Sollte ich verschwinden? Mein Leben als Valdir aufgeben? Nach Antworten suchen? Es war mir klar, dass ich den Respekt dem Anführer gegenüber verloren hatte, doch war es wirklich eine gute Idee ihn auch noch zu verlassen? Allerdings würde er mir keine weiteren Aufträge mehr erteilen. War ich dann überhaupt noch eine Valdir? Und wenn ich keine mehr war, würde ich dem Boss dann etwas bringen? Was würde mit mir passieren? Ich war trotzdem noch gefährlich. Er hatte doch gesagt, ich bin eine der besten. Ich konnte mir gut zusammenreimen, dass wenn ich keinen Erfolg, keine Ergebnisse mehr
brachte, dass er mich nicht einfach in Ruhestand schicken würde. Mein Todesurteil war geschrieben. Er würde mich umbringen lassen, um die Gefahr, die ich mitbrachte, zu eliminieren. Flucht kam mir auf einmal als wirklich gute Lösung vor. Langsam bewegte ich mich zu den Fenstern, die ins freie führten. Es wäre ein leichtes, die Scheiben einzuschlagen und nach draußen zu hüpfen. Doch was dann? Das ganze Anwesen war mit einem großen Zaun eingegrenzt. Wie sollte ich da rauskommen? Vor dem Fenster befanden sich Gebüsche, die so hoch waren wie die Fensterbank. Auch wenn es nach der einfachsten Möglichkeit aussah, probierte ich trotzdem ganz normal
das Fenster zu öffnen. Vielleicht würde ein bisschen Frischluft mein Gehirn auf bessere Einfälle bringen. Ich hatte damit gerechnet, dass es versperrt war, doch als ich den Henkel nach oben drückte, ging das Fenster ganz normal auf. Wahrscheinlich hatte der Anführer an einen Fluchtversuch meinerseits nicht gedacht oder hatte, so wie ich vorher, den riesigen Zaun im Sinn. Als die Glasscheibe ganz offen war, wehte mir dir Wind direkt ins Gesicht. Ich schloss kurzzeitig die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Wie in alles in der Welt kam ich nur aus diesem Gefängnis? „Was machst du da?“, kam es auf einmal an mein Ohr.
Schreckhaft riss ich die Augen auf und blickte in alle Richtungen. Die Tür, die sich im Raum befand, war noch immer geschlossen, also musste die Stimme von draußen kommen. Hatte mich jemand am Fenster entdeckt? War es eine Strafe, dass Fenster zu öffnen? Den Wachen würde das doch bestimmt nichts ausmachen? Erst nach einigen Sekunden fiel mir auf, dass die Frage im Flüsterton gesprochen worden war. „Hast du etwas gegessen?“, fragte die Stimme weiter. Ich sah mich wieder im Freien um. In der Ferne erblickte ich zwei Wachen entlang des Hauses Patrouille stehen. Andere zwei
marschierten den Weg, der sicher 400 Meter entfernt war, immer auf und ab. Niemand machte auch nur Anstalten mit mir zu reden. Dann suchte ich die Bäume und Gebüsche ab. War ich schon so aus der Übung, dass ich nicht einmal diese eine Person, die mit mir redete entdecken konnte? Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht war es ja das Gewissen selbst, das mir diese Fragen stellte. „Xanya! Hier unten!“ Eine eindeutige Aufforderung, die nicht mein Kopf mir zusprach. Schnell blickte ich nach unten. „Gahoff?“, ließ ich fragend von mir. „Pssscht!“, antwortete mein ehemaliger bester Freund, „Versuch meinen Namen nicht
auszusprechen. Die Wände haben Ohren.“ Er hatte sich hinter das Gebüsch unter der Fensterbank gezwängt. Die Äste mussten höllisch auf seiner Brust und im Gesicht kitzeln. Gahoff machte aber keine Anstalten, dass ihm das in irgendeiner Weise etwas ausmachte. Was machte er hier? Ich hatte ihn seit dem Zwischenfall in der Gasse nicht mehr gesehen. Wie ging es seiner Schulter, in die ich in Rasche mein Messer hineingesetzt hatte? Er schaute mir nicht so aus, als ob er noch Schmerzen verspürte? Außerdem war ich noch immer nicht sicher, ob er einen Verrat gegenüber dem Anführer begangen hatte oder nicht. Vor dieser Antwort musste er ja spurlos verschwinden. „Wieso hab ich dich nicht wahrgenommen?“,
stellte ich die einzige Frage, die gerade in dieser Situation Sinn machte zu stellen. Gahoffs Gesicht spitze sich zu einem Lächeln. „Ich bin ein Valdir. Du vergisst das immer wieder, Schätzchen.“ Ich vergas es nicht. Ich war mir nur nicht mehr sicher, was der Blondhaarige wirklich war. Die ganze Sache mit dem Fremden war ja auch noch in der Luft und dass alles was er machte einen Sinn gehabt haben soll. Was war in den letzten Tagen nur alles passiert, dass es zu so einer Wendung der ganzen Valdirgeschichte kam? Es war alles so normal vor ein paar Tagen. Und plötzlich war nichts und niemand mehr das was er behauptete zu sein. Ich benahm mich doch auch selber nicht mehr so, wie eine Valdir es
machen sollte. „Was ist hier nur los?“, fragte ich mich eher selbst. „Keine Zeit für Erklärungen. Ich hol dich jetzt hier raus!“ „Du hast nie Zeit für Erklärungen“, antwortete ich und überdrehte die Augen, „und wie willst du das anstellen? Du siehst doch die Wachen und den riesigen Wall um das Anwesen.“ Nochmals blickte ich auf die Umgebung vor mir. Es müsste schon ein Wunder geschehen, dass man hier unentdeckt fliehen konnte. „Xanya, vertrau mir und halt den Mund.“ „Dir vertrauen? Pah. Ich weiß nicht einmal ob du den Anführer wirklich belogen hast oder ob du auf seiner Seite stehst oder nicht. Und was ist mit diesen anderen Plänen, die du noch
hast?“, blaffte ich ihn mit meinen Theorien an und stemmte die Hände auf die Fensterbank. Das war keine gute Idee, die Verletzungen, die Koro mir um die Handknöchel zugezogen hatte, brennten höllisch auf. „Psssscht!! Langsam bekomm ich das Gefühl, dass ich dir nicht helfen sollte, aber wir brauchen dich!“, antwortete Gahoff mir, „Außerdem bist du in Bezug auf Vertrauen beim Boss auch nicht an oberster Stelle.“ Er hatte Recht. Ich war am Ende der Valdirkette. Wenn die Krieger mit Falior zurückkamen, war ich dran, den leblosen Körper Gesellschaft zu leisten. Gahoff war meine einzige Lösung im Augenblick. Und er war ja auch irgendwie hereingekommen, dann müsste er den Weg nach draußen auch
kennen. Anscheinend hatte sich mein Gehirn wieder ein bisschen eingeschaltet. War aber auch Zeit geworden. „Du hast Recht. Ich nehme mir nur etwas Proviant mit“, ließ ich mich jetzt auf Gahoffs Fluchtversuch widerwillig ein. Mein Magen hatte sich auch wieder zu Wort gemeldet, so war es nur ratsam, etwas von dem Essen, das mir die Wache ins Zimmer geschoben hatte, mitzunehmen. Trotzdem war es mir irgendwie ein Rätsel, warum ich mich plötzlich auf jemand anderen so einließ. Ich vertraute eigentlich keinem und als Valdir war man alleine noch immer am besten dran. Was war nur los mit mir, fragte ich mich wieder? „Nein!“, wurde der Valdir draußen vor meinem
Fenster etwas lauter, „Iss nichts davon!“ Sofort ließ ich von diesem Gedanken ab. Diese Reaktion musste einen Grund habe, dennoch war ich jetzt klug genug, auf die Antwort nach meiner Befreiung zu warten. Wir würden damit nur Zeit vergeuden. „Dann lass und das unmögliche möglich machen und aus diesem Anwesen verschwinden.“ „Vertraust du mir?“, fragte mich Gahoff ein weiteres Mal. „Einzig und allein für diese Aktion“, antwortete ich, stieg auf das Fensterbrett und ließ mich geräuschlos hinter das Gebüsch fallen. Der erste Schritt als freier Valdir war getan. Wo würde das Ganze nur hinführen?