Er war nun schon eine Woche unterwegs und hatte von den Reitern noch keine Spur aufgenommen. Er wusste nicht einmal, ob er in die richtige Richtung ging. Cero kam seine Situation so aussichtslos vor, dass er sich in einem kleinen Städtchen in der Nähe von Isolìs, dem Vorort von Ruscìa niederlies, um seine Energie wieder etwas aufzuladen und über die weiteren Vorgehensweisen zu entscheiden. Würde er Cara jemals wieder sehen? Ihn plagten die Schuldgefühle, da ja er durch die brennende Stadt gehen wollte um nach Jahulì zu kommen. Saphira. Ob die alte Dame ihm vielleicht helfen konnte? War es überhaupt
noch aussichtsvoll? Cero befand sich in einer kleinen Hütte, die er im äußeren Kreis der Stadt verlassen aufgefunden hatte. Anscheinend war sie erst kurz ohne Besitzer, denn einige Sachen, die noch im tadellosen Zustand waren, machten den kleinen Raum gemütlicher. In einer Ecke befand sich eine nicht allzu neue, aber dennoch gute Matratze, auf der sogar ein Lacken aufgebreitet war. Darauf hatte sich Bettzeug befunden, das er aber nicht benutzt hatte. Das einstige weiß dieser Decke, war schon ziemlich gelblich und wies Flecken auf, die er sicher eher nicht genauer betrachten wollte. Eine große Schüssel, die als Waschplatz fungiert hatte, stand genau vor der Matratze. Es war noch Wasser darin, als er
sie das erste Mal gesehen hatte. Es wirkte sehr abgestanden und schon einige Tage alt. Der junge Mann hoffte, dass der Besitzer dieser Hütte so schnell nicht wieder kommen würde. Verzweifelt machte er sich wieder Gedanken über seine Schwester. Wo war sie? War sich noch am Leben? Ging es ihr gut? Hatte sie Verletzungen? Er musste sich endlich entscheiden, ob er die Suche nach den Reitern weiter aufnehmen wollte oder ob er seinen eigenen Weg gehen würde und zu seinem Ursprungsplan zurück ging. Nach Jahulì zurück kehren und Saphira über die Mauer ausfragen. Ihm kam es wie Hochverrat vor, wenn er sich für die zweite Möglichkeit entscheiden würde. „Wer ist da?“, hörte er plötzlich eine Stimme
von außen an die Hütte dringen. Cero hatte es, auch wenn er es gehofft hatte, dass es nicht so sein sollte, irgendwie im Gespür gehabt, dass er dieses kleine Reich nicht allzu lang für sich alleine haben würde. „Komm raus oder ich komme rein!“ Die Stimme war weiblich. Aggressiv, aber weiblich. Was konnte eine Frau schon Cero antun? Er hatte in jüngeren Jahren sich schon gegen andere Gegner zur Wehr stellen müssen. Trotz alldem war im klar, dass wenn er rauskommen würde, die Gefahr von einem Kampf geringer werden würde. Langsam stand er vom Boden auf, auf dem er gekauert war und seine Entscheidung weiter nach seiner Schwester zu suchen gefallen war. Er wusste zwar nicht wie oder wo er
wieder anfangen würde, dennoch konnte er sie nicht in Stich lassen. Vorsichtig öffnete er die klapprige Tür der Hütte. Dass die Person, der er gegenüberstehen würde weiblich war, konnte er an ihrer Stimme erkennen, aber der Anblick auf die Person, die wirklich vor dem kleinen Häuschen stand, stockte ihm ein bisschen den Atem. Sie war schlank und groß für ihr Alter. Etwa so groß wie Cero. Ihr ganzer Körper war verschmutzt von Schlamm, Gras oder sonstigen erdenähnlichen Dinge, die der schwarzhaarige gar nicht genauer erkennen konnte. Sie hatte nur spärliche Kleidung an. Die verdreckten Stoffteile überdeckten nur die wichtigsten Teile des Körpers. Cero kam es
ein bisschen zu kalt für diese Jahreszeit vor, aber die Person machte keinerlei Eindruck, dass sie fror. Ihre langen blonden Haare ließen vermuten, dass sie sie noch nie in ihrem Leben gekürzt oder jemals gekämmt hatte. Doch Cero blieb an ihrem Gesicht hängen. So ein weiches Gesicht hatte er noch nie gesehen. Eine Spitznase, runde große blaue Augen und einen Mund mit vollen Lippen, die von Natur aus ziemlich rot waren. Das erschreckendste daran war, dass sie sicher erst so alt wie er selbst war. „Du willst mir drohen?“, kam es dann über Ceros Lippen, als er den ersten Schock verdaut hatte. „Das ist meine Hütte und ich verteidige sie mit meinem Leben!“, machte sie ihrem Gegenüber
klar. Sie war in Kampfposition gegangen. Cero konnte sie nur allzu gut verstehen. Als Straßenkinder, wie er und Cara es waren, hatten sie nie einen Platz ihr zu Hause nennen können. Wenn sie dann aber doch mal einen kleinen Unterschlupf fanden, der einigermaßen gemütlich war, hatten sie diesen auch mit ihrem Leben vor anderen verteidigt. „Ich will keinen Streit mit dir anfangen. Ich brauche nur einen Unterschlupf für diese Nacht, dann will ich weiter ziehen“, erklärte der Schwarzhaarige der Wilden. Wie er drinnen beschlossen hatte, würde er nach seiner Schwester weiter suchen. Auch wenn es keinen Plan gab, es musste es
probieren. Das Mädchen bewegte sich keinen Zentimeter. Sie zog nur zornig ihre Augenbrauen zusammen. Anscheinend überlegte sie etwas. „Woher soll ich wissen, dass du das ernst meinst?“, fragte sie mich ein paar Sekunden darauf. Anscheinend hatte sie noch nie wirklich jemand vertraut oder hatte gelernt, dass sie niemand vertrauen durfte. Was hatte dieses arme Mädchen denn alles schon erleiden müssen, dass sie ohne andere Vorstellung zu diesem Beschluss kam, das nichts und niemand gut war. Doch war er gut? War Cero gut? Er hatte seine Schwester mutwillig in Gefahr gebracht?
Durch seine Aktionen war es nicht das einzige Mal so gewesen, dass Cara einfach mit musste. Sie waren Geschwister natürlich würde sie ihn nicht alleine lassen. Es war jetzt seine Verpflichtung sie zu suchen und zu retten. „Das kannst du nicht wissen“, gab Cero offen zu, „Ich wohne schon zwei Tage in deiner Hütte, will aber morgen weiter ziehen, um die Reiter des Königs zu erwischen.“ Warum er ihr diese Information preisgab, wusste der Junge nicht genau. Allerdings hegte er keinen Zweifel, dass sie es irgendwen verraten sollte. Sie sah ihm nicht aus, als ob sie Freunde hatte, geschweige denn, dass irgendwer einfach mit ihr reden
wollte. Das war gemein, aber Cero war sich sicher, dass dieses Mädchen nicht wirklich viel mit anderen Menschen zu tun hatte. „Was willst du von den Reitern?“, stellte sie stutzig die nächste Frage. Auch wenn sie noch immer in derselben Position stand, konnte man keine Anzeichen, von Wackeln oder Zittern erkennen. Als ob sie eine Statue war, die ab und zu den Mund aufmachte, um unnötige Fragen zu stellen. „Ich glaube nicht, dass das dich etwas angeht!“, schnappte Cero böse zurück. „Und ich denke nicht, dass dich meine Hütte etwas angegangen ist!“ „Sie war unbewohnt und offen.“ „Sie ist mein Eigentum und du bist
eingebrochen.“ Plötzlich rannte sie auf den Jungen zu. Cero wusste im ersten Moment gar nicht, wie er sich wehren sollte. Sie hing irgendwie auf ihm drauf und bearbeitete seinen Rücken, dass er sich in alle Windungen verbiegen musste, damit er sie irgendwie wieder los wurde. Sie rutschte gekonnt zur Seite und war in den nächsten Sekunden wieder auf ihren Beinen. Allem Anschein war sie solche Kämpfe mehr als gewohnt, denn der nächste Angriff ging auf seinen Bauch. So schnell konnte der Schwarzhaarige seine Muskeln nicht anspannen, dass es nicht weh tat, als sie ihre Faust direkt in seine Magengegend rammte. Er ging schmerzerfüllt zu Boden. „Es ist zu leicht dich zu verwunden. Und so
willst du dich den Reitern gegenüber stellen?“, sprach sie, während sie ihren nächsten Griff an ihm ausübte. Das Mädchen hatte sein Handgelenk gepackt und es auf den Rücken gedreht. Er war machtlos sich zu bewegen. Woher hatte sie nur diese Kraft? Oder war es einzig und allein der Überraschungsmoment, den sie zu ihrem Vorteil nutze. „Wer bist du überhaupt?“, fragte Cero keuchend, da ihm noch immer alles weh tat und er irgendwie verloren am Boden lag und sie sich auf ihm befand, um den Griff fest zu halten. „Das geht dich gar nichts an!“, fuhr sie den Jungen an und drückte nur noch fester zu. Ihre Laune war dem Schwarzhaarigen
unbegreiflich. In einem Moment glaubte er, dass sie ihm helfen würde und im anderen, dass sie ihn gleich tötete. „Wie ist dein Name?“, wollte das Mädchen dann nach gefühlt 10 Minuten wissen. „Ich bin Cero“, gab er seinen Namen preis, in der Hoffnung, dass sie sich dann von ihm lösen würde und so war es auch. Verwundert von dieser Wendung kabbelte er sofort von ihr weg. Er wollte einen großen Abstand zwischen ihr und ihm. Nicht, dass sie wieder so auf ihm drauf hängen würde oder ihm weh tat. „Cero also und du hast eine Schwester, die Cara heißt oder?“, stellte sie dem Jungen die nächste Frage. Woher wusste sie das? Er hatte nichts von
einer Schwester erwähnt. Hatte sie von ihnen gehört? Doch wie sollte das sein. Sie waren nicht so in aller Munde. Sie waren Streuner genau wie sie. Oder war sie das etwa doch nicht? Was war sie? Wer war sie? Wie konnte es sein, dass er immer an so mystische Frauen kam? Im gleichen Augenblick musste er an Saphira denken. Er hatte noch so viele Fragen an sie. Wieder kämpfte er damit, seine Schwester vor seinen eigenen Interessen zu stellen. Wieder musste er den verbotenen Wald, die Mauer, das dahinter vergessen. Cero schüttelte den Kopf, um die Gedanken los zu werden und sich wieder auf das Hier zu konzentrieren. „Woher weißt du von meiner Schwester?“,
fragte er jetzt entschlossen und rappelte sich ein bisschen schmerzerfüllt vom Boden auf. Er hielt sich mit einer Hand den Bauch, wo ihn der Schlag getroffen hatte. Es tat noch immer weh, was ihn schockierte, denn eine so zierliche Frau, konnte doch niemals so eine Kraft entwickeln. „Wer bist du?“, wollte er ein weiteres Mal wissen, weil ihm diese Person immer gefährlicher und magischer vorkam. Das Mädchen lächelte ihm zu. Wieso lächelte es? Cero kam alles so unreal vor. Langsam fiel ihm auf, dass der Wind, der vorher nur eine laue Brise war, etwas stärker wurde. Der Sand am Boden wurde sogar durch den Zug aufgewirbelt und die hohen Gräser neigten sich fast zur
Erde. „Unsere Begegnung findet viel zu früh statt. Das ist kein gutes Omen“, antwortete sie nun endlich, jedoch war es zu keiner seiner Fragen eine passende Antwort. „Was?“ „Du musst noch weiter nach den Reitern suchen, damit wir wieder im Gleichgewicht sind. Sie ist noch nicht soweit!“, war die nächste Aussage des Mädchens, dass so wirklich überhaupt keinen Sinn machte. Die Gedanken überschlugen sich in Ceros Gehirn. Was war jetzt auf einmal los? Was redete diese Blondine? Im selben Augenblick spürte er auf seinem Bauch, dass sich irgendetwas bewegte. Schnell riss er sich das Hemd hoch, um den Auslöser zu erspähen. Er
traute seinen Augen nicht, als neben seinem Bauchnabel ein Symbol auftauchte, das wie eine Brandmal aussah. Irgendwo hatte er dieses Symbol schon mal gesehen. Aber woher nur? Es war nicht das gleiche, wie auf der Stelle neben ihm, als er aufgewacht war und seine Schwester weg war. „Sag mir endlich wer du bist!“, schrie er förmlich, da seine Wut und die Ungewissheit Oberhand gewannen. Als er jedoch von seinem Körper wieder aufsah, war niemand mehr in seiner Nähe. Er schrie förmlich ins Leere. Sie war verschwunden? Wie schnell konnte jemand sein? Er hatte doch nicht einmal ein paar Sekunden auf seinen Bauch gestarrt. Er war sich irgendwie sicher, dass sie in
dieser Nacht nicht mehr auftauchen würde und trotzdem hatte er einen unruhigen Schlaf, denn immer wieder wiederholten sich ihre Worte in seinem Kopf.
Unsere Begegnung findet viel zu früh statt.
Sie ist noch nicht soweit.