jughelm interessiert. Mit ein wenig Hilfe vom Schäfer Zill Zoltern wurde daraus später eine sanfte Liebe, aus welcher eine starke Partnerschaft erwuchs. Sehr zum Missfallen Jughelms, wie man sich denken kann.
Doch dieser Zustand hinderte Velin nicht daran, weiterhin den Thaumatologen zu beobachten. Schließlich erweckte dieser im verwunschenen Wald Wesen zum Leben, welche ganz und gar jeglicher natürlicher Ordnung widersprachen. So etwas konnte ein Volk wie die Nyhn nicht unbeobachtet lassen. Daher handelte die junge Frau auch nicht nur aus reiner Neugier, sondern im Auftrag des Lagiten von Bryhngard, einer Baumwipfelstadt ganz in der Nähe. Lagit Phesoly war eine schwergewichtige Zierde dieses Amtes und ganz nebenher auch noch eine Legende. Um ihn und seine Stadt in den Baumkronen soll es auf den folgenden Seiten gehen.
Bevor ich aber näher auf Phesoly und seine Bedeutung in den Chroniken zu sprechen komme, sollte wohl grundsätzlich einmal geklärt werden, warum es das Volk der Nyhn in die Wipfel der Bäume zog. Entgegen der landläufigen Meinung einiger ewig-gestriger, waren sie keineswegs „in der Evolution hängen geblieben“. Die abstruse Theorie, der Übergang vom Affen zum Menschen hätte bei ihnen noch nicht komplett stattgefunden, hielt sich selbst unter namhaften „Gelehrten“ noch weit bis in die Endzeit hinein. Dabei deutet alles darauf hin, dass sie einst ebenfalls Erdmenschen waren, Dörfer auf festem Grund bauten und Ackerbau betrieben. Bis eines Tages etwas geschah, was sie zwang in die großen Urwälder zu fliehen. Vielleicht wurden sie von anderen Völkern vertrieben oder eine Naturkatastrophe ließ ihnen keine andere Wahl. Leider ist darüber
in den Chroniken nichts zu finden, aber zumindest kann ganz klar widerlegt werden, Nyhn wären nur Affen die sprechen gelernt hätten. Schnell merkten sie, dass der Dschungel ein gefährlicher Ort war, vor allem wenn man sich am Boden bewegte. Hier gab es mannshohe Skorpione, die ihren Nachwuchs auf den Angreifer los ließen, wenn man es tatsächlich geschafft hatte, dass Muttertier zur Strecke zu bringen. Oder riesige Schlangen, schillernd in allen erdenklichen Farben und bis an die Zahnspitzen mit Gift bewaffnet. Mal ganz zu schweigen von wilden Großkatzen, gefräßigen Krokodilen oder, der größte Plage überhaupt, konsequent schlecht gelaunten Waranen. Glücklicherweise waren die Nyhn immer schon geschickt im Umgang mit Holz und dem Flechten von Seilen gewesen. So passt es auch
zusammen, dass in ihren heiligen Hallen, den so genannten Rayhben, Schnitzereien zu finden sind, die ihre Ahnen als stolze Seefahrer zeigen. Diese Kenntnisse halfen ihnen, sich in die Kronen der Baumriesen zurückzuziehen und dort ganze Städte zu errichten. So wild und gefräßig der Dschungel am Boden auch sein mochte, hoch in den Lüften erwies er sich als sicher. Dort lebten nur harmlose Vogelarten, ein paar Insekten und kleinere Echsen. Kein Tier, was eine ernste Bedrohung darstellte, auch nicht das ein oder andere Hausschwein, welches sich auf unerklärliche Weise immer mal wieder in die Baumkronen verirrte. So entstand eine Siedlung nach der Nächsten und bald schon hatten sich die Nyhn ihrer Umgebung angepasst. Jede neue Generation wurde im Klettern geschickter, mutiger und akrobatischer. Kein Wunder, dass man sie mit Affen verglich, schwangen sie sich doch genau
so elegant von Ast zu Ast. Was im Übrigen unerlässlich war, wollte man in den luftigen Höhen überleben, schließlich wuchsen die schönsten, größten und nahrhaftesten Früchte immer ganz oben in den höchsten Wipfeln. Da es im Regenwald auch klimatechnisch keinen Grund gab, übermäßig viel Kleidung zu tragen, war die Haut der Nyhn um einige Farbtöne dunkler und sonnengegerbter als die der Menschen in den kühleren Regionen Ghaleons. Was wiederum Misstrauen unter den Erdmenschen säte und Vorurteile schürte. Auch in dieser Welt fand offener Rassismus immer wieder gut gedüngten Nährboden, vor allen auf den Äckern bildungsfremder Kleinbauern. Zum Glück hielten es die Gründer Bryhngards für eine ausgezeichnete Idee, ihre Siedlung ganz in der Nähe des Flachlands zu bauen, und nicht, wie üblich, versteckt im Urwald.
Ohne diese Stadt und ihre bewegte Geschichte, hätte es wohl nie einen direkten Kontakt zwischen beiden Völkern gegeben.
Wenn Bryhngard eine Menschensiedlung gewesen wäre und nicht vom Baumvolk errichtet, könnte man heute in den Chroniken den Ort 'Grenzstadt' finden. Denn das Wort ´Bryhn´ bezeichnet in der Sprache der Nyhn eine Grenze, in diesem Fall die der ausgedehnten Urwälder im Osten und Norden Ghaleons hin zum Flachland der Erdmenschen. Die Endung ´Gard´ hingegen bedeutet schlicht und ergreifend Stadt, unabhängig von ihrer Größe. Anders als ihre Verwandten auf dem Boden unterschieden die Baumbewohner nicht in Haus, Dorf, Stadt, Großstadt oder Metropole. Jede Siedlung, egal welche Ausmaße sie annahm, bekam die Endung "Gard" verpasst, so lange sie noch bewohnt war. Sollte sie einst verlassen werden, aufgegeben oder gar zerstört, wurde der Ort zu einem "Fahl" umbenannt.
So war zum Beispiel Svehnfahl einst auch ein Svehngard, als die kleine Siedlung, welche an mächtigen Baumstämmen über einer tiefen Schlucht hing, noch ein paar unerschrockene Nyhn beherbergte. Andererseits wurde zu Lebzeiten dieser Kultur aus Trymselgard nie ein Trymselfahl, denn die heimliche Hauptstadt des Baumvolkes überstand alle Katastrophen unbeschadet. Bis auf die letzte. Als ´Smaragd des Dschungels´ wurde sie immer wieder beschrieben, von den wenigen Menschen die sie jemals zu Gesicht bekamen. Das Wort ´Trymsel´ bedeutet in der Sprache der Nyhn ´grüner Edelstein´, also Smaragd, denn sie hatten es geschafft, den gleichnamigen, matt-grün schimmernden See, tief im Urwald, mit ausgefeilten Holzkonstruktionen zu überspannen. Darauf schwebte ihre Stadt, gehalten an allen Enden von mächtigen Tauen
und Pfählen. Über Tausend Menschen lebten einst dort, für ihre Verhältnisse eine Großstadt und gleichzeitig auch das Herz der ganzen Kultur. Dagegen war Bryhngard fast schon unbedeutend klein. Gerade einmal dreihundert Nyhn fanden in der Grenzstadt ein Zuhause, darunter auch Velin, die Gefährtin des Fischers Jughelm. Doch ihre einzigartige Lage, direkt am Übergang ins weite Land, verhalf ihr dennoch zu besonderer Bedeutung. Keine andere Baumstadt befand sich so nah an den Siedlungen der Erdmenschen und keine andere tauschte sich, und ihre Wahren, so rege mit ihnen aus. Da wäre zum Beispiel der Glyhfer-Wein zu nennen, jenes hochprozentige Gebräu, was nur dem Namen nach ein echter Reebstropfen war. Eigentlich bestand er aus gegorenen Mangos
und Papayas, vermischt mit einer geheimen Zutat, die den Überlieferungen zufolge tierischen Ursprungs gewesen sein soll. An dieser Stelle hüllt sich der Chronist allerdings in Schweigen, womit es der eigenen Fantasie überlassen ist, welche Körperflüssigkeiten welches Tieres die Nyhn dort für die ´besondere Note´ mit hinein gaben. Aber auch das beliebte Räucherharz fand unter den Erdmenschen begeisterte Abnehmer. Zeitweise nahm der Konsum sogar dermaßen überhand, dass es in einigen Orten verboten wurde, da niemand mehr zur Feldarbeit erschien. Natürlich stellte die Stadt auch brauchbare Waren her. Körbe aus Baumfasern zum Beispiel, in allen Größen, Farben und Formen. Oder wunderbare Holzschnitzereien mit feinsten ...
...ach, machen wir uns nichts vor, Glyhfer & Rächerharz dominierten mit Abstand den Export, alles andere ging maximal als schmückendes Beiwerk durch. Auf die ein, oder andere Art war Bryhngard trotzdem die wichtigste Brücke zwischen den beiden Kulturen. Und das nicht nur im übertragenen Sinne. Tatsächlich fanden die ersten, vorsichtigen Treffen dieser beiden Völker auf dem Weißklippholz statt, einem gewagten Bauwerk, direkt hinter der ´Blauen Wand´. Wer auf die aberwitzige Idee kam, dicht hinter einem großen Wasserfall eine Hängebrücke zu errichten, verraten die Chroniken nicht. Aber sie verband, zum ersten Mal überhaupt, das Reich der Erdmenschen mit dem der Nyhn.
So etwas hatte vorher noch niemand gewagt und schon bald stellte sich heraus, wie unterschiedlich diese Völker waren.
Aber auch, wie viel sie voneinander lernen konnten. Ein langer, zäher Prozess voller Enttäuschungen und Rückschläge, welcher aber ohne die berühmte Brücke niemals in Gang gekommen wäre. Wobei ganz besonders Lagita Garbyht an dieser Stelle genannt werden sollte, denn sie war es, die allem Misstrauen zum Trotz, zuerst die Hand aus streckte auf dem Weißklippholz, bevor ihr Gegenüber, Ron Aldwicht, dies tat.
Danach gab es noch viele Herrscher in Bryhngard, die ihrem Pfad folgten. Manche eher zögerlich, andere mit energischer Entschlossenheit. Bis man eines Tages den guten Phesoly auf diesen Posten wählte.
Sie haben richtig gelesen, er wurde gewählt. Die ehrenvolle Position des Lagiten konnte weder vererbt werden, noch wurde man einfach von irgendwelchen grauen Eminenzen dazu ernannt. Nein, die Gesellschaft der Nyhn basierte schon seit Anbeginn auf einer Art direkter Demokratie. Das jedes Gard nur durchschnittlich drei bis vierhundert Bewohner zählte, kam diesem System sehr zugute. Schließlich musste man am Wahltag, welcher ein Mal jährlich zur Wintersonnenwende abgehalten wurde, lediglich einen kleinen Zettel in den Tonkrug im Rayhben werfen. Darauf stand jeweils nur ein Name und zwar der desjenigen Mitbürgers, welchen man am fähigsten hielt, dieses Amt zu bekleiden und der Gesellschaft am besten zu dienen.
Zur Wahl stellte sich allerdings niemand direkt, dies war weder üblich noch gewünscht. Ganz im Gegenteil, jeder der übereifrig bekundete, Lagit werden zu wollen, konnte die Zettel mit seinem Namen darauf an einer Hand abzählen. Es schickte sich einfach nicht, denn die Nyhn waren einhellig der Überzeugung, dass niemand Macht bekommen darf, der sie allzu offen anstrebt. Stattdessen wählte man einfach jenes Mitglied der Gemeinschaft, welches sich im zurück liegenden Jahr am meisten für die Stadt stark gemacht hatte. In der Regel handelte es sich dabei um den amtierenden Lagiten, in sofern die Bürger mit ihm, oder ihr zufrieden waren. Falls nicht, wurde er den Titel auch schnell wieder los, denn das Baumvolk verzieh Fehler nur selten. Mit diesem Posten war nicht nur Ansehen und einige Annehmlichkeiten verbunden, sondern auch viel Verantwortung.
Gewählt zu werden, konnte man also zurecht als eine große Ehre betrachten. Trotzdem wurde das Amt zweimal in der Geschichte Bryhngards abgelehnt, was natürlich jedem Gewählten frei stand. Ein gewisser Stylhim, seines Zeichens Korbmacher, hielt sich für zu alt. Dabei war er gerade erst im achtundsiebzigsten Lebensjahr, also noch weit vom Ruhestand entfernt. Seine waren Beweggründe werden wir wohl nie erfahren. Und der Schreiner Gryhm, welcher nicht nur ein begnadeter Handwerker, sondern auch noch sehr beliebt war, lehnte aus ´Beziehungsgründen` ab. Seine Gefährtin Heyfta, eine eher unangenehme, wenn auch ausgesprochen hübsche Frau, drohte ihm mit der sofortigen Beendigung ihrer Liaison, falls Gryhm die Wahl zum Lagiten an nehmen würde. Im Nachhinein betrachtet wäre er mit dem Amt besser beraten gewesen, denn nur
wenige Monate später verließ sie ihn und sprang mit einem jüngeren von Ast zu Ast. Darüber hinaus schätze aber jeder gewählte Lagit, von Fahfyhr der ersten, bis zu Phesoly, dem einundzwanzigsten, dieses Amt sehr hoch und versuchte es so lang und erfolgreich wie möglich zu bekleiden. Im Falle Phesolys sollten das ganze zweiundvierzig Jahre werden, womit er der mit Abstand langlebigste Bewahrer, nichts anderes bedeutete nämlich 'Lagit', in der Geschichte Bryhngards wurde. Als junger Mann schon kam er das erste Mal aus Trymselgard hier an die Grenze des Nyhn-Reichs. Einer der wenigen im Übrigen, den es aus dem Grünen Juwel fort zog. Dort verehrte man ihn bereits in Jugendjahren als begnadeten Schwimmer und Taucher, wodurch er sehr beliebt und gefragt wurde. Normalerweise waren die Baummenschen keine
Freunde des Wassers, vor allem wenn es in großen Mengen vor kam. Warum sie ihre Hauptstadt trotzdem gerade über einem riesigen See bauten, wird leider nirgends erklärt. Vielleicht einfach um zu beweisen, dass sie es konnten. Dennoch galten die handtellergroßen Muscheln darin als absolute Delikatesse, daher trug man jeden Bürger buchstäblich auf Händen, der die köstlichen Schätze aus dem Wasser bergen konnte. Nichtsdestotrotz zog es Phesoly alsbald in die Ferne. Nicht ganz unschuldig an dieser Entscheidung zeichnete sich ein anderer junger Mann namens Ghyrot, mit dem er schon seit Kindertagen befreundet war. Ein gut ausgebildeter Thol, also ein Wächter, der schon des Öfteren mit den Eidechsen zu tun hatte. Womit die Frage im Raum steht, wer nun wieder die „Eidechsen“ waren. Natürlich meinte
man damit nicht jene harmlosen Lurche, welche sich bunt schillernd und in großer Zahl im Dschungel breit gemacht hatten. Schließlich erfreuten sich diese Tiere bei den Nyhn großer Beliebtheit und schafften es so nicht nur in unzählige Holzschnitzereien, sondern auch auf das ein oder andere Stadtwappen. Nein, die Eidechsen waren, so absurd es klingen mag, ganz einfache Menschen, organisiert in professionellen Banden, welche sich darauf spezialisiert hatten, dem Urwald seine Geheimnisse und Schätze abzuringen. Unbestritten gab es beides dort in Hülle und Fülle, weshalb sich immer wieder zwielichtige Gestalten in das Gebiet der Nyhn schlichen, um danach zu suchen. Da es aber im dichten Dschungel kaum möglich war, einen Fuß vor den Anderen zu setzten, ohne von den Thol entdeckt zu werden, bewegten sich die Abenteurer meist sehr dicht am Boden vorwärts.
Geduckt, möglichst gut getarnt und die Besten unter ihnen fast lautlos. Aus den Bäumen betrachtet wirkten sie daher wie Eidechsen, welche sich vorsichtig durch das Dickicht kämpften. Phesoly und Ghyot zogen einige Zeit gemeinsam durch die riesigen Wälder, um genau diesen Eindringlingen das Leben schwer zu machen. Wovon natürlich beide, auch im hohen Alter, noch sehr ausführlich berichteten, obwohl ihre Zuhörer diese Geschichten sicher schon hunderte Male gehört hatten. Aber sie waren gut erzählt und wurden sogar immer besser, je öfter man sie interpretierte. Auch weil beide sie mehr und mehr mit lustigen Details aus schmückten, was besonders bei den Kindern sehr gut an kam. Da aus denen zwangsweise irgendwann Erwachsene wurden, welche wieder Kinder bekamen, blieben die Abenteuer von Phesoly und Ghyrot immer ein
Teil ihrer Kultur. Ein schöner Teil, der jedes Mal die Herzen erwärmte, selbst in schwierigen Zeiten. Aber natürlich bestand die Hauptaufgabe eines Lagiten nicht im Erzählen von alten Geschichten. Phesoly hatte wichtige Entscheidungen zu treffen, vor allem was den Handel mit den Erdmenschen an betraf. Obwohl sich die sehr verschlossene Gesellschaft der Nyhn vor allem unter ihm ein Stück weit öffnete, war es doch nur wenigen Außenstehenden gestattet, Bryhngard zu betreten. Der Schäfer Zill Zoltern gehörte dazu, war er doch über die Jahre, in denen er das Baumvolk mit Wolle belieferte, ein sehr enger Freund des in Ehren ergrauten Lagiten geworden. Hin und wieder verschlug es auch den Schmied Graloff in die Baumwipfelstadt. Zwar galten die Nyhn als hervorragende Handwerker, vor allem Schreiner, doch
bestimmte Dinge konnte man aus Holz und Seilen einfach nicht herstellen. Weshalb es immer gut war, Beziehungen zu einem fähigen Schmied zu unterhalten. Auch die Weiße Frau Pheli Andorya ging dort, mehr oder weniger ungefragt, aus und ein, aber ihresgleichen genoss ohnehin einen besonderen Status in Ghaleon. Der letzte im Bunde der Auserwählten, die in Bryhngard willkommen geheißen wurden, war natürlich der Fischer Jughelm. Schon um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Gefährtin Velin zu besuchen, was im Übrigen eine große Ausnahme dar stellte. Nicht nur war es eher unüblich, dass sich Baummenschen in Erdmenschen verliebten und dann auch tatsächlich zueinander fanden. Man musste auch, wenn dies wirklich passiert war, einen sehr guten Draht zum Lagiten haben, um sich Zutritt in die Nyhn-Siedlung zu verschaffen.
Den hatte Jughelm zum Glück, denn er lieferte ihnen Fisch. Fisch der in Gewässern schwamm, welche naturgemäß aus sehr viel Wasser bestehen. Wer die letzten Seiten aufmerksam las, wird sich noch daran erinnern, dass die Nyhn keine Freunde dieses Elements waren, zumindest wenn es in Form von Flüssen und Seen großflächig versammelt vor kam. Kaum einer von ihnen konnte Schwimmen und so gut wie niemand mit einer Angel um gehen. Wozu auch, die Bäume im Urwald boten dermaßen viele Früchte, viele davon direkt auf Augenhöhe, dass es gar nicht nötig war, nach anderen Nahrungsquellen zu suchen. Dennoch schätzten sie Fische und Muscheln sehr, wie auch sämtliche exotische Speisen, die für sie sonst unerreichbar waren. Vor allem Lagit Phesoly. Auch wenn er in seiner Jugend kräftig und durchtrainiert war, begann sich das schon in der
Zeit zu ändern, die er auf Abenteurer mit Ghyrot unterwegs war. Sie brachten es schnell zu gewisser Berühmtheit, so dass die volle Wucht der sprichwörtlichen Gastfreundschaft jedes Mal dann auf sie ein schlug, wenn sie in einem Gard übernachten wollten. Im Gegensatz zu seinem Freund traf die reichliche Kost bei Phesoly auf erwartungsfreudige Hormone und bildete ein paar unübersehbare Fettvorräte im Bauchbereich. Das tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch, zwang ihn aber irgendwann doch, das Herumreisen aufzugeben. So wurde er sesshaft, eher aus Zufall ausgerechnet in Bryhngard, aber da sein Ruf bis an die Grenzen der Urwälder vorgedrungen war, dauerte es nur wenige Wahlperioden, bis er in das Amt des Lagiten erhoben wurde. Auch wenn er hin und wieder ein paar seltsame Ansichten vertrat, wurde er für diesen Ort zu einer echten Institution. Unter ihm blühte der
Handel und der kulturelle Austausch, auch weil er sich im Alter mehr und mehr dem Schreiben und Singen hin gab. Der Chronist wüsste ganz sicher nur ein paar allgemeine Fakten über die Nyhn zu berichten, hätte Phesoly deren Leben nicht so leidenschaftlich und minutiös in Geschichten und Liedern fest gehalten.
Unnötig zu erwähnen, dass er beim Baumvolk auch dafür verehrt wurde. Sie wussten, dass irgendwann die Zeit der Menschen und der Nyhn ab lief, so wie es mit jeder vorherrschenden Kultur geschah, die auf das wilde Land Besitzansprüche erhob. Früher oder später würden sie von der Natur in einem Handstreich hinweg gewischt werden, so wie das sagenumwobene Kren-Volk vor ihnen. Doch ihre Geschichten überdauerten die Jahrhunderte, bis eines Tages neue Abenteurer dieses Land wieder entdecken und besiedeln werden.
Eines Tages beschloss Phesoly spontan, Bryhngard zu verlassen und seinen Freund Zill in der Schäferhütte zu besuchen. Nicht um mit ihm zu reden, denn der gute Mann lag schon über ein Jahr begraben hinter seinem Haus. Viele Worte konnte man daher nicht mehr miteinander wechseln. Aber er sah es als seine Pflicht an, ihm wieder einmal die Ehre zu erweisen, so wie es auch andere taten, die den Schäfer gut gekannt hatten. Natürlich weigerte er sich auch dieses Mal, mit Begleitschutz zu reisen, schließlich war der Weg so beschwerlich nun auch wieder nicht und der Lagit weit ab davon, gebrechlich zu sein. Etwas behäbig vielleicht, nicht mehr ganz so beweglich wie früher. Doch im Notfall konnte er immer noch Fausthiebe verteilen, die jeden Gegner für eine gewisse Zeit außer Gefecht setzten.
Es soll ein recht trister, grauer Tag gewesen sein, nicht ideal um auf Wanderschaft zu gehen, aber Phesoly hatte das wechselhafte Wetter in Ghaleon noch nie wirklich gestört. Viele Nächte verbrachte er mit Ghyrot zusammen schon in provisorischen Baumzelten, damals als sie die weiten Urwälder durchstreiften. Zu dieser Zeit hat er gelernt, jedes Wetter zu lieben. Als er über die Weißklippholz-Brücke kam, begegnete ihm der Fischer in Begleitung von Velin. Sie waren auf dem Weg nach Bryhngard, grüßten wie immer herzlich, wechselten ein paar Worte und zogen dann weiter ihrer Wege. Den Vorschlag, ihn zum Haus des Schäfers zu begleiten lehnte der Lagit aber dankend ab.
Später machte sich Jughelm die größten Vorwürfe deswegen, schließlich war er der letzte Mensch, der Phesoly lebend sah. Er hätte darauf bestehen sollen, ihn zu begleiten, sagte er immer wieder. Doch realistisch betrachtet wäre das unmöglich gewesen, denn kein lebendes Wesen wagte es, sich gegen den Willen des Lagiten zu stellen. Nicht einmal hundert Blöcke entfernt vom Haus des Schäfers fand man am frühen Nachmittag die sterblichen Überreste des Herrschers von Bryhngard. Nahe der Stelle, an dem der Erdweg einen Bogen nach Süden beschreibt, danieder gestreckt im hohen Gras liegend. Er hätte sein Ziel fast erreicht. Neben ihm zwei riesige Wölfe, ebenfalls tot und blutüberströmt. Es muss ein unglaublicher, langer Kampf gewesen sein, ein aufeinanderprallen von Naturgewalten. Wahrscheinlich war es aber der dritte Wolf, der graue Rudelführer, welcher sein
Schicksal besiegelte. Ihn konnte er nicht besiegen, denn niemand hatte je einen Grauen zur Strecke gebracht. Angeblich sollen diese mächtigen Tiere unsterblich gewesen sein, wie der Tod selbst. So büßte Ghaleon an diesem gottverlassenen Tag eine weitere, bedeutsame Persönlichkeit ein und das Baumvolk verlor seinen berühmtesten Helden. Ein schmerzlicher Verlust, vor allem, aber nicht nur, für die Nyhn. Er hatte sich auch im Umland viele Freunde und einen Namen gemacht, schließlich erzählte man sich die Geschichten über Phesoly und Ghyot längst nicht mehr nur in den Baumwipfelstädten. So war es auch Ghyrot, der die Bestattungszeremonie leitete. Niemand wagte es, ihm diese Ehre abzusprechen, obwohl sie eigentlich dem Lagiten des Ortes gebührte. Da
aber noch kein Nachfolger gewählt war und die Bryhngarder sich schwer Taten, dieses Amt neu zu besetzen, gab es auch niemanden, der etwas gegen diesen Regelbruch einwenden konnte. "Er war der beste Freund den ich je hatte. Mit ihm ist ein Teil von mir gestorben, ein bedeutsamer Teil, der eine große Leere in uns allen hinterlässt. Doch hier, an diesem Ort, wird er weiter Leben. In den Geschichten, die man sich über uns erzählt. In seinen Liedern, die man ihm zu ehren noch lange singen wird. Und in dem, was er für Bryhngard getan hat, als Lagit und Vermittler zwischen den Völkern.“ Er machte eine kurze Pause um zu den Trauergästen aufzusehen. Unzählige Augen blickten ihn an, viele davon den Tränen nah oder schon darüber hinaus. Später wird er berichten, auch das Gesicht der Weißen Frau in der Menge gesehen zu haben. Ihr Blick war
starr auf den Leichnam gerichtet, welcher in der Mitte des Rayhben aufgebahrt lag. Ein kurzes Nicken, dann verschwand sie wieder, löste sich in Luft auf, ohne dass jemand davon Kenntnis nahm. Es war ihre ganz eigene Art, sich von ihm zu verabschieden. Noch tief berührt von dieser Geste, sprach er die letzten Worte. „Lasst uns sein Andenken bewahren, auf das es die Zeiten überdauern wird." Den letzten Satz sprachen die Trauergäste, wie immer bei der Verabschiedung, im Gleichklang. Ein Satz aus über achthundert Kehlen gleichzeitig, der noch weit über die Grenzen der Stadt hinaus zu hören war. Dort wo Phesoly starb, errichtete man ein kleines Denkmal. Keine Tradition der Nyhn, ihre Kultur ehrte nicht den Ort, an dem der Tot
über einen der ihren gekommen war. Aber die Erdmenschen, welche ihm nah verbunden waren, allem voran der Schmied und der Fischer, bestanden auf das kleine Kunstwerk am Wegesrand. Ein elegant geschwungener Wanderstock aus Kupfer, dem nachempfunden der in den letzten Jahren ein steter Begleiter Phesolys war. Natürlich von Graloff selbst geschmiedet, ein letztes Geschenk an seinen verstorbenen Freund. Darunter, in den Stein gemeißelt, eine kunstvolle Inschrift: "Er wird dir auf deiner nächsten Reise nicht mehr von Nutzen sein. Mögen dich deine Ahnen leiten und fern vom Nether halten." Wenig später standen vier Rotröcke vor Liedharfs Haus und begehrten Einlass. Der Gerd höchstpersönlich entsandte die Garde aus der fernen Hauptstadt, als ihm die dramatische Geschichte zu Ohren gekommen war. Grisholm
mochte in vielen Bereichen rückständig gewesen sein. Vor allem im Ausbau der Straßen hing es anderen Reichen dieser Zeit weit hinterher. Doch was die Strafverfolgung an ging, gab es kaum ein Verbrechen in seiner Geschichte, welches nicht aufgeklärt und gesühnt worden wäre. Die Rotröcke genossen eine ausgezeichnete Ausbildung, waren schlau, schnell und effektiv. Sie brauchten nicht lange um herauszufinden, dass die Wölfe zum Thaumatologen Liedharf gehörten. Der dorfeigene Geheimdienst, in Person von Tristram Windswurtz, hatte nicht nur ein offenes Ohr für allerlei Gerüchte und Fragen, sondern auch zwei offene Hände, die am liebsten mit Goldnuggets gefüllt wurden. Halb Silbringen sah vor kurzem, wie Liedharfs Wölfe vorbeizogen. Drei an der Zahl, genau so viele wie auch dem Lagit entgegen getreten waren.
Natürlich stand nun die Miliz vor seiner Tür, allerdings vergebens, denn vom Hausherr fehlte jede Spur. Zwei ganze Tage suchten sie nach ihm, befragten und bestachen noch den ein oder anderen Bewohner und verschafften sich zu guter Letzt gewaltsam Zutritt zu seinem Haus. Selbstverständlich ohne Durchsuchungsbefehl, den brauchten Rotröcke nicht, sie hatten von Berufswegen alle erdenklichen Befugnisse, um Verbrechen schnellstmöglich aufzuklären. Man fand viele seltsame Dinge, vor allem in den hinteren Arbeitsräumen, aber nichts was auf seinen Verbleib hin wies oder illegal gewesen wäre. Zumindest nach der damaligen Rechtslage. Heut zutage würden so einige der Substanzen unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, doch ein solches gab es in Grisholm nicht.
Am dritten Tag mussten sie ihre Suche frustriert abbrechen, da ebenfalls nichts darauf hinwies, dass die Wölfe tatsächlich dem Thaumatologen gehörten. So zogen sie sich unverrichteter Dinge wieder zurück, nicht aber ohne Tristram noch ein paar Nuggets zu versprechen, wenn ihm sachdienliche Hinweise zu Ohren kommen sollten, Liedharfs Verbleib betreffend. Schon früh in ihrer Ausbildung hatten sie gelernt, dass die ein oder andere Investition langfristig gesehen mehr wert war, als das Gold, was man dafür opfern musste. Phesoly allerdings nutze all dies nichts mehr. Der große Held war Geschichte und wurde, spätestens nach seinem Tod, zur Legende. Auch weil sein Freund Ghyrot zeitlebens alles dafür tat, dass man sein Andenken ehrte.
Die Bürger von Bryhngard taten dies, in dem sie den Kurs des verstorbenen Lagiten fort setzten. Sie öffneten sich und die Stadt weiterhin, so wie es Phesoly gewollt hätte, sorgten für regen Handel und trugen ihre Kultur tief ins Gebiet der Erdmenschen hinein. So tief, dass auch der Chronist Friedlauf Hagendorn davon erfuhr, dem Baumvolk einen langen Besuch abstattete und letztendlich ihre Geschichte in seinem Lebenswerk verewigte. So wurden die Nyhn aus Bryhngard unsterblich, allen voran Ghyrot und Phesoly. Obwohl die Zeit sie längst überholt hat, leben sie auf ewig weiter, in den Chroniken von Ghaleon.
Buhuuuh Ach was - einfach genommen. War gut! Las hier gut. :o) Ein wenig Fantasydokumentaion stat Chronik find ich. Gut gut, detailiert und kreativ geschrieben! Simon P.S. Rächerharz auf Seite 18 noch korrigieren/abändern! Und an nehmen auf Seite 23 und dar stellte auf Seite 29 - hab ich so gelesen/entdeckt noch nebst anderen Teilungen - vielleicht nochmals selber lesen/drüberschauen sei angeregt. ;) ;( |