Prolog
Lokens Umhang schleifte hinter ihm als er auf die gefallene Gestalt zutrat. Laub und Asche hatten sich darin verfangen und rieselten aus den lodernden Bäumen über ihm herab. Der verletzte Mann, den er soeben niedergestreckt hatte, versuchte noch vor ihm wegzukriechen, vor dem Dämon in schwarzer Rüstung und als er nicht mehr kriechen konnte hob er zum Schutz die Arme. Nicht, das Fleisch und Knochen Schutz vor Stahl boten. Lokens Klinge fuhr herab und
bohrte sich tief in die Brust des Gefallenen. Sofort drehte der Prätorianer die Waffe herum und der Körper zu seinen Füßen lag still. Nicht mehr als ein erstickter Laut war noch über seine Lippen gekommen, während Loken langsam von dem Leichnam zurück trat. Gejarn waren den Menschen innvielen Dingen ähnlich… aber sie waren keine. Das Wesen, das er erschlagen hatte, mochte auf zwei Beinen laufen, es mochte Hände fast wie er haben und selbst der Körperbau war ähnlich, doch statt von bloßer Haut, war es von dunklem, fast schwarzen Fell bedeckt. Und das Gesicht hatte, trotz allem menschlichen, das darin lag, auch
Züge, die sich völlig davon entfernten und ihn mehr an ein Tier erinnerten. Einen Wolf um genau zu sein.
Loken wendete sich ab. Flammen spiegelten sich in seinen Augen, Feuer, die aus den Fenstern und Türen der umliegenden Gebäude heraus loderten. Die Hütten der Gejarn brannten wie Zunder und wo eines in sich zusammen fiel, entfachten die aufstiebenden Funken die Baumwipfel selbst. Die Nacht, die ihnen zuvor noch Schutz geboten hatte, war längst fast Taghell erleuchtet und wo er auch hinsah konnte er huschende Schatten erkennen. Die meisten schienen seinen eigenen Männern oder den Gardisten zu gehören, die man
ihnen zur Seite gestellt hatte. Die Schreie jedoch waren so gut wie verstummt. Wer beim ersten Auftauchen der Prätorianer nicht geflohen war, war im Kampf gefallen.
Loken reinigte seine Waffen, dann schob er sie wieder an ihren Platz an seinem Gürtel, während er zwischen den brennenden Gebäuden umher ging. Gejarn bauten nicht mit Stein, sondern mit Holz oder Flechtwerk aus Fasern. Mehr als ein paar in Pech getränkte Fackeln hatte es nicht gebraucht um die Siedlung in ein flammendes Inferno zu verwandeln und innerlich konnte er nur hoffen, dass die Nachricht angekommen war. Wer sich dem Kaiser nicht beugte,
würde auch nicht auf dem Land siedeln, das er für sich beanspruchte. Sein Wille war getan.
Und doch stimmt es ihn beinahe traurig, zu wie wenig Gegenwehr ihre Gegner fähig gewesen waren. Das hier war die letzte Gejarnsiedlung diesseits des Erdschlunds gewesen, von der sie wussten.
Doch was konnten Bronze und gehärtete Holzpfeile gegen geschmiedeten Stahl ausrichten? Loken löste wie beiläufig einen Pfeilschaft , der sich in seinem Kettenhemd verfangen hatte. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass er getroffen war. Obwohl der Treffer den weniger gut gepanzerten Gelenken gegolten hatte,
würde er kaum mehr als einen blauen Fleck davon tragen. Das der Kaiser es für nötig fand, ihn gegen die Clans zu entsenden, kam beinahe einer Erniedrigung gleich. Und der schale Beigeschmack eines leichten Sieges tat wenig um diesen Eindruck zu mindern.
Mittlerweile hatte er die Dorfmitte erreicht, wo sich die übrigen seiner Krieger sammelten. Ein Dutzend Männer in den schweren, dunklen Panzerungen der Prätorianer-Garde , in den Händen Großschwerter oder Streitkolben. Und über ihren Köpfen wehte das Banner des weißen Drachen, das Wappen des Kaisers selbst. Sie hatten ein paar Gardisten beim Ansturm verloren, bevor die
Krieger der Gejarn den Mut verloren hatten, doch von seinen eigenen Männern schienen alle Unverletzt, wie Loken erleichtert feststellte. Selbst ihr Bannerträger hatte bestenfalls ein paar Schrammen abbekommen, obwohl es seine Aufgabe mit sich brachte, dass er eine ideale Zielscheibe abgab. Ihre Aufgabe hier war erfüllt. Sollte die kaiserliche Garde die restlichen Gejarn doch alleine jagen. Mit einem Handzeichen gab er seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch.
Die Wälder jenseits der brennenden Siedlung waren dicht und so dunkel, dass man ohne eine Fackel kaum die eigene Hand vor Augen erkennen konnte. Selbst
bei Tag schafften es nur wenige Lichtstrahlen, einen Weg bis hinab zum Boden zu finden. Und genau das machte es den Männern des Kaisers so schwer. Für einen Gejarn bedeutete, sehen zu können, nicht das gleiche wie für einen Menschen. Und sie kannten diese Wälder um Längen besser. Immer wieder gab es einzelne Clans, die scheinbar aus dem Nichts wieder auftauchten, obwohl man sie lange vertrieben glaubte. Und wo sie ihre Siedlungen finden und überfallen konnten, waren ihre Gegner beinahe unsichtbar, sobald sie einmal in die schützende Weite der Herzland-Wälder flüchteten. Es war ein gigantisches, verzwicktes Katz und Maus-Spiel, sie in
die Knie zu zwingen. Und der Kaiser kein geduldiger Mann.
Doch das war nichts, mit dem er sich beschäftigen musste, dachte Loken. Er führte den Willen seines Herrn und der Strategen in der fliegenden Stadt aus. Nichts weiter als das. Und damit sicherte er das Wohl seines Volkes. Die Herzlande waren furchtbar, ganz anders, wie die Öden Steppen Hasparens und mit jeder Meile, den sich die Grenzen des Kaiserreichs darüber ausbreiteten, würden sie tausende ernähren können. Und der Preis, den sie dafür zu zahlen hatte, war gering, ganz anders als der Wiederstand, den ihnen die übrigen angrenzenden Königreiche Länder
boten.
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Schrei, der zwischen den Bäumen hervordrang, ein Geräusch, dem er eigentlich kaum Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Nicht mit dem brennenden , zum Schlachtfeld gewordenen, Dorf in seinem Rücken. Doch weder kam der Schrei aus den Ruinen, noch war es der eines Verwundeten oder Sterbenden. Es war der eines Kindes…
Einen Augenblick lang nur wurde Loken langsamer. Er sollte es ignorieren und zusehen, dass sie hier weg kamen. Wenn, war es vermutlich nur ein fliehender Gejarn mit seiner Familie. Ihm lag
nichts daran, unnötiges Leid über diese Leute zu bringen. Oder schlimmer, es könnte eine Falle sein. Was ließ einen schon schneller jede Vorsicht vergessen als ein weinendes Kind?
Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass die Rufe ohnehin gleich wieder verstummen würden, aber das Gegenteil war der Fall. Loken blieb endgültig stehen. Das war zu offensichtlich für eine Falle. Und jemand der Flucht hätte die Schreie längst erstickt. Und was war es dann? Misstrauen und Neugier gleichermaßen, trieben ihn dazu, die Antwort wissen zu wollen. Mit einem weiteren Handzeichen gab er seinen übrigen Männern zu verstehen, zurück zu
bleiben und ihm den Rücken frei zu halten. Dann erst machte er sich auf dem Weg in Richtung der Schreie. War es doch eine Falle, lief immerhin nur er direkt hinein.
Es gab hier draußen keine wirklichen Wege. Nur einige ausgetretene Pfade, die durch das Unterholz um das Dorf herum führten und einem davon folgte er nun. Kleine Zweige zerbrachen unter seinen Schritten, während er sich der Quelle des Lärms näherte. Lokens Hand blieb dabei jedoch beständig am Schwertgriff, immer bereit sich zu verteidigen, während er mit dem freien Arm Äste und Büsche bei Seite schob. Und dann plötzlich, ohne Vorwarnung, stolperte er
ins Freie. Die Lichtung auf der er sich wiederfand, war nicht groß, vielleicht dreißig Schritte im Durchmesser. Was wohl erklärte, wieso sich bisher keiner seiner Leute hierher verirrt hatte, dachte der Prätorianer. Im Mondlicht, das nun ohne Probleme den Boden erreichte, glitzerte das Wasser eines kleinen Teichs im Zentrum der Wiese wie flüssiges Silber. Die Bäume wichen in einem nahezu perfekten Kreis darum herum zurück, obwohl es nirgendwo ein Zeichen gab, das je ein Mensch oder Gejarn Hand an diesen Ort gelegt hatte um ihn vor Bewuchs zu schützen. Lediglich ein einzelner Baum hatte es gewagt, seine Wurzeln in den Boden
dieses Ortes zu schlagen, ein großes, auslandendes Ungetüm, dessen Äste im Mondlicht wie Knochen wirkten, ganz ohne Blätter. Stattdessen wehten kleine Schriftrollen, bunte Fähnchen und Talismanen, die man an Stamm und Zweigen des Baumes festgebunden hatte im Wind.
Loken wusste, was er vor sich hatte und sein Misstrauen verstärkte sich noch einmal. Ein Geisterbaum der Gejarn… Vorsichtig trat er weiter auf die Wiese hinaus und zog das Schwert. Das Scharren des Metalls war einen Moment das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Selbst das Knistern der Feuer war verstummt, genauso wie die
Schreie, die ihn hierher geführt hatten. Seltsam. Selbst wenn sie die Gejarn im Dorf zurück geschlagen hatten, das hier war eine gänzlich andere Sache. Ihre Wohnungen würden sie zurück lassen. Ihre Ahnen jedoch unter keinen Umständen. Ein Wächter würde immer an einem solchen Ort zurück bleiben. Also wo war er?
Loken trat um den Teich herum auf den Baum zu. Und erst jetzt, beim Näherkommen, wurde ihm klar, dass er in der Tat nicht alleine war. Und auch ihr wurde offenbar klar, dass sie entdeckt war.
Das Mädchen, das zwischen den Wurzeln des großen Baumes saß, den mehr war
sie wirklich kaum, dachte Loken, erhob sich schwerfällig. Ein Dolch blitze in ihrer Hand, auf, den sie sofort auf ihn richtete, während sie mit der anderen Hand ein kleines Bündel an ihre Brust presste. Das erste was ihm auffiel, war das Blut, das bereits an der Waffe klebte. Loken legte den Kopf schief und besah sie sich einen Augenblick von Kopf bis Fuß. Sie war keine Bedrohung für ihn, selbst mit dem Dolch. Es war eine Gejarn-Waffe. Weiches Metall. Und das Blut daran stammte nicht von einem Toten. Ihre Kleidung war fast vollkommen damit durchtränkt und auch auf ihrem Gesicht schimmerten Schnittwunden, als hätte sie um ihr
Leben gerungen. War das einer seiner Männer gewesen? Er spürte einen kurzen Stich des Bedauerns, aber… solche Dinge geschahen. Und die Waffe, die sie trug stammte definitiv von einem Gejarn…
„ Ich werde euch nichts tun.“ Er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt Verstand. Das Messer in ihrer Hand zitterte, entweder Blutverlust oder Furcht. „ Zumindest, solange ihr mir keinen Anlass dafür gebt. Was macht ihr überhaupt noch hier? Euer Clan ist geflohen. Hat man euch wirklich hier zurück gelassen?“
Er stellte die Fragen mehr um überhaupt etwas zu sagen und gab sich alle Mühe,
dabei möglichst nicht bedrohlich zu klingen. Die Frau war schon tot, sie wusste es nur noch nicht. Antwortete sie ihm nicht, würde er sich umdrehen und zurückgehen.
„ Sie sind fort ?“ Sie beherrschte tatsächlich die Amtssprache. Selten genug aber die Art, wie sie die Worte betonte war fast perfekt… Loken entschied, das sie vielleicht eine entlaufene Sklavin war… und er dieses Rätsel nicht unbedingt lösen musste.
Loken runzelte die Stirn. Wie konnte sie das nicht wissen? „ Wie lange genau… seit ihr schon hier?“
„Ich weiß es nicht, vielleicht drei Tage.“ Zögerlich ließ sie das Messer sinken und
wiegte stattdessen das Bündel in ihren Armen. Bevor er dazu kam, zu Fragen wieso sie sich hier draußen versteckte, schien ihr mit einem Mal die Kraft zu fehlen, sich noch länger auf den Beinen zu halten. Loken sah nur zu, wie sie gegen die großen Wurzeln des Baums zurück sackte, die eine Art natürlichen Sitz formten. Er war nicht dumm genug sich ihr zu nähern. Nicht solange sie bewaffnet war. Vor einer durchgeschnittenen Kehle schützte auch eine Rüstung nur bedingt. Ihm war klar, dass sie hier draußen sterben würde.
„Ich kann das Kind zu eurem Clan bringen, wenn ihr das wünscht.“ Oder zumindest zu einem Gejarn, der sich um
es kümmern würde. Der Kaiser brauchte hier Untertanen und Diener, keine Leichen.
„Nein…“ Die nackte Panik, die plötzlich in ihrer Stimme lag überraschte ihn. Selbst als sie ihn bemerkt hatte, hatte sie weniger Furcht gezeigt. „Alles… nur nicht dorthin.“
„Wieso ?“
„Sie würden ihn töten… überallhin… nur nicht zurück.“ Vorsichtig schob sie die Decke zurück in der das Kind eingeschlagen war. Weißes, fast durchscheinendes Haar schimmerte darunter hervor und ein paar hellroter Augen blickte Loken entgegen. Deshalb hatte sie sich also hier verborgen. Nun,
was das angeht, werden ihre Leute wohl kaum noch einmal Gelegenheit dazu haben, dachte Loken. Und doch widerte ihn alleine die Vorstellung an. Wer würde ein Kind töten, egal aus welchem Grund? Bisher hatte er nie über die Gejarn geurteilt, auch wenn er sie bei mehr als einer Gelegenheit bekämpft hatte. Nun jedoch… Das war nur grausam, dachte er. Und nicht die verstandlose Grausamkeit eines Tieres, sondern reine, überlegte Niedertracht. Oder abergläubische Furcht mit der der Kaiser bald genug aufräumen würde. Einen Moment lang war er versucht aufzustehen und seinen Männern, die noch außerhalb des Hains wartete, zu
befehlen, jeden letzten Gejarn dieses Dorfes zu finden und zusammenzutreiben. Stattdessen ließ er sich neben der Frau auf ein Knie sinken.
„Ich verspreche es.“ Schritte hinter ihm veranlassten ihn dazu, den Kopf zu drehen.
Zwei seiner Männer traten soeben zwischen den Bäumen auf die Lichtung heraus. „Herr ?“ , fragte einer von ihnen.
„Alles in Ordnung. Nur einen Moment noch.“ , sagte er, bevor er sich wieder zu der Gejarn umwendete. „ Ihr…“ Er verstummte. Ihr Kopf war gegen eine der Wurzeln zurück gefallen, ihre Augen blickten leer. Als Loken die Hand
ausstreckte um ihre Augen zu schließen, stellte er fest, dass ihre Haut bereits eiskalt war. War sie grade eben gestorben… oder schon vor Stunden ? Ein unbekannter, abergläubischer Schauer überlief ihm, während er hinauf zu den kahlen Zweigen des Baumes sah, die sich über ihnen erstrecken. Vorsichtig löste er das kleine Bündel aus den Armen der Frau, bevor er sich erhob und seinen Mantel richtete. Langsam trat er über die Wiese hinweg und an seinen Männern vorbei, die einen Moment lang ratlos stehen blieben.
„ Herr ? Was ist da grade passiert?“
„Ich weiß es nicht.“ , antwortete er ehrlich. Immerhin das Kind lebte, er
konnte die Wärme, die der Körper des kleinen Abstrahlte spüren. Die Frage war nur, für wie viel länger… Sie würden es schwer haben, jemanden zu finden, der einen Gejarn aufzog. Und einem der seinen konnte er das Kind scheinbar nicht anvertrauen. Es war verdammt. Die Nüchternheit seiner eigenen Gedanken erschreckte ihn zum ersten Mal. Sein Entschluss viel in einem einzigen Augenblick. „ Vernichtet, was von dem Dorf übrig ist. Und Verbrennt die Toten.“ , meinte er, als er in Richtung des Baumes nickte. „ Die Verwundeten tötet.“ Es war eine Schale Rache, für ein Verbrechen, das er nicht einmal verstand. Mit diesen Worten
drehte er sich um und ging davon, immer noch das kleine Stoffbündel auf dem Arm.