Brown Devil
Ich bin Versicherungsvertreter. Nein, nicht was sie glauben. Ich verkaufe keine Versicherungen, ich bin für die Kunden da, wenn der Versicherungsfall eintritt. Da betreue ich sie, führe sie durch die Abwicklung und biete ihnen meine Hilfe an. Für diese Dienstleistung müssen die Kunden gar nichts zahlen. Sie bekommen mein Know How völlig umsonst.
Mein Vorgesetzter kam an meinen Schreibtisch.
„Herr Raffke, sie haben letzten Monat hervorragende Zahlen vorzuweisen. Bei fast allen Fällen war gar kein Versicherungsfall für uns vorgelegen. Das war ihr Verdienst!
Besonders den recht teuren Rollstuhl, sie wissen schon, Akte A-37/4, konnten wir vermeiden."
Ich gebe zu, ich wurde ein wenig rot, ob des großen Lobes.
„Nun, Raffke, hier habe ich eine echt harte Nuss für sie. Es geht um das Gestüt Hufeisen. Da lägen angeblich Körperverletzung, Sachbeschädigung und weitere Schadensersatzansprüche vor. Wir sollen dafür aufkommen.“
„Unglaublich, auf was die Kunden so alles kommen.“
„Eben! Daher bitte ich sie die Sache zu regeln. Rechtlich gesehen muss das zementiert sein. Sie wissen, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden ist. Wenn
es nicht anders geht, dann übernimmt natürlich die Abteilung „Abwimmel Ultra“.
Der Vorgesetzte atmete tief durch.
„Es geht um 550.000 €!“
Ich pfiff.
Also machte ich mich ans Werk.
Zuerst holte ich mir die Akte. Seit 25 Jahren war Hufeisen Kunde, leider hoch versichert, aber schöne, saftige Monatsraten. Immer pünktlich gezahlt. Auch kein einziger Vorfall, keine einzige Beanspruchung. Mann, da kam etwas auf mich zu.
Ich fuhr zum Gestüt.
„Guten Tag, ihr Engel von der Proporz Versicherungsgesellschaft ist da. Mein Name ist Raffke, Michael Raffke.“
Frau Clever, die Besitzerin des Gestüts, schüttelte mir die Hand. Sie führte mich zum Tatort.
„In dieser Box ist es passiert“, schwor sie. „Wir haben nichts angerührt.“
Dass es sich um zwei Leichen handelte, ließ mich schon ein wenig misstrauisch werden. Zwei zerschlagene Pferdepflege Roboter gleichzeitig? Die Aluminium Leichenteile lagen im Stroh und aus den eingedrückten Köpfen stachen Stahlfedern hervor, in die sich auch noch abgerissene Kabel gewickelt hatten. „Totalschaden“, schniefte sie unglücklich.
Ich prüfte die Herstellungsnummern, die sich im Genitalbereich befanden, wenn man die menschliche Anatomie zugrunde legen wollte. Auf meinem Tablett wurde das von meiner
Firma bestätigt. Scheiße!
"Hm, also das waren die Modelle 2410 und 2430. Richtig?“ „Richtig!“
„Haben sie das vorgeschriebene Update gefahren?“ „Sicher!“
„Können sie das belegen, weil wenn nicht, dann…“ „Sicher!“
"Und haben sie dies das auch der Fa.Proporz mitgeteilt, weil wenn nicht, dann...“ „Sicher!“
Sie ging mir auf die Nerven.
„Und wer…, wenn ich fragen darf, war denn der Unhold?“
Sie führte mich nach draußen zu einer Koppel.
„Brown Devil.“
"Das ist aber noch ein echtes Pferd, nicht einer dieser Pferde-Renn-Roboter?“
„Sicher! Was erlauben sie sich! Er startet bei
den selten gewordenen ‚natürlichen‘ Pferderennen. Die sind doch die am Höchsten dotierten. Sehr erfolgreich, wie ich hinzufügen darf.“
Ich nickte, als ob ich Bescheid wüsste.
"Wir mussten ihn neu beschlagen. Die Hufe haben sehr gelitten. Die aufgesprungenen Blechteile sind scharfkantik. Das führte zu Hautabschürfungen und da am Gelenk, sehen sie, da ist sogar ein blutender Riss entstanden. Körperverletzung, Sie verstehen?"
"Sie haben dazu ein Attest?" "Sicher."
"Ich meine ein echter, ein ganz seltener Vieh-, äh, Pferdedoktor für echte..." "Sicher."
Ich hatte wenigstens einen ersten Anhaltspunkt. Ein echtes, lebendes Pferd! Und
ich dachte schon, man könne bei einem Roboter Pferd einen Kurzschluss nachweisen. Deshalb hätte es ausgeschlagen. Und dann, weil es ein Kurzschluss gewesen wäre, dann hätten wir nicht… Über viehische Ausbrüche musste ich erst einmal nachlesen. So etwas kommt einem so selten unter. Gibt es da überhaupt eine Körperverletzung bei echten, lebendigen Viechern, wenn sie Roboter zermalmen?
Wir gingen zu den Boxen zurück. Da erblickte ich einen Stallknecht. Einen "Echten".
„Das ist unsere gute Seele. Er ist für die Wartung der Pferde und Pferde-Pflege-Roboter zuständig. Sie entschuldigen mich jetzt, ich habe noch mit den Überwachungsdrohnen zu tun. Unsere
Großweide, wissen sie.“ Sie ging.
„Herr?“
„Meier, mechatronic equum facility Manager.“ „Freut mich, Raffke, Proporz Counselor Object Management. Sie sind für die Roboter zuständig?” Meier blickte pikiert.
“Natürlich nicht nur! Ich bin hauptsächlich für die Pferde selbst verantwortlich. Jemand muss sich ja um die psychische Nähe kümmern. Die menschliche Wärme".
Menschliche Wärme, das war mir ziemlich unbekannt, aber ich kannte mich mit so lebendigen Pferden eben nicht aus.
„Die Roboter wurden alle regelmäßig gewartet?“ „Sicher!“
Schon wieder dieses vermaledeite sicher!
„Ist das nicht etwas unüblich? Ich meine die
Modelle 2410 und 2430 sind doch schon betagt. Wäre es da nicht sinnvoller gewesen gleich eine neue Modellreihe anzuschaffen? Z.B. die 5000er Serie mit der Condominium Zentraleinheit?“ Meier straffte sich.
„Ich will ihnen mal was sagen! Unsere 2000er funktionierten einwandfrei.
'Never change a running System', Sie verstehen? Außerdem habe ich unseren zwei Kerlen eine Chrome Operandi-Dusen-Ergänzung gegönnt. Natürlich die von Akromenia.“
"Natürlich, da kommen andere Hersteller nicht mit.“ „Genau! Ich habe mir das auch von Frau Clever genehmigen lassen.“
Ich merkte auf. Tuning also!
Das könnte ein Haken sein. Wenn das nicht
der Robot-TÜV Norm 31 der EU entsprach, dann hatten wir gewonnen.
„Toll“, lobte ich. „Ich bin auch sehr zufrieden. Deswegen konnten sie dann auch Hufe beschlagen. Laser genaue Adaption.“
„Ist mir bekannt", log ich.
"Auch das Ausmisten war deutlich verbessert. Und das sogar bei geringerer Akkuleistung! Und nun das." Er schniefte.
Ich grinste gequält und überlegte. Wenn es um die Pflege von Roboter-Pferden gehandelt hätte, wäre die Sache jetzt vom Tisch. Ich hätte sogar die Pferde einziehen dürfen wegen unerlaubter Tuning-Pflege, aber so? Bei lebendigen Pferden? Der Fall wurde immer vertrackter.
Da mussten die Forensiker unserer Firma her. Vielleicht fanden sie etwas bei den Überresten der Leichen. Zu wenig Öl, oder ausgelaufene Akkueinheit, Batteriesäure oder so etwas.
„Ich muss jetzt meine warme Psycho-Runde machen“, erklärte Meier.
Ich begleitete ihn.
Er streichelte die Pferde, die sogar atmen und schnaufen konnten. Sie genossen offensichtlich das Streicheln. Sie taten fast so, als ob sie Meier kennen würden. Ich staunte.
Plötzlich schüttelte sich Alisha und schlug mit den Hinterhufen vehement aus. Sie konnte sich kaum beruhigen. Endlich gelang es Meier das Vieh wieder lammfromm werden zu lassen.
„Sie reagiert allergisch auf Schmetterlinge“, entschuldigte sich Meier.
„Brown Devil kann auch so, äh, derangiert reagieren “, fragte ich.
„Weiß ich nicht genau, ausgeschlossen ist es nicht. Aber wenn Devil sauer wird, dann ist da etwas ganz anderes geboten, das können sie mir glauben!“
Ich hatte die total zerfetzten Roboter vor Augen und glaubte ihm.
Da entdeckte ich in Box vier einen weiteren Pflege-Roboter, der gerade die Stute Chocolate striegelte. „Sie haben einen dritten?“
Meier grinste voller Stolz über beide Ohren.
„Das ist Egon, einer der 6000er Serie. Unglaublich teuer, aber der hat’s drauf!
Ist der Rolls Royce unter den Robotern. Ersetzt zwei.“
Mein Vorgesetzter kam zwei Monate später wieder an meinen Schreibtisch.
„Raffke, sie wissen, dass die Sache Hufeisen ein Griff ins Klo war?“
Ich seufzte.
„Ja, wir mussten zahlen, stimmt’s?“
„Ja“, knirschte er, „Pferde könne durchaus schon durch einen Schmetterling nervös werden. Wir fanden keinen Haken.“
Auf dem Gestüt wurde Alisha verwöhnt. Herr Meier und Frau Clever streichelten sie. „Braves Pferd! Meier, dass ihr Stichwort, das sie in ihr Ohr flüsterten, so gut klappte, bravo“,
lobte Clever.
“Alisha hat richtig Spaß beim Ausschlagen“, lächelte Meier und schnalzte und streichelte die Nüstern.
Frau Clever ging zur Koppel und klopfte Brown Devil liebevoll in die Flanke.
„Jetzt haben wir uns endlich einen zweiten 6000er leisten können“, flüsterte sie Devil ins aufmerksame Ohr.
„Und als nächstes ist der ältere Haushaltsroboter dran. Den stellen wir dir in den Gang der Pferdeboxen und du kannst so richtig herzhaft ausschlagen. Was meinst du?“
Es sah so aus, als ob Brown Devil nickte.