Kapitel 37
Der Vogel hatte entweder einen Narren an ihn gefressen oder war schlicht zu verstört um weg zu fliegen, jedenfalls blieb er schlicht Sitzen wo er war. Auf Eriks Schulter. Mittlerweile hatte er jedenfalls den Versuch aufgegeben, das Tier verscheuchen zu wollen. Und so lief er einfach, den Kopf gesenkt durch die Flure des Rathauses. Noch ehe die Tür des Speisesaals in Sicht kam, konnte er bereits lautes Lachen hören, das daraus hervordrang. Eine der Stimmen gehörte ganz klar Cyrus und bei der anderen
musste es sich wohl um Valja handeln. Was war denn da los ? Als er die Halle vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte, hatten sie sich noch betreten gegenüber gesessen. Immerhin lenkte ihn dieses Rätsel für den Moment von den drängenderen Fragen in seinem Kopf ab, auf die er ohnehin keine Antwort finden würde.
Vorsichtig schob er einen der Türflügel ein Stück weit auf und steckte den Kopf durch den Spalt. Der Vogel, der sich durch die plötzliche Verlagerung seines auserkorenen Ersatzbaums offenbar gestört fühlte, nahm das zum Ansatz mit einem kleinen Sprung kurzerhand auf seinen Kopf zu
wechseln.
Das Lachen verstummte, als sich sowohl der Wolf als auch Macons Frau zu ihm umdrehten und Erik mit großen Augen musterten. Allerdings nur kurz, dann brachen erst Valja und schließlich Cyrus erneut in ohrenbetäubendes Gelächter aus. Erik ignorierte es nur mit ernster Mine, während er die Taube auf seinem Kopf einer weiteren Geste zu vertreiben suchte.
,, Ich sehe du hast einen neuen Freund gefunden.“ , meinte der Wolf grinsend , als Erik sich ungehalten auf einem Stuhl ihm gegenüber fallen ließ. Selbst davon ließ das Tier sich in keiner weise beunruhigen.
,, Was ist das ?“ , Valja musterte den Vogel nur mit großen Augen
,, Das Mittagessen.“ , grummelte Erik, die Arme vor der Brust verschränkt . ,, Cyrus tu mir einen gefallen und schaff mir nur dieses Vieh irgendwie vom Hals... oder Kopf.“
Der Wolf zuckte lediglich mit den Schultern. ,, Und du hast auch eine Ahnung wie ich das anstellen soll ?“ Zaghaft wedelte er mit einer Pranke nach dem Vogel, der sich nach wie vor nicht rührte.
,, Keine Ahnung, friss ihn halt. Ich kann mich erinnern das du damit eigentlich keine Probleme hattest. Oder warum bist
du noch mal auf das Dach meines Hauses geklettert ? Hätte die Stadtwache nicht jeden für Verrückt gehalten der von einem Wolf auf den Dächern der Stadt berichtet hätte das noch ganz anders ausgehen können.“ Besonders wenn sie sich zufällig entschieden hätten,
,, Das war eine Katze kein Vogel...“ Der Wolf sah einen Augenblick betreten zu Boden, während Erik sich eine Brotscheibe vom Tisch schnappte. Den Großteil des Mittagessens hatte man mittlerweile abgetragen und er hatte noch nichts gegessen. Auch wenn sich sein Appetit inzwischen verflüchtigt hatte, zwang er sich zumindest irgendetwas zu sich zu nehmen. Mit
leerem Magen dachte sich nicht gut.
,, Was war das eigentlich eben ?“ , wollte er schließlich wissen. ,, Dem Lachen nach zu urteilen könnte man fast glauben, Macon müsste sich Sorgen machen. Oder du, das du doch noch als ein paar Handschuhe endest.“
,, Es könne schlimmer sein.“ Der Wolf schenkte ihm ein entwaffnendes Grinsen.
,,Na wenigstens einer von uns hat noch seinen Spaß.“
,, Sagen wir einfach euer Gefährte versteht es , Leute zu unterhalten. Wusstet ihr, das der einzige Grund aus dem er hier ist, der ist, das ihn ein halb Verrückter Arzt ohne zu Fragen im Wald aufgelesen hat
?“
,, Ach , nein. Das ist definitiv interessant.“ Ein dünnes Lächeln stahl sich auf Eriks Gesicht zurück. Einen Augenblick zwinkerte er Cyrus zu, bevor er sich wieder seinem Brot zuwendete. Doch, diese Frau gefiel ihm. ,, Trotzdem, ich bin immer noch der Meinung, Herr Wolf hier würde als Handschuh sicher bessere dienste leisten. Als Leibwächter ist er jedenfalls eine Katastrophe.“
,, Was auch daran liegen könnte, das mir nie ein Mensch begegnet ist, der Ärger so sehr anzieht wie du. Es wundert mich, das bisher noch kein Drache aufgetaucht ist um diese Siedlung dem
Erdboden gleich zu machen und das aus scheinbar keinem anderen Grund als uns den Tag zu vermiesen.“
Nein, kein Drache, dachte Erik. Aber ein Unsterblicher. Oder zwei davon. Bisher hatte er geglaubt sein zusammentreffen mit Mhari in Vara sei reiner Zufall gewesen. Und vielleicht war es das ja sogar. Anfangs. Aber irgendetwas plante diese Frau und was immer es war, es reichte aus , ihr ein schlechtes Gewissen zu bescheren. Was allerdings nur ein schwacher Trost ist, dachte Erik. Es ging hierbei um ihn... und er war bisher nicht gefragt worden ob er überhaupt eine Rolle in all dem spielen wollte. Dieses Gefühl, übergangen zu werden,
nagte an ihm, mehr noch als die Unsicherheit. Er mochte Mhari, Götter, ein Teil von ihm war sich sicher, das er sie wahrhaft Lieben lernen könnte, hätte er genug Zeit. So irrwitzig dieser Gedanke war. aber... sie belog ihn immer noch. Und wenn sie ihm so etwas verschwieg, was behielt sie noch für sich... Er konnte sich nicht darauf verlassen, je die ganze Wahrheit von ihr zu erfahren. Nicht einmal, was ihre Gefühle für ihn anging...
Die anderen mussten wohl gemerkt haben, das ihn irgendetwas beschäftigte. Cyrus öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch noch ehe er einen einzigen Ton herausgebracht hatte, öffneten sich
die Türen des Speisesaals erneut und eine in dunkle Gewänder gekleidete Gestalt trat ein. Zugleich mit Jareds Ankunft, flatterte die Taube von Eriks Kopf auf, so als hätte der Seher sie endlich aus ihrer Starre gerissen. Mit wenigen, kräftigen Flügelschlägen segelte das Tier an dem alten Mann vorbei, hinaus auf den Gang und damit außer Sicht. Jared seinerseits ließ die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen, während er in die Halle hinaus trat. Anstalten sich zu setzen jedoch, machte er keine.
Die schlohweißen Haare und die Furchen in seinem Gesicht sprachen der Geschwindigkeit und Sicherheit mit der
sich der Seher bewegte, hohn.
,, Ich glaube wir müssen reden.“ , meinte er und seine Worte machten deutlich, das keine Bitte darin lag. Valja warf ihm einen kurzen, misstrauischen Blick zu, bevor sie schließlich aufstand und Cyrus einen kurzen Schubs gab. Der Wolf schien einen Moment zu brauchen um den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, dann jedoch erhob er sich ebenfalls und folgte der jungen Frau an Jared vorbei nach draußen. Trotzdem wartete der Seher noch, bis ihre Schritte auf dem Gang verhallt waren und die Tür sich wieder geschlossen hatte. Erst dann überbrückte er die restliche Entfernung zwischen Erik und ihm. Mit einer Hand
zog er sich einen Stuhl heran, bevor er sich dem jungen Arzt gegenüber setzte.
,, Ich sollte das hier nicht tun. Mir ist klar, das ihr bereits gewisse Dinge wisst. Und vielleicht wird sie auch zur Vernunft kommen. Doch leider kann ich mich nicht darauf verlassen.“ Er musste nicht lange erklären, was er meinte. Zumindest der Seher wusste, das Erik ihn und Mhari belauscht hatte. Und doch hatte er es gestattet. Aus genau dem Grund aus dem sie sich jetzt hier gegenübersaßen. Er war nicht einer Meinung mit Mhari. Und genau deshalb fragte Erik sich einen Moment, ob er ihm überhaupt zuhören sollte. Jared hatte gemeint, seine Art hätte es nicht nötig zu
Lügen wie die Unsterblichen. Aber... auch die Wahrheit konnte man so darstellen, das sie jemand in ein schlechtes Licht rückte. Ein Teil von ihm wollte es gar nicht hören, wollte nicht wissen, ob und wie sehr Mhari ihn hintergangen haben mochte. Zum ersten mal in seinem Leben... hatte er Angst vor dem Wissen.
,, Jared... ich weiß bereits genug um mir Sorgen zu machen also bitte, ich muss die Wahrheit kennen. Nicht bloß aus eurer Sicht sondern die ganze. Mhari ist...“ Er atmete tief durch. ,, Ich wusste von Anfang an, das sie Geheimnisse hat, aber die betrafen immer nur sie selbst. Und jetzt muss ich
feststellen, das sie scheinbar die ganze Zeit Pläne für mich hatte ? Sie bedeutet mir viel, Seher. Ich weiß ihr werdet das vielleicht lächerlich finden aber... wenn es eine Möglichkeit gibt zu verstehen wieso sie mir so etwas verschweigen würde, will ich es versuchen. Keine Spiele mehr.“
Doch statt ihn zu schelten oder vielleicht blind zu nennen lächelte Jared nur sanft. ,, Die Kraft eines liebenden Herzens. Selbst in der Dunkelheit versucht es noch ein Licht auszumachen. Ich glaube damit hat selbst sie nicht gerechnet. Oder das sie dieses Gefühle erwidern könnte. Aber das Macht das Lügen nur schwerer für sie. Nicht unmöglich. Und
ich habe nicht vor euch deshalb zu verlachen Ich schätze ihr habt ein Recht darauf zu wissen, wie euer eigenes Schicksal aussehen soll .“
,, Und darüber zu entscheiden.“
,, Das haben nur die wenigsten. Ich sagte es gibt keine freiwilligen Opfer und ich habe es gemeint. Wir alles sind immer nur das, was unsere Umgebung aus uns macht. Auch ein Märtyrer geht nur in so weit freiwillig in den Tod, als das er sich nicht davor fürchtet und für nötig hält. Weil er an etwas glaubt oder dazu gebracht wurde, gewisse Dinge zu glauben. Auch das ist eine Art der Manipulation auch wenn alle Seiten am Ende behaupten würden, das es richtig
und gut war.“
,, Und was hat das mit mir zu tun ?“
,, Ihr seid der festen Überzeugung, das Mhari noble Absichten hegt und obwohl das zutreffend sein mag sind sie vielleicht nicht so edel, wie sie euch glauben machen will. Sie plant nicht, zu sterben. So selbstlos ist ein Unsterblicher schlicht nicht.“
,, Wie meint ihr das ?“ Nach allem was Mhari ihm über die Unsterblichen verraten hatte, war das der einzige sichere Weg, Corvus zu besiegen. Dafür hatte sie die Tränen gestohlen... Oder nicht ?
Wenn Mhari nicht die Absicht hatte, Corvus zu töten, was wollte sie dann tun
?
,, Ihr werdet es nicht zulassen, das meine ich damit.“ Die Antwort jagte Erik einen Schauer über den Rücken. Er begann langsam zu verstehen... Wenn nicht sie, dann würde es einer von ihnen tun müssen. Er würde es tun müssen. Und wenn er Corvus tötete, was würde geschehen ? Er würde seinen Platz einnehmen. Erik verstand... und doch fühlte er sich betrogen. Manipuliert, wie Jared gesagt hatte. Und hätte er das Gespräch zwischen Mhari und dem Seher nicht belauscht, wäre er nie davon ausgegangen , das Mhari ihn genau dazu bringen wollte.
,, Solange ich die Wahl habe... Nein.
Nein ich würde es nicht erlauben.“ War er wirklich nur das für Mhari ? Eine mögliche Rettung für Corvus ? Es änderte nichts daran, das er sie nicht sterben lassen wollte aber, dieses Gefühl betrogen und benutzt worden und nicht mehr als ein Puzzlestein oder ein Werkzeug für Mhari zu sein, wollte nicht mehr weichen.
,, Und meint ihr nicht, das sie genau darauf setzt ?“ Doch, dachte Erik. Leider. Er wünschte er könnte es abtun, könnte den Seher der Lüge bezichtigen, aber... so ungern er es zugab, es klang zu sehr nach Mhari, nach ihrer berechnenden Art... Es klang nach der Wahrheit.
Erik nickte. ,, Ich verstehe langsam.“ Und gleichzeitig tat er es nicht. Vertraute sie ihm wirklich so wenig oder konnte sie ihn so schlecht einschätzen, das sie es nicht wagte , ihn selbst vor die Entscheidung zu stellen ? Oder bedeutete er ihr schlicht so wenig, das sie nie auch nur auf die Idee gekommen war ihn selbst entscheiden zu lassen. Hätte sie ihn vor wenigen Stunden gefragt, sicher hätte er gezögert aber hätte er sie auch in den Tod gehen lassen ? Nein. Und jetzt ? Er wünschte, er könnte sagen, es hätte sich nichts geändert, aber das wäre eine Lüge gewesen...
Er musste es noch einmal hören, dachte er schließlich. Aus ihrem Mund, mit ihren Worten. Oder besser, du möchtest dich gern wieder belügen lassen ? , fragte ihn eine sarkastische Stimme in seinem Kopf. Nein, das würde er nicht. Dieses mal würde er sich nicht mit ein paar Antworten zu Frieden geben. Er musste sie zur Rede stellen. Endgültig. Sie hatte nicht über sein Leben zu bestimmen. Und er musste wissen, wie viel er für sie überhaupt wert war...
Als hätte der Seher seine Gedanken gelesen, schüttelte er langsam den Kopf. ,, Was immer ihr mit diesem Wissen tut, konfrontiert sie nicht damit. Lauft oder
fügt euch aber stellt sie nicht vor eine Entscheidung. Ihr seid nichts für sie, als eine Spielfigur. Sie hat bereits andere für weniger geopfert. Wenn sie glaubt ihr seid eine Bedrohung oder habt euren Nutzen erfüllt, wird sie euch töten...“